Die Entwicklung des Luftmilitarismus

Paul Scheerbart

Bücher


Die Entwicklung des Luftmilitarismus

und die Auflösung der europäischen

Land-Heere, Festungen und Seeflotten


ngg_shortcode_0_placeholder

Vor einer Tragödie stehen wir.  Der grossartige Militarismus des neunzehn­ten Jahrhunderts wird demnächst »aufgelöst« werden.

Wer das liest oder hört, lacht natürlich und glaubt nicht daran – nicht im Traum. Es ist auch kaum zu glauben. Diese gran­diosen europäischen Volksheere, die kolossalen Festungen und die wundervollen Seeeflotten sind mit dem modernen Kulturleben so innig verwachsen, dass man eine Auflösung dieser Kultur-Herrlichkeit ohne Weiteres für eine Un­möglichkeit hält. Eher würde man an den Unter­gang der Erde glauben. Und doch – wenn wir nicht alle Logik um­bringen wollen, so m ü s s e n wir an die Auflö­sung des bisherigen Militarismus glauben; der Luftmilitarismus ist eben stärker als die Land­heere, Festungen und Seeflotten. Die Militärschriftsteller sind in bemitleidens­werter Verlegenheit. Sie können garnicht konse­quent in ihren Betrachtungen sein. »Wo wird«, schreibt Oberst S. A. Cody, »die Schlagfertigkeit der mächtigen Heere und des undurchdringlichen Walls der Seeflotte bleiben, wenn die Luftflotten die Herrschaft führen? Dass Heer und Marine noch nötig sein werden, ist unbe­streitbar. . .« Warum das unbestreitbar ist, erfahren wir nicht. Wo wird, kann man nur immer wieder fragen, die Logik bleiben, wenn die Militär­schriftsteller immer wieder so unlogisch denken und schreiben. Ich habe in den letzten Wochen mindestens ein Dutzend logische Ungeheuer­lichkeiten bei den Militärschriftstellern entdeckt. Man könnte wirklich ungeduldig werden, wenn man nicht einsehen müsste, dass die Militaristen fast gezwungen sind, unlogisch zu sein, da sie Rücksicht auf die bestehenden Zustände schlechterdings nehmen müssen. Für mich, der ich keinem Militärverbande angehöre, ist eine derartige Rücksicht nicht vor­handen, und somit kann ich meine Meinung kurz und deutlich folgendermassen formuliren: Ein lenkbarer Luftkreuzer kann 200 Cent­ner tragen – d. h. 100 Dynamit-Torpedos, wenn jedes V-/z Centner schwer ist. Damit kann man eine Stadt so beschädigen, dass nicht viel Gan­zes übrig bleibt. Nun kann aber ein Staat in Jahresfrist ein paar hundert derartiger Luftkreu­zer herstellen. Wer will nun im Ernste behaup­ten, dass solche Luftflotten den Landheeren, Festungen und Seeflotten nicht überlegen sind? Alle Luftschiffe greifen selbstverständlich einzeln das feindliche Land an – nicht in Reih und Glied – wie sich das ein Kriegsutopist schon ausgemalt hat. Ausserdem greifen die Luftschiffe nachts an. Und da können sie doch in ein paar Stunden so viel zerstören, dass von den Land­heeren, Festungen und Seeflotten nicht viel üb­rig bleiben dürfte. Es ist doch nicht möglich, das zu bezwei­feln. Das Dynamit braucht ja nur runtergeworfen zu werden. Man könnte nun einwenden, dass dabei viele Torpedos nicht ihr Ziel treffen dürften. Indessen – die Torpedos lassen sich auch auf unbemannte Gleitflieger legen, und diese lassen sich durch drahtlose Telegraphie »len­ken«. Diese Lufttorpedos werden also ihr Ziel nicht verfehlen. Die Torpedos lassen sich ja im Wasser durch drahtlose Telegraphie lenken -also gehts auch in der Luft. So sieht der Luftmilitarismus aus. Und da­gegen soll der bisherige Land- und Seemilitaris­mus seine Stellung behaupten. Dass das nicht geht, möchte ich in den folgenden kleinen Arti­keln umständlichst auseinandersetzen: 1. Die Unmöglichkeit einer Land­schlacht unter Mitwirkung von Luft­flotten.

Wenn wir voraussetzen, dass zwei grössere euro­päische Staaten im Besitze von Luftflotten sind und Krieg miteinander führen wollen, so werden beide Staaten zunächst ein Interesse daran ha­ben, möglichst viele Lenkbare mit Gleitfliegem über die Grenzen zu senden – einzeln. Und jeder Lenkbare wird sein Dynamit auf die grösseren Städte werfen und dort beispiellose Verheerun­gen anrichten. Man wird die Kasernen, Parla­mentsgebäude und Paläste in erster Linie angreifen. Lassen sich Truppen irgendwo sehen, so werden sie gleich von einem Torpedohagel begrüsst werden. Und da möchte ich wissen, wie es zu einer Landschlacht kommen soll. Die Landtruppen sind eben gänzlich überflüssig. Natürlich – derartige Bombardements von oben werden einen Massenwahnsinn hervor­bringen. Ich möchte wissen, wer dabei ruhig bleiben könnte. Die Totengräber werden sich weigern, verstümmelte menschliche Gliedmas­sen zu sammeln. Und die Chirurgen werden auch von dem allgemeinen Wahnsinn gepackt werden und davonlaufen – so rasch sie können. Es ist überflüssig, das Entsetzliche solcher Stadtbombardements auszumalen – das kann Jeder selber besorgen. Das Scheussliche eines derartigen Krieges ist so einleuchtend, dass man gut täte, vorläufig nicht weiter darüber nachzu­denken. Schon das Nachdenken über derartige Kriegskünste kann eine heftige Nervenerkran­kung zur Folge haben. Eine Landschlacht aber ist ganz unmöglich – das Dynamit von oben arbeitet so schnell, dass das Landheer garnicht zur Entwicklung gelangt. Die Ballonabwehrkanonen werden den Ballons nicht vielen Schaden bereiten. Ausser­dem können sie nicht überall sein. Und es kommt auch nicht darauf an, wenn einige Luft­schiffe bei dieser Kampfesart zu Grunde gehen. Wie schwer es ist, einen Ballon zu treffen, hat man ja jetzt überall eingesehen. Dazu kommt, dass die Ballons in der Nacht schlechterdings oben unsichtbar bleiben. Die Grenzen durch Drahtwände zu schützen, geht ebenfalls nicht. Und so viele Scheinwerfer, um in der Nacht den ganzen Himmel zu erhellen, kann man auch nicht funktionieren lassen. Nun wird man natürlich auf die Beschlüsse der Haager Konferenz hinweisen. Die Konferenz will den Völkern verbieten, Sprengstoffe vom Luftballon aus in Kriegszeiten herunterzuwerfen. Die Völker werden sich um diese Beschlüs­se nicht viel kümmern – dazu verwenden die Staaten nicht unzählige Millionen für die Luft­schiffahrt, um schliesslich die neuen Kriegsin­strumente bescheiden in die Ecke zu stellen. Das Lächerliche dieser Handlungsweise wäre denn doch zu auffällig. Allerdings – um die Landheere, Festungen und Seeflotten zu retten, kommen die Militari­sten auf ganz abenteuerliche Ideen. So sagte der schon oben erwähnte englische Oberst S. A. Cody, der sonst ganz Vortreffliches über den Luftmilitarismus vorbringt, auch das Folgende: »Es besteht die Möglichkeit eines Vertrages zwischen den grösseren Mächten, durch den sie sich verpflichten, von Maschinen zur Fortbewe­gung im Luftmeer in Kriegszeiten keinen Ge­brauch zu machen. Es ist wohl denkbar, dass man zu diesem Schluss kommt, denn man kann sich nichts Fürchterlicheres vorstellen, als das Bild einer Kriegführung, bei der die Kampfes­werkzeuge der Luft ihre tätliche Rolle spielen. Wenn keine Stellung mehr verschleiert, keine Angriffslinie ein Geheimnis, keine Festung mehr vor den spähenden Augen des Feindes sicher ist, müssen die Folgen für beide Parteien unbe­schreiblich sein.« Da haben wirs: erst sollen die Luftschiffe für den Luftmilitarismus hergestellt werden, und nachher soll man sich ihrer nur im Frie­den bedienen – bei Paraden und Manövern. Die Völker, die den Luftmilitarismus auch bezahlen sollen, werden ein schönes Gesicht schneiden, wenn ihnen von diesem Pa­rade- und Manöver-Militarismus berichtet wird. Ausserdem macht man die Rechnung ohne die rabiateren, aussereuropäischen Staaten – bei den Japanern z. B. wird man den Dynamitkrieg keineswegs für undurchführbar halten. Dem Ja­paner ist das Dynamit ans Herz gewachsen … Ich glaube, dass jeder Freund der Logik nach dem Gesagten mit mir der Meinung sein wird, dass eine Landschlacht, wenn erst Luftflot­ten da sind, einfach ein Unding ist.

ngg_shortcode_1_placeholder

2. Die Unmöglichkeit eines Festungs­krieges unter Mitwirkung von Luftflot­ten.

ngg_shortcode_2_placeholder

Die Rolle, die die Festungen zu spielen haben, wenn Luftflotten mitwirken, ist eine ganz eigen­tümliche. Ich bin nämlich der Meinung, dass sich die Luftflotten garnicht um die Festungen bekümmern werden. Diese sind doch in erster Reihe dazu da, das Vordringen der feindlichen Armee zu hindern. Wenn man aber oben in der Luft ganz frei durch kann, so braucht man doch die Festungen nicht weiter zu berücksichtigen; der Feind wird doch am meisten geschädigt, wenn seine gros- sen Städte ruiniert werden. Das können aber die Festungen garnicht verhindern. Und deshalb sind sie überflüssig – sie können zu friedlichen Zwecken verwandt werden. Natürlich – viele Soldaten können sich in den Festungen verbergen. Aber wenn sie raus­kommen, sind sie den Lufttorpedos ausgesetzt. Sie dürften also nicht herauskommen. Nun liegt es aber klar auf der Hand, dass Soldaten, die zu Kriegszeiten sich garnicht zeigen dürfen, eigentlich mehr als überflüssig sind. Und somit ist ein Festungskrieg beim besten Willen garnicht denkbar, wenn Luftflotten auf beiden Seiten da sind. Alle schweren Festungsgeschütze sind auch ganz überflüssig, da sie gar keine Gelegenheit haben dürften, in Funktion zu treten. Wer das bestreiten will, möge mir in klarer Form auseinander setzen, welche Aufgabe den Festungen im Luftdynamitkriege zufällt. Nach meiner Meinung – garkeine Aufgabe; man lässt sie einfach links liegen und kümmert sich nur dann um sie, wenn aus ihnen Soldaten heraus­kommen. D i e werden verfolgt, aber die Fe­stungen können ruhig liegen bleiben, wo sie ge­rade liegen.

ngg_shortcode_3_placeholder

3. Die Unmöglichkeit einer See­schlacht unter Mitwirkung von Luft­flotten. –

ngg_shortcode_4_placeholder

Der Kriegsminister Haidane sprach im engli­schen Unterhause auch über die Luftschiffahrt und meinte, dass für die Zwecke der Marine beim gegenwärtigen Stande der Wissenschaft wohl nur das starre System von wirklichem Wer­te sei. Wie sich der Kriegsminister diese Verwer­tung dachte, erfuhr man nicht. Ich hatte das Ge­fühl, dass er etwas verschweigen wollte. Den Drachenballon, der als Beobachtungsmittel schon bekannt ist und das Herannahen von Un­terseebooten signalisieren kann, Hess der Kriegs­minister ganz unberücksichtigt. Was wollte er mit dem starren System? Wenn dieses in Frage kommt, kann es nur zum Auswerfen von Dyna­mitbomben in Betracht kommen, und das wagte er Anfang August 1909 noch nicht zu sagen. Das ist durchaus verständlich und spricht für die Humanität der höheren Offiziere; man will auch nicht mit Anarchisten und Nihilisten auf dieselbe Stufe gestellt werden. Aber die Entwicklung des Luftmilitarismus geht ihren konsequenten Weg, ohne auf Huma­nität und Standesgefühl Rücksicht zu nehmen. Diese Entwicklung zwingt zum Dynamit­krieg. Und darum konnte ich schon am 6. Sep- tember 1909 im Berliner Tageblatt bei Erörte­rung der Luftschiffahrt in der Marine lesen: »In Zukunft wird auch das Abwerfen von Sprengmunition auf feindliche Schiffe in Frage kommen, sodass auch hier der Kampf in andere Bahnen, ähnlich wie beim Landkrieg, gelenkt werden muss und zum min­desten den moralischen Ein­druck stark erhöhen wird.« Der Verfasser nennt seinen Namen nicht, aber er wagt es doch, den Kern der Frage bloss-zulegen – das hat mich herzlich gefreut. Ueber den »moralischen« Eindruck war ich allerdings erstaunt – das Wort gebraucht man erst, wenn etwas »peinlich« ist. Sollten sich die Luftmilitärs moralisch gehoben fühlen, wenn sie mit ein paar Dynamitbomben ein paar Tausend Feinde ins Jenseits beförderten? Nun – ich werde mich nicht wundem, wenn man demnächst vom »hei­ligen« Dynamit spricht… Doch zur Sache! Wenns auch schwer fällt! Der Luftmilitarismus ist ohne Dynamit nicht denkbar. Haben wir erst Luftflotten, die auch längere Zeit über dem Meere bleiben können, so kann jede Seeflotte von einer Luftflotte in ein paar Stunden in den Grund gesprengt werden. Die Luftschiffe greifen eben einzeln – womöglich des Nachts – umgeben von sehr vielen Gleitflie­gern die Seeflotte von allen Seiten an und sen- den ihre von drahtloser Telegraphie gelenkten unbemannten Gleitflieger mit Torpedos den Schiffen in die Flanken. Dagegen kann sich die Seeflotte kaum wehren – die Ballonabwehrka­nonen werden immer nur wenig ausrichten. Es wäre ja wohl denkbar, dass sich die Schiffe auch oben durch Drahtnetze zu schützen versuchten – doch selbst dieser Drahtnetzschutz ist von Torpedos in jedem Falle sehr leicht zu zerstören. Die Seeschlacht ist somit, wenn Luftflotten mitwirken können, ein Unding. Und der Wert einer Seeflotte ist deshalb den Luftschiffen gegenüber gleich Null. Die Seeflotten rechnen im Zukunftsdyna­mitkriege nicht mehr mit, sind demnach als Kriegsinstrumente nicht mehr brauchbar und können baldigst aufgelöst werden. Es ist selbstverständlich, dass darüber ein Sturm der Entrüstung losbrechen wird. Aber das wird nicht viel helfen. Die Engländer sind ganz besonders zu bedauern. Aber – die Entwicklung des Luftmilitarismus zwingt eben zur Auflö­sung der Seeflotten, man mag dagegen sagen, was man will. Behält man sie, so werden nur sehr viele Menschenleben nutzlos geopfert, da es einfach unmöglich ist, die Seeschiffe gegen die tadellos treffenden Lufttorpedos zu schützen. Das muss schon jetzt gesagt werden – und zwar mit energischer Betonung – und es muss immer wieder wiederholt werden, damit die überflüssigen Ausgaben für die europäischen Meeresflotten baldigst eingeschränkt – und dann gänzlich eingestellt werden können.

ngg_shortcode_5_placeholder

4. Die Infanterie im Luftkriege.

ngg_shortcode_6_placeholder

Der neue Kriegsminister von Heeringen hat ge­sagt: »Wenn für das Luftschiffwesen besonders grosse Aufwendungen gemacht werden sollten, so würde dies dafür eine Einschränkung auf an­deren Gebieten der Militärverwaltung zur not­wendigen Folge haben, was natürlich nicht angeht.« Was natürlich nicht angeht! Ich möchte diesem Satze nichts hinzufügen. Aber – die Entwicklung des Luftmilitarismus ist leider nicht mehr zu hemmen; die Einschrän­kung auf anderen Gebieten der Militärverwal­tung wird trotz der Äusserung des Kriegsmini­sters in der allernächsten Zukunft vor sich gehen – besonders auch in der Infanterie, die im Luft­kriege eine gänzlich überflüssige Rolle spie­len würde. Zum Angriff ist die Infanterie ganz bestimmt nicht zu gebrauchen, denn die Schiffe der Luft- flotte sind hundert mal schneller und haben schon unsäglich viel zerstört, bevor die Infanterie zur Sammlung kommt. Auf dem Marsche und im Eisenbahnwagen ist die Infanterie ständig den Lufttorpedos preisgegeben- sie kann sich kaum wehren, denn die Kugeln der Gewehre tun ja den Ballons keinen Schaden, und Gleitflieger sind so zahlreich, dass ein paar runterfallende nichts bedeuten. Ausserdem wird man giftige Gasbomben zur Bekämpfung der Infanterie verwenden. Und dann müssen wir es auch als feststehend be­trachten, dass die Gleitflieger bald sehr hoch fliegen werden. Zur Verteidigung ist die Infanterie auch nicht zu gebrauchen – was sollen sie denn ver­teidigen? Die festen Punkte – die Festungen -haben ja keinen Wert, da sie ja den »fliegenden« Feind nicht im Vorwärtsdringen hindern. Und die Städte können durch Infanterie gegen Luft­schiffe schlechterdings nicht geschützt werden. Somit ist die übermäßig grosse Zahl von Fuss-truppen im Luftkriege nur eine überflüssige Last, der garkeine militärische Aufgaben zu Teil wer­den. Die Infanterie ist deswegen schon jetzt er­heblich zu verringern, wodurch grosse Erspar­nisse erzielt werden, die für die Luftflotte Ver­wendung finden können. Dass die einzelnen Luftschiffe gegen feindli­che Angriffe mit Hilfe feindlicher Luftschiffe ge­schützt werden müssen, das versteht sich von selbst – dafür müssen aber Gleitfliegertruppen ausgebildet werden – Infanterie nützt g a r -nichts. Auch dieses muss immer wieder wiederholt werden; die Militärschriftsteller werden sich alle erdenkliche Mühe geben, die Notwendigkeit der Infanterie auch im Luftkriege zu beweisen. Der Beweis wird ihnen aber nicht gelingen, und mit kecken »Behauptungen« werden sie nur errei­chen, dass man ihnen jede Autorität abspricht und ihr »fachmännisches« Urteil für minderwer­tig erklärt. Es ist sehr schwer, sich vor der Öffent­lichkeit die Würde einer Autorität zu bewahren; nur sachliche Begründungen haben eine Wucht – der Witz vermag gewöhnlich auch nicht viel beim grossen Publikum…

ngg_shortcode_7_placeholder

5. Die Artillerie im Luftkriege.

ngg_shortcode_8_placeholder

Da die Schusswaffen als Kriegsinstrumente durch die lenkbaren Luftschiffe ihre Bedeutung vollkommen verloren haben, so wird man auch die Kanonen als beinahe wertlos bezeichnen müssen; sie kämen nur dann in Betracht, wenn man mit ihnen den Luftschiffen und Gleitfliegern gefährlich werden könnte. Die Ballonabwehrka- nonen haben aber gezeigt, das es sehr schwer ist, einen fliegenden Ballon zu treffen -der wird auch immer so schnell sein Dynamit runterwerfen, dass die Abwehrkanonen selten rechtzeitig eingreifen dürften. Es müssten sehr viele Abwehrkanonen her­gestellt werden, um ein Land zu schützen, da ja die Kanonen nicht so schnell dorthin befördert werden können, wo sie grade nötig sind. Nachts können sie natürlich nichts ausrichten. Es fragt sich sehr, ob es sich lohnen wird, viele Abwehrkanonen herzustellen. Das ist doch eine sehr kostspielige Sache – Gleitflieger zur Be­kämpfung der Ballons sind viel billiger – auch wenn Tausende davon nötig wären. Die Artillerie hätte immerhin eine allerdings beschränkte »Existenzberechtigung.« Ob sie praktisch von grossem Werte sein könnte, lässt sich nicht so leicht entscheiden. Es ist sehr mög­lich, dass die Entwicklung des Luftmilitarismus auch dahin führt, die Abwehrkanonen für un­praktisch zu erklären. Jedenfalls sind die bislang gebräuchlichen Kanonen im Luftkriege bedeutungslos – das muss ebenfalls immer wieder betont werden, damit nicht noch weitere unnütze Ausgaben für veraltete militärische Einrichtungen entstehen.

ngg_shortcode_9_placeholder

6. Die Kavallerie im Luftkriege.

ngg_shortcode_10_placeholder

Die Reiterei ist bereits heute ohne den gering­sten Wert. Dieser Erkenntnis werden sich die denkenden Militaristen »bald« nicht mehr ver-schliessen. Allerdings – es geht langsam mit der Erkenntnis. Schon der Fesselballon war zu Auf­klärungszwecken so vorzüglich, dass die Reiterei überflüssig erschien. Nach Einführung der Lenk­baren aber weiss man wirklich nicht mehr, wozu die Reiter da sein sollen. Es gab einmal eine Zeit, in der man viel davon sprach, wie viel eine Schlacht durch ei­nen Reiterangriff gewinnt: gleich wird eine neue Situation geschaffen, die Attacke bringt Verwir­rung hervor usw. usw. Heute brauchen wir von diesen schönen Auseinandersetzungen nicht mehr Notiz zu neh­men. Der Luftkrieg entwickelt sich ein wenig ra­scher als der alte Krieg mit Kanonen und Reiter­ei. Ob aber die Militaristen »bald« die Nutzlo­sigkeit der Pferde einsehen werden? Man muss das leider bezweifeln. Der militä­rische Mitarbeiter, der, ohne seinen Namen zu nennen, für das Berliner Tageblatt schreibt, sagt wörtlich: »Die Leistungen einer günstigen Ballonbe­obachtung im Verhältnis zu den eingehenden Meldungen der Kavallerie sind derartig, dass eben der Erkunder im Ballon das Gesamtbild des Gefechtes sieht und dem Führer in kurzer Zeit einen entsprechenden zusammenhängen­den Bericht erstatten kann, während die Kaval­lerie nur Gefechtsstreifen, unzusammenhän­gend, nacheinander und womöglich noch ver­spätet melden kann. Immerhin wird die Kavallerie stets noch un­ser wichtigstes Aufklärungs­organ bleiben müssen, auch wenn die Vorteile der Ballons noch so grosse sind.« Ich verstehe nicht, wie man es fertig bringen kann, derartig unlogische Sätze zu schreiben. Wenn der Ballon besser zur Aufklä­rung ist als die Reiterei, so kann diese doch nicht das wichtigste Aufklärungsorgan bleiben. Ich nehme zu Gunsten des Verfassers an, dass er sehr wohl weiss, dass die Reiterei heu­te schon total wertlos ist – dass er das aber nicht sagen will, um sich nicht in Ungelegenhei-ten zu bringen. In dem Tone darf es aber nicht so einfach weiter gehen. Das geht nicht. Die Militärschrift­steller verlieren ihr Renommee, wenn sie Dinge sagen, die jeder Laie als falsch bezeichnen muss. Wenn die Herren für Zeitungen schreiben, so schreiben sie eben auch für Laien. Und diese Laien bezahlen den Militärschriftstellerarismus dingeurch ihre Steuern. Die Laien haben somit eine Berechti­gung, sich danach zu erkundigen, ob ihr Geld nutzlos zum Fenster hinausgeworfen wird. Das geschieht aber, wenn man die Reiterei nicht ab­schafft. Die Pferde kosten mehr als die Menschen. Und wenn man auch die Pferde für die schön­sten Tiere der Erde halten muss – ich halte sie sogar für köstlicher als die Menschen – so darf man doch dieser köstlichen Pfefdekörperformen wegen nicht unzählige Millionen opfern – es ge­nügt doch, wenn wir Rennpferde und Zirkus­pferde haben. Wenn die europäischen Staaten die Kaval­lerie abschaffen, so braucht nicht mehr so viel Hafer angepflanzt zu werden – auch viele Wie­sen sind dann nicht mehr nötig – können für den Ackerbau da sein – die sozialen Verhältnisse werden ganz erheblich gebessert, wenn die Ka­vallerieregimenter verschwinden. Bebel schrieb ein Buch »Die Frau und der Sozialismus« – er sollte demnächst auch ein Buch schreiben: »Das Pferd und der Sozialismus.« Mit Vergnügen wür­de ich in dem Buche lesen…

ngg_shortcode_11_placeholder

7. Die gänzlich nutzlosen Untersee­boote.

ngg_shortcode_12_placeholder

Die Unterseeboote sind von der Ballongondel aus heute schon sehr leicht zu entdecken – auch wenn sie unter dem Wasser fahren. Aber – auch wenn sie nicht zu entdecken wären, so wären sie doch nutzlos, da man ja, wenn Luftflotten da sind, keine Seeflotten mehr zu beschützen oder anzugreifen hat. Man kann somit fragen: was sollen die Un­terseeboote während eines Luftkrieges? Sollen sie Kauffahrteischiffe und Personendampfer in Grund und Boden rennen? Wenn das gesche­hen soll, so besorgen das die Lenkbaren und Gleitflieger mit ihren Lufttorpedos viel schneller und sichrer. Man kann also den Bau von Unterseeboo­ten gleichfalls unterlassen. Als Kriegsin­strumente gehören sie zum alten Eisen. Leider muss ich gestehen, dass man das nicht wird einsehen w o 11 e n . Es wäre nötig, in agitatorischer Form immer wieder die Nutzlosig­keit der Unterseeboote den Kriegsverwaltungen so lange vorzupredigen, bis die Sache zum all­gemeinen Gesprächsstoff wird. Die Franzosen müssten ganz besonders darauf aufmerksam gemacht werden. Die Sache müsste im französi­schen Parlament zur Sprache kommen, damit auch der französische Steuerzahler erfährt, dass das Geld für die teuren Unterseeboote ganz nutzlos vergeudet wird…

ngg_shortcode_13_placeholder

8. Die Verwertung der Festungen und Kriegsschiffe im Dienste der friedli­chen Kulturentwicklung.

ngg_shortcode_14_placeholder

Bei diesen ausserordentlich kriegerischen Be­trachtungen muss ich mir aber eine kleine Erho­lung gönnen. Und der Leser wird wohl auch ein wenig aufatmen, wenn jetzt ein paar friedliche Zeilen kommen. Man kann nicht immerzu vom Kriege reden, sonst vergisst man schliesslich, dass der Mensch noch zu andern Dingen und nicht nur zu Kriegszwecken da ist. Da die Festungen nun veraltet sind, emp­fiehlt es sich, über ihre Verwertung nachzuden­ken. Ich bin nicht für Umreissen der Festungsan­lagen – sie stellen eine vorzügliche Terrainarchi­tektur dar. Durch Terrassen und grosse Trep­penanlagen lassen sich die Festungen leicht in imposante Baulichkeiten umwandeln, wenn man sie durch herrliche Staatsgebäude krönt. Es ist aber nicht nötig, auf allen Festungsanla­gen Staatsgebäude zu errichten – man kann auch prächtige Restaurants und Hotels auf ih­nen erbauen – und man kann sie auch in einen Stadtpark verwandeln und die glatten, schrägen Rasenflächen durch Blumenbeete ornamental beleben. Ich glaube, dass die Architekten diese Anre­gung freudig begrüssen werden. Ob die Kriegsschiffe sämtlich als Personen­dampfer zu verwerten sind? Fast möchte ichs glauben. Selbst die Torpedoboote würden doch wohl als Personendampfer viele Freunde finden. Jede noch so böse Sache hat eben auch ih­re gute Seite – Festungen und Kriegsschiffe im Dienste der friedlichen Kultur sind doch immer­hin erfreuliche Dinge, die wir nicht als solche be­grüssen könnten, wenn die Militaristen der Ver­gangenheit nicht daran gearbeitet hätten.

ngg_shortcode_15_placeholder

9. Kanonen, Pferde, Flinten, Säbel, Uniformen und die Kriegsmuseen der Zukunft.

ngg_shortcode_16_placeholder

Wenn man müde wird, beschäftigt man sich mit Dingen, die bei nüchterner Betrachtung sehr gleichgültig erscheinen. Und so ist es gekom­men, dass ich mir auch über die Zukunft der überflüssigen Kanonen den Kopf zerbrochen habe. Was soll man mit diesen höchst kostspie­ligen und höchst überflüssigen Gegenständen anfangen? Bei Volksfesten würden sie vielleicht zum Abschiessen von Freudenschüssen vom Janhagel mit grossem Hailoh empfangen wer­den. Aber was geht uns der Janhagel an? Ich möchte nicht sagen, was ich weiter über die Kanonen gedacht habe. Diese Flugschrift soll ja nicht ein Witzblatt sein. Anfänglich wollte ich die ganze Militaristentragödie in einem neu zu begründenden Witzblatt »bearbeiten.« Aber – mir ist bei eingehender Beschäftigung mit dem fata­len Gegenstande der Humor ausgegangen – ich sehe zumeist nur noch alles schwarz – und ver­mag helle, erfreuliche Stellen in diesem »Kulturgemälde« nicht oft zu entdecken. Die Dy­namitspässe kommen mir einfach peinlich vor. Mit den schönen überflüssigen Pferden wird man leider nicht viele Umstände machen. Das tut mir herzlich leid, denn ich liebe die Pferde. Auch mein lieber Urgrossvater Jonathan Swift liebte die Pferde. Indessen – die Flinten sind für den Jäger -die Flinten sind nicht überflüssig. Die meisten Säbel und die meisten Unifor­men werden wohl in den Kriegsmuseen der Zu­kunft aufbewahrt werden – zum Andenken an die gute alte Zeit, in der man sich noch so freundlich nur mit Pulver und Blei ins Jenseits beförderte. Die Dynamit-Zukunft ist leider leider nicht so harmlos wie die gute alte Pulverzeit…

ngg_shortcode_17_placeholder

10. Der Militaristenkongress und die Umrüstung.

ngg_shortcode_18_placeholder

Es müsste in allernächster Zeit ein europäischer oder internationaler Militaristenkongress arran­giert werden. Ob er in Berlin, Paris oder in der Schweiz zusammenkommt, ist gänzlich gleichgil-tig. Nur lasse man gefälligst Holland und die Haager Konferenz aus dem Spiel. Es handelt sich keineswegs um eine Friedensangelegenheit. Es handelt sich um die Verschärfung der Kriegsinstrumente und um Auflösung der veral­teten Militärformationen. Nur nicht von Frieden reden! Das hat gar-keinen Zweck. Die U m rüstung ist zu erörtern, nicht die A b rüstung. Und die Parlamente der verschiedenen Regierungen haben dafür zu sorgen, dass der Kongress bald zu Stande kommt. Wenn sich überall der Luftmilitarismus mit unheimlicher Geschwindigkeit entwickelt, so können daneben doch nicht die veralteten Einrichtungen beste­hen bleiben. Nur die Militaristen können erklären, in welcher Art die Auflösung der veralteten Organi­sationen zu erfolgen hat. Die Verhandlungen des Militaristen-Kongresses müssen ganz öffent­lich sein, und der stenographische Bericht muss jedem Steuerzahler zugänglich sein, damit er sich klar darüber werden kann, ob die Milita­risten im Ernst an die Umrüstung herangehen oder nicht.

ngg_shortcode_19_placeholder

11. Das Ende des Antimilitarismus.

ngg_shortcode_20_placeholder

Der Antimilitarismus hat mit allen seinen huma­nen Reden nichts ausgerichtet. Die Entwicklung ist eben stärker als das Gerede der Menschen. Und das sollten die Kriegsfeinde jetzt ganz be­sonders fest im Auge behalten, da ihnen die Entwicklung des Luftmilitarismus allmählich klar werden dürfte. Sie habens garnicht mehr nötig, gegen den Krieg zu eifern; die lenkbaren Luft­vehikel haben mehr für die Friedensideen getan als alle Antimilitaristen zusammen. Der Antimili­tarismus hat garkeine Existenz-Berechtigung mehr; sein Ende ist da, das sollten die Friedens­freunde recht bald einsehen. Ihre Bemühungen sind ganz nutzlos. Man kann alles ruhig der Ent­wicklung des Luftmilitarismus überlassen; der wird uns Dynamitkriege bescheeren, und die werden derart wirken, dass man auf allen Seiten vor den Kriegen Angst bekommen wird. Man sollte deswegen auch nicht mit billigen Witzen den »veralteten« Militarismus überschüt­ten. Die Militaristen sind in einer so bedauerns­werten Verlegenheit, dass man nicht spotten sollte. Es ist ja freilich sehr lächerlich, dass für die Landheere, Festungen und Seeflotten so viele viele Milliarden einfach nutzlos weggewor­fen sind – aber warum darüber jetzt spotten, da alles sehr bald anders werden muss? Einen töt-lich getroffenen Feind bearbeitet man nicht zum Schlüsse noch mit Faustschlägen. Das ist unfein. Und darum sind alle Militärverhöhnungen jetzt, da die Umrüstung vor der Tür steht, auch nur unfein und nicht vereinbar mit einer noblen Ge­sinnung. Ich möchte wünschen, dass man diese meine Worte nicht vergisst.

ngg_shortcode_21_placeholder

12. Die Luftflotten im Kampfe gegen einander.

ngg_shortcode_22_placeholder

Man hört und liest öfters, dass man sich über die weitere Entwicklung des Luftmilitarismus heute noch keine klaren Vorstellungen machen kann. Jawohl – wenn man zu faul ist, darüber nachzu­denken, so wird Einem alles sehr unklar bleiben. Man kann aber darüber nachdenken, und dann kommt man rasch zu Resultaten. Lächerlich wäre es, wenn mehrere Luftschiffe neben- oder hintereinander ins feindliche Land hineinfahren wollten. Nein – sie müssen einzeln von al­len Seiten kommen – umgeben von vielen Gleit­fliegern, die die Gleitflieger des Feindes anzu­greifen haben oder deren Luftballons. Sodann besteht aber die ganze Zukunftskriegskunst nur im Dynamitauswerfen und im Absenden der lenkbaren Torpedos. Selbstverständlich ruiniert man zuerst die grossen Städte des Feindes. Bei derartiger Kriegführung kann natürlich der kleinste Staat auch dem allergrössten sehr gefährlich werden. Fällt es den Serben mal ein, die Oesterreicher anzugreifen, so brauchen sie nur drei Lenkbare mit 300 Zentner Dynamit nach Wien schicken – dort werden die 300 Zent­ner nachts ausgeworfen – und Wien ist ein Trümmerhaufen; der Stephansturm wird nicht stehen bleiben. Das Allerschlimmste bei diesen Dyamitkrie-gen ist aber das Folgende: die Ballons werden ganz bestimmt nicht die Nationalfarben zeigen, die Uniformierung wird man unterlassen – und so wird man niemals schnell feststellen können, ob ein feindliches oder ein dem eigenen Staate gehöriges Luftvehikel ankommt. Signale wird ja jeder Staat verabreden -aber nachts und bei schlechtem Wetter sind sie nicht leicht bemerkbar zu machen. Und – es ist doch sehr leicht möglich, dass der Feind die Si­gnale kennen lernt. Hier geht vieles gegen das Völkerrecht. Aber – die Führer in einem Dyna­mitkriege, der doch das Brutalste in der ganzen Welt isf, sollten Rücksichten auf das Völkerrecht nehmen? Das wäre lächerlich. Die brutalen Na- turen pfeifen auf das Völkerrecht in allen Tonar­ten.

ngg_shortcode_23_placeholder

13. Dynamitkrieg und Revolution.

ngg_shortcode_24_placeholder

Der Oberst S. A. Cody schreibt: »Es liegt etwas unbeschreiblich Seltsames und zugleich Belustigendes in der Wahrneh­mung, wie die auf der Erde Wandelnden völlig unvermögend sind, etwas gegen die schweben­den Riesenvögel zu unternehmen, die über ihren Häuptern ihre Kreise ziehen. Man muss einmal die Erregung durchgemacht haben, eine mit Mannschaften besetzte Flugmaschine über sei­nem Haupt hinziehen zu sehen, um innerlich zu fühlen, wie gross die Macht des die Luft beherr­schenden Fliegers ist. Er hält Leben und Tod in seiner Hand, und die unter ihm sind ganz und gar in seine Gewalt gegeben. Diese Vorstellung legt auch den Gedanken nahe, was der Flugapparat einmal den Anarchi­sten, Nihilisten und anderen Menschen dieser Art bedeuten kann. Die Luchsaugen der Polizei mögen unaufhörlich auf das Treiben dieser Gruppen gerichtet sein, wer aber will sie über­wachen, wenn sie ihre tötlichen Geschosse aus den Höhen schleudern, die bald mit Flugma­schinen erreichbar sein werden?« Diese Zeilen beleuchten das Verhältnis des Dynamitkrieges zur Revolution in vollkommener Weise. Ich finde nur nichts Belustigendes darin -ganz im Gegenteil! Diese vollständige Wertlo­sigkeit frechen Kulturvernichtern gegenüber er­scheint mir das Entsetzlichste in der ganzen Menschheitsgeschichte zu sein. Ich erkläre feier­lich, dass mir durch die Erkenntnis dieser unge­heuerlichen Möglichkeiten tatsächlich der Hu­mor vergangen ist. Ich verstehe es einfach nicht, wie man dabei noch etwas Belustigendes finden kann – diese Ohnmacht des Menschen Verbre­chern gegenüber ist beschämend und entsetzlich zugleich. Alles – was der Mensch geschaffen hat, kann von Menschenhänden kurz und klein ge­schlagen werden – in ein paar Sekunden. Diese Erkenntnis kann uns schwermütig machen. Das ist die böse Kehrseite der glänzenden Erfindung, die man »Eroberung der Luft« genannt hat.

ngg_shortcode_25_placeholder

14. Luftschiffahrt und Jubelfeste.

ngg_shortcode_26_placeholder

Jubelfeste! Nach dem soeben Gesagten brauche ich wohl kaum hinzufügen, dass wir eigentlich we­nig Veranlassung haben, den Lenkbaren in der Luft mit Begeisterung zuzujubeln. Freilich – die Auflösung des veralteten Pulver- und Blei-Mili­tarismus wird den Menschen den grössten Teil ein anderes Leiden: Dynamitkrieg und Revolu­tion von oben! Man sollte vorsichtiger mit dem Festefeiern sein. Dem oberflächlichen Blick kommt alles so nett vor – und nachher bemerkt man, dass im Kern der Sache ein fürchterliches Gift steckt. Das ist nicht belustigend.

ngg_shortcode_27_placeholder

15. Frankreich, Deutschland und die vereinigten Staaten von Europa.

ngg_shortcode_28_placeholder

An den grossen Völkerfrieden glaube ich nicht. Wohl aber glaube ich daran, dass man in Eu­ropa Frieden herstellen kann. Und man wird es tun, denn ein Dynamitkrieg zwischen europäi­schen Kulturnationen sieht wie ein Völkerver­brechen aus. Es ist einfach haarsträubend, wenn man sich die Wirkungen eines solchen Krieges ausmalt. Und es ist ekelerregend. Das werden auch ganz sicherlich die meisten europäischen Offiziere empfinden und ganz einfach erklären, dass sie bei derartigem Kriegsspiel nicht dabei sein wollen. Man wird plötzlich das ganze Kriegshandwerk verabscheuen – davon bin ich fest überzeugt. Aber leider wird auch durch diesen Ab­scheu die Möglichkeit eines Krieges noch nicht aus der Welt geschafft – leider! Die aussereuropäischen Staaten sind zu­meist nicht so zart besaitet, um alles Kriegerische so ohne Weiteres an den Nagel zu hängen. Und darum hat sich Europa seiner Haut zu wehren. Wenn sich Frankreich und Deutschland in mili­tärischer Beziehung vereinen, so werden die an­deren Staaten bald diesem Waffenbunde beitre­ten. Die kleineren Staaten kann man sogar dazu zwingen. Die vereinigten Staaten von Europa bildeten Jahrhunderte hindurch eine vielbelä­chelte Utopie. Dem Dynamitkriege gegenüber bekommt diese Utopie einen durchaus realisier­baren Boden – dem die lächerliche Seite bald fehlen wird.

ngg_shortcode_29_placeholder

16. Die Entlastung der Militärverwal­tungen durch die Luftfahrzeuge der Privatleute.

ngg_shortcode_30_placeholder

Es ist übrigens ein grosser Irrtum, wenn man sich die Luftflotten so denkt wie die Seeflotten. Auf dem Meere konnte man tatsächlich nicht aus jedem Personendampfer gleich einen Kriegsdampfer machen. Anders aber ist es in der Luft. Da ist jedes Privatluftschiff ohne weiteres in ein Kriegsluft­schiff zu verwandeln; man braucht ja nur Dy­namit raufzupacken. Die Luftfahrzeuge der Privatleute sind somit im Luftkriege ohne Schwierigkeiten zu verwen­den. Dadurch werden die Militärverwaltungen ganz erheblich entlastet. Und die Steuerzahler können sich vergnügt die Hände reiben; man wird ihnen sehr bald die Lebensmittel billiger machen.

Index: Bücher – DIE ENTWICKLUNG DES LUFTMILITARISMUS

alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 06-01-2023</span