Lesabendio

Sechzehntes Kapitel

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 Biba spricht wieder mit Lesa über die Lichtwolke. Als diese runterkommt, entsteht auf allen Bergspitzen des Nordtrichterrandes ein großes Phosphoreszieren, wodurch die Pallasianer fast sämtlich nach oben gelockt werden. Manesi und Labu wollen dann eine riesige Blumenampel ins Attraktionscentrum hängen, ohne den Turm zu belasten. Das geschieht. Und der Turm wird zu einem Lichtfestturm. Ein Komet kommt vorbei und erhellt die Spinngewebewolke in der Nacht – so wie die Wolke am Tage vom Kopfsystem des Pallas erleuchtet wird. Dieser wunderbare Zusammenhang führt Dex zum Weiterbau des Turms. Nax bekommt Heimweh und möchte auch, zur Erde. Biba erzählt ihm etwas Wichtiges vom Jupiter.

Drei Tage später saßen Biba und Lesa am Fuße eines Nuse-Turms oben am Nordtrichterrande auf einem der glatt polierten rechteckigen Felsblöcke, die Peka dort hingebracht hatte, um Haut darauf wachsen zu lassen. Die Saugfüße der beiden Pallasianer saßen fest auf dem glatten Stein, sodaß sich ihre Körper leicht nach vorn und rückwärts biegen konnten; taten sie das Erstere, so blickten sie hinab in das gigantische Schluchtenreich des Nordtrichters, bogen sie den Kopf zurück und nach oben, so konnten sie zum großen Turm hinaufblicken. Die Lichtwolke wurde oben fleckig; sie mußte bald hinunterkommen. Und Biba sagte langsam: »Man kann dem Dex das Zögern nicht übelnehmen. Eigentlich ist ja der Turm nur ein großes Sprungbrett für Lesabéndio. Für Dich, lieber Lesa, wird der ganze Turm gebaut. Du willst oben in das Kopfsystem des Pallas – mit ihm eins werden. Du willst nicht in einem anderen Pallasianer mal aufgehen. Du willst oben in dem großen Kometensystem aufgehen – willst selbst ein Komet werden.« »Will ich das?« fragte Lesa leise. Biba nickte und tausend Falten zuckten glitzernd über sein Gesicht. Und da kam die Lichtwolke herunter und wurde dunkel, gleichzeitig aber bekamen alle Bergspitzen des Nordtrichterrandes einen phosphoreszierenden Glanz – und Funken spritzten von den höchsten Bergspitzen ab. Und das währte eine gute Weile, sodaß es alle Pallasianer sahen und in Scharen hinaufkamen zum großen Turm. Das neue Wunder wurde eifrigst besprochen. Und man dachte lange nicht an den Schlaf auf den Pilzwiesen.

Natürlich brachte man die seltsame Erscheinung mit den kleinen Köpfchen in der Lichtwolke zusammen. Zu diesen gehörten zweifellos sehr lange, ganz feine Fadenkörper, deren Struktur allerdings nicht weiter erforscht werden konnte. Aber dieses Aufleuchten der Bergspitzen hielt man doch für eine Antwort der scheuen Wolkenwesen; diese Antwort konnte allerdings Niemand enträtseln. Doch die Folge dieser Antwort war, daß jetzt alle Pallasianer nur noch auf dem großen Turm leben wollten. Im Südtrichter sah man schon seit langer Zeit sehr selten einen Pallasbewohner, auch im unteren Teile des Nordtrichters ließ sich sehr selten einer sehen. Nur wenn alle schlafen wollten, kamen die Pallasianer zu den Pilzwiesen hinunter, die unten im Nordtrichter und im Südtrichter lagen. Selbst die Sofanti-Musik im Centralloch wurde vernachlässigt. Man mußte sogar oben auf den NuseTürmen neue Scheinwerferuhren anbringen, da die tiefer gelegenen von oben aus nicht ordentlich gesehen werden konnten. »Das Interesse für den Lesa-Turm wird wieder größer werden!« sagte der Biba. Und der I.esa nickte dazu und wurde sehr ernst, er sagte traurig: »Ob ich nicht zuviel will? Du hattest vorhin meine innersten Gedanken erraten. Ja – ich will so, wie Du sagtest. Ich will ein Komet werden. Aber – so darf man wohl nicht sagen. Eins mit ihm werden – mit dem großen Lenker unsres Lebens! Aber – ist das nicht zuviel? Ich weiß nicht, ob es möglich ist.« »Für mich«, sagte Biba rasch, »wärs zuviel. Doch ich möchte, daß Du das ausführen könntest – was ich nicht kann. Der Kühnste empfindet doch immer das größte Glück. Das vergiß nicht. Der Klügste ist nicht so leicht zum größten Glücksempfinden hinzuleiten; er ist kleinlich und bedenklich. Du aber sollst keine Bedenken in Dir aufkommen lassen.« »Du schickst den Dummen voran! « sagte Lesa leise. »Den Kühnen, lieber Lesa, will ich voranschicken. Ich habe nicht gesagt, daß der Kühne dumm sein muß. Daß er nicht der Klügste zu sein braucht, das wollte ich allerdings feststellen. Das darf Dich also nicht kränken.« »Tuts auch nicht«, erwiderte der Lesa, »sehr klug erscheine ich mir selber nicht. Ich werde getrieben – von unbekannten Mächten – immerzu gradaus – zur Höhe empor. Und deswegen mußt Du Alles daransetzen, daß die Pallasianer das Leben oben auf dem Turm immer mehr schätzen lernen. Dex wird umgestimmt, wenn er sieht, daß alle sich oben sehr wohl fühlen – und wohl auch höher möchten.« »Gut! gut!« erwiderte Biba, »ich habe schon das Meinige getan. Ich habe ein Büchlein über den Flügelwert der Pallasianer photographieren lassen.

Außerdem ließ ich auch etwas über die grandiosen künstlerischen Perspektiven, die sich vom Turm aus eröffnen, photographieren. Der kleine Nax macht ein Flugblättchen über die kometarische Geschwindigkeit unsrer Seilbahnen oben auf dem Gerüst. Jeder Turm ist jetzt neun Meilen lang im Ganzen. Die Schiefe fer Türme gibt auch einen famosen Blick nach oben und nach unten in den Sternhimmel hinein. Die langsameren Bandbahnen zu benutzen, ist oben am Tage doch ein Genuß künstlerischer Art. Die Pallasianer werden schon wieder Vertrauen zum Turmbau bekommen.« »Ich danke Dir!« sagte Lesa weich. Biba jedoch fuhr eifrig fort: »Ich habe den Dex auch darauf aufmerksam gemacht, daß die langen Stangen für das nächste Stockwerk am besten auf Rädern weitergeführt werden, die oben auf den schon festgemachten Turmstangen laufen. Radsysteme haben wir eigentlich nur in den Rollen der Bandbahnen. Die Räder sollten wir beim Bau noch öfters verwenden. Ich wundre mich sehr, daß wir das noch nicht getan haben. Immer wieder sehe ich, daß die Klügsten so häufig das Nächstliegende nicht sehen und sich alles schwieriger machen, als nötig ist. Ich fange an, die Klugen zu bemitleiden.« »Das dachte ich auch schon sehr oft!« sagte der Lesa. Und dann fuhren die Beiden rasch nach oben, allwo so viele Pallasianer in der Luft herumflogen, daß Biba lächeln mußte. »Wie schnell bei uns ein kleines Büchlein wirkt!« rief er laut aus. Die Lichtwolke schien ganz hell, und Manesi mit Labu hatten Bibas Ausruf gehört, sie kamen herbei und fächelten lebhaft mit ihrer Kopfhaut. »Ist es nicht seltsam«, rief der Manesi, »daß wir noch nichts im Attraktionscentrum angebracht haben?« »Was sollen wir denn da anbringen!« fragte plötzlich lachend der Lesa. »Da hängt doch«, sagte Labu, »eine ganz schwere Last – so gut wie von selbst. Der Pallasianer sinkt nicht, wenn er in der Mitte fliegt. Folglich sinkt auch eine schwere Last nicht, die an Seilen hängt.« »Ich merke was!« rief Biba, »Ihr wollt wohl Manesi-Pflanzen in die Mitte hängen, nicht wahr?« »Wir wollen«, sagte Manesi, »das Gerüst nicht belasten und trotzdem da in die Mitte was hineinhängen. Labu und ich – wir haben doch noch nichts am Turm anbringen können. Wir möchten eine Blumenampel in die Mitte hängen. Labu will die Ampel machen in großen knolligen und bogenartig aufgebauschten Formen – mit Kugeln und Henkeln – Trauben und Schalen. Ihr wißt ja – so wie es Labu gern möchte. Wie groß die Ampel werden soll – müssen wir natürlich vorher ausprobie r en. Wir nehmen die Seile aus dem Südtrichter. Und die Magnete können wir wohl auch in der Ampel anbringen. Das kann eine halb schwebende Insel werden. Die Blumen in Guirlandenform und die Stoffe für die Wunelnahrung besorge ich. Seid Ihr einverstanden?« »Selbstverständlich!« rief der Biba, und der Lesa sagte das auch. Und kurze Zeit darauf waren alle Pallasianer mit der Manesi-Labu-Ampel einverstanden. Und man konnte ihr einen Durchmesser von dreihundert Metern geben. Soviel blieb im Attraktionscentrum schwebend, ohne den Turm erheblich zu belasten. Dex sagte zu Biba, nachdem er alles berechnet hatte: »Eigentlich könnte die Ampel noch dreimal so schwer sein. Aber ich will sicher gehen. Jetzt können wenigstens die Guirlanden ruhig weiter wachsen an den Seilen.« An acht Seilen wurde die Ampel befestigt. Und die Pallasianer umschwebten alle diese schwebende Insel. Und viele Pallasianer saßen auf dem Rande der Ampel und unter dem Rande in den trefflichen plastischen Arbeiten des Labu. In der Mitte der Ampel oben wurde eine kleine Pilzwiese angelegt, auf der immer nachts ein paar hundert Pallasianer schlafen konnten. Sie priesen dann immer die Morgenstimmung mit so großer Begeisterung, daß die Ampel schließlich ein Mittelpunkt für das ganze gesellige Leben auf dem Pallas wurde – Scheinwerfer brachte man ebenfalls am Ampelrande an. Und die Magnetsteine wurden für ein paar Seilbahnen verwertet, die direkt zum obersten Stockwerk hinaufführten. Ringsum im ganzen Turm brachte man Lampions an, die aus durchsichtigen bunten Sofanti-Häuten hergestellt waren; Glas verwendete man nicht – seiner Schwere wegen. Und so wurde der ganze Turm mit all den leuchtenden Nuse-Türmen zusammen ein einziger großer Lichtturm. Und der Nachtbeginn, wenn die Bergspitzen unten phosphoreszierend aufglänzten, wirkte immer berauschender. Nun gabs allabendlich stets ein großes Lichtfest, und man kam vom Turm nur noch herunter, wenn mans nötig hatte, unten auf den Pilzwiesen zu schlafen. Auf der Ampelwiese schliefen in jeder Nacht andere Pallasianer, sodaß bald alle mal da oben geschlafen hatten. Es hatte somit den Anschein, daß ein Weiterbau des großen Turms jetzt weiter keine Schwierigkeiten haben könnte. Und Dex wurde besonders von Sofanti und Nuse bestürmt, doch nicht weiter zu zögern. Dex aber hielt sich trotz allem zurück und wollte nicht mit der Sprache heraus. Da trat ein Ereignis ein, das der Gedankenrichtung der Pallasianer plötzlich eine ganz andere Wendung gab: ein großer Komet erschien und schwebte ganz dicht neben dem Pallas vorüber. Und dabei geschah etwas Ungeheuerliches: als die Lichtwolke eines Nachts herunterkam – wurde sie nicht dunkel wie sonst; das Kometenlicht machte die Wolke auf der einen Seite fast genauso hell wie am Tage, wenn die Wolke oben hing. Hieraus ging für alle Pallasianer deutlich hervor, daß oben über der Wolke nur ein Komet das große Licht spenden könnte – ein gefesselter Komet. Da wurde der Dex von so vielen Pallasianern zum Weiterbau des Turms aufgefordert, daß er sich beim besten Willen nicht weiter weigern konnte. Und so beschloß der Dex, das nächste Stockwerk – und zwar nochmals gleich drei Meilen lang – unter einem Winkel von fünfundfünfzig Grad herzustellen. Lesa war sehr glücklich; er war immer mit Biba zusammen, und die Beiden sprachen nur von dem großen Kometen hoch über ihnen, und von dem, der am Pallas vorbeizog zur Sonne hin. Biba sprach immer wieder von der Sonne und von dem großen Ring, den die Asteroïden zusammen bilden müßten – entsprechend dem SaturnRing. »Es ist Deine Aufgabe«, sagte er zum Lesa, »die Asteroïden zusammenzubringen; sie müssen zusammen wie eine einzige Masse wirken – mindestens müssen sie so einig untereinander sein wie die Pallasianer auf dem Pallas.« »Du vergißt den Peka«, versetzte Lesa, »wir sind doch eigentlich noch nicht so einig. Und auSerdem sollten wir nicht so übergroße Pläne haben.« »Irrtümlich scheint mir das«, fuhr Biba fort, »bist Du einmal so kühn gewesen, daß Du Dich mit dem Kopfkometen des Pallas verbunden hast, so kannst Du auch dieses Kopfsystem gedanklich beeinflussen. Möglich ist es ja, daß Du oben ganz untergehst in dem Großen. Dann würdest Du Dein Persönlichkeitsbewußtsein vollkommen verlieren. Dann wäre vielleicht für Dich alles aus. Aber es ist doch auch möglich, daß Du da oben selbständig bleibst. Und dann kannst Du doch das ganze Asteroldenheer zusammenbringen wollen. Ein derartiges Zusammenleben mit einem gefesselten Kometensystem muß doch in Dir eine riesig große Kraft entfalten.« »Zu groß«, sagte Lesa, »erscheint mir das noch. An solche Gedankengänge bin ich noch nicht gewöhnt. Du weißt, was ich stets von der Ergebenheit dem großen Unbekannten gegenüber gesagt habe. Ich muß bei dem, was ich darüber sage, bleiben. Ich kann davon nicht abkommen – so schnell wenigstens nicht. Dränge mich nicht.«

Biba lächelte und schwieg Da äußerte Nax zu Biba und Lesa, daß er Heimweh hätte. »Du darfst nicht fort«, sagte Biba, »wir werden Dich oben beim Bau noch öfters gebrauchen.« Da sagte der kleine Nax lustig: »Meinetwegen bleib ich auch noch hier. Aber Ihr müßt mir versprechen, mich später mit einem Pallasianer zum Stern Erde zu senden. Ich habe neulich ein Buch gefunden, in dem wird erzählt, die Erdianer könnten gar nicht von der tollen Idee abkommen, daß sich die Sterne gegenseitig so anziehen, wie die Sterne ihre Oberflächenstücke anziehen. Das finde ich so schnurrig. Und deshalb möchte ich die Erdianer, die ja die drolligsten Lebewesen unsres Sonnensystems zu sein seheinen, doch mal kennen lernen. Dann kann ich doch wieder mal tüchtig lachen. Ihr seid mir zu ernst.« »Lieber Nax«, sagte da der Biba, »wenn einer von uns mal zur Erde hinwollte, sollst Du mitkommen. Aber so köstlich erscheint mir das Lächerliche dort nicht zu sein. Andrerseits finde ich, daß die Idee der Erdianer, wenn sie auch falsch ist, so unnatürlich gar nicht genannt werden kann. Der Einfluß des Sterns, den die Erdianer Jupiter nennen, auf die Sonnenfleckenperiode der Sonne ist doch nicht zu leugnen. Fast zwölf Erdjahre ist diese Periode lang – in derselben Zeit umwandelt der Jupiter die Sonne. Beziehungen zwischen den Sternen sind also da.« Nax rieb sich seinen kleinen Rüssel und sagte: »Bei Euch muß man also auch das Lächerliche sehr ernst nehmen.«

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 Siebzehntes Kapitel

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 Dex wird mit den Pallasianern bei der Turmarbeit vorgeführt, die nur noch eine gedankliche Arbeit, keine handliche ist. Peka wird müde, sein Körper wird stellenweise durchsichtig, und er will sich in Lesabéndio auflösen, sagt das dem Bombimba, der den Lesa holt. Peka sieht, daß er nicht so tatkräftig wie der Lesa war und somit diesem weichen mußte. Sie nähern sich geistig einander, obschon sie im Leben immer einander widerstrebten. Pekas Auflösung in Lesa verändert diesen sehr, gibt ihm mehr Ruhe, worüber sich Biba sehr freut. Dex vollendet das nächste Stockwerk, und der Turm ragt jetzt fast sieben Meilen hoch zum Kopfsystem empor.

Nun war der Dex wieder mitten in seiner Arbeit. Und die meisten Pallasianer halfen ihm, wo sie konnten. Die Maschinen, die den Kaddimohnstahl aus dem Pallasrumpf herauszogen, stampften wieder und ächzten. Und die großen Schmiedehammer dröhnten wie alte Metallglocken. Alles ging durch elektrische Kraft, kein Dampf war zu sehen – die Stoffe auf dem Pallas lassen sich nur sehr schwer in die Dampfform umsetzen; es ist sogar so schwer, daß es die Pallasianer gänzlich aufgegeben, da ein unmittelbarer Nutzen aus der Dampfform nicht zu ziehen ist. Auch das Flüssigmachen der Stoffe ist, wie schon öfters erwähnt, außerordentlich schwer. Flüssigkeiten werden nur zu Heilzwecken verwandt, müssen also gelegentlich hergestellt werden. Das geschieht aber nur in Labus Atelier mit Hilfe der kompliziertesten Maschinen. Die Struktur der Pallasstoffe unterscheidet sich von der auf anderen Sternen so vielfach, daß ein Vergleich gar nicht statthaft ist. Die Quikkotaner, die auf einem gallertartigen Stern lebten, wunderten sich immer wieder über die verblüffende Trockenheit des Sterns Pallas. Die »Arbeiten« am Turm hatten nur am Anfange die Körperkräfte der Pallasianer in Anspruch genommen. Gleich danach hatten sich ein paar hundert Freunde des Dex bemüht, neue maschinelle Erfindungen einzuführen. Und dann galt es nur, die vielen Maschinen richtig zu bedienen und sie rechtzeitig zu reparieren. Und schließlich bemühten sich Alle nur darum, immer bessere Maschinen zu erfinden. Die »Arbeiten« bekamen somit sehr bald ein ganz anderes Gepräge – es wurde viel gerechnet und immer wieder etwas Neues ausprobiert. Eine gedankliche Tätigkeit trat allmählich überall an die Stelle der handlichen. Und alles wurde so praktisch und bequem wie möglich eingerichtet, sodaß Unfälle schließlich nicht mehr vorkamen. Besonders wurde die Anlage der Bandbahnen immer wieder verbessert, sodaß oben am Turm bald kein Band mehr vergeblich dahinrollte – die Bänder wurden so geschickt von einer Rolle zur andern übergeführt, daß jedes Stück mehrfach zu gebrauchen war. Für den Stahlstangentransport hatte man ein paar Zahnradbahnen versuchsweise eingeführt – doch sie bewährten sich nicht – durch Stahl versteifte, langsam rollende Bandbahnen bewährten sich für die Überführung der langen Stangen doch am besten. Und Peka wurde sehr müde, sein Körper begann schon, an einigen Stellen durchsichtig zu werden. Tief unten an einem Nuse-Turm im oberen Teile des Nordtrichters lag er eines Tages auf einem glatt polierten großen Steinwürfel, und Bombimba saß neben ihm. »Sie hören nicht mehr auf«, sagte der müde Peka, »ihre ganze Gedankenrichtung ist eine teehnische geworden. Die große Kunst der Rhythmisierung in den Flächenund Raumpartieen gilt ihnen gar nichts mehr; sie wird ihnen nie mehr etwas gelten. Und so ist es mir nicht mehr möglich, länger unter ihnen zu weilen. Ich werde bald fort sein. Das Klagen hat natürlich gar keinen Zweck. Ich wollte unserm Stern Bewohner geben, die in beschaulicher Ruhe dahinleben können. Das war aber wohl nicht die Absicht des großen Unbekannten, der uns führt. Ich habe ihn nicht verstanden. Und darum muß ich fort. Ich bin überflüssig geworden. Man hat in den letzten Jahren so viele Maschinen erfunden, um den großen Stahlturm da oben zu bauen. Hätte man nicht in derselben Zeit so viele Maschinen erfinden können, um mein Steinpolieren zu erleichtern? Dann wäre Alles anders gekommen. Man hätte den Nordtrichter in derselben Zeit köstlich mit funkelnden Kanten und Brillanten durchsetzen können – mit ganz steilen glatten Wänden! Und in den Wänden hätten rechtwinklige Löcher sein können, in denen man jetzt sitzen könnte und hinausstarren und hinunterblicken. Man hätte die Rhythmen des Nordtrichters so oft wieder von einem andern Punkte aus sehen können – von unten sowohl wie von oben. Man hätte in einem Bauwerk gelebt. Und die Ateliers der Pallasianer hätten Aussichten gehabt – in den Nordtrichter hinein. In dem hätte jeder Stein glatte Flächen zeigen können – glatte Flächen, die doch allein den Rhythmus in den Raumund Flächenpartieen künstlerisch wohltuend markieren können. Das ist nun alles unmöglich. Das Drahtnetz oben zerstörte den Rhythmus im Raum – es kann vielleicht mal eine Kuppel werden – aber das Kompakte – das Bleibende und Feste – das fehlt. Und daß es fehlt – das gibt der ganzen Gedankenrichtung der Pallasianer eine andere Richtung. Ich bin mit meinen schwerfälligen Steinen eine veraltete Erscheinung, nur noch gut genug, dem Sofanti Turmhäute zu liefern. Das genügt mir aber nicht. Mir genügt es auch nicht, wenn ich im Nordtrichter hier und da ein paar glatte Wände und scharfe Kanten anbringen kann. Ich wollte auch mal eine künstlerische Aussicht haben. Die hätte ich aber nur, wenn ich den ganzen Nordtrichter nach rhythmischen Prinzipien durchgearbeitet hätte. Eine Kleinigkeit genügte mir nicht.« »Hättest Du da nicht«, fragte Bombimba, »auf der Außenseite des Pallas so viel umwandeln können, daß die Aussicht überall Deinen Prinzipien genügt hätte?« Peka lächelte schmerzlich und sagte nach einer langen Weile: »Wir haften mit unsern Gedanken nicht immer da, wo wir wollen. Ich habe zumeist im Nordtrichter gelebt, nicht auf der AuSenseite des Pallas. Die ist auch gar nicht so leicht nach allen Seiten durchzubilden. Man kommt da immer wieder an eine Grenze, wo das Ungeordnete herrscht. Und grade das Ungeordnete in unserm Stern wollte ich ja ganz und gar vergessen. Hätte ich alle Berge auf dem Nordtrichterrande rhythmisch mit graden Linien und glatten Flächen in tausend Winkel gegliedert, dann wäre ich nie darauf gekommen, über den oberen Rand hinwegzublicken – oder unten durch das Loch in den Südtrichter zu fahren. Ja – ich bin eben nicht in der Lage, aus meiner Gedankenrichtung hinauszukommen. Und da ich sie nicht in erquickende Wirklichkeiten hineinzusetzen vermag, so ist meine Gedankenrichtung nicht mehr lebensfähig. Kannst Du alles, was ich Dir sagte, dem Lesabéndio sagen? Ich wäre Dir dankbar. Ich möchte mich in Lesa, der mich vernichtete, auflösen. Vielleicht bleibt dann Etwas von dem, was ich dachte, auf dem Pallas zurück. Willst Du ihm das alles sagen?« Bombimba nickte und flog davon, um den Lesa zu suchen und zu benachrichtigen. »Immer«, fuhr Peka, als er allein war, fort, »glaubt man, das Beste zu tun. Und schlieSlich wird doch Alles ganz anders. Wer kann den unbegreiflichen Führer begreifen? Wer begreift unser ganzes Leben? Einst, als wir Nüsse waren, da ging Alles so wirr durcheinander. Und im Traume gehts auch so wirr durcheinander. Und im andern Pallasianer? Gehts da auch so wirr durcheinander? Wir wissen das alles nicht. Vielleicht habe ich Unrecht gehabt – und Unrecht getan. Vielleicht war ich schon zu müde – vor vielen vielen Jahren. Lesa ist jedenfalls kräftiger. Das ist auch etwas wert. Ja! Ja!« Bombimba fand den Lesa nicht gleich und mußte dreißig Bandbahnen benutzen, ohne ihn zu finden. Oben im Turm sagte man überall, Lesa sei unten. Und unten auf den Bergen bei den Maschinen war es überall so laut, daß Bombimba sich schwer verständlich machen konnte. Die großen Maschinen zogen den Kaddimohnstahl aus dem harten trockenen Boden heraus, daß der furchtbar knirschte. Dazu kamen die Hammermaschinen, die den Stahl bearbeiteten. Es war gar nicht leicht, einen Pallasianer zu finden, wenn er allein sein wollte. Und Lesa wollte jetzt immer wieder allein sein. Schließlich wurde er in dem Aussichtszimmer eines kleinen Lichtturms gefunden, der ganz einsam drei Meilen höher als der Modellturm schon vor sehr langer Zeit gebaut wurde. Lesa hörte, was er sollte, und begab sich ’gleich mit Bombimba zum müden Peka. Lesabéndio sagte zum Peka milde: »Ich danke Dir, daß Du mich grade gerufen hast. Ich habe alles, was Du zu Bombimba sagtest, von diesem gehört. Und ich weiß nicht, was ich Dir zum Troste mitteilen soll. Ich weiß: Du brauchst keinen Trost. Aber es ist doch immer ein seltsamer Augenblick, wenn man fühlt, daß der Körper durchsichtig wird. Wir werden alle von unbekannten Mächten fortgetrieben. Und das Ziel, das uns vorschwebt, scheint uns immer wieder undeutlich zu werden. Was wissen wir von unserm Leben? Vielleicht hast Du mit Deinen künstlerischen Bestrebungen ein Wertvolleres im Auge gehabt als ich. Du wolltest die ruhige Stille. Ich habe die nie gekannt. Und das empfinde ich doch zuweilen als einen Mangel in mir. Ich kümmere mich viel mehr um das, was außer mir ist. Aber – glaube mir’s! – auch das muß wohl ein Wertvolles sein. Es kam mir das Leben unsres ganzen Sonnensystems und besonders das Leben unsres Doppelsterns immer viel wichtiger vor a.ls mein eigenes Leben. Wissen wir denn, ob wir jemals ein eigenes Leben erfassen können? Deine Freude am Rhythmischen gab Dir ja mehr die Empfindung, daß Du ein eigenes Leben hattest. Ob das aber nicht auch nur eine Täuschung war? Ich habe viel von dem, was Du wolltest, wohl unmöglich gemacht. Doch ich war nicht Herr meiner selbst.« »Ich bin ganz ruhig«, erwiderte Peka, »und ich habe jetzt nur noch den einen Wunsch, daß Du recht viel von meiner Ruhe und Beschaulichkeit in Dich aufnimmst. Du bist der Tatkräftige. Das Tatkräftige war mir aber meiner Anlage entsprechend nicht naheliegend. Es entwand sich mir immer. Nun sehen wir beide ein, daß wir nicht leicht, solange wir nebeneinander lebten, zusammenkommen konnten. Da ist es doch ein Trost, daß wir uns zum Schluß noch so nähern können. Das Ende der Pallasianer ist doch ein beneidenswertes. Ich glaube nicht, daß es Ähnliches öfters in unserm Sonnensystem gibt. Ich werde in Dir weiterleben als Dein guter Freund, obschon ich im Leben niemals Dein guter Freund war und immer in andern Sphären meine kühlen ruhigen rhythmischen Ziele erblickte.

Zur Wehmut haben wir also keinen Grund. So wie es gekommen ist, wirds wohl das Richtige sein. Das Kräftigere siegt immer. Aber wir müssen auch ein Vergnügen darin erblicken, mal vom Kräftigeren besigt zu werden. Gib mir Deine Hand, Lesa! Wenn Du bereit bist, so werde ich Dir dankbar sein. Bombimba kann in unsrer Nähe bleiben.« Die Beiden reichten sich die feinen Hände und drückten sie, Bombimba sah starr zu; er hatte noch niemals einer Auflösung beigewohnt. Und dann reckte sich plötzlich der Lesabéndio dreißig Meter hoch empor, und die Poren seines Körpers weiteten sich mächtig wie große Rachen auf. Und Peka wurde mit einem Ruck von Lesas Körper angezogen – und war gleich danach verschwunden. Langsam schlossen sich Lesas Körperporen, und dann wurde er langsam wieder kleiner und blickte langsam im Nordtrichter herum, als sähe er alles mit ganz neuen Augen. »Es ist mir doch«, sagte er bedächtig zum Bombimba, »als wären wir immer auf einem Irrwege. Wir haben eigentlich niemals das Gefühl, als wäre das, was wir tun, das Richtige. Es gibt immer noch eine andere Bandbahn, die in scheinbar besserer Gegend zum Ziele führt. Ich sehe den Peka, der mir so heftig Zeit seines Lebens widerstrebte, jetzt so deutlich vor mir, wie ich ihn nie in seinem Leben sah. Sein Geist wird in mir immer lebendiger werden. Und ich bekomme dadurch eine neue Seite. Unsre Persönlichkeit schlieSt sich niemals ganz ab. Auch Peka empfand zuletzt, daß sein Weg wohl nicht der einzige Weg zum guten Ziele sei. Auch sein gutes Ziel wurde ihm undeutlich.« Bombimba sagte rasch: »Welch ein geheimnisvolles Leben führen wir auf dem Pallas! Mir ist so, als hätte ich Euch beide jetzt erst verstanden. Aber ich verstehe auch, daß Ihr nie zusammenkommen konntet, solange Ihr lebtet. Die Auflösung Pekas in Dir hat aber das Unmögliche ganz einfach möglich gemacht. Ob es moglich ist, Lesa, daß sich der Pallasianer auch in einem andern höhern Wesen auflösen könnte? Weißt Du das?« »Ich weiß das nicht«, versetzte Lesa. »aber vielleicht erfahren wirs, wenn wir oben sind. Wir erleben ja auf dem Pallas so große Wunder, daß wir wohl hoffen dürfen, daß wir immer gröSere erleben werden.« Die Lichtwolke kam herunter, und es wurde Nacht im Nordtrichter. Alle elektrischen Lampen flammten mit einem Ruck bunt und funkelnd auf. Die Scheinwerfer drehten sich. Bombimba legte sich auf die nächste Pilzwiese, die Haut seines Rückens spannte sich hoch über ihm zusammen. Er ließ seinen linken Arm leuchten und rauchte sein Blasenkraut und dachte uber Leben und Sterben auf dem Pallas nach.

Lesabéndio aber fuhr auf zehn Bandbahnen und zwei Seilbahnen zum Biba und erzählte ihm, was vorgefallen war. Biba lächelte und sagte hastig: »Das hab ich immer gewünscht. Größere Ruhe ist für Dich ein Bedürfnis. Peka wird sie Dir geben. Jetzt kannst Du auch erfahren, wie der Peka in Dir wirkt – ob er persönlich in Dir lebendig bleibt. Ist das der Fall, so könntest Du auch persönlich oben im Kopfsystem Dich erhalten.« »Wenn wir nur erst genauer wüßten, was das Persönliche eigentlich ist! « erwiderte Lesa. Sie sprachen noch lange darüber. Am nächsten Tage aber hatte Dex das nächste Stockwerk fertig gebaut – abermals drei Meilen schräg nach oben, der Ring oben hatte nur noch einen Durchmesser von einer guten halben Meile. Sofanti ließ viele Häute hinaufschaffen. Der Turm reckte sich jetzt fast sieben Meilen hoch zum Kopfsystem des Pallas hinauf.


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