Lesabendio

Vierzehntes Kapitel

no images were found

 Es wird zunächst die Verständigung durch drahtlose Telegraphie erörtert. Dann erzählt Nax vom Schüsselstern und dessen Attraktionscentrum. Danach wird die Anziehungskraft drei Meilen über dem Pallas untersucht; und man bemerkt, daß sich die Centren verschoben haben – nach oben zu. Und so kann man drei Meilen lange Stahlstangengerüste ganz leicht durch Kranvorrichtung nach oben drehen, sodaß das nächste drei Meilen lange Stockwerk in kurzer Zeit fertig wird. Biba unterhält sich danach mit Lesabéndio über das Verhältnis des Saturnrings und ähnlicher Ringe zu dem Asteroïdenring. Biba bringt die Lichtwolke über dem Pallas mit diesen Ringsystemen in Zusammenhang, und man beschließt, oben die Wolke des Nachts durch Sofanti-Häute näher zu betrachten. Das geht aber vorläufig nicht.

Während des Turmbaus hatte man bald eingesehen, daß eine rasche Verständigung oft sehr nötig wurde. Und es genügten die verabredeten Signale nicht mehr. Man führte daher eine Art drahtloser Telegraphie ein, die aber nur bei den Bewohnern des Pallas möglich ist, die ihren Körper seiner elektrischen Eigenschaften wegen auch in einer Art Empfänger umbilden konnten; sie gaben dabei ihrer Kopfhaut eine Form, die aufgespannten Regenschirmen glich. Und mit der so gestellten Kopfhaut konnten sie die elektrischen Wellen auffangen. Dem Pallasianer fiel das gar nicht schwer, da er ja von verschiedenen Stellen seines Körpers elektrisches Licht aufleuchten lassen konnte. Naxens Idee war den Pallasianern natürlich auch auf dem eben beschriebenen Wege mitgeteilt worden. Drei kurz aufeinanderfolgende Explosionstöne machten die Pallasbewohner darauf aufmerksam, daß eine Neuigkeit, die alle interessieren mußte, mitzuteilen sei. Und wer dann wollte, konnte gleich darauf das Neue hören. Gedruckte Zeitungen oder photographierte Zeitungen gabs deshalb nicht. Auf dem Nordtrichter hatte man zehn Stationen errichtet, von denen aus elektrische Wellen ausgesandt werden konnten. Der Lautwert der einzelnen Zeichen war allen bekannt. Oben auf dem Turm war während des Baus nur ein Explosionston das Alarmsignal. Als sich nun Alle einverstanden damit erklärten, daß man das nächste Stockwerk nicht nach oben, sondern nach der Mitte richten mußte, da dachten natürlich alle Pallasianer sehr energisch über die Art nach, in der das am besten ausgeführt werden konnte. Die drei Explosionstöne waren immer wieder zu hören. Und alle saßen stundenlang oben im Nordtrichter mit aufgespannter Kopfhaut da und lauschten auf das, was den Andern einfiel. Und dabei kamen schließlich sehr viele zum Wort. Und man beschloß ziemlich einstimmig, gleich drei Meilen lange Türme herzustellen. Diese sollten von den vierundvierzig errichteten einfach herunterhängend zusammengeschmiedet und, wenn sie fertig, durch Kranvorrichtung nach oben in die waagrechte Stellung hinaufgedreht werden. Nun handelte sichs nur darum, darüber einig zu werden, wie man zum Schluß die Spitzen der neuen Türme miteinander verband. Bombimba, einer von den jüngeren Pallasianern, war immer an Dexens Seite und half diesem in allen seinen Kaddimohnstahlarbeiten. Bombimba meinte Folgendes: »Das Allerunbequemste ist bisher zweifellos die Schmiedearbeit hoch oben auf dem Turmgerüst gewesen. Wenn wir nun die vierundvierzig drei Meilen langen Turmstangen herstellen, während die Stangen runterhängen, so haben wir uns ein gut Teil unsrer Arbeit erleichtert. Jetzt fehlt uns nur noch, daß wir den Ring mit den vierundvierzig Ecken auch unten anfertigen können. Ich glaube aber, daß wir das können. Sind die vierundvierzig herunterhängenden Turmstangen von je drei Meilen Länge durch unsre Kranvorrichtungen hinaufzuwinden, so läßt sich der Ring mit den vierundvierzig Ecken ebenfalls mit Drahtseilen hinaufwinden.« Dex fand die Idee sehr gut, wollte aber noch weiter darüber nachdenken. Währenddem kamen Lesa und Biba hinzu mit dem kleinen Nax, und die Fünf unterhielten sich hoch oben auf einem Nuse-Turm über das, was sie über den Turmbau gedacht hatten. Und während Dex umständlich seine Gewichtsberechnungen vorführte und erklärte, rief plötzlich der kleine Nax: »Mir fällt etwas Wichtiges ein! Auf unserm Stern Quikko konnten wir mit unsern Quallenhautlinsen einmal auch einen kleinen Schüsselstern beobachten, auf dem wir eine ganz seltsame Geschichte sahen. Der Stern sah wie eine Schüssel aus. Im Innern der Schüssel lebten die kleinen Bewohner des Sterns. Da sahen wir, daß einige der kleinen Leute auf dem Rande der Schüssel herumkrochen, und plötzlich fielen sie nach außen alle hinunter in den Weltenraum. Wir bedauerten natürlich die kleinen Leute, konnten uns aber den Fall eigentlich nicht erklären. Da sahen wir denn, daß alle Gefallenen tief unter der Schüssel in der Atmosphäre plötzlich nicht tiefer sanken; sie schwebten wie Pendel immer nach verschiedenen Seiten hin und zurück. Und dann wurden vom Rande Taue ausgeworfen, die ganz grade zu den Gefallenen hinstrebten. Diese ergriffen die Tauen

aen una wuraen an aiesen wieaer ninaur an aen rcana gezogen.« Nax schwieg und wackelte mit seinem kleinen Rüssel in der Luft herum, breitete zwei Flügel aus Pallassteinhaut in die Luft und schwebte um die Köpfe der vier Pallasianer herum. Biba lachte und sagte: »Da hat der Kleine wieder mal eine erlösende Idee gehabt. Er wollte mit seiner Erzählung nur sagen, daß man niemals so recht weiß, von welcher Gegend man angezogen wird. Es wäre deshalb doch das Wichtigste, daß wir zunächst untersuchen, ob sich die Anziehungscentren auf dem Pallas durch unsern, jetzt schon drei Meilen hohen Turmbau nicht wesentlich verschoben haben. Vielleicht lassen sich die Türme viel leichter heben, als wir denken.« Lesa reckte sich fünfzig Meter hoch empor und rief: »Das müssen wir sofort untersuchen.« Und so eilten die Fünf zur nächsten Funkenstation, ließen drei mächtige Schüsse ertönen und teilten den Pallasianern mit, daß zunächst oben die Attraktionstätigkeit des Pallas untersucht werden müßte. Und ein paar Minuten später waren fast alle Pallasianer mit den flinken Seilbahnen auf den obersten Ring des Turmes gefahren. Da saßen sie nun und warteten, was Biba sagen würde. Und der sagte, daß sie zur Mitte hinspringen müßten. Und das geschah! Jeder sprang mit seiner ganzen Kraft. Und siehe da: alle schossen drei Meilen gradaus der Mitte zu, ohne zu sinken. Dann ging es erst langsam im langestreckten Parabelbogen nach unten zu. Und der Flug der Pallasianer wurde immer langsamer, und Biba sah, daß sich das Attraktionscentrum tatsächlich verschoben hatte. Es ließ sich allerdings nicht feststellen, wo es eigentlich lag. Vor der Mitte bogen die ganz steif wie Stöcke durch die Luft Fahrenden langsam zur Seite und schwebten dann rückwärts und kamen so in den oberen Regionen des Kraters wieder zu ihrem Stern, ohne die Flügel zu gebrauchen. Ein allgemeiner Jubel brach nun los. Denn jetzt war klar, daß sich die drei Meilen langen Stahltürme ganz leicht hinaufwinden ließen. Es wurde gleich ein solcher Turm gebaut, und das Hinaufwinden ging ganz leicht. Lesabéndio weinte vor Freude. Dex aber erklärte, daß er jetzt gleich unten an jedem Turm nach beiden Seiten rechtwinklig zwei starke Stangen anbringen möchte, sodaß man den Ring mit den vierundvienig Ecken nicht extra zusammenzuschmieden brauchte. Und in Jahresfrist war der drei Meilen lange schiefe Turm fertig. Man führte ihn nicht ganz horizontal – doch etwas schräg emporgehend, sodaß jet.zt der ganze Turm fast vier Meilen hoch emporragte.

Eine allzugroße Erschöpfung machte sich nach dieser verhältnismäßig leichten Arbeit nicht bemerkbar. Aber alle waren doch der Meinung, daß jetzt abermals eine große Pause eintreten müßte. Und dem konnte man nichts entgegenhalten. Und so kehrten viele Pallasianer in ihre alten Ateliers zurück und dachten daruber nach, wie sich nun das Weitere entwickeln würde. Die jüngeren Pallasianer fuhren in großen Scharen zur Turmhöhe hinauf und machten dort Flugversuche. Leider mußten diese in der Nacht, wenn die Wolke alles finster machte, unterbleiben, da die Wolke nach wie vor unnahbar blieb und den oberen Teil des Turmgerüstes immer wieder knisternd und zuweilen auch Funken sprühend umspann. Eines Tages saß Lesabéndio mit Biba ganz hoch oben auf dem zuletzt geschmiedeten Ring auf einer der vierundvierzig Verbindungsstangen. Beide blickten in die grüne Sternenwelt hinein und freuten sich über den dunkelvioletten Himmel und über die geheimnisvolle Lichtwolke hoch über ihnen. »Grade hier in diesem Asteroïdenring, in dem wir leben«, sagte Biba, »ist von einer Gesetzmäßigkeit so wenig zu bemerken; wir sehen immer wieder neue seltsame Anziehungsverhältnisse in den einzelnen Asteroïden, und diese tun so, als nähmen sie gar nicht weiter Notiz voneinander. Hier ein Gemeinsames entdecken – das wäre eine große Aufgabe.« Lesabéndio sagte hastig: »Du denkst immer wieder an die größeren Verhältnisse. Du hast immer gleich das ganze Sonnensystem mit allen Planeten im Auge. Wir haben aber doch Rätsel, die uns näher liegen.« »Halt!« sagte da der Biba, »wir können den Pallas nicht so einfach loslösen, er gehört einem System an. Und in diesem System gehören wieder die Asteroïden zweifellos zusammen. Du darfst nicht das Ganze so leichthin aus dem Auge lassen, sonst wird Dir auch das Näherliegende immer rätselhafter Vater werden. Findest Du nicht,daß wir viel zuwenig über die Attraktionskräfte aus unserm Stern nachdenken? Wir gewöhnen uns in dieser Beziehung zu leicht an die allergrößten Wunder. Früher fiel ein Stein, den wir durch unser Centralloch in der Mitte unsres Sternrumpfes warfen, fast immer durch und suchte erst im Südtrichter die Trichterwände zu erreichen. Wenn wir heute, wie ich es neulich mehrfach versuchte, einen Stein durchwerfen wollen, so fliegt er immer schon im Loch selber an die Wand, geht durch das Loch nicht mehr durch. Das ist doch seltsam.« »Was hat das aber«, fragte Lesa, »mit den anderen Asteroïden zu tun? Ich denke, daß das mit dem Kaddimohnstahl hier auf unserm großen Turm zusammenhängt.«

»Oder mit der Wolke!« versetzte Biba. Beide schwiegen eine Weile. Dann fuhr Biba also fort: – Wenn wir für dieses Rätsel eine Erklärung haben wollen, so müßten wir doch zusehen, ob sich nicht auf anderen Asteroïden Ähnliches ereignet. Wir bemerken, daß sich im Pallas ein Zusammenziehen von Rumpfund Kopfsystem anbahnt. Der Kopf will zum Rumpf oder umgekehrt. Und so verändert sich das Centrum des ganzen Systems. Nun meine ich aber, daß sich zwischen den einzelnen Asteroïden etwas Ähnliches vorzubereiten beginnen könnte. Ich ahne so was. Du kennst den großen Planeten, den auch wir mit so vielen andern Planetenbewohnern Saturn nennen. Der Saturn ist ein ganz regelmäßiges und ganz intensiv zusammenhängendes Ringsystem, in dem Millionen kleiner Sterne zusammen dahinkreisen. Könnte der Astero’idenring nicht auch das Bestreben haben, mal so innig zusammenzukommen? Kopf und Rumpf des Pallas wollen schon zusammenkommen. Ist das nicht ein Zeichen dafür, daß eigentlich alle Asteroïden zusammenkommen wollen? Sie ziehen momentan noch zu fern voneinander ihre Bahn. Der Stern Erde hat doch auch einen Ring von kleinen Sternen um sich – und an der Sonne sehen wir doch etwas Ähnliches. Wenn diese Sterne auch sehr klein sind – Pendants zum Saturnring bilden sie trotzdem. Nur würde der Asteroïdenring tausendmal größer werden als die andern Ringe. Diese sind aber zweifellos durch den willkürlichen Eigenwillen der größeren Planeten entstanden; Saturn und Erde und die meisten andern Planeten sind doch als ebensolche Sonnen zu betrachten wie unsere Centralsonne eine ist. Diese hat die andern Sonnen nur dadurch in ihre Nähe gebracht, daß sie ein übergroßes Maß von Lebensenergie entwickelte. Die zieht immer an – natürlich nicht so wie ein Stein von unsrer Trichterwand angezogen wird. Die Centralsonne hält auch gleichzeitig die andern Sonnen, die Planeten wurden, in respektvoller Entfernung, damit kein Zusammenstoß stattfindet. Das finden wir auch wieder bei den kleinen Planeten, die sich um die großen drehen und die wir Monde nennen. Der Größere hält immer die kleineren zurück. Aber diese kleineren können untereinander enger aneinander kommen, wie das die Saturn-, Erdeund Sonnen-Ringsysteme zeigen. Ein ähnliches Ringsystem müssen auch die Asteroïden bilden – sie können es wenigstens. Darum – werde nicht ungeduldig! – müssen wir den Zusammenhang mit unserm Kopfsystem fördern – das heißt: wir müssen die Spinngewebewolke näher untersuchen.« »Das war aber umständlich!« rief da der Lesa. Biba aber fuhr fort:

»Unterschätze meine umständliche Rede nicht. Denke darüber nach. Wenn Du Dich einst mit dem Kopfsystem des Pallas als eines fühlen willst, so mußt Du auch wissen, was dieses Kopfsystem in erster Linie im Auge hat. Nicht nur mit dem Rumpfsystem will sich dieser seltsame Kopf inniger verbinden – auch mit den andern Asterolden. Das ist meine Meinung.« »Ich werde«, versetzte Lesa rasch, »sehr energisch darüber nachdenken. Ich danke Dir. Dein Blick ist weit – sehr weit – weiter als der meine. Ich sehe immer nur das Nächstliegende. Aber ich hoffe, daß ich bald anders werde. Jedenfalls wäre das Erste jetzt, daß wir durch Haut verdeckte Bandbahnen hier oben vier Meilen über unserm Sternrumpf herstellen.« »Selbstverständlich«, versetzte Biba, »wäre das das Erste. Vergiß aber das Weitere nicht. Nun wollen wir zum Sofanti fahren, damit er uns die Bandbahnen hier oben mit Haut umhüllt. Durch diese Haut wollen wir dann das Spinngewebe beobachten.« Beide fuhren zum Sofanti und die Bandbahnen wurden so hergestellt, daß die Pallasianer sich auch oben aufhalten konnten, wenn die Wolke von oben herunterkam und Nacht auf dem Pallas machte. Aber als vier solcher Bahnen oben fertig waren, zeigte es sich, daß die Haut nicht durchsichtig genug war; man sah wohl die sehr beweglichen Spinngewebefäden – konnte aber die einzelnen Teile des Gewebes nicht deutlich erkennen. Man versuchte, das Gewebe durch Scheinwerfer zu durchleuchten. Aber das hatte gar keinen Zweck, da sich das Gewebe dem Licht gegenüber plötzlich ganz starr verhielt – als wenn es zusammenfror. Das Gewebe machte gar keinen interessanten Eindruck im elektrischen Licht; das Gewebe wurde leblos – während es unbeleuchtet an Bewegung nichts zu wünschen übrig ließ. Nun verlangten alle von Sofanti, daß er ganz durchsichtige Häute herstellte. Das nahm aber sehr viel Zeit in Anspruch – so viel Zeit, daß Dex den Vorschlag machte, doch zunächst mal weiterzubauen. Sofanti sollte in seinen Experimenten nicht gestört werden. Biba sagte: »Daß das Gewebe nichts Lebloses ist, scheint mir ganz klar zu sein. Aber gespannt bin ich, wie es eigentlich lebt. Vielleicht – haben wir in diesem Gewebe lebendige Lebewesen des Pallaskopfes vor uns.« Selbst Peka mußte zugeben, daß der Turm nicht umsonst gebaut wäre, wenn es möglich wurde, durch diesen Bau hinter das große Geheimnis der großen Lichtwolke zu gelangen.

no images were found


 Fünfzehntes Kapitel

no images were found

 Peka, Labu und Manesi sind in melancholischer Resignationstimmung; sie klagen, daß ein Nutzbau alle künstlerischen Interessen verdrängt habe. Aber der Turm bekommt abermals ein neues Stockwerk, das ganze Werk ist jetzt fünf Meilen hoch, und der oberste Ring hat nur noch einen Durchmesser von sechs Meilen. Und nun entdeckt man, daß die Lichtwolke aus unzähligen Lebewesen mit kleinen Köpfen besteht. Man will sich diesen mit Hilfe der Quikkoïaner verständlich machen. Aber das mißlingt. Dex will darum nicht mehr weiterbauen. Aber Sofanti erklärt, daß er das genügende Hautmaterial hergestellt habe, und da wird Dex so weit umgestimmt, daß er sich Bedenkzeit ausbittet.

Eines Tages saßen nun Peka, Labu und Manesi auf dem obersten Rande des kleinen Modellturms nicht weit ab vom Centralpunkt des Pallasrumpfes. Die Drei saßen da und rauchten ihr Blasenkraut und blickten nach oben. Sie hatten ihren Unterkörper mehrmals schraubenförmig um den Kaddimohnstahl gewickelt und lehnten den Oberkörper gegen den Unterkörper; ihre braune Molluskenhaut mit den gelben Flecken glänzte im Lichte der Spinngewebewolke. So saßen sie da, rauchten und schwiegen und sahen nach oben in das große neue Turmgerüst hinein. »Sehr heiter sind wir nicht! « meinte Labu nach einiger Zeit. Und dazu sagte nach einer guten Weile der Peka: »Dazu haben wir auch wahrhaftig nicht die geringste Veranlassung.« Alle Drei rauchten heftig, daß viele tausend Blasen – auch ziemlich große – langsam emporstiegen und in vielen Farben opalisierten wie Seifenblasen auf dem Erdstern. Manesi sagte dann: »Ich hätte eigentlich keinen rechten Grund zur Klage. Das Gerüst da oben künstlerisch zu beleben, wäre ja eine natürliche Aufgabe für mich. Da lassen sich überall an großen Drahtseilen Girlanden anbringen; die Stoffe für das Wurzelwerk der Pflanzen ließen sich wohl in hängenden Schalen einpflanzen. Alles würde wohl möglich sein. Das Gerüst könnte da oben mal zu einem prächtigen Blumenstück gemacht werden. Aber – wann soll das geschehen? Vorläufig ist doch noch lange nicht daran zu denken. Zunächst hat da oben immer nur der liebe Dex das beherrschende Wort, und er will immer die größere Höhe erreichen, um da das Rätsel unsres Lebens zu lösen. Und wenn der Stahlturm fertig ist, so hat Sofanti mit seinen Steinhäuten alle Hände voll zu tun. Und an mich wird man noch lange nicht denken. Vor mir kommt auch noch der Nuse mit seinen Laternenkünsten, die auch so viel Zeit in Anspruch nehmen dürften, daß das, was ich durchsetzen könnte, gar nicht bemerkt werden kann. Sollen da oben tausend Schlinggewächse durcheinander wachsen, so ist dazu so viel Arbeit nötig, daß ich nicht mehr zu glauben vermag, ich könnte das jemals erleben.« »Ich aber«, rief Peka heftig, »bin fast ganz und gar überflüssig. Aus den Drahttürmen kann ich keine kompakten Steingebilde machen.« »Das würde«, versetzte Labu, »uns auch die Aussicht nehmen. Ich bin sogar der Meinung, daß Schlinggewächse da oben gar nicht möglich sind; sie würden uns doch das Licht der Wolke oben verdecken – wir hätten dann keinen ordentlichen Tag mehr auf dem Pallas.« »Was aus der Wolke oben wird«, sagte Manesi müde, »wissen wir auch nicht. Ich glaube nicht, daß der Turm so einfach durch die Wolke durchzustechen ist.« »Die rein künstlerischen Dinge«, sagte Labu, »werden auf dem Pallas nicht mehr geschätzt. Was ich in runden und unregelmäßig gebogenen Formen an dem Gerüst anbringenmöchte, das will der Dex nicht haben. Er behauptet, daß er die Tragkraft des Gerüstes nicht so groß machen könnte, um die plastische Ausgestaltung der Stangenverbindungen zu gestatten – so groß sei die Menge des Kaddimohnstahls nicht, hat er mir oft genug gesagt. Ich glaube sogar, daß der Dex die Belastung durch Schlingpflanzen auch nicht für möglich hält.« »Wir sind«, sagte Peka traurig, »auf dem Pallas sehr überflüssig. Wir können unsre künstlerischen Pläne nicht wirkungsvoll zur Ausführung bringen. Was wir in den Wänden des Nordtrichters anbringen könnten, würde immer verschwindend und wirkungslos bleiben. Der Nutzbau hat den Kunstbau verdrängt. Die wissenschaftliche Neugier ist mächtiger gewesen als die künstlerische Schöpferkraft. Ich glaube nicht, daß ich das lange überleben werden. Meine Pläne kommen ins Museum für veraltete Kunstphantasie. Meine Gedankenwelt löst sich langsam auf, da ich nicht mehr daran glauben kann, daß ich jemals nennenswerte Formänderungen im Pallas durchsetzen könnte.« Wieder schwiegen die Drei, und ihre Rauchblasen stiegen langsam zum hohen Turmgerüst empor und funkelten oben im blendenden Licht der Spinngewebewolke. Und von vier Türmen aus rollten nun hoch oben drei Meilen lange Stangen zur Mitte zu; Dex führte die nächste Etage zur Wolke empor. Die Arbeit nahm dieses Mal lange nicht so viel Zeit in Anspruch, wie man geglaubt hatte. Und bald stand auch das fünfte Stockwerk hoch oben unter einem Winkel von fünfundvierzig Grad. Jede der vierundvierzig Stangen hatte ganz unten rechts und links wieder im rechten Winkel zwei kürzere Stangen gehabt, die sich oben, nachdem alle Stangen hinausgedreht waren, aneinanderschlossen und so abermals einen Ring mit vierundvierzig Ecken bildeten. Dieser Ring war gar nicht mehr groß zu nennen; er hatte einen Durchmesser von sechs Meilen, sodaß man leicht von einer Seite zur andern fliegen konnte. Das ließ sich natürlich nur am Tage durchsetzen. Nachts ging die Spinngewebewolke ganz tief hinunter bis in die Mitte des dritten Stockwerks. Im Ganzen hatte man jetzt eine Hohe von fünf Meilen erreicht. Die Hälfte des Turms war vollendet. Alle glaubten, daß jetzt die Hauptarbeit getan sei. Und es entstand eine sehr freudige Stimmung, die nur von Peka, Labu, Manesi und ihren Anhängern nicht geteilt wurde; die waren trauriger als je, und das bedrückte die Andern. Währenddem aber hatte es Sofanti glücklich fertig gebracht, ganz durchsichtige Hautstücke herzustellen. Doch viel von diesen ganz durchsichtigen Hautstücken existierte noch nicht. Immerhin – das Wenige genügte ja zu Beobachtungszwecken. Und so wurden durchsichtige Hautstücke in den Bandbahnbedachungen des obersten Ringes untergebracht – und die Beobachtung der Spinngewebewolke konnte beginnen. Es hatten an den Beobachtungsstellen nur zwanzig Pallasianer Platz. Und die sahen nun bei Anbruch der nächsten Nacht mit teleskopisch vergrößerten Augen durch die kleinen Hautfenster in die dunkle Spinngewebewolke hinein und ließen Scheinwerfer durch die Wolke durchgehen. Das Gewebe wurde wieder leblos und starr wie bei der ersten Beobachtung. Man zog daher die Scheinwerfer zurück und versuchte, im Dunkeln etwas zu erkennen. Da sah man aber gar nichts. Danach machte man in der Beobachtungsstation ganz vorsichtig etwas Licht und verstärkte das Licht allmählich. Und da sah man plötzlich ganz kleine, winzig kleine Köpfchen in der Wolke – Köpfchen mit ganz spitzen, dunkelvioletten Stielaugen. »Jetzt wissen wir genug! « rief der Biba. Und man sah auf allen vier Stationen, von denen aus beobachtet wurde, die winzig kleinen Köpfchen mit den dunkelvioletten Stielaugen. Die Beobachter verständigten sich rasch drahtlos, daß sie unten zusammenkommen wollten. Und auf den Bandbahnen fuhren sie hinunter zum ersten Stockwerk. Auf der Spitze jenes Turms, den Nuse zuerst eine Meile hoch erbaute, versammelten sich die Zwanzig, um die große Entdeckung zu besprechen.

»Wir haben also«, sagte Biba, »endlich entdeckt, daß unsre große Wolke keine leblose Masse ist. Es ist von uns endlich festgestellt, daß wir hier ganz feine Lebewesen vor uns haben, von denen wir vielleicht sehr viel lernen können. Indessen – daß diese Wolke zur Tageszeit leuchtet, das ist nach meiner Meinung nicht abhängig von diesen zarten Wesen; dieses Leuchten wird wohl nur durch die Nähe des kometarischen Lichtes im Kopfsystem unsres Sterns erzeugt. Wie das allerdings erzeugt wird, das wissen wir nicht – wissen wir nicht – wie so viele andre Dinge. Wir leben in einer sehr rätselvollen Welt. Aber wir brauchen nicht ungeduldig zu werden, daß uns diese Welt so viele Rätsel aufgibt. Würden wir zu viele dieser Rätsel auf einmal lösen, so könnten wir ganz bestimmt diese Fülle der neuen Erscheinungen nicht ertragen. Wir haben schon an dem, was wir erleben, reichlich genug. Wenn wir nicht so trockene Naturen wären, könnten wir das Erlebte ganz bestimmt nicht überleben. Die Veränderung der Lage des Attraktionscentrums ist schon wunderbar genug. Die feinen Spinngewebefäden mit den winzig kleinen Köpfen und deren dunkelviolette Stielaugen sind noch wunderbarer als alles Bisherige. Wir haben jedenfalls den Bau unsres Turms nicht zu bedauern. Er hat uns in eine neue höhere Atmosphäre gebracht. Jetzt wollen wir zusehen, was wir von den kleinen Köpfen mit den dunkelvioletten Stielaugen erfahren können; vielleicht sind sie klüger als wir alle zusammen. Wundern würde ich mich auch darüber nicht.« »Das Gewaltigste«, rief da der Lesabéndio, »muß aber jedenfalls das Kometensystem hoch oben über uns sein. Von dem können wir bestimmt noch mehr erfahren als von den kleinen Köpfchen mit den Stielaugen.« »Das geht aber nicht«, sagte da der Dex, »der Lesa hat keine Ruhe mehr. Er will immer nur, daß wir weiterbauen. Und wir haben doch zunächst einmal ein Resultat erzielt. Damit müssen wir uns doch erst abfinden. Lesa hat eine Unruhe in sich, die uns ganz heftig machen könnte.« »Verzeiht! Verzeiht!« rief da der Lesa. Und nun wurden zuerst die Stationen für die Fernschalter in Bewegung gesetzt. Dumpf knallten die Explosionstöne durch die Nacht, und alle Pallasianer richteten ihre Kopfhaut den Stationen zu und hörten nun, was man entdeckt hatte. Und darauf flogen alle Pallasianer wild durch den Nordtrichter – und dann zum Turm hinauf. Alle wollten die Kleinen sehen. Und – man sprach sehr eifrig darüber, wie man sich wohl mit den Kleinen verständigen könnte. Und man dachte natürlich gleich daran, den Quikko’ianern den Auftrag zu geben, ein paar Verständigungsmanöver einzuleiten. Nax mit den Seinen war selbstverständlich gern bereit, erklärte aber gleich, daß er die Ahnung habe, hier vor unmöglich lösbare Aufgaben gestellt zu sein. Doch man begann: Nax ließ sich in einer Hautblase tief in die Wolke hineinstecken; die Hautblase war durchsichtig und durch einen langen, durch Draht versteiften Schlauch mit der durch Häute geschützten Beobachtungsstation verbunden – Nax konnte durch den Schlauch leicht zurückkommen, wenn die durchsichtige Hautblase, die ziemlich groß für Naxens faustgroßen Körper war, verletzt werden sollte. Die Hautblase, in der sich Nax befand, war ebenfalls durch feinen Draht versteift. Nax veränderte nun seinen Körper, machte ihn fadenförmig, gab sich einen ganz kleinen Kopf und zwei lange Stielaugen, und diese ließ er elektrisch aufleuchten. Auf der Beobachtungsstation war alles dunkel. Und dort sah man jetzt erst den kleinen Nax im Lichte seiner Stielaugen, die blaßrot leuchteten. Die kleinen Köpfe aus der Wolke kamen jetzt zu Hunderten näher, und die kleinen dunkelvioletten Stielaugen der Wolkenwesen legten sich vorsichtig an die Wände der Hautblase. Und nun veränderte der kleine Nax seinen Körper, machte ihn spiralförmig, er drehte sogar das eine Auge, daß es spiralförmig aussah. Die kleinen Köpfe außerhalb der Blase flogen hin und her und schienen sich lebhaft zu unterhalten. Aber es währte nicht lange – dann verschwanden sie plötzlich allesamt und ließen sich nicht mehr sehen. Nax konnte nun in seiner Blase hinkommen, wohin er wollte – die kleinen Köpfe blieben unsichtbar – nur das Spinngewebe schien in ängstlicher Bewegung, wenn der Quikkofaner näher kam. Und dann zog sich auch das Spinngewebe zurück. Und man sah gar nichts. Die Experimente wurden fünf Nächte hindurch immer wieder mit neuen Blasen fortgesetzt – und immer wieder erfolglos. Da sagten die Pallasianer allesamt: »Wir müssen es aufgeben! die Kleinen sind viel zu scheu.« Und man gab es auf. Lesabéndio sagte zum Dex: »Du nennst mich so unruhig. Und ich glaube doch, daß es das Beste ist, wenn wir mit dem Bau des Turms fortfahren. Das Wichtigste erfahren wir doch erst da oben. Und wenn wir schon die Hälfte des Turms gebaut haben, so können wir doch jetzt nicht mehr aufhören. Daß wir uns der Spinngewebewolke nicht weiter nähern können, zeigt doch, daß wir weiterbauen sollen.« »Das sagst Du alles so ruhig!« rief der Dex, »aber ich habe die größte Arbeit zu leisten. Und ich muß gestehen, daß ich beinahe müde werde.«

»So warten wir, bis Du wieder frisch bist!« sagte der Lesa. Und dann kam der Biba und tröstete den Dex. Dex aber sagte schließlich: »Es kommt mir doch beinahe seltsam vor, daß wir uns eine riesige Arbeit aufladen, ohne eigentlich zu wissen, warum wir das tun. Anfänglich wollten wir unsern Stern künstlerisch ausbilden – Rhythmik in Flächen und Räume hineinbringen. Und dann kam plötzlich der Lesa vom Stern Quikko und erzählte uns, daß wir über unsrer Lichtwolke ganz sicher ein Kopfsystem unsres Sterns hätten. Die Quikkoïaner bestätigten Lesas Erzählung. Und wir waren plötzlich alle so für dieses kometarische Kopfsystem begeistert, daß wir den Turm bauten. Aber zufrieden sind wir jetzt trotzdem alle nicht mehr mit dem Bau. Wir wissen ja jetzt, daß unsre Lichtwolke aus lebendigen Wesen besteht. Die fliehen uns aber. Was haben wir also von unsrer neuen Erkenntnis? Wird es uns nicht ebenso gehen, wenn wir oben das Kopfsystem von Angesicht zu Angesicht sehen? Wir wissen noch nicht einmal, ob in diesem kometarischen Kopfsystem irgendetwas enthalten ist, was unsrer Kopfform entspricht. Können wir hoffen, daß wir da oben weiterkommen, wenn wir bis da hinaufgelangen? Man bestürmt mich von allen Seiten, daß ich doch mit dem Turmbau aufhören möchte. Man will wieder künstlerische Pläne versuchen. Peka, Labu und Manesi tun mir leid. Man will im Allgemeinen nicht mehr mit. Und ich kann doch allein die Widerstrebenden nicht mitreißen – zumal ich gar nicht mehr weiß, warum wir weiterbauen wollen.« Nun kam auch der Sofanti zu den Dreien und erzählte, daß er jetzt endlich so viel Haut habe, um einen vier Meilen hohen Turm zu umhüllen, wenn er im Durchmesser nicht stärker als eine halbe Meile sei. Dex schwieg. Doch als die drei Andern immer dringlicher wurden, bat er einfach um Bedenkzeit. Biba meinte: »Wir wollen nicht verzagen; Dex wird sich schon klarmachen, daß jetzt ein Zurücktreten von unserm großen Plane, nachdem wir so weit gekommen sind, eigentlich ganz widersinnig ist.« Lesa und Sofanti waren bald derselben Meinung.


no images were found

image_pdfimage_print