Lesabendio

Drittes Kapitel

no images were found

 Lesabéndio schwebt langsam in großen Kurven durch den erleuchteten Nordtrichter hinab zum Centrum des Sterns, in dem die Sofanti-Musik ertönt. Er kommt durch das Centrum mit Sofanti in den Südtrichter, wo die Magnetbahnen zu finden sind. Nachdem die merkwürdigen Verhältnisse der Anziehungskraft, die im Südtrichter nächtlicher Weile vieles auf den Kopf stellen, erörtert sind, werden die beiden Führer Peka und Labu im Gespräch mit Lesabéndio vorgeführt. Danach wird die Scheinwerferuhr und das Einschlafen der Pallasianer um Mittemacht geschildert – dabei auch das Rauchen des Blasenkrautes.

Ganz langsam schwebte Lesabéndio zur Tiefe – immer mit dem Saugfuß am Hinterkopf – und dabei zog er bald den einen Flügel ein und bald den anderen, sodaß er kreiste in mächtigen hinuntergezogenen Spiralkurven. Er kam an vielen, senkrecht aufragenden Nuse-Türmen vorüber, und er sah mit seinen Fernrohraugen alle Seiten des zwanzig Meter tiefen Trichters und sah die vielen tiefen Grotten und all die Bergkegel, die vor den Grotteneingängen emporragten, und er sah die unzähligen breiten Brücken, die sich hoch über den Schluchten und Abhängen hinüberspannten zu den anderen Seiten, und er sah auch die vielen künstlichen Kuppeln, die manche Abgründe überwölbten – er sah die Kuppeln alle von oben – und sie waren sämtlich von unten aus von bunten Kristallampen durchleuchtet. Die bunte Lichtfülle des Trichters berauschte den Lesabéndio. Da gabs nur eine kleine Anzahl von dunklen Stellen. Die großen Fruchtballons glitzerten in phosphoreszierendem Licht, und die Leuchtkäfer leuchteten auch, und die Pallasianer leuchteten ebenfalls. Aber all dieses »natürliche« Licht hätte den Trichter nicht sehr hell gemacht, wenn nicht die vielen bunten Lichttürme – und die unzähligen bunten Scheinwerfer, die sich immerzu nach allen Richtungen hin drehten, ihr künstliches elektrisches Licht in den Trichter hinausgestreut hätten. Dieses künstliche Licht hatten die Pallasianer mit großen Mühen überall dort angebracht, wo sich die Anfangs- und Endstationen der Bandbahnen befanden. Und diese Bandbahnen waren überall; sie gingen quer, schräg und steil nach oben und nach unten; da gabs zehn bis zwanzig Meilen lange Bandbahnen und unzählige kürzere; von diesen führten viele ins Innere der Grotten und Höhlen hinein, von denen aus man auch an einzelnen Stellen ins tiefste Innere des Sterns gelangen konnte.

Und auf den Bandbahnen sah Lesabéndio mit seinen Fernrohraugen, während er in großen Kurven im Trichter herumkreiste, die Pallasianer auf und ab fahren – mit blitzartiger Geschwindigkeit. Und da die Körper der Pallasianer an vielen Stellen des Trichters aufleuchteten, so sahen die Wände des Trichters so aus, als führen immerfort Funken nach allen Richtungen durch sie durch.

Dieses Funkengezuck bildete den Untergrund der Trichterwände; von diesem beweglichen Lichtuntergründe hoben sich die bunten, ganz steif und unbeweglich dastehenden Nuse-Türme kräftig ab. Und die beweglichen farbigen Scheinwerfer traten mit ihrem Licht weit aus den Wänden des Trichters heraus, sodaß auch die freie Luft des Trichters beleuchtet wurde. Und es schwebten sehr viele Pallasianer und viele Leuchtkäfer in der freien Luft, und da die Scheinwerfer sich nach allen Richtungen hin bewegten, so wurden die Pallasianer und die Käfer auch von den Scheinwerfern oft getroffen, sodaß sie deren Lichtkegel oft durch ihre Gestalt und durch die Schatten, die sie warfen, seltsam belebten.

In der Mitte des Trichters – besonders im oberen Teile desselben, war das Licht der Scheinwerfer nicht mehr so wirksam; nur die größeren Scheinwerfer warfen ihr Licht in voller Kraft sechs bis sieben Meilen hinaus; das wirkte besonders oben sehr imposant, wenn die Lichtkegel zuweilen senkrecht nach oben hinaufgingen und dort die glitzernden Spinngewebewolken, wenn sie nachts heruntergekommen waren, beleuchteten. Lesabéndio hielt sich mehr in der Mitte, sodaß er von den Scheinwerfern selten getroffen wurde.

Und er sah dann nicht mehr die Wände mit ihren Funkenspielen und Lichttürmen an – er blickte nur noch nach unten – in den Mittelpunkt des Sterns. Dort unten im Mittelpunkt wurde es immer heller und heller – und noch viel bunter als rechts und links. Und eine feine Musik mit ganz lang gezogenen seltsamen Tönen drang aus der Tiefe heraus.

Diese Musik kam aus dem Centralloch, das den Nordtrichter mit dem Südtrichter verband. Hier im Mittelpunkte, wo die Trichterwände sehr zackig und an einzelnen Stellen nur eine halbe Meile voneinander entfernt waren, hier im Mittelpunkte bildeten sich immer beim Nachtbeginn großartige Töne, die durch den Luftzug entstanden, der von der so schnell herunterkommenden Spinngewebewolke hervorgebracht wurde.

no images were found

 Um diese Mittelpunktsmusik des Pallas, die natürlich am besten im Südtrichter zu hören war, zu verstärken und in melodiösen Fluß zu bringen, hatte man in dem Mittelpunkte viele dünne, zumeist sehr große Hautstücke so aufgespannt, daß sie die durch die zackigen Felswände hervorgebrachten Töne in merkwürdiger Weise variierten. Und da man die Hautstücke so angebracht hatte, daß sie leicht in andre Lagen zu bringen waren, so entstanden durch die beweglichen Hautstücke wundervolle Melodien, die natürlich durch kleine und große Schalltrichter und besondere umfangreiche Metallinstrumente ganz orchestral gemacht werden konnten.

Sofanti hieß der Pallasianer, der die Hautstücke mit Hilfe seiner Freunde herstellte. Und bei Beginn der Nacht sammelten sich im Südtrichter immer sehr viele Pallasianer, die die neuesten Sofanti-Melodien hören wollten.

Aber über dem Centralloch im Nordtrichter – dort, wo dieser nur noch anderthalb Meilen im Durchmesser hatte, – da hatte der Dex auf Wunsch des Sofanti mit Kaddimohnstahl ein großes Gestell errichtet, in dem von allen Seiten schräg nach innen gerichtet Stahlstangen standen, die oben durch einen Ring verbunden waren, und auf diesem Ringe waren abermals schräg stehende Stahlstangen angebracht, die auch oben durch einen wieder kleineren Ring verbunden waren.

An einzelnen dieser Stahlstangen hatte Sofanti seine neuesten großen Hautstücke – sämtlich in Scharnieren beweglich – angebracht. Als Lesabéndio dieses Stahlstangengestell erblickte, riß er plötzlich seinen Saugfuß vom Hinterkopf los und rief laut: »Dieser Sofanti! Da hat er ja eigentlich den großen Turm, den ich oben im Großen machen wollte, hier unten im Kleinen schon gemacht. Dieser Dex! Dieser Sofanti! Also ist meine Idee vom großen Turm garnicht so neu.«

Zufälligerweise war der Sofanti grade in der Nähe und hörte sich seine Trichtermusik von oben an – und als er den Lesabéndio so laut reden hörte, rief er ihn an: »Lesabéndio«, rief er, »warum redest Du so laut zu Dir selbst? Ich habe ja jedes Deiner Worte verstanden.« Da erkannte der Lesabéndio den Sofanti.

Und da sprachen sie denn sehr eifrig über den großen Stahlturm und über den kleinen Stahlturm. Und währenddem rauschte die Centralmusik in ungeheuren mächtigen Akkorden auf, daß die Wände des Nordtrichters ganz fein zitterten – und daß die Pallasianer überall von den Bandbahnen absprangen und in die Luft hinausschwebten, um die mächtigen Akkorde der neuesten SofantiMusik ganz genau zu hören; diese Musik machte auf die Pallasianer fast einen größeren Eindruck als der große Nuse-Turm, der eine Meile hoch war.

Während Lesabéndio mit Sofanti in die Tiefe des laut tönenden Centralloches hinunterschwebte, stand der Nuse noch immer auf seinem Turm und blickte stolz umher in die dunkle Spinngewebewolke und in den bunten funkenzuckenden lichtkegelvollen Nordtrichter, in dem auch die anderen Nuse-Türme glühten und leuchteten. Oben bei Nuse war es ganz still und kein Laut von der Centralmusik zu hören. Aber im Südtrichter schallte die Centralmusik – oft mit tausend Echos – donnernd um die Felswände rum, daß die Pallasianer immer wieder das schnelle Fahren sein ließen und lauschend in der Luft herumschwebten – mit beiden Rückenflügeln und auch mit einem. Die Musik blieb eine volle Stunde hindurch hörbar; eine Pallas-Stunde entspricht ungefähr den vierundzwanzig Stunden eines Erdtages.

Der ganze Südtrichter bildete jedoch eine Welt für sich, die mit der Nordtrichterwelt wenig gemein hatte. Die Anlagen des Südtrichters waren älter und zumeist ganz anders als die im Norden. Das hing besonders mit den merkwürdigen Verhältnissen der Anziehungskraft zusammen.

Da der Stern Pallas im Innern sehr viele ausgedehnte Hohlräume besaß, so übten alle Trichterwände eine sehr verschiedene Anziehungskraft aus. Dazu kam noch, daß die Nachtwolke alle Schwergewichtsverhältnisse in sehr empfindlicher Weise verschob. Ein Gravitationscentrum kannte man nicht; im Südtrichter konnte der Kopf der Pallasianer ruhig nordwärts gerichtet bleiben – aber während der Nacht konnte man im Südtrichter den Kopf auch nach allen andern Richtungen hinbringen, ohne körperliches Unbehagen zu empfinden; es kam somit vor, daß Pallasianer auf großen Hautstreifen, die an manchen Stellen den Trichter quer durchspannten, mit ihrem Saugfuße auf der einen Seite saßen, während auf der andern Seite der Haut auch Pallasianer saßen, sodaß oft ein Saugfuß oben und einer unten eine Stelle des Hautstückes umschloß. Dieses nahgelegene Antipodentum wirkte von weitem gesehen zuweilen sehr komisch.

Nun war der freie Raum des Trichters von unzähligen Drahtseilen durchzogen. Und viele Hautstreifen waren zwischen diesen Drahtseilen; die Zahl der Hautstreifen, die nur zum Ausruhen benutzt wurden, war aber nicht sehr groß, sodaß der freie Raum als solcher immer noch bestehen blieb. Das Verkehrsleben spielte sich in diesem freien Raume ausschließlich auf den Drahtseilen ab – und zwar wurde der Pallasianer hier durch ein Magnetblech angezogen, sodaß die Bahnen »Magnetbahnen« genannt wurden. Das Magnetblech befand sich an den Knotenpunkten der Seilbahn und konnte dort beliebig gestellt werden – auch so, daß es seine Anziehungskraft verlor. Wollte nun jemand auf einem Seilstück, das natürlich auch zwei bis vier Meilen lang sein konnte, an einem Ringe hängend rasch dahinsausen, so hatte er erst das Magnetblechstück der nächsten Knotenstation in die richtige Lage zu bringen, was durch eine Kurbelvorrichtung allerdings leicht zu bewerkstelligen war – andererseits doch immerhin sehr viel Zeit beanspruchte, da manchmal ein Magnetblechstück auch von andrer Seite in Anspruch genommen wurde. Die Bandbahnen des Nordtrichters waren jedenfalls bequemer, zudem wurde das Magnetblech immer wieder durch die verschiedenartige Anziehungskraft der Trichterwände in sehr erheblichem Maße irritiert, sodaß es zum Beispiel sehr schwierig war, einfach schwebend dorthin zu gelangen, wo man hingelangen wollte. Im Südtrichter schwebten deshalb die Pallasianer nur sehr selten in der freien Luft herum: fast alle benutzten die langsamen veralteten Magnetbahnen; die meisten Bandbahnen des Nordtrichters gingen achzig- bis hundertmal schneller. Die Hälfte der Nacht – also eine Zeit, die ungefähr einem halben Erdmonat entsprechen würde – verbrachten die Pallasianer vielfach mit geselligen Zusammenkünften. Aber dort, wo man schnell mit einer notwendigen Arbeit fertig sein wollte – und solche Stellen gabs immer – wurde auch gearbeitet. Die Zeit wurde in der Nacht – sowohl im Südtrichter wie im Nordtrichter – durch große automatisch tätige Scheinwerferuhren angezeigt. Aber dabei betätigten sich ein paar Hundert Scheinwerfer – sie standen immer unter besonderen Winkeln zueinander – und aus dieser Winkelstellung, die eine kurze Zeit unbeweglich im Trichter sichtbar blieb, entnahm der Pallasianer, wie spät es war.

Als die Hälfte der Nacht beinahe vorübergegangen, befand sich Lesabéndio mit dem Führer Peka und dem Führer Labu im Centrum des Sterns. Und die drei sprachen natürlich nur von dem großen Kronenturm, den Lesabéndio auf dem oberen Rande des Nordtrichters erbauen wollte. Peka und Labu lächelten zu dem Plan. »Woher die kolossalen Arbeitskräfte nehmen?« fragten sie Beide. Peka wollte den Stern Pallas durch kristallinische, regelmäßige, säulenartig eckige, gradlinig feste, hart und starr aufstrebende Steingebilde verändern; er brachte demnach seiner Wesensart entsprechend dem Plane des Lesabéndio wenig Wohlwollen entgegen und meinte:

»Der Bau mit Kaddimohnstahl will mir nicht sehr gefallen; ein kompakteres kantiges Baumaterial wäre mir lieber.« Labu interessierte sich dagegen mehr für den Überzug; er wollte überall Glasur, Email, Stukkatur anbringen, um damit knorrige, wurzelartig dicke, kuppelund schildartige Formen zu bilden; er wußte nicht, was er bei dem Lesabéndio-Turm machen sollte. Lesabéndio erklärte dem Labu, daß er die Punkte, in denen mehrere Stahlstangen zusammentreffen mußten, doch im Kuppel- und Wurzelgeschmack verzieren könnte. Doch man begab sich bald, ohne sich über irgendetwas geeinigt zu haben, zur Ruhe.

Die zweite Hälfte der Nacht und die erste Stunde des Tages pflegten die meisten Pallasianer zu schlafen. Während des Schlafes nahmen sie durch ihre Hautporen ihre Nahrung auf; sie schliefen auf Pilz- und Schwammwiesen, die sich in den blauen und grauen Talschluchten und auf den grauen und blauen Höhenzügen der Trichterwände befanden; diese nahrhaften Schwämme und Pilze wuchsen während des langen Tages wieder aufs neue.

Bevor die Pallasianer einschliefen, bildete sich an ihrem Rücken ein Hautgewebe, das bei Eintritt der Müdigkeit sich nach beiden Seiten ausspannte und hoch oben über dem Körper sich zuschloß, sodaß sich der Körper des Schlafenden gleichsam in einem großen länglichen Ballonsack befand. In diesem Ballonsack rauchte der Pallasbewohner sein Blasenkraut, das an einem seiner links befindlichen Arme festgewachsen ist und an einem Wurzelende in den Mund gesteckt wird. Zieht der Mund nun den aromatischen Duft des Blasenkrautes ein, so kommen später durch die Nase und durch die Hautporen kleine Blasen durch, die in dem Ballon größer werden und an der Decke des Ballons haften bleiben. Die Blasen reinigen den Körper – und sie leuchten.

Der Pallasianer leuchtet nicht mehr, wenn er schläfrig wird.


no images were found

Viertes Kapitel

no images were found

 Es wird ein Traum des Lesabéndio erzählt. Danach wird geschildert, wie die Pallasianer erwachen und zuerst ihre Ballonhaut abschneiden, die in die Morgenluft emporsteigt. Lesabéndio fährt nach dem Erwachen in Pekas Atelier und sucht ihn für seinen Nordtrichter zu begeistern, es gelingt ihm das nicht; und sie begeben sich in Labus Atelier, der den Sofanti späterhin in dessen Atelier auf die Idee bringt, den Lesabéndio-Turm mit transparenten Häuten zu umspannen. Lesabéndio spricht dann von der Bekämpfung der Müdigkeit, und zum Schluß wird die Auflösung eines Sterbenden geschildert.

Lesabéndio träumte.

Er sah, wie ihm plötzlich an der rechten und linken Schulter riesig lange Arme wuchsen. Und diese Arme bekamen viele große Krallen. Er flog in einer roten Luft und breitete die Arme nach beiden Seiten aus und versuchte dann, die Krallen vorn einander zu nähern. Da sah er, daß aus den Krallenspitzen große Ballons wurden. Und diese Ballons vergrößerten sich immerzu. Da er aber die Krallen doch nicht einander nähern konnte, so versuchte er, beide Krallenhände mit den Ballons seitwärts nach hinten zu werfen. Und das gelang. Und dabei schoß Lesabéndios Körper mit furchtbarer Geschwindigkeit nach vorn, sodaß die Arme ganz hinten blieben. Da fühlte er, daß er die Krallen bewegen konnte und daß hinten die Ballons weg waren. Da riß er die Arme ganz steif, ohne sie zu biegen, wieder nach vorn – und als sie vorn wieder so waren wie am Anfang, bildeten sich wieder die großen Ballons an den Krallenspitzen. Und er warf die Arme wiederum nach hinten, und sein Körper schoß abermals mit der größten Geschwindigkeit nach vorn.

»Jetzt brauchen wir«, rief der Lesabéndio im Traume, »die Bandbahnen und die Seilbahnen nicht mehr – so gehts ja viel schneller.« Doch nach diesen Worten erwachte der Träumer und sah über sich in der Ballonhülle, die seinen Körper umgab, oben die vielen Blasen, die vom Rauchen des Blasenkrauts herrührten, ganz groß und ganz weiß. Und er schnitt mit den scharfen Nägeln seiner größten Hände die Ballonhülle dicht am Körper ab. Und da stieg die Ballonhülle, von den Blasen getragen, in die helle Morgenluft empor und verschwand oben.

Und ringsum stiegen auch die Ballonhüllen der anderen Pallasianer in die Morgenluft empor. Die weiße Spinngewebewolke leuchtete wieder hoch über dem Nordtrichter. Und alle Pallasianer rieben sich die Augen und erwachten und sahen die weißen Felsen ringsum und auch die blauen und grauen.

Lesabéndio sprang mit einem Satz auf die nächste Bandbahn und sauste in eine tiefe, ganz dunkelblaue Schlucht hinein und kam von dort in eine sechs Meilen hohe Höhle, die der Peka sein Atelier nannte.

Hier gabs sehr sehr viele glatt polierte Felswände in allen möglichen Farben und mit vielen scharfen Ecken und Kanten. Peka wollte die Felskegel und die Felsschluchten in den großen Trichter des Pallas glatt und kantig machen; alle möglichen regelmäßigen Kristallformen wollte er in den Pallas hineinmeißeln; seine Hauptmaschinen waren große Poliermaschinen, die den Felsen spiegelnde Glätte beibrachten.

Pekas größte Werkstätten waren Schleifanstalten, in denen kolossale Riesenbrillanten hergestellt wurden.

Aber Pekas Fehler war, daß er Alles in allzu großen Dimensionen haben wollte, sodaß er niemals die genügende Anzahl von Mitarbeitern fand. Und so kams, daß schon in seinem Atelier unsäglich viele Stücke nicht einmal zur Hälfte fertig wurden.

Einen abgeschlossenen Eindruck machten nur die kleinen Modelle, in denen er zeigte, wie die Bergkegel in säulen- und pyramidenartige Formen gebracht werden sollten; da wurden aus Bergkegeln auch viele spitze und kantige Türme mit Brillantenknäufen und überkragenden Balkengesimsen.

Der Peka wollte hauptsächlich nur mit rhythmischen Verhältnissen wirken, und die Rhythmik wollte er teils durch die Farbe und teils durch Brillantenverbrämung wirkungsvoll herausstreichen; dies gelang ihm besonders dort, wo er schräg abfallende Felsen in viele Terrassenanlagen zerlegte, bei denen er auch durch lange Säulenreihen wirkte.

In Pekas Atelier gabs an die zehntausend verschiedene Säulen – die meisten in kleinstem Maßstabe – aber auch viele von hundert Metern Höhe, sodaß man sich in diesem Atelier sehr wohl eine Vorstellung von dem, was Peka wollte, bilden konnte.

Das Atelier hatte nur eine geringe Breite, die nur an einzelnen Stellen bis zu einer halben Meile sich ausdehnte. Die Länge des Höhlenraums betrug nur zwei Meilen. Dafür gings aber überall fast sechs Meilen hoch in die Höhe, sodaß man überall lange überkragende Terrassen sah, auf denen gearbeitet wurde. Und Bandbahnen gabs hier natürlich in großer Zahl und nach allen Richtungen hin – und auch Transportbahnen, die aus vielen Drahtseilen bestanden.

Auf den Bandbahnen konnte man langsam und schnell fahren; man brauchte nur an der Anfangsstation den Schnelligkeitsapparat an den Schwungrädern umzustellen.

Lesabéndio stellte den Apparat einer schrägen Bandbahn so, daß er ganz langsam drei Meilen neben den Terrassen emporfahren konnte.

Und oben kam er mit dem Peka wieder zusammen.

Alle elektrischen Flammen und Scheinwerfer leuchteten in der Höhle so, daß alle glatten Felsflächen die Säulen und Gesimse spiegelten – und daß die großen Brillanten aus durchsichtigem Gestein glühende Farben ausstrahlten und dabei mächtig funkelten. Sehr lebhaft wirkten die Atelierterrassen auch dadurch, daß immer wieder viele Pallasianer durch die Säulen durch hinaussprangen und mit Hilfe ihrer Rückenflügel die nächste obere oder untere Terrasse zu erreichen suchten.

Die meisten Arbeiten, die hier getan wurden, wären ganz unmöglich gewesen, wenn nicht jeder Pallasianer sehr viele Hände gehabt hätte – sowohl sehr grobe – wie auch sehr feine. Zu den letzteren gehörten auch die, an denen sich Finger befanden, mit denen man ohne weiteres schreiben konnte wie mit einem Füllfederhalter.

Und mit solchen Fingern schrieb jetzt auch der Lesabéndio in sein winzig kleines Notizbuch, das neben andern Büchern an seinem Halse hing. Dem Lesabéndio gegenüber saß der Peka mit seinem braunen Körper, aus dem die gelben Flecke scharf herausleuchteten, auf einem zwei Meter hohen blauen Brillanten, der nur einen halben Meter breit war und sehr viele feingeschliffene kleine Flächen und auch scharfe Kanten zeigte.

no images were found

Und nachdem Lesabéndio mit dem Notizenmachen fertig war, sagte er: »Es ergibt sich immerhin, daß der Eisendrahtturm, den ich über dem Nordtrichter aufrichten will, doch eine regelmäßige Form bekommen muß, die Deinen spitzturmartigen Brillanten in mancher Hinsicht ähneln dürfte. Die ersten schrägen Säulen, die von den höchsten Stellen des Trichterrandes aus zur Höhe gehen und sich dabei zur Trichteröffnung neigen, müssen zweifellos in ganz gleichen Abständen voneinander erbaut werden. Und der Ring, der die Spitzen der Säulen oben verbindet, dürfte nicht Kreisform haben; Säulenspitze muß mit Säulenspitze immer durch einen graden Balken verbunden werden. Und wenn nun auf diese erste Etage die anderen neunundneunzig Etagen hinaufkommen, so müssen diese genau so regelmäßig erbaut werden wie die unterste Etage – nur werden die Säulen oben immer näher aneinanderrücken. Aber wir werden oben so viele Säulen brauchen wie unten; wenn unten fünfzig Stahlsäulen nötig sind, werden oben in der hundertsten Etage ebensoviele Säulen nötig sein; sie können oben nur dünner sein. Verbindest Du nun die aufstrebenden Säulen und die Querbalken mit einem glatten Material, so hast Du einen Riesenbrillanten, wie Du ihn wünschest.«

»Die Verbindung«, versetzte Peka, »dieser Stahlstangen mit einem glatten und festen Material ist eben eine Unmöglichkeit. Es gehört doch schon genug dazu, dieses riesige Stangengerüst aufzuführen. Alle künstlerische Ausgestaltung dieses Knochengerippes muß von selber fortfallen, da unsre Kräfte doch nicht dazu ausreichen, auch noch das Entbehrliche herzustellen. Die Form Deines Turmes, lieber Lesabéndio, ist ja wohl eine Kristallform. Aber die Kristallsubstanz fehlt. Und die ist mir doch die Hauptsache. Du kannst nicht verlangen, daß ich mich für einen Plan begeistere, wenn ich einsehen muß, daß ich dabei überflüssig bin. Die Säulen und Balken wirst Du nicht kompakt machen können. Und ich bin doch immer in erster Linie für das Kompakte gewesen.«

Sie sprachen beide sehr lebhaft weiter, kamen aber zu keinem befriedigenden Schluß. Nun war aber in ein paar Sprüngen das große Atelier des Labu zu erreichen, der nebenan mit seinen Gehilfen wohnte und nur mit unregelmäßigen Formen den Stern Pallas verschönern wollte. Labu hatte nicht das geringste Verständnis für das Regelmäßige; ihm erschien alles Unregelmäßige tausendmal interessanter. Aber obwohl nun der Labu den schärfsten Gegensatz zu dem Peka bildete, so wohnten sie doch nachbarlich dicht nebeneinander – gleichsam Wand gegen Wand. Labus Atelier war nur drei Meilen hoch, dafür aber in der Grundfläche sehr umfangreich.

Lesabéndio und Peka sahen nun gleichsam von der Decke aus in Labus unregelmäßiges Atelier hinunter, in dem unzählige Grotten und Blasengesteine und ganz unregelmäßige Stangengesteine und viele seltsame Emailüberzüge und bucklige Perlmutterwände neben buntschillernden Wurzelphantasien zu sehen waren.

Hatte aber Peka immer wieder das Pech, daß die Pallasianer seine Pläne für zu schwer durchführbar erklärten, so sagten die Pallasianer dem Labu gewöhnlich, daß seine Pläne zu leicht durchführbar seien, da sie ja mit allzu großer Leichtigkeit dem Lokalcharakter der einzelnen Gegenden angepaßt werden konnten.

Labu kam zu den beiden Freunden nach oben, und Lesabéndio wiederholte, was er dem Peka erklärt hatte.

Da sagte der Labu: »Mir fällt was ein: wir sollten zum Sofanti fahren.« Zu Sofanti aber gings durch Labus sehr unregelmäßig gebildete Decke durch. Als die drei oben durch waren und von der Bandbahn absprangen, erblickten sie den Sofanti gerade vor einer großen transparenten Haut, hinter der probeweise Lichtarrangements gestellt wurden, um die lampionartige Wirksamkeit der transparenten Haut zu erproben. Dem Sofanti aber sagte der Labu:

»Du mußt Lesabéndios Nordtrichterturm mit Riesenhäuten umspannen, dann wird das große Skelett kompakt, und wir bekommen im Nordtrichter dadurch einen neuen Himmel. Die Häute könnten auf der Außenseite erleuchtet werden.«

Da lachte der Lesabéndio und freute sich sehr. Und der Sofanti sagte lachend: »Dazu wär ich schon bereit. Aber – wird auch der Stoff reichen? Soviel Haut gibt es vielleicht doch nicht. Augenblicklich ist noch nicht so viel da.«

Nun war aber die Haut, die der Sofanti wie Leder verarbeitete, nur auf glatten Steinflächen zu finden und von diesen leicht abzulösen. Solche glatten Steinflächen gabs natürlich auf und im Pallas nur in sehr geringer Anzahl.

Peka hatte daher Recht, als er sagte: »Hätten wir seit vielen Jahren mehr Felsenabhänge poliert und zu glatten Flächen gemacht, so hätte Sofanti heute mehr Haut loszulösen. Aber der ganze Plan ist ja so großartig, daß wir seine Ausführbarkeit garnicht in Erwägung ziehen dürfen. Ist das nicht eigentlich nur Zeitverschwendung?«

Da sagte Lesabéndio:

»Ihr seid alle so müde – und zwar nur deshalb, weil Ihr nicht alle Eure Gedanken um einen einzigen ganz einfachen, aber ganz großartigen Plan konzentriert. Solche Konzentration macht ganz allein wieder frisch, wenn auch die Ausführbarkeit noch in weiter Ferne liegt. Ihr verzettelt Euch.«

Lesabéndio hatte kein Atelier, aber er war dafür bekannt, daß er immer nur einen so einfachen Plan mit sich herumführte, daß für den ein Atelier garnicht nötig wurde.

Mit der Müdigkeit der Pallasianer hatte der Lesabéndio auch Recht; es kam so oft vor, daß Pallasianer müde wurden und sterben wollten.

Der Pallasianer stirbt, wenn erst sein Körper ganz trocken geworden ist, sodaß man beinahe durchsehen kann. Dann aber hat der Sterbende den Wunsch, von einem Lebenden aufgesogen zu werden; der Lebende saugt den Sterbenden durch die Poren in sich auf. Dieser Prozeß geht aber nicht so einfach vor sich.

Es ist zunächst nötig, daß der Aufsaugende auch damit vollkommen einverstanden ist, daß er aufsaugt. Wenn nun Jemand aufgesogen werden will, so fragt er zunächst bei dem, der ihn aufsaugen soll, höflich an. Sagt der »Ja« – so geschieht das Gewünschte gemeinhin sofort.

So wurde der Peka, während er mit seinen drei Freunden vor den transparenten Häuten saß, von einem alten Pallasianer, der schon ganz durchsichtig aussah, gefragt, ob er wohl geneigt sei, dem Sterbenden einen Dienst zu leisten. Der Körper des Sterbenden war ganz hellbraun; die gelben Flecken waren fort.

Peka willigte sofort ein; ein Pallasianer willigte nur dann nicht ein, wenn er an demselben Tage bereits einen anderen Sterbenden in sich aufgenommen hatte!

Nachdem Peka eingewilligt, reckte er sich sofort zu seiner ganzen Höhe auf – fünfzig Meter hoch – Pekas Poren öffneten sich dabei ganz weit – und im Körper des Sterbenden, der – zehn Meter von Peka entfernt – höchstens fünf Meter hoch sich aufrecken konnte, entstanden plötzlich fluoreszierende Lichterscheinungen – dann gingen alle Teile des Körpers zerbröckelnd auseinander und wurden von Peka angezogen, in dessen Poren der Körper des Sterbenden nach ein paar Augenblicken verschwand.


no images were found

image_pdfimage_print