Lesabendio

Vierundzwanzigstes Kapitel

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 Biba läßt für die Sonnenbeobachtung eine neue Bandbahn bauen, die den äußeren Teil des Pallas-Rumpfes in der Mitte umspannt. Lesa sagt dem Biba das Wichtigste über die Sonne. Bombimba will wie Lesa in das Kopfsystem, es gelingt ihm aber nickt; er wird von Labu aufgenommen. Die Quikkoïaner wollen wieder das Künstlerische auf dem Pallas fördern. Dort ist aber alles mit Sternbeobachtung beschäftigt. Zwei Meteorgeister kommen in die Nähe des Pallas und umkreisen Turm- und Kopfsystem, sind aber unnahbar, da sie zurückdrängende Atmosphäre haben. Das Kopfsystem kommt tiefer herunter und verbindet sich ganz fest mit dem Rumpf. Lesas blaugrünliches Licht ist jetzt öfters unten zu sehen – zuweilen an vielen Stellen zu gleicher Zeit.

Biba wollte gleich anfangs, als der Quikko den Pallas noch nicht als Mond umkreiste, eine neue sehr breite Bandbahn anlegen, die nur für die Sonnenbeobachtung die Mitte des Pallas-Rumpfes von außen umgeben sollte. Und die Bahn sollte ganz langsam fahren und von links nach rechts geleitet werden, während der Pallas von rechts nach links sich drehte. Diese Drehung sollte durch die Bahn aufgehoben werden, damit man ungestört auf der Bahn sitzend die Sterne beobachten konnte – und besonders die Sonne und die Asteroïden. Diese Bahn wurde denn auch bald gebaut. Und Biba beschäftigte sich danach so eifrig mit der Sonne, daß er zeitweise alles andre darüber vergaß. Auch ein großes Sonnenteleskop befand sich auf dieser langsamen Bandbahn. Als der Biba mal außergewöhnlich lange an seinem Sonnenteleskop tätig gewesen war und nun sehr müde in seine Höhle zurückkehrte, um auf seiner kleinen Pilzwiese zu schlafen – da sah er plötzlich wieder das blaugrünliche Licht. Und er wußte gleich, daß Lesa wieder da war. Er horchte hin und hörte, wie Lesa hastig Folgendes sprach: »Größte Qual und größte Seligkeit treten nicht nur sehr oft – nein – in unserm Sonnensystem – fast immer zusammen auf. Daran muß man sich gewöhnen. Die Sonne sagte mir schon, daß wir den Schmerz nicht fürchten dürfen – der Todesschmerz ist vielleicht der größte Schmerz. Er enthält aber auch die größte Seligkeit – diese Auflösung im Größeren und Stärkeren ist eine ganz außerordentlich großartige Empfindung. Viele Lebewesen können den Tod gar nicht auskosten, da sie den Moment des Ster

bens nicht festzuhalten vermögen. Es geht ihnen so wie uns, wenn wir einschlafen. Wir können auch den Moment, in dem wir einschlafen, nicht festhalten. Aber uns auflösen, wenn unsre Glieder durchsichtig werden, das können wir bei vollem Bewußtsein. Wir fürchten ja deshalb auch nicht den Tod. Aber viele andre Lebewesen in unserm Sonnensystem tun das. Lieber Biba, dieses weiß ich schon lange. Doch jetzt habe ich auch erfahren, was das Wichtigste der großen Sonnenphilosophie ist: wir sollen alle die größte Selbständigkeit erstreben und erlangen und gleichzeitig dabei stets darauf bedacht sein, uns dem Größeren unterzuordnen. Diese beiden Dinge kommen in Millionen Variationen immer wieder in und auf allen größeren und kleineren Sternen vor, die unsre große Sonne umkreisen. Auch die Kometen ordnen sich unter. Das Sichunterordnen ist das Größte. Sterben ist eigentlich auch nur ein Sichunterordnen. Das ist oft sehr schwer zu verstehen, da es ja der größten Selbständigkeit scheinbar widerstrebt. Indessen – es handelt sich ja immer um ein Sichunterordnen dem Größeren gegenüber. Darum ist Deine Idee vom Asteroïdenring ganz richtig. Der Saturnring kann vorbildlich für uns sein. Wenn wir einen großen Ring bilden – ist der gemeinsame Geist desselben zweifellos größer als der Geist der einzelnen Teile. Darum müssen wir alle darauf hinwirken, daß wir uns zusammenfinden. Wir kämen zusammen weiter. Dann wird es uns schließlich vielleicht auch mal möglich uns dem ganzen großen Sonnensystem unterzuordnen – vielleicht sterben wir mal in ihm – in dem ganzen großen System, in dem alle Planeten, Kometen und Meteorgeister leben. Lieber Biba! Denk an das Sterben des Asteroïdenrings. Es muß sehr qualvoll sein – aber doch eine ungeheure Seligkeit. Es ist ja das Sterben nur ein Sichauflösen in dem Größeren. Oh – das sage nur Allen – auch den lustigen Quikkofanern. Der sich selber Quälende kommt immer weiter. Lebe wohl! « Biba lag ganz still auf seiner Pilzwiese. Das blaugrünliche Licht verschwand wieder. Biba verbreitete das, was ihm Lesa gesagt. Und er machte auf Alle einen großen Eindruck – besonders der letzte Satz von dem sich selber Quälenden. Es starben mehr Pallasianer in der bekannten Art als bisher. Bombimba wollte sich wie Lesa im Kopfsystem des Pallas auflösen, es gelang ihm aber nicht. Er stürzte zurück – und drei weitere Versuche mißlangen auch. Da klagte er über furchtbare Schmerzen. Und da nahm ihn Labu auf. Bombimbas Schmerzen wurden viel besprochen, sonst hatten die Pallasianer vor der Auflösung noch niemals über Schmerzen geklagt. Jedenfalls unternahm es Niemand wieder, wie Lesa ins Kopfsystem zu springen; die Lehre von der Bedeutung der Schmerzen fand unter den Pallasianern keine Anhänger – selbst Biba meinte, daß diese Lehre mit Lesas neuem Zustande zusammenhängen müsse – in dem er von andern Sternen viele Dinge erfahre, die für den Pallasianer nicht so ohne weiteres verwertet werden könnten. Lesa jedoch empfand immer deutlicher die Wichtigkeit der Schmerzen. Er bemerkte auch, daß auf vielen Sternen besondere unbequeme Einrichtungen aufrecht erhalten wurden, die nur dazu dienen sollten, den Lebewesen eine Lektion über die Bedeutung des Qualvollen zu geben. Lesa hörte dabei mal neben sich ganz deutlich eine dröhnende Stimme, die da sagte: »Empfindungen lassen sich doch nicht steigern, wenn man das Schmerzhafte peinlich vermeidet. Eine Steigerung der Empfindungen muß doch das Schmerzhafte mindestens streifen. Schmerz ist doch nur eine zu heftige Empfindung.« Lesa wußte nicht, wer ihm das sagte – aber er behielt die Worte und wollte sie den Pallasianern mitteilen, merkte aber, daß sie die Geschichte vorläufig noch nicht verstehen konnten; ihr Leben floß immer noch allzu ruhig dahin. Die Quikko’ianer wunderten sich sehr, daß die Bewohner des Pallasrumpfes nach Herstellung ihres Turms gar nicht mehr an neue Unternehmungen dachten. Und so kam man bald wieder auf künstlerische Pläne. Der kleine Nax suchte Dex, Sofanti und Nuse anzufeuern – auch wollte er den alten Labu aufrütteln. Aber die Vier sagten nach einiger Zeit, daß sie vorläufig von allen künstlerischen Arbeiten absehen möchten, da die Pallasianer viel zuviel mit der Beobachtung der andern Sterne beschäftigt seien. »Daran haben«, sagte der Sofanti lachend, »die Quikkofaner Schuld. Hätten die uns nicht auf der Außenseite des Rumpfes und am Turm so viele Sternwarten hergestellt – so wärs anders.« Die Sternwarten kamen erst ordentlich zur Geltung, als mehrere sehr große Kometen am Pallas vorüberrasten – der Sonne zu. Man sah, daß jeder Kometenkopf aus ganz anderen Stoffen bestand. Der eine Komet hatte sogar weit vorragende Terrassen, die wie Flügel wirkten. Und Biba wollte auf eine dieser Terrassen hinaufgeschnellt werden. Der Komet raste aber zu schnell dahin, sodaß die Sprungseiltuchvorrichtung zu spät fertig wurde. Die Folge davon war, daß man jetzt überall große Sprungseil und Sprungtuchvorrichtungen anbrachte, die zunächst zum bequemen Hinüberkommen auf den Quikko dienten. Auf dem Quikko ließen sich die größten Fernrohre durch Hautaufblasen herstellen. Größere Hautstücke ließen sich da nicht loslösen, sodaß auf dem Pallas nur Fernrohre mit kleinen Hautstücken hergestellt wurden, die künstlich aufgeblasen wurden, während sie sich auf dem Quikko ganz natürlich bildeten. Hier sah nun der Biba nicht nur die Sonne viel größer als bisher; er sah auch die unzähligen Asteroïden und bemerkte, daß kaum einer dem andern ähnelte. Diese ganz verschiedenartigen Lebewesen zusammenzubringen, erschien darum dem Biba als sehr schwer zu lösende Aufgabe. Auf dem Quikko gelang es auch, die Meteore zu beobachten. Und da sah man, daß auch sie astrale Lebewesen waren. Und damit das den Pallasianern ganz deutlich wurde, geschah wieder etwas noch nicht Dagewesenes: zwei Meteorgeister kamen dem Pallas ganz nahe und – umkreisten den Pallasturm in großen Ellipsenbahnen – wie kleine Monde. Man beschloß, zu den Meteorgeistern hinübenufliegen. Dex und Nuse ließen sich hinüberschnellen. Sie kamen bis auf eintausend Meter an die Meteore heran – kamen dann aber nicht weiter; sie bemerkten, daß die Meteorgeister von einer ganz besonderen, sehr frisch wirkenden Atmosphäre umgeben waren, die zurückdrängend wirkte. Die Meteore hatten viele lange zappelnde Gliedmaßen, die in allen Farben schimmerten. Auf den Körpern, die kaum hundert Meter lang waren, ließen sich kleine Lebewesen nicht entdecken. Die Teleskope auf dem Quikko zeigten dies ganz deutlich. Der Kopf der Lebewesen ließ sich aber auch nicht entdecken. Eine Verständigung mit diesen astralen Riesen war ganz unmöglich, obschon man sich auf dem Quikko und Pallas die größte Mühe gab, die Aufmerksamkeit der Meteorgeister zu erregen. Trotzdem umkreisten diese den Turm und das Kopfsystem des Pallas mit dem größten Eifer, als fänden sie es sehr interessant. Lange Zeit hindurch ließ man diese kleinen Monde nicht aus den Augen. Die Beweglichkeit der Gliedmaßen an diesen Geistern steigerte sich immer, wenn sie dem Kopfsystem des Pallas näher kamen. Von den neuen Monden wurde man aber bald wieder abgelenkt. Der rote Lichtkegel, der von oben durch die Mitte des Pallas durchleuchtete, wurde eines Tages merklich kleiner, zog sich immer mehr hinauf und verschwand oben, ohne eine Spur zu hinterlassen. Das Kopfsystem aber breitete sich im obersten Teile des Turms so heftig aus, daß ein Luftstrom nach unten entstand und die vergessene Sofanti Musik im Centrum wieder zu ertönen begann. Darauf wuchs das ganze Kopfsystem heftig weiter nach unten zu – umklammerte den ganzen Turm mit feinen Lichtarmen und mit großen, wolkig wirkenden Gasgebilden. Und man sah nun ganz deutlich, wie sich immer wieder überall große Kometenschweife bildeten. Und die großen Kometenschweife erleuchteten den ganzen Nordtrichter. Das neue Wunder nahm natürlich die ganze Aufmerksamkeit der Pallasianer in Anspruch. Man machte wieder mit Spiegeln den Versuch, das Licht der Kometenschweife abzulenken, und lernte dabei die Wirkung dieser Kometenschweife kennen – sie wirkten – einschläfernd. Wer einmal von einem Kometenschweif getroffen wurde, begann sofort zu schlafen und sank auf den nächsten Hügel oder Turm und blieb da Stunden liegen. Der Getroffene konnte nicht einmal eine Pilzwiese aufsuchen. Natürlich brachten die andern Pallasianer den Eingeschlafenen sehr bald auf eine Pilzwiese. Aber diese Kometenschweifwirkung erschien unerklärlicher als alles Andre; vom Verstehen einer Naturkraft konnte hier schlechterdings nicht mehr die Rede sein. Und Lesa fühlte, daß das Kopfsystem mehr nach unten ging und sich mit dem Turm und dem Rumpf ganz fest verband. Und das brachte auch den Lesa wieder den Pallasianern näher; sie sahen jetzt Lesas blaugrünliches Licht sehr oft aufleuchten – zuweilen an mehreren Stellen zu gleicher Zeit.

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 Fünfundzwanzigstes Kapitel

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 Die Spinngewebewolke ordnet sich zu einem gleichmäßigen Ringsystem, was Biba für vorbildlich erklärt. Lesa erinnert den Biba an die Qualen,die die Pallasianer beim Turmbau ausgestanden haben, und kündigt ihnen große Schmerzenszustände an. Die kommen, als sich Kopf- und Rumpfsystem des Pallas endgültig zusammenschließen. Lesa hat dabei die größten Schmerzen auszustehen. Der ganze Pallas wird so gewaltig erschüttert, daß selbst einige Bandbahnen zerreißen und der große Turm zu klirren beginnt. Danach fühlte Lesa, daß er mit dem Doppelstern ein einziges Wesen geworden ist, und es beginnt ein neues Leben für ihn – und alles nähert sich einander – auch, die Sterne des Asteroïdenrings nähern sich einander.

Die Spinngewebewolke hatte sich nun auch verändert. Sie war immer weiter vom Kopfsystem abgerückt und hatte allmählich eine ganz regelmäßige Kranzform angenommen. Der Kranz wurde immer flacher. Und man sah schließlich vom Pallas und vom Quikko aus, daß sich auch die roten kleinen Köpfe regelmäßig überall verteilten. Nun sah man auch, daß die feinen Fäden tatsächlich lange Gliedmaßen bildeten. Sie schlangen sich so durcheinander, daß zwischen ihnen immer mehr Raum frei blieb. Der Wolkencharakter des Ganzen verging somit. Eine Annäherung an dieses Miniaturringsystem blieb auch jetzt unmöglich – eine Verständigung mit den feinen Fadenwesen ebenfalls. Das Ganze besaß nach wie vor eine starke zurückdrückende Kraft, die schon in einer Entfernung von tausend Metern einsetzte. »Das ist beinahe vorbildlich«, sagte Biba, »sowohl für uns – wie für den großen Asteroïdenring.« Während Biba das neue Ringsystem von einem Balkon der Turmlaterne aus beobachtete, bemerkte er vor sich in der Luft wieder das blaugrünliche Licht, durch das der Lesa seine Nähe anzeigte. Und Lesa sagte durch einfache Übertragung der Gedanken: »Wie schnell doch die Pallasianer alles Mögliche vergessen! Ihr wollt nichts von der Bedeutung des Schmerzes wissen – so als hättet Ihr stets in weichlicher Untätigkeit gelebt. Und das ist doch gar nicht der Fall. Ihr habt doch mit so ungeheurer Kraftanstrengung den großen Turm gebaut. Habt Ihr dabei nicht genug Schmerzen empfunden? War das nicht für uns alle zusammen eine große Qual? Und als alles fertig war, da kams Euch doch wie eine Erlösung vor. Allerdings dann kam gleich so viel Neues, daß Ihr Eure Arbeit schnell vergaßet. Lieber Biba, sage doch Allen, daß sie den Schmerz nicht unterschätzen dürfen. Vielleicht habt Ihr in allernächster Zeit Furchtbares zu ertragen. Bereitet Euch vor. Ich fühle, daß ich mich Euch nicht mehr lange verständlich machen kann. Vergiß nicht, was die Sonne sagt. Lebe wohl!« Biba hörte, wie das Licht mit einem leisen Knall erlosch. Und er eilte auf den nächsten Bandbahnen zu einer großen Signalstation und machte von dort aus alle Pallasianer aufmerksam, daß er Neues mitzuteilen habe. Und es berührte dieses Neue alle Zuhörenden wie etwas Grausiges – noch nie Geahntes. Und gleich danach wars dem Lesa so, als hätte er noch einen Körper wie einst – aber einen viel längeren und breiteren – und es ging ein Schauer durch seinen Körper – und er fühlte, daß alles in ihm zitterte. Und einen stechenden Schmerz empfand er bald da und bald dort. Und dann fühlte er einen Starrkrampf in seinen neuen Sehorganen – und sie gingen alle nach unten – und verbanden sich mit dem großen Pallas-Rumpf – wurden mit diesem eins. Das aber griff alle seine Sehnen und Muskeln furchtbar an, daß er hätte schreien mögen. Ganz finster wurde es. Lesa sah nichts mehr. Er fühlte nur noch reißende zerrende Schmerzen, die immer starker wurden. Und die Pallasianer empfanden plötzlich ähnliche Schmerzen – wie der Lesabéndio. Die Schmerzen waren nicht so stark wie die, die oben der Lesa empfand. Aber die Pallasianer schrieen doch laut auf. Und das schmerzliche Geschrei hallte unheimlich im Nordtrichter. Dazu brauste die Sofanti-Musik mit tiefen stöhnenden Tönen. Die kometarischen Ausströmungen des Kopfsystems umflackerten grell mit Tausenden von zuckenden Scheinwerfern den großen Turm und kamen hinunter und blitzten durch den Nordtrichter – und auch durch den Südtrichter. Der ganze Pallas-Rumpf schien in elektrischen Flammen zu brennen. Und der Pallas zitterte. Und dieses Zittern brachte den großen Turm zum heftigen Schwanken. Das Schreien der Pallasianer wurde so furchtbar, daß Alle glaubten, der Stern würde gleich entzwei bersten. Die Sofanti-Häute dröhnten und brausten so heftig, daß einzelne Häute mit lautem Knall entzwei rissen. Die Quikkofaner, die auf dem Pallas waren, fielen sämtlich in Ohnmacht und lagen bewußtlos da. Und Niemand kümmerte sich um sie.

Biba und Labu, die den Schmerzen am kräftigsten Widerstand leisteten und nur stöhnten – nicht schrien – blickten durch Teleskope außen nach den übrigen Asteroïden hinüber und sahen, daß dort auf vielen der kleinen Sterne elektrische Ausstrahlungen entstanden. »Es geht etwas Furchtbares vor!« rief Biba dem Labu zu. Labu antwortete nicht. Biba sah danach zur Sonne – und entdeckte auch dort heftige Sturmfackeln auf der Oberfläche – viel mehr als sonst. »Ich glaube«, sagte er stöhnend, »daß wir vielleicht nur näher aneinandergebracht werden sollen. Und das ist so schmerzhaft. Wenn jetzt der Lesa was sagen würde!« Aber Lesa sagte nichts. Allmählich ließen die Schmerzen der Pallasianer nach. Und man kam wieder zusammen und besprach dieses allerneuste Wunder, das Allen die Bedeutung des Schmerzes klargemacht hatte. Und Biba sagte, was er für den Grund des Ereignisses hielt. »Das Kopfsystem des Pallas«, meinte er, »verbindet sich mit dem Rumpfsystem. Der alte Stern Pallas erwacht zu ganz neuem Leben. Das ist eine furchtbare Empfindung – so zu neuem Leben zu erwachen. Der große Zusammenschluß von oben und unten hat stattgefunden. Das ist auch vorbildlich für die anderen Astero’iden; sie haben auf den Pallas-Schmerz reagiert – ich habs gesehen – die Sonne zeigte sich auch dadurch bewegter. Wir sollen uns deshalb auch mehr zusammenschließen. Künstlerische Gegensätze dürfen uns nicht mehr einander entfremden.« »Ich glaube,« sagte Labu darauf, »daß alles Künstlerische auf dem Pallas vielleicht doch nur Mittel zum Zweck war.« Dem stimmten sehr viele Pallasianer zu. Dann suchte man die Quikkoianer und brachte sie allmählich wieder zum Bewußtsein. Sie waren über das neue Ereignis sehr erstaunt und wollten alle zum Quikko hinüber. Die Pallasianer, die während der Erschütterung des Pallas auf dem Quikko sich aufhielten, hatten nur ein leichtes Zucken in ihren Gliedern verspürt. Das hatte zur Folge, daß sich jetzt sehr viele Pallasianer zum Quikko hinüberschnellen ließen, um dem nächsten Sturm zu entgehen. Alle Quikkoianer verließen den Pallas. Aber auf dem Quikko war vieles anders geworden. Der kleine Stern drehte sich nicht mehr um sich selbst. Auch die Glieder der beiden Meteorgeister, die oben den Pallaskopf umkreisten, waren ganz steif geworden. Lesa Schmerzen waren aber währenddem noch nicht zu Ende. Sein Starrkrampf wurde plötzlich noch viel mehr gesteigert. Er hielt es nicht mehr aus. Er wollte mit GliedmaSen, die er gar nicht hatte, ausgreifen, wollte sich fortwinden und konnte doch nicht. Er fühlte, daß er gefesselt war – unten an den Rumpf. Und da fühlte er zugleich mit dem Pallas-Kopf und mit dem PallasRumpf zusammen – daß er mit Beiden ein einziges Wesen sei – und daß jetzt ein neues Leben für ihn begann – ein Pallas-Leben. Dieser zweite Starrkrampf, der den ganzen Doppelstern gepackt hatte, wirkte noch viel furchtbarer als der erste. Der Turm klirrte. Die Sofanti-Musik zerriß plötzlich, da alle Häute mit einem Ruck zerrissen. Der ganze Pallas-Rumpf bebte noch einmal so heftig, daß auch mehrere Bandbahnen zerrissen. Doch danach wurde plötzlich Alles ruhig. Die kometarischen Ausstrahlungen am Turm und in den Trichtern wurden mit einem Male ganz ruhig und leuchteten – die Turmlaterne leuchtete am hellsten – aber auch ganz ruhig. Die Pallasianer konnten dieses Mal den Schmerz überwinden. Es schrie Keiner. Biba sagte still: »Ich glaube, daß sich jetzt alles zusammengeordnet hat. Es wird nicht mehr Erschütterndes kommen. Wir wollen jetzt auch zusammenbleiben und zu unsern Teleskopen fahren. Die zerstörten Bandbahnen müssen wir auch gleich ausbessern.« Und man besserte die zerstörten Bandbahnen wieder aus und begab sich dann zu den Teleskopen, um die Asteroïden zu beobachten. Lesabéndio aber fühlte ganz anders als einst; er fühlte, daß er allmählich ganz zum Stern wurde. Die Interessen der Pallasianer berührten ihn nicht mehr. Er bemerkte auch, daß er abermals neue Organe bekam – mit der Atmosphäre seines Sterns konnte er allmählich sehen – die Atmosphäre wirkte auf allen Seiten für ihn wie ein kolossales Teleskop. Und dann sprach Lesa mit dem Quikko und mit den Meteorgeistern und auch mit den feinen Wesen, die einst als Spinngewebewolke dem Pallas so helles Licht spendeten. Darauf fühlte Lesa, daß er mit seinem Doppelstern auch hinüberreichen konnte zu den andern Asteroïden. Und dort sprach man überall von der Notwendigkeit der gegenseitigen Annäherung. »Der Asterofdenring muß ein Einheitliches werden!» sagten Alle, »wir kommen weiter, wenn wir zusammen sind – wie die Geister der Saturnringe. Es wird natürlich noch viele Schmerzen eneugen.« Lesa fühlte, wies ihm noch immer in allen Gliedern zuckte. Aber das ging vorüber. Und er fühlte nur, wie er sich langsam drehte. Und er fühlte, daß er allen Sternen immer näher kam. »Wir wollen einander«, sagte er in seinen Gedanken zu sich selbst, »immer näher kommen, wenn auch furchtbare Qualen zu,überwinden sind. Es ist doch eine Seligkeit – wenn man sie überwunden hat. Ich fühls. Auch das Sichunterordnen ist sehr schmerzhaft. Aber notwendig ist es doch. Und ich ordne mich so gerne den größeren Sternen unter – besonders der Sonne.« Und da reckte er kraftvoll seinen ganzen Leib – und er fühlte, daß sein Leib der ganze Pallas-Rumpf war. Und der Doppelstern drehte sich weiter. Und die Asteroïden begrüßten den zu neuem Leben erwachten Doppelstern mit glänzenden elektrischen Lichtern. Lesa träumte, er sei jetzt ganz frei und könne hinkommen, wohin er wolle – er hätte jetzt Sternkräfte. Und es war ihm dann, als spräche er mit den Saturnringen und mit den Monden des Saturn – und da kam der Quikko und sagte: »Bleibe bei uns.« Und da kehrte Lesa zurück. Und er sah den ganzen Stern Quikko – auch sein Inneres – das war so milde – als wärs aus lauter streichelnden Händen zusammengesetzt. »Wir kommen immer weiter! « hörte Lesa leise aus dem Quikko heraustönen. Doch donnernd rief die Sonne dazwischen: »Wenn wir Schmerz und Tod nicht fürchten! « Lesa hörte Beides. Und er drehte sich ruhig weiter und empfand eine große Ruhe. Und es kam ihm so vor, als ginge er leicht hinüber in ein neues Reich, in dem alles ganz sanft hin und her schwankte – wie flüsternde Manesi-Ranken – unten am großen Turm.

»Mit Allen zusammen!« sagte Lesa ganz still. Und die grüne Sonne strahlte so hell auf – als wäre auch auf ihr ein neus Leben erwacht.

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Index: Bücher – Lesabendio

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