Lesabendio

Neuntes Kapitel

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 Es wird zunächst erzählt, was während der Abwesenheit des Lesabéndio und des Biba auf dem Pallas geschah. Da sind zunächst vierhunderttausend der berühmten Knachnüsse gefunden und geknackt, und Dex hat mit Hilfe der Frischgeknackten einen Modellturm überm Centralloch gebaut, um die Idee des Lesabéndio-Turmes populär zu machen. Er erreicht jedoch damit das Gegenteil und erzeugt eine starke Reaktion, die unter Pekas Führung sehr bedeutend wird. Zu Dexens Glück kommen Lesabéndio und Biba mit den zehn Quallensternbewohnern (Quikkoïanern) auf den Pallas zurück. Und die Turmidee wird jetzt, da der Turm nur zehn Meilen hoch werden soll, auch von den ältesten Pallasianern viel sympathischer begrüßt als bisher.

In der langen Zeit, in der Lesabéndio und Biba nicht auf dem Pallas lebten, hatte sich auf diesem vieles verändert. Anfänglich wirkten die Biba-Bücher mächtig nach, und man sprach nur von den astralen Doppelsystemen, und es ließ sich nicht leugnen: die Pallasianer wurden dadurch immer mehr und mehr gereizt, auch die Art der Doppelnatur ihres Sterns kennen zu lernen.

Doch man trat noch keineswegs der Idee des Nordtrichterturms näher; man hielt diesen Plan im allgemeinen für viel zu abenteuerlich, für viel zu zeit- und kraftraubend, um seine Ausführbarkeit ernstlich in Erwägung zu ziehen. Man gab sich auch jetzt nicht einmal die Mühe, die Entfernung der Lichtwolke genauer zu messen – und auch der Dex dachte garnicht daran.

Das Verschwinden der beiden Pallasianer erklärte man sich einfach so, wie es den Tatsachen so ziemlich entsprach; man nahm eben als selbstverständlich an, daß ein vorüberziehender Meteor oder ein kleinerer Stern die Beiden angezogen hätte. So waren schon öfters Pallasianer verschwunden. Es waren aber auch ein paar Verschwundene später wiedergekommen; doch das hatte sich schon sehr lange nicht mehr ereignet. Demnach behandelte man Lesabéndio und Biba eigentlich nicht mehr als Lebende; Niemand hoffte mehr, sie wiederzusehen – auch der Dex tat das nicht.

Weil man aber die Beiden nicht mehr als lebend betrachtete, deswegen erlangte das, was sie gesagt und erlebt hatten, immer größere Bedeutung; man sprach immer heftiger über die Konzentration und über die Unterordnung der eigenen Ideen unter die größeren Ideen.

Was man jedoch als größere Idee anzusehen habe, darüber konnte man nicht einig werden; Dex redete wohl noch unentwegt vom Lesabéndio-Turm, aber er fand nur Anklang bei seinen nächsten Freunden, die mit ihm zusammen den Kaddimohnstahl in ungeheuren Massen und Längen aus dem Pallas-Innern herauszogen und bearbeiteten.

Nun gelang es währenddem dem Labu und seinen Freunden, riesige Mengen von den berühmten Knacknüssen zu entdecken und auszubuddeln.

Und Manesis neue Pilz und Schwammwiesen entwickelten sich überall, auch in den Höhlen des Pallas, mit fabelhafter Geschwindigkeit, sodaß dem Aufknacken der neu gefundenen Nüsse bald nichts mehr im Wege stand.

Dex trieb zum Aufknacken der Nüsse mit all der Energie, die ihm zu Gebote stand.

Und so gabs plötzlich fünfmal soviel Pallasianer wie bisher; es lebten so lange gewöhnlich nur hunderttausend Pallasianer auf dem Trichtertonnenstern – und danach lebten plötzlich fünfmalhunderttausend Pallasianer ebenda.

Dex mit seinen Freunden unterrichtete die frisch geknackten Pallasianer sofort über die Bedeutung des Lesabéndio-Turms, und die Frischgeknackten nahmen die Turmidee mit großer Begeisterung auf, sodaß dadurch sehr bald alle bisherigen Verhältnisse in andre Bahnen gelenkt wurden; das ganze Bild des pallasianischen Lebens verschob sich; die Begeisterung der Kleinen ließ sich garnicht dämpfen.

Und der Dex verstand es, diese Begeisterung der vierhunderttausend Frischgeknachten sofort für die Turmidee fruchtbar zu machen; er erklärte ihnen, daß er mit ihnen zusammen ein großes Turmmodell herstellen müsse; und die meisten erklärten sich zur Mitarbeit sofort bereit.

Nun hatte der Dex, wie bekannt, im Nordtrichter über dem Mittelloch bereits ein Gestell aus Kaddimohnstahl hergestellt, das – weiter ausgebaut – ohne Weiteres als Modell für den großen Nordtrichterturm gelten konnte.

Und an der Herstellung dieses Modells in sehr vielen Etagen arbeitete nun der Dex mit den frisch geknackten Pallasianern in einer so heftigen, alle andern Interessen zurückschiebenden Weise, daß die alten Pallasianer ganz erschrocken aufblickten und nicht wußten, was sie zu dieser Energie sagen sollten.

Die Reaktion blieb natürlich nicht aus.

Peka stellte sich an die Spitze dieser Reaktion.

Peka sagte weich und milde:

»Es ist ja nicht zu leugnen, daß der Dex für die Umgestaltung unsres Sterns in sehr energischer Art tätig sein möchte. Und wir können natürlich auch nicht die frisch geknackten Pallasianer veranlassen, seinem Modellturm, der ja dem Pallas als solcher sehr wohl zur Zierde gereicht, fernzubleiben. Die alten Pallasianer können aber in ihrer Freundlichkeit nicht so weit gehen, daß sie sich von Dex und seinen neuen Freunden ganz einfach an die Seite schieben lassen. Die alten Pallasianer stehen in der Mehrzahl nach wie vor auf dem Standpunkte, daß die Ausführung des großen, viele Meilen hohen Lesabéndio-Turms eine ernste Gefahr für uns alle bedeutet. Zunächst ist nicht abzusehen, wie die Schwerkraftverhältnisse durch den hohen, viele Meilen hohen Turm auf den Pallas beeinflußt werden könnten; uns fehlt in dieser Hinsicht jeder Anhalt, und von wissenschaftlicher Berechnung des Ganzen kann gar keine Rede sein. Andrerseits würden durch eine derartige jahrelange Arbeit, an der doch alle Pallasianer Anteil nehmen müßten, die künstlerischen Pläne und Arbeiten jedes einzelnen Pallasianers vernichtet. Dem müssen wir aber doch vorbeugen. Wir können es doch nicht dahin kommen lassen, daß schließlich alle alten Pallasianer bloß Maschinen werden; wenn wir durchaus dem Willen eines Höheren gehorchen sollen, so müssen wir diesen Höheren zunächst als solchen in ungefähren Umrissen erkennen. Alle Kunstfreunde müssen so lange Turmfeinde sein, solange dieser Höhere uns als solcher noch nicht deutlicher geworden ist.«

Der Wirkung dieser milden sachgemäßen Rede konnten sich die alten Pallasianer nicht entziehen, und der Dex hatte Mühe, die jungen Pallasianer zum Bleiben bei seiner Turmmodellarbeit zu bewegen. Diese Arbeit war keine kleine, da es galt, all das viele Kaddimohneisen von der Höhe des Trichterrandes zwanzig Meilen hinunter zum Centralloch zu bringen, wozu natürlich große komplizierte Zug- und Hemmaschinen und kolossale Schleifbahnen nötig waren; der Modellturm sollte sehr viele Etagen zeigen – in künstlerisch durchbrochener und vielfach ausgebauchter Form – aber über die Zahl der Etagen hatte man sich noch nicht geeinigt; Dex hätte am liebsten hundert gehabt; unter sechzig wollte ers in keinem Falle machen.

Die Zahl der Etagen blieb aber natürlich am Anfange des Baues ganz gleichgültig. Jedenfalls wollte Dex drei Meilen hoch in die Höhe gehen.

Wie eine Erlösung kams da dem Dex, dessen Lage stündlich schwieriger wurde, an einem Morgen vor, als er hörte, daß Lesabéndio mit Biba – zurückgekehrt sei.

Als ers hörte, rief er zunächst:

»Träume ich auch nicht? Ist es auch wirklich wahr?«

Und er ließ sich dreimal erzählen, daß die beiden Verlorengeglaubten oben auf dem Nordtrichterrande seien.

Und dann sprang er – er befand sich nicht weitab vom Centralloch – auf die nächste Bandbahn und stürmte auf dreißig Bandbahnen nach oben – den Ankommenden entgegen.

Er war so hingerissen von der neuen Nachricht, daß er garnicht daran dachte, eine Seilbahn zu benutzen, mit der er zehnmal so schnell nach oben gekommen wäre.

Das war aber ein Wiedersehen!

Kaum wurden die kleinen Quallensternbewohner von dem Dex beachtet; mit fliegendem Atem erzählte er von seinem Modellturm und von seinen immer größer werdenden Verlegenheiten.

Lesabéndio konnte am Anfange infolge der langen Raumreise garnicht sprechen, und Biba mußte erst sein Bein verbinden lassen, das von einem Eisenmeteoriten oberhalb des Saugfußes sehr gefährlich verletzt war; ein großes Stück des kautschukartigen Beinkörpers fehlte, doch hing dieser immer noch mit dem Saugfuß zusammen.

Nur die ältesten Pallasianer konnten sich an derartige Körperverletzungen erinnern; sie wußten aber auch, wie diesen zu begegnen war und machten den Schaden mit Pflastern und Bandagen bald wieder gut.

Der Biba vermochte am Anfange deshalb auch nicht gleich so zu sprechen wie sonst.

Somit sprachen anfangs nur die kleinen Quallensternbewohner, die sich nach ihrem Stern, der Quikko heißt, als Quikkoïaner vorstellten und durch ihre unzusammenhängenden Reden recht unverständlich blieben, was die Aufregung und Verwirrung der Pallasianer nur noch erhöhte.

Indessen – wie jubelte der Dex, als er allmählich vernahm, daß die beiden verloren geglaubten Pallasianer das Kopfsystem über dem Pallas mit Augen gesehen hatten!

Wie jubelte der Dex, als die zehn kleinen Quikkoïaner die Aussagen jener bestätigten und ergänzten!

Und als der Dex nun gar erfuhr, daß die Atmosphäre sowohl über wie unter dem Pallas nur zehn Meilen stark – und daß die Spinngewebewolke nur zehn Meilen vom Nordtrichterrande entfernt war – was die ungenauen Messungen niemals ergeben hatten – – – da kannte Dexens Jubel einfach keine Grenzen; er war einfach außer sich und sprang mehrmals hoch in die Luft hinauf und kehrte immer wieder gleich kopfunter zum Pallas zurück, sodaß sich aller Pallasianer eine ungeheure Heiterkeit bemächtigte, als sie diesen Jubel sahen.

Und sie empfanden alle diesen Jubel sehr bald mit, und sie beglückwünschten alle Lesabéndio und Biba zu ihrer glücklichen Raumfahrt.

Man fing gleich an, nochmals die Entfernung der Lichtwolke mit Sorgfalt zu messen, und entdeckte, daß die Entfernung tatsächlich nur zehn Meilen betrug. Und man wunderte sich sehr über die fahrlässigen Rechnungen einer früheren Zeit. Peka bemerkte nun gleich das Folgende:

»Das ist ja ein riesig großes Glück, daß wir endlich dahintergekommen sind, was hinter der Spinngewebewolke verborgen ist. Da brauchen wir ja den Lesabéndio-Turm nicht mehr zu bauen; jetzt kommt der Bau nicht mehr in Frage.«

Das hörte der Dex und stand ganz still und sagte dann milde und weich:

»Aber Peka! Was redest Du? Jetzt müssen wir doch grade den Turm bauen, denn jetzt wissen wir doch, daß er ganz bestimmt einen Zweck hat. Jetzt wissen wir doch, daß ein Kopfsystem da oben zu finden ist. Jetzt müssen wir dieses Kopfsystem doch kennen lernen. Und um das zu können, dazu brauchen wir doch den Turm. Und weil wir ihn brauchen, deswegen müssen wir ihn doch bauen.«

Peka strich sich sein Kinn mit einer seiner linken Hände und wußte nicht gleich, was er sagen sollte. Er meinte nur kleinlaut:

»Der Plan ist aber doch zu groß. Wir riskieren, aus dem Gleichgewicht zu kommen.«

»Keineswegs!« versetzte nun der Dex, und er reckte sich fünfzig Meter hoch auf und machte sich ganz schnell wieder klein und wiederholte dieses Spiel immerzu.

»Was willst Du denn?« rief da der Peka ein wenig ärgerlich. Da stand der Dex zehn Meter hoch ganz still und sagte sehr feierlich mit weit ausgebreiteten Armen:

»Peka! Peka! Hast Du nicht gehört, daß die geheimnisvolle Pallas-Wolke nur zehn Meilen über unserm Nordtrichterrande ist? Wir brauchen darum doch den großen Turm nur zehn Meilen hoch zu bauen. Es ist nicht nötig, daß wir ihn sechzig bis hundert Meilen hoch bauen. Unsre Meßinstrumente haben uns eben, solange wir nur auf unserm Stern lebten, der Spinngewebewolke gegenüber im Stich gelassen; wir haben sie zu hoch eingeschätzt. Aber jetzt schadet das ja nicht mehr. Wir haben uns bei unsern Messungen viel mehr mit dem Fernabgelegenen beschäftigt als mit dem Nächstliegenden – der Lichtwolke. Es ist unbegreiflich – aber bei unserm Interesse für das Ferne doch so natürlich. Denken wir nicht mehr darüber nach.«

Und nun erzählte der Dex abermals dem Lesabéndio und Biba von seinem Modellturm.

»Ich habe den Modellturm unten über dem Centralloch«, sagte er lachend und mit den Händen herumfuchtelnd, »so konstruiert, daß er hundert Meilen hoch gebaut werden könnte – hundert Etagen hoch. Ich habe aber erst die ersten zehn Etagen fertig gemacht. Und jetzt höre ich, daß ich garnicht nötig habe, höher zu bauen. Ja – soll ich das nicht einfach köstlich und entzückend finden? Jetzt kann Peka doch der Turmidee nicht länger feindlich gegenüberstehen; es handelt sich doch nur um einen Bau, der zehn Meilen hoch werden soll.«

Die alten Pallasianer lachten dazu, und der eine sagte schmunzelnd:

»Lieber Dex, wir haben vor drei Jahren den großen Nuse-Turm gebaut und wissen, daß er nur eine Meile hoch ist. Das war aber ein schönes Stück Arbeit. Zehn Meilen hoch ist zehnmal höher. So einfach ist das alles nicht.«

Doch es flog die Nachricht, daß der große Turm nur zehn Meilen hoch gebaut werden sollte, rasch von Mund zu Mund – und alle alten Pallasianer nickten bald zustimmend mit den Köpfen und alle sagten bald:

»Darüber ließe sich reden; jetzt ist die Turmidee reif.«

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 Als das dem Lesabéndio und dem kranken Biba hinterbracht wurde, freuten sie sich sehr. Und als sie nun von dem Bau des Modellturms Weiteres gehört hatten und einsahen, was der Dex alles für die Idee getan, da empfand der Lesabéndio eine so stürmische Dankbarkeit dem Dex gegenüber, daß er garnicht wußte, wie er dieser einen Ausdruck verleihen sollte. Und als der Dex herangesprungen kam, schrie ihm der Lesabéndio lachend entgegen:

»Dex, ich schenk Dir meine fünf Quikkoïaner, damit Du weißt, wie dankbar ich Dir bin.«

Und der kranke Biba rief auch:

»Dex, ich schenk Dir auch meine kleinen Quikkoïaner.«

Da freute sich der Dex mächtig.

Aber die kleinen Quikkoïaner machten einen fürchterlichen Lärm und riefen mit gellenden Stimmen durcheinander:

»Pallasianer! Was fällt Euch ein? Ist das Euer Dank gegen uns, daß Ihr uns wie Spielzeug verschenken wollt? Sind wir dazu mit Euch mitgekommen? Wir wollten Eurem großen Turmplan auf die Beine helfen. Und jetzt wollt Ihr uns wie Spielzeug verschenken?«

Sie fingen jämmerlich an zu weinen.

Da kam die Spinngewebewolke herab. Und es ward Nacht auf dem Pallas.

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 Zehntes Kapitel

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 Die Quikkoïaner zeigen, daß sie außerordentlich lustige kleine Leute sind und für die Turmidee in sehr energischer Weise eintreten können. Lesabéndio spricht zu den Quikkoïanern von der Bedeutung des Kopfsystems.

Und dann führt Dex den Lesabéndio auf den großen Nuse-Turm, wo Nuse und Sofanti auch voll Begeisterung für die große Turmidee sind und sofortige Abstimmung verlangen.

Alle Pallasianer – mit Ausnahme Lesabéndios – stimmen hierauf, auf dem Modellturm sitzend, für den Bau des großen Turms; Lesabéndio kommt zu spät.

Und es ward überall Licht gemacht – buntes Licht.

Die Quikkoïaner sahen das Licht, und sie machten ihre Augen zu langen Fuhlhörnern und blickten umher; dabei bemerkten sie, daß die Pallasianer garnicht wußten, was sie vor Verlegenheit sagen sollten.

Da lachten plötzlich alle zehn Quikkoïaner hell auf, und der Nax, der gewöhnlich für die neun andern sprach, sagte lachend:

»Ist es denn wirklich möglich, Euch so furchtbar viel weiszumachen? Seid Ihr so leichtgläubig, daß man Euch auch den allerdicksten Spaß aufreden kann? Glaubt Ihr wirklich, daß Euch Jemand böse sein kann? Glaubt Ihr wirklich, wir könnten Euch böse sein? Glaubt Ihr, es wäre überhaupt möglich, uns als Spielzeug zu behandeln? Glaubt Ihr, Tränen seien immer ein Zeichen des Schmerzes?«

Da mußten auch die Pallasianer lachen.

Aber der Nax sagte gleich: »Wir lassen uns aber das Verschenktwerden gern gefallen und gehören nun für alle Zeit dem tatenfreudigen Dex. Der gefällt uns über alle Maßen; warum sollen wir ihm nicht angehören? Und das ist ja auch nicht schemenhaft. Dex, sag uns schnell, wer sich der Turmbauidee widersetzt, damit wir uns an seinen Hals hängen und ihn überreden.«

Dex war vergnügt für sechs und sagte, während alle seine vielen Gesichtsfalten mächtig glitzerten:

»Besonders müßt Ihr Peka mit seinen Freunden überreden. Und dann ist auch der Labu sehr lau, und der Manesi möchte sich auch gerne drücken – der redet in letzter Zeit immer mehr davon, daß die meisten Rankenpflanzen die dünnere Luft der höheren Atmosphäre nicht vertragen.«

Na – die Quikkoïaner taten das ihrige.

Lesabéndio setzte ihnen noch die Ergebenheitsgeschichte auseinander.

»Es ist ja die größte Torheit«, sagte er, »daß jeder der Pallasianer in ganz besonderer Art den Stern Pallas ausbauen will. Das ist schon unendlich lange Zeiten so gegangen, und dabei ist nichts rausgekommen. Dabei konnte doch garnichts rauskommen. Wir können den Stern doch nur dann ausbauen, wenn wir uns in einem Plane vereinigen. Anders gehts doch nicht. Bleibt Jeder immer eigensinnig bei seinem eigenen Einfall, ohne den Einfall des Nachbarn zu berücksichtigen, so kann doch an die Ausführung eines Planes nie gedacht werden. Wir müssen eben unsre Gedanken einem größeren Gedanken – oder dem Gedanken eines Größeren unterordnen. Dadurch, daß wir das tun, brauchen wir unsre eigenen Gedanken noch nicht fallen zu lassen; bei dem großen Nordtrichterturm können ja noch unzählige Stein- Haut-, Licht- und andere Pläne zur Ausführung gelangen. Aber das Wichtigste bleibt doch immer, daß Alles einem größeren Plane untergeordnet wird. Da wir nun wissen, daß der Stern Pallas ein Kopfsystem hoch über seiner Atmosphäre besitzt, so ist es doch der natürlichste Gedanke, dieses Kopfsystem mit dem Trichtertonnensysteme zu verbinden. Eine derartige Verbindung ist aber doch nur denkbar durch Erbauung eines Turmes; wir müssen erst durch den Turm zur Nähe des Kopfsystems hingelangen. Wie wir dann später den Turm mit dem Kopfsystem in Wirklichkeit verbinden – das können wir natürlich erst dann wissen, wenn wir dieses oben näher kennen gelernt haben. Kennen lernen müssen wir aber dieses Kopfsystem; erst wenn wir es kennen gelernt haben, können wir einen einheitlichen Faden in unsre Sternumbaugedanken hineinbringen. Der Turm muß gebaut werden; ohne den Turm haben wir gar keine nähere Vorstellung von dem Kopfsystem. In diesem sitzt unser Führer, der uns höher hinaufbringt. Durch ihn sollen wir höher hinaufwachsen in eine noch feinere geistigere kompliziertere Weltsphäre. Da nach oben hinaufzukommen – das muß unser nächstes Ziel sein. Und daher müssen wir uns alle um den großen Turmbau konzentrieren – ihm uns ergeben – dadurch ergeben wir uns gleich unsrem großen Führer – dem Größeren, der mehr kann als wir. Und wir müssen selig sein, daß wir jetzt alle wissen, wo wir den Größeren finden können. Dort oben über uns – da ist der Größere.«

Lesabéndio reckte sich fünfzig Meter hoch auf und hob alle seine Arme empor und auch seine Rückenflügel. Und sein ganzer Oberkörper begann mächtig zu leuchten, sodaß alle, die es sahen, still wurden und sich danach vom Nächsten erzählen ließen, was der große Lesabéndio gesagt hatte.

Und die Quikkoïaner ließen sich zu Manesi und Labu und zu Peka und seinen Freunden bringen, denen sie eifrig erzählten, was sie gehört hatten – und auch das, was sie vom Kopfsystem des Pallas – vom Stern Quikko aus gesehen hatten.

Dex aber führte den Lesabéndio zum Nuse-Turm, auf dem sich auch der Sofanti aufhielt.

Nuse empfing die Drei hoch oben auf seinem eine Meile hohen Lichtturm.

Und er sagte gleich zum Lesabéndio:

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 »Sofanti und ich sind durch Dex vollkommen für die Turmidee gewonnen worden. Das ist dem Dex nicht schwer gefallen, uns zu überreden, denn es ist ja selbstverständlich, daß die fünfzig schiefen Stahltürme, auf denen der erste Ring ruhen soll, auch gleichzeitig Lichttürme werden müssen. Und die übrigen höheren Stahltürme werden auch gleichzeitig Lichttürme sein. Ich also bin mit ganzer Seele dabei. Und dem Sofanti geht es nicht anders, denn er wird die Stahltürme oben mit Häuten zuschließen müssen, damit sie lampionartig zu Lichttürmen werden können. Außerdem wird der Sofanti auch im oberen Teile des ganzen Turmes womöglich diesen auf allen Seiten mit Häuten schließen müssen, da ja anders ein Schutz gegen die Spinngewebewolke nicht denkbar ist. Nun scheint mir aber der Moment gekommen zu sein, die Entscheidung herbeizuführen. Wir müssen noch in dieser Nacht alle Pallasianer im Nordtrichter zusammenrufen, und sie müssen sich dann erklären, ob sie den Turm bauen wollen oder nicht. Fast sämtliche der Frischgeknachten sind auf unsrer Seite – und das sind fast vierhunderttausend Pallasianer – und von den alten Pallasianern sind die Hälfte auch auf unsrer Seite. Wir hätten danach höchstens fünfzigtausend gegen uns, und die könnten jetzt durch die Ankunft und Anwesenheit der zehn Quikkoïaner im Handumdrehen umgestimmt werden.«

Lesabéndio freute sich so sehr, daß er zitterte.

Er sah ganz berauscht nach unten in den zwanzig Meilen tiefen Trichter, in dem die unzähligen Scheinwerfer sich bewegten und die Zeit anzeigten. Und dann sah er auf den Trichterwänden das Flimmern, das von den vielen Pallasianern herrührte, die leuchtend auf den Bandbahnen herumfuhren, um die neuesten Nachrichten vom Stern Quikko und vom Kopfsystem des Pallas zu vernehmen und weiter zu verbreiten.

Und dann bat der Dex, doch die Versammlung aller Pallasianer unten auf dem Modellturm zu veranlassen. Lesabéndio wollte oben bleiben und erst nachher kommen.

Da fuhren denn die Drei auf Kneifzangen mit den Seilbahnen zum Centralloch und ließen dort alle Pallasianer bitten, auf dem Modellturm zusammenzukommen.

Dieser war zehn Etagen bereits hoch und konnte sämtliche Pallasianer tragen.

Und da setzten sich denn alle Pallasianer sehr bald, nachdem die Centralmusik in den Sofanti-Häuten verklungen war, auf die zehn mächtigen Eisenringe, sodaß sie mit dem Kopfe ins Innere des Turmmodells schauten, während sie sich mit ihrem Körper um den Ring geschlungen hatten.

Und nun wurden zunächst von einigen jüngeren Pallasianern die zehn Quikkoïaner im Innern des Modellturms herumgezeigt; in jedem Ringe wurde einer der Quikkoïaner gezeigt.

Und diese kleinen Kerle redeten mit ihrer hellen lauten Stimme ungefähr so:

»Pallasianer, wenn Ihr jetzt Euch nicht entschließt, den Turm zu bauen, so seid Ihr schön dumm. Wir haben das Kopfsystem Eures Sterns gesehen. Ihr müßt das auch sehen. Wenn Ihr Euch jetzt nicht alle zusammentut und den Turm baut, so werdet Ihr nie dazu kommen, das Wesentliche auf Eurem Stern kennen zu lernen. Glaubt doch ja nicht, daß es auf allen Sternen so leicht ist, sich dem Kopfe des Ganzen zu nähern. Auf unserm Stern Quikko befand sich das Kopfsystem mitten im Innersten des Quallenflügelsterns. Und in dieses Innere konnten wir nie hineingelangen, es leuchtete uns immer nur mit karminroter Glut entgegen – aber wir mußten ihm fernbleiben. Wir konnten uns dem Kopfsystem unsres Sterns nicht nähern. Ihr aber könnt Euch dem Kopfsystem Eures Sterns nähern, wenn Ihr den großen Turm baut. Wie Ihr da noch eine Stunde zögern könnt, ist uns unbegreiflich.«

So sprachen alle Zehn immerzu und immer weiter, sodaß dem Dex ganz komisch zumute wurde, da er garnicht zu Worte kam – auch garnicht nötig hatte, zu Worte zu kommen.

Er dankte im Innern dem Lesabéndio für die Turmfreunde vom Quikko unzählige Male und war schon ganz ungeduldig.

Lesabéndio stand währenddem hoch oben auf dem Nuse-Turm immer noch ganz allein, und er bemerkte plötzlich, daß das Flimmern in den Wänden des Nordtrichters gänzlich verschwunden war.

»Ach so«, flüsterte er, »die Pallasianer sind schon unten versammelt. Da muß ich ja auch hin.«

Und ersprang von der Turmspitze wieder hoch empor in die dunkle Nachtluft hinauf und schoß dann im großen Bogen hinunter; wieder warf er den rausgestreckten Körper hinten rum und befestigte wieder den Saugfuß am Hinterkopfe, sodaß seine ganze Gestalt wie ein Ring aussah. Und dann ließ er wieder bald den einen Flügel und bald den andern Flügel aufgespannt zur Seite herausragen, daß sein Körper in großen, fein gewundenen, nach unten runtergezogenen Spiralkurven ganz langsam dem Trichtergrunde zuschwebte, auf dem der Modellturm erbaut war, der jetzt alle Pallasianer mit Ausnahme des Lesabéndio in seinen zehn Ringen vereinigte; selbst der kranke Biba hatte sich auf dem untersten Ringe niedergelassen; man hatte den Biba festgebunden, da sein Bein noch nicht zugeheilt war; die Pflaster lagen ja erst ein paar Stunden auf der großen Wunde.

Lesabéndio schwebte in Spiralkurven langsam zur Tiefe und dachte nur an seine Ergebenheitstheorie. –

»Und wenn man«, sagte er leise zu sich, »auch keine Einigung erzielt, so wirds ja wohl auch so gut werden. Wenn der große Geist, der uns führt – und den ich ganz bestimmt hoch über unserm Nordtrichter als ein großes Wesen fühle – wenn dieser große Geist nicht will, daß wir uns ihm nähern – wenn er nicht will, daß wir uns ihm nähern – dann wird es ja wohl auch so gut sein. Wir haben ja getan, was wir konnten. Mehr können wir nicht tun. Wenn jetzt Peka und seine Freunde sich abwenden von dem Turmplan, wenn sie uns weiterhin widerstreben, so können wir ja vielleicht auch ohne sie den großen Bau beginnen. Aber der Peka hat sehr viele Freunde und sehr viele Maschinen, die wir alle gebrauchen werden. Und – es ist nicht gut, wenn die Pallasianer solch ein großes Werk beginnen, ohne sich vorher geeinigt zu haben. Aber das wird ja alles so kommen, wie es kommen muß. Wir haben getan, was wir tun konnten. Mehr können wir nicht tun. Und wir wollen uns in der Ergebenheit üben. Und wir wollen mit allem zufrieden sein – wies auch kommt.«

Da hörte der Lesabéndio in der Tiefe ein großes Geschrei – und dann einen ungeheuren, glockenhellen, langgezogenen Ton.

»Ist das«, fragte Lesabéndio, »Sofanti-Musik? Nein! so hats noch nie geklungen. Es müßte denn grade der Ton durch eine neue Erfindung des Sofanti hervorgerufen sein. Aber das glaub ich nicht. Ich glaube, das waren alle Pallasianerstimmen zusammen. Nun werden sie vielleicht alle ihre Stimmen für und wider den Turm abgeben, nur ich allein werde fehlen. Schließlich baut man noch den Turm ohne meine Einwilligung. Das wäre sehr seltsam und sehr lustig. Es ist nur gut, daß alle aufgeregten Augenblicke des Lebens auch immer ein drolliges Element in sich haben. Aber ich bin jetzt sehr neugierig, wie die Geschichte abgelaufen ist. Ich muß schneller fliegen.«

Er löste vorsichtig seinen Saugfuß von seiner Kopfhaut los und schoß jetzt fünfzig Meter ausgestreckt mit eingezogenen Flügeln und grade wie ein Stock den Kopf nach unten zur Tiefe.

Und er hörte nochmals das Geschrei und dann wieder den lang gezogenen, dumpfen Glockenton.

Und danach hörte er den lang gezogenen, dumpfen Glockenton zum dritten Male.

Und dann sah er die zehn Etagen des Modellturms mit seinen Teleskopaugen ganz deutlich – und er sah auch alle Pallasianer.

Und dann kam er nach unten und schoß von oben mitten in Innere des Modellturms hinein.

Und da riefen alle:

»Lesabéndio!«

Und dann lachten alle.

Und dann sagte der Dex:

»Nun haben alle Pallasianer einstimmig – einstimmig – einstimmig – dreimal einstimmig beschlossen, Deinen Turm zu bauen. Du aber, Lesabéndio, hast Deine Stimme nicht abgegeben.«

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 Elftes Kapitel

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 Der Quikkoïaner Nax hat eine große Idee, die aber nicht zu verwerten ist. Dex setzt darauf in einer Volksversammlung auseinander, daß zunächst vierundvierzig eine Meile hohe Türme oben gebaut werden müssen. Man macht dem Peka, Labu und Manesi Versprechungen, die aber während des Baus nicht gehalten werden. Peka ist ganz besonders unglücklich, daß seine Ideen nicht zur Ausführung gelangen. Als das erste Stockwerk nach sehr langer Arbeit fertig ist und wie ein Gerüst aussieht, ist dem Labu die Heilsalbe ausgegangen. Peka bekommt einen Krampfanfall, der schließlich, dem Labu das gibt, was ihm fehlt.

Der kleine Nax vom Stern Quikko hing am Halsband des großen Lesabendio und sagte mit seiner schrillen Vogelstimme:

»Großer Le, ich verstehe nur nicht, warum Ihr nicht ein großes Seil über den Nordtrichter spannt und Euch dann in die Höhe schießen laßt vom Seil aus. Was im Süden bei Euch geht, muß doch auch im Norden gehen.«

»Geht aber doch nicht!« sagte Lesabéndio, »die Spinngewebewolke oben muß wohl einen großen Druck ausüben. Wir kommen oben nicht sehr weit – kaum eine Meile. Mit dem Seile ist es schon versucht worden.«

»Ja!« versetzte der Nax, »da müßt Ihr schon den Turm bauen. Schade, daß Euch die Quikkoïaner nicht helfen können. Aber wir sind doch zu klein.«

Währenddem hatte der Dex schon oben die Stellen untersucht, an denen die Türme gebaut werden sollten.

Die festliche Stimmung war sehr bald verwischt. Eine rücksichtslose, tatgierige Hast packte die meisten Pallasianer – besonders die jüngsten.

Biba sah die Hast und sagte zu Lesabéndio:

»Mir ist diese Heftigkeit der Pallasianer garnicht angenehm. Wir stehen vor sehr langwierigen Arbeiten und sollten daher etwas weniger beweglich vorgehen. Wer Großes erreichen will, muß zunächst bemüht sein, geduldig zu werden. Man muß es lernen, auch das Peinliche zu ertragen. Mein Fuß heilt nur ganz langsam. Und ich fürchte, daß bei den großen Turmbauten Verletzungen unsrer Gliedmaßen öfters vorkommen könnten. Damit müssen wir rechnen. Und darum sollten wir den Labu zunächst veranlassen, mehr von den berühmten Alten Salben herzustellen. Die kann er denn in hübsch glasierten Kruken auf dem Rande des Nordtrichters aufstellen, damit die Salben immer gleich zur Hand sind, wenn mal was passiert.«

Und nun fuhren die Beiden zum Labu und setzten ihm das auseinander; Biba saß auf Lesabéndios Rücken während dieser Fahrt.

Labu war natürlich gleich bereit, das Gewünschte herzustellen. Doch er brauchte dazu drei Tage und drei Nächte hindurch die Mitarbeit von hunderttausend Pallasianern; die Salben herzustellen, machte sehr viel Mühe.

Dex war währenddem mit der Untersuchung des Nordtrichterrandes fertig und erklärte feierlich in einer großen Volkssitzung im Modellturm der Mitte, daß überall oben genügende Mengen von Kaddimohnstahl vorhanden seien; die Magnetsteine ließen sogar die Anzahl der Stahlstangen erkennen.

»Nun bin ich aber der Meinung«, fuhr Dex fort, »daß wir Nuses ersten graden Turm sehr wohl mitbenutzen könnten. Wollen wir das aber, so sind wir wohl genötigt, noch drei andre grade Türme zu errichten, damit das erste Stockwerk des großen Turms ein regelmäßiges wird. Wir bauen die graden Türme wohl am besten an den Ecken eines Quadrats, dessen Seiten nicht viel mehr als zehn Meilen lang werden dürften. Zwischen den graden Türmen denke ich mir dann je zehn schiefe, sodaß wir das ganze Gerüst auf vierundvierzig Grundtürmen errichten.«

Dieser Vorschlag wurde nach längeren Reden angenommen. Peka sagte aber zum Schluß:

»Das Wort ’Gerüst’ ist gefallen. Das scheint mir sehr bezeichnend zu sein. Ich glaube, daß das Ganze wie ein großes Gerippe aussehen wird, dem das Fleisch fehlt. Ich fürchte, der Lesabéndio-Turm wird zur Verschönerung unsres Sterns nicht viel beitragen.«

Großes Halloh entstand, und der Biba sprach danach:

»Nicht so heftig! das möchte ich immer wieder allen Pallasianern zurufen. Wir dürfen ein so großes Werk nicht so stürmisch anpacken, sonst geht uns zu schnell unsre Kraft aus. Peka kann doch die Fundamente für die Grundtürme in großen Kristallformen fest verankern. Labu kann die Knotenpunkte im Gerüst ganz nach seinem Geschmack gliedern und umschalen. Und Manesi kann überall, wo leere Flächen entstehen, seine Rankenpflanzen anbringen. Dadurch wird doch der Gerüstcharakter des Ganzen aufgelöst.«

»Das sind zunächst Versprechungen!« sagte der Manesi, »ich fürchte, daß uns die große weiße Wolke oben manchen Strich durch die Rechnung machen wird.«

Daran wollten nun die Meisten nicht glauben. Lesabéndio, Dex und Biba versicherten immer wieder, daß die künstlerische Ausgestaltung des großen, zehn Meilen hohen Turms, der Kopfund Rumpfsystem des Pallas miteinander verbinden sollte, nicht vernachlässigt werden würde.

Peka bekam gleich den Auftrag, die Fundamentformen in Zeichnungen henustellen. Und so gingen denn alle Pallasianer an die große Arbeit – manche mit sehr gemischten Gefühlen – besonders die Anhänger von Peka, Labu und Manesi.

Und nun entstanden zunächst die drei graden Türme, die dem ersten des Nuse entsprachen. Peka stattete bei dem einen das Fundament mit mächtigen Kristallblöcken aus, die sehr hell funkelten. Aber drei Türme blieben ohne die Kristallfundamente. Als die graden Türme soweit fertig waren, daß sie fest zusammenhielten und die nötige Tragkraft versprachen, wurden alle Arbeiter wieder von so nervöser Hast und Unruhe gepackt, daß man sofort die Herstellung der vierzig schiefen Türme in Angriff nehmen mußte. Man wollte baldigst Resultate sehen. An den vier graden Türmen hatte man zwanzig Tage und zwanzig Nächte fast ohne Unterbrechung gearbeitet.

Biba mahnte wieder zur Ruhe, er erklärte, daß der Pallasianer auch schlafen müsse, sonst könne sein Körper nicht die nötige Nahrung aufnehmen.

Widerwillig bequemte man sich zu längerer Nachtruhe. Aber dann gings wieder los, als säßen unruhige Hetzgeister den Pallasianern im Nachen. Und man dachte garnicht mehr an künstlerische Ausgestaltung. Man wollte nur alles so fest wie möglich machen, befestigte verankerte Stangen noch weiter dem äußersten Trichterrande zu in den Stein und brachte da auch starke Drahtseile an, mit denen die schiefen Türme festgehalten wurden.

Jetzt waren bald nur noch Stangen und Seile zu sehen.

Und nach hundert Tagen und hundert Nächten reckten sich vierzig schiefe Stocke in die Luft – jeder war eine Meile hoch, und er hatte neben sich viele Stangen und Seile, mit denen er von hinten festgehalten wurde.

Das sah keineswegs entzückend aus.

»Wie ichs befürchtet habe«, sagte Peka, »so ist es gekommen. Das hab ich alles vorausgesehen. Jetzt haben wir eine herrliche Krone für unsern Stern zurechtgezimmert. Und uns tun alle unsre Glieder weh, und viele Pallasianer haben Verletzungen erlitten, sodaß von Labus vielen Salben nicht viel übrig geblieben ist.«

Biba, dessen Bein wieder ganz geheilt war, sprach in der Volksversammlung und bat alle flehentlich, doch ja Geduld zu haben. Und dann sprach er mit Peka allein.

Doch Peka sagte heftig:

»Die Versprechungen sind mir noch nicht gehalten. Ich habe erst ein einziges Fundament mit riesigen Kristallen umgeben – dreiundvierzig sind noch ohne Kristall.«

Nun wollte der Biba dafür sorgen, daß zuerst die Fundamente hergestellt würden. Da jedoch stieß er überall auf Widerstand.

Dex sagte:

»Wenn das geschieht, so werden wir niemals mit dem großen Turm fertig.

Die Fundamente würden mindestens zweihundert Tage und zweihundert Nächte beanspruchen. Jetzt müssen zunächst alle Türme oben miteinander verbunden werden, damit das ganze Gerüst feststeht und nicht mehr fallen kann.«

Und man tat in weiteren fünfzig Tagen und fünfzig Nächten, wie der Dex verlangt hatte.

Das war aber eine ungeheuerliche Arbeit, nach der alle ganz erschöpft dalagen und kaum die Glieder bewegen konnten. Eine mehrtägige Pause mußte eintreten.

Und da besuchte Lesabéndio den Labu in dessen großem Atelier, das neben dem des Peka lag.

Labu lag ganz traurig auf einer großen hellblauen Türkisschale und sagte:

»Lieber Lesabéndio! Wir sind hier ganz dicht neben Pekas Atelier, und ich habe den Peka schon zweimal sehr laut zu sich selbst sprechen hören. Ich weiß nicht, was ihm fehlt. Verletzt beim Turmbau hat er sich nicht. Ich war bei ihm. Aber das ist es nicht, was mich so traurig macht. Etwas Andres macht mich traurig. Ich habs noch keinem bisher gesagt. Ich wollte zuerst mit Dir darüber sprechen.«

Lesabéndios Augen glühten wie zwei kleine Scheinwerfer, und er sagte ruhig:

»Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Sage nur, was Du mir zu sagen hast. Wir werden schon einen Ausweg finden.«

»Ich fürchte«, erwiderte Labu, »das wird nicht so schnell gehen. Du weißt: die Kaddimohnstangen sind sehr lang. Die meisten sind über dreitausend Meter lang, viele sind eine ganze Meile lang. Mit solchen Stangen da oben in der Luft zu hantieren, war sehr schwierig.«

»Das weiß ich doch«, rief heftig der Lesabéndio dazwischen, »halte Dich doch nicht so lange mit der Einleitung auf. Ich bin doch auch allmählich ungeduldig geworden.«

»Du solltest«, versetzte Labu, »aber nicht so ungeduldig sein – Du am allerwenigsten. Aber ich will mich kurz fassen: sehr viele Verletzungen haben die Pallasianer beim Turmbau davongetragen – namentlich an den Saugfüßen. – Und – und – meine Salbe ist dabei aufgebraucht worden. Und ich weiß nicht, wie ich neue herstellen soll. Es ist mir ganz unmöglich, Flussigkeiten zu bereiten.«

»Oh!« rief Lesabéndio, »das ist schlimm!«

»Ja«, fuhr Labu fort, »Tropfen würde ich mit Jubel begrüßen. Der Stern Pallas ist zu trocken. Zwanzig Quetschungen habe ich bei zwanzig Pallasianern bereits mit einer Masse eingerieben, die garnicht feucht ist und deshalb garnicht wirken kann. Die Ärmsten dauern mich. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Wenn wir auf dem Stern Quikko Flüssigkeit entdecken könnten.«

»Das nimmt ja«, sagte Lesabéndio, »zuviel Zeit in Anspruch. Das geht ja garnicht. Dann müßten wir ja mindestens zwanzig Tage und zwanzig Nächte pausieren.«

Nach diesen Worten hörten die Beiden in Pekas Atelier plötzlich einen furchtbaren Schrei, der in ganz unartikulierte Laute überging. Die Beiden sprangen auf und flogen zum Peka und sahen, wie er sich auf dem Fußboden wand wie eine Schlange – sein Körper zuckte. Und dann schrie der Peka noch lauter und rief plötzlich:

»Du hast mich zerstört! Du hast mir Alles genommen. Du hast mich vernichtet. Dein verfluchter Turm hat meinen Künstlerträumen ein erbärmliches Ende bereitet. Das kann ich nicht überleben. Du hast mich zerstört.«

»Still! still!« sagte Lesabéndio, »Du brauchst ja oben nicht mehr mitzuarbeiten. Du kannst ja hier in Deinem Atelier bleiben. Sei doch nicht so aufgeregt. Ich konnte doch nicht anders. Ich mußte doch auf meinem Wege bleiben. Zürne mir nicht! Vergib mir!«

Aber Peka schrie wieder wie ein Rasender, und große Tropfen stürzten aus seinen Augen. Und er sagte mit heiserer Stimme:

»Dein Trost nützt mir nichts. Ich habe die Hoffnung verloren. Jetzt habe ich nicht mehr die Hoffnung, daß meine Ideen jemals ausgeführt werden. Daran ist nicht mehr zu denken. Alles hat Dein Turm verschlungen. Du hast mir Alles zerschlagen – alle meine Brillanten – alle meine harten Granitblöcke. Du hast mich selbst zerschlagen. Für die Wunden gibt es keine Salben. Ich gehöre nicht mehr auf den Pallas. Was soll ich hier? Ich bin überflüssig. Und ich kann es nicht ertragen, überflüssig zu sein. Alle meine Träume von der glatt polierten Zukunft des Pallas sind zerflattert. Und ich kann das nicht ertragen. Ich möchte Deinen Turm zerreißen. Ja, das möchte ich, Lesabéndio!«

Und abermals traten dicke Tropfen aus Pekas Augen und rieselten über seine Wangen.

Labu aber sprang hoch auf und schrie plötzlich auch. Sein Schrei klang aber wie der Schrei der höchsten Seligkeit.

Wie ein Toller sprang Labu in Pekas hohem Atelier herum. Und dann riß er eine kleine Flasche von seinem Halsbande los, bückte sich zu Peka und rief:

»Ich habs! Ich habs! Peka, gib mir mehr Tropfen aus Deinen Augen! Dann kann ich wieder Salbe machen!«

Und er fing alle Tropfen, die aus Pekas Augen kamen, in seinem Fläschchen auf und lachte wie ein Toller.

Peka sah den Labu ganz verwundert an und sagte leise:

»Was ist denn das? Ich verstehe Dich nicht.«

»Oh!« rief da der Lesabéndio, »Ich verstehe, was es ist. Das sind sogenannte Tränen – kostbare Flüssigkeiten. Vor langer Zeit sind schon bei einem alten Pallasianer, der verschwunden ist, solche Tränen entdeckt worden. Man sagte damals, er habe geweint. Weine mehr, lieber Peka! Den Labu wirst Du glücklich machen. Und die verwundeten Pallasianer wirst Du auch glücklich machen. Dein Schmerzensausbruch ist für uns ein großes Glück.«

Da sah der Peka die Beiden groß an. Und als ihm Labu von seiner Verlegenheit erzählt hatte, traten dem Peka noch mehr Tränen in die Augen. Und da mußten plötzlich alle Drei furchtbar lachen – auch der Peka.

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