Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß

Paul Scheerbart

Bücher


Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß

Ein Damenroman
1914

ngg_shortcode_0_placeholderBei Chikago am Michigansee hatten amerikanische Bildhauer und Kunstgewerbler eine Ausstellung arrangiert. Aber es gab nur Silberarbeiten zu sehen. Es war um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und der Architekt Edgar Krug hatte die Ausstellungshallen erbaut – aus Glas und Eisen. Es war der Eröffnungstag, und lebhaft gestikulierend führte der Architekt seinen Freund, den Rechtsanwalt Walter Löwe, in den riesigen Hallen umher und machte ihn auf die Feinheiten der Architektur und Ornamentik aufmerksam.
Die kolossalen Wände bestanden ganz aus farbigem Glas – mit farbigem Ornament, so daß das Tageslicht sehr gedämpft in den Innenraum hineinströmte. Draußen regnete es. Die Sonne schien also nicht. Trotzdem leuchteten die Farben des Glases sehr heftig. Herr Edgar Krug sagte leise:
»Grade die Silberplastik hebt sich famos von den ganz bunten Glaswänden ab. Einen besseren Rahmen konnte diese Menge von Silberkunst gar nicht bekommen, nicht wahr?«
»Ich fürchte nur«, versetzte Herr Löwe, »daß der Rahmen als zu groß empfunden werden wird. Man hat die Empfindung, daß nicht sehr viele Silberarbeiten da sind; in den Riesenhallen verschwinden sie beinahe. Du sprachst von einer Menge; das Wort wirkt komisch auf mich.«
»Verzeih«, versetzte der Architekt, »es sind fast hunderttausend Nummern.«
»Zu wenig!« rief laut der Rechtsanwalt, »Deine bunt ornamentierten Glaswände ziehen alle Augen am meisten an. Sieh Dich doch nur um: alle Welt bewundert Deine Glaswände. Aber auf die Silberarbeiten achtet kein Mensch. Du hast die Silberplastik übertrumpft. Ich gratuliere Dir.«
»Leise! Leise!« flüsterte der Architekt, »es könnten ja Bildhauer in der Nähe sein.«
Sie befanden sich auf einem großen »Damm«, der hoch in der Mitte des größten Saales emporragte und ziemlich breit war. Auf diesem sogenannten Damm standen die größten Silberarbeiten – plastische Arbeiten. Die Wände lagen sehr weit ab vom Damm. Die Halle wirkte hier sehr groß – und die Silberarbeit wirkte sehr klein – schrecklich klein. Es wurde tatsächlich allgemein geäußert, daß der bunte Glasrahmen ein wenig groß geraten wäre – doch das kam keinem Menschen beklagenswert vor – selbst die Bildhauer waren ganz entzückt von dem bunten Glasrahmen – und sie sagten das auch dem Architekten. Der freute sich sehr über jedes Kompliment.
Als nun um die Mittagszeit die Sonne draußen sichtbar wurde, da gab es in den Ausstellungshallen einen kleinen Tumult, denn durch die Sonne wurde die Farbenpracht der Glasornamente so gesteigert, daß man gar nicht die Worte fand, um dieses Farbenwunder richtig zu preisen; viele Besucher riefen immer wieder: Entzückend! Wundervoll! Herrlich! Unvergleichlich!
Diese und ähnliche Worte wirkten nun auf das Ohr der Bessergebildeten schließlich recht unangenehm, da die Bewunderungsworte immerzu wiederholt wurden; glücklicherweise hörte die Bewunderung bald wieder auf, da sich draußen die Sonne nochmals hinter Wolken verkroch – und nichts von ihr zu sehen blieb.
Am einen Ende des langen »Dammes«, der eigentlich ein vierstöckiges Haus in der Mitte der Glashalle war, hing ein langer grauer einfarbiger Faltenvorhang. Der wurde jetzt auseinandergezogen, und man sah eine Riesenorgel – auch ganz in Grau gehalten mit etwas Gold in den vielen Balkonleisten, die in feinen geschweiften Kurven das ganze Orgelwerk wie mit einem Netz überstrickten, so daß die Orgel als solche gar nicht zur Geltung kam.
Eine sehr zarte Orgelmusik begann.
Und viele Besucher setzten sich oben auf dem Damm in die Nischen und hörten zu, andre fuhren mit dem Fahrstuhl in die unteren Stockwerke, da die Orgel bald stärker brauste und unten nicht zu laut zu hören war.
Nach dem ersten Satz gab es eine Pause, und Herr Walter Löwe stellte dem Architekten eine Dame vor: Miß Amanda Schmidt aus Chikago.
Diese Dame machte auf den Architekten nicht einen angenehmen Eindruck; sie trug ein dunkelviolettes Sammetkleid mit karminroten und chrysolithgrünen Aufschlägen und Schnüren.
Herr Edgar Krug sagte leise zum Rechtsanwalt:
»Eigentlich habe ich hier ganz allein in Farben zu sprechen. Die Damen sollten diskreter in ihren Kostümen sein – aus Rücksicht auf meine Glasfenster.«
»Dein Ruhm«, versetzte der Rechtsanwalt, »hat Dich ein wenig anspruchsvoll gemacht; Du solltest Deine Herrschgelüste ein wenig zügeln.«
Hiernach dröhnten drei Paukenschläge durch den Raum. Und danach gab’s ein paar Chorgesänge auf den Balkons der Orgel; diese trat vor der menschlichen Stimme ganz zurück. Und danach dröhnten nochmals drei Paukenschläge. Und gleichzeitig flammte in allen Wänden das elektrische Licht auf.
Das war ein ungeheurer Effekt.
Und dazu brauste die Orgel so stürmische Rhythmen, daß unwillkürlich alle Besucher, die sich gesetzt hatten, aufsprangen – und in den großen Farbenzauber ganz geblendet hineinstarrten – und die machtvollen Töne der Orgel mit offenem Munde aufnahmen. Herr Walter Löwe machte Miß Schmidt darauf aufmerksam, daß fast alle Besucher den Mund aufrissen. Und die Dame lachte laut auf. Herr Krug sah ganz ernst aus.

ngg_shortcode_1_placeholder


ngg_shortcode_2_placeholderAls die Orgel wieder still war, flutete alles lachend und gestikulierend durcheinander.
Und die Drei fuhren in die unteren Etagen, wo die kleineren Silbersachen ausgestellt waren.
Hier gab’s Kabinetts, in denen man die großen Farbenfenster der Halle nicht sehen konnte – einfarbiges, sehr gedämpftes Licht leuchtete da in den Wänden und in den Säulen und in den großen Ampeln. Das Einfarbige beruhigte.
Die Silberplastik bevorzugte in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts das Flossenmotiv; die japanischen Schleierfische hatten wohl die Anregung gegeben, diesen Schleierfischen, einer Abart der bekannten Goldfische, hingen die Flossen wie wallende Gewänder vom Leibe.
Nun machte man aber den Kopf nicht fischartig – sondern man nahm andere Köpfe: Löwen-, Stier- und vor allem Menschenköpfe. Doch diese Köpfe wurden so umstilisiert, daß man die erste Anregung gar nicht mehr entdeckte. Doch wirkten diese kleinen Flossenungeheuer immer sehr graziös.
Herr Krug blieb vor einer dieser Kompositionen längere Zeit stehen und sagte schließlich:
»Hier weiß man nicht recht, ob der Kopf ein Löwenhaupt oder ein umgewandeltes Menschenhaupt sein soll. Jedenfalls sind die Bartpartien und die Augenbrauen auch wallende Flossen. Und die Seitenflossen umhüllen den ganzen Körper – mantelartig. Es sind aber viele Mäntel übereinander. Ja – das möchte ich ankaufen.«
»Sind Sie«, fragte Miß Amanda Schmidt, »so leicht zum Kaufe bereit? Da werden sich ja die Bildhauer sehr freuen. Ich dächte, Sie überlegen noch – und sehen erst mehr. Es gibt noch sehr viel bessere Kompositionen.«
Herr Krug jedoch sagte ein wenig scharf:
»Meine Gnädige, ich bin sehr selbständig. Und darum werde ich den Kauf gleich arrangieren.«
Er rief einen Diener.
Herr Walter Löwe lächelte.
Miß Amanda Schmidt sah ganz ernst aus. Fünf Minuten später prangte eine kleine Medaille mit dem Vermerk »Verkauft« an der feinen Silberarbeit.
Fünfhundert Dollars kostete die Kleinigkeit.
Das Stück mußte bis zum Ende der Ausstellung an seiner Stelle bleiben, was Herr Krug lebhaft bedauerte.
Miß Amanda reichte dem Architekten die Hand und sagte:
»Meinen besten Dank!«
»Wofür?« fragte Herr Krug.
»Ja«, versetzte die Dame, »Sie sind, da Sie heute einen so großen Erfolg gehabt haben, so zerstreut gewesen, daß sie sich noch nicht nach mir weiter erkundigten.«
Herr Walter lächelte abermals.
»Ja«, rief Herr Krug, »wie komme ich denn dazu, mich zu erkundigen? Das wäre doch verletzend.«
»Aber«, versetzte Miß Amanda, »Sie hätten jedenfalls gehört, daß ich auch ausgestellt habe; ich bin nämlich Bildhauerin – arbeite fast nur in Silberplastik.«
Herr Krug war peinlich berührt.
»Oh«, sagte er bedauernd, » da tut’s mir leid, daß ich Ihre Arbeiten nicht vorher angesehen habe.«
Der Rechtsanwalt wandte sich um und hielt das Taschentuch am Munde. Dann rief er lachend:
»Edgar, Du hast ja die schönste Arbeit von Miß Amanda bereits angekauft.«
Edgar stotterte was und begriff noch nicht. Da sagte Miß Amanda auf die gekaufte Arbeit deutend:
»Das hab‘ ich gemacht.«
Nun gab’s natürlich fünf Minuten lang ein großes Gelächter, viel Händegeschüttel, Entschuldigungen und Komplimente usw.
Aber Miß Amanda sprach schließlich ganz ernst:
»Sie waren noch nicht sehr liebenswürdig zu mir persönlich – nur zu meinem Werk. Die letztere Liebenswürdigkeit macht alles wieder gut. Aber dafür müssen Sie mir einen kleinen Gefallen tun und mit uns zusammen oben – ganz oben auf dem Turm zu Babel – Abendbrot essen. Die Gesellschaft meiner Freundin müssen Sie sich schon gefallen lassen – es ist Clara Weber, die Orgelspielerin. Hören Sie nur, sie spielt schon wieder.«
Alle Drei horchten.
Und Herr Krug war natürlich mit allem einverstanden. Man sah nach der Uhr, und Miß Amanda bemerkte, daß Fräulein Clara Weber erst in einer Stunde frei sei.
Die Herren waren etwas durstig.
Man trank in der Nähe etwas Selter mit Whiskey.
Dann jedoch schlug Herr Löwe vor, mit der Ausstellungsbahn draußen auf den Dächern des Ausstellungsgebäudes ein wenig herumzufahren.
Und man tat das.
Man benutzte ein paar Fahrstühle, fuhr erst nach unten und dann wieder nach oben. Und so kam man draußen auf ein großes Dachplateau, von dem aus kleine Wagen rund um die große Kuppel des runden Mittelpalastes herumfuhren.
Auf einem dieser Wagen fuhr auch der Architekt mit Miß Amanda und Herrn Löwe. Da überall Doppelwände waren, sah die Ausstellung von außen auch ganz bunt ornamentiert aus.
Und – von außen wirkten die Ausstellungshallen fast noch prächtiger als innen.
Man sah im Michigansee das ganz bunte Spiegelbild der Paläste; wie Kolibris, Libellen und Schmetterlinge zuckten die unzähligen Farben auf den bewegten Wellen des Sees. Dazu leuchtete der Vollmond. Und auch er spiegelte sich im Wasser.
Mehrere Aeroplane fuhren über den See – und ließen ihre bunten Scheinwerfer spielen.
»Ein sehr buntes Bild!« sagte Herr Krug. Und er zündete sich eine Zigarette an..

     ngg_shortcode_3_placeholder


Der Turm zu Babel stand in der Mitte des runden Palastes, auf dessen Dachrand die Drei soeben herumgefahren waren.
Der Turm zu Babel hatte dreißig Etagen und oben eine kreisrunde Plattform. In allen Etagen befanden sich Restaurationsräume. Oben auf der kreisrunden Plattform war’s am prächtigsten; auf allen Seiten sah man die bunten, elektrisch erleuchteten Glaswände. Und von der Decke herab hingen viele tausendfarbige Ampeln, die langsam runterkamen und dann wieder emporstiegen. Dazu verdunkelten sich stellenweise die Glaswände, und das Licht wurde immer wieder anders. Dieses Anderswerden des farbigen Lichtes ging aber so langsam und ruhig vor sich, daß es keineswegs beunruhigte.
Herr Krug wurde durch das Erscheinen von Fräulein Clara Weber heftig überrascht; die Dame trug nämlich ein einfaches graues Kleid – mit zehn Prozent weißer Spitzen dazu.
Herr Krug war gleich begeistert von diesem Kostüm und sagte das und bat wieder Miß Amanda sehr um Entschuldigung, daß er ihr buntes Kleid nicht herrlich finden könne, da es vor den Glaswänden nicht gut wirke – nach Herrn Krugs Meinung paßte zu Glaswänden nur ein graues Kostüm mit zehn Prozent Weiß.
Darüber sprach man natürlich sehr viel und die Vier wurden immer lebhafter.

Nach Schildkrötensuppe, Austern und Kaviar aßen die Vier Hecht grün mit der Grätenzange; der Fisch war vor einer halben Stunde am Michigansee gefangen worden und eine Delikatesse ersten Ranges.
Man aß bedächtig und sagte eine Weile gar nichts.
Da hob Herr Krug ein Stückchen Hechtleber hoch auf und bemerkte zu Fräulein Clara Weber:
»Meine Gnädigste, würden Sie wohl bereit sein, Ihr ganzes Leben hindurch nur graue Kostüme zu tragen – mit zehn Prozent Weiß?«
Er aß das Stückchen Hechtleber, und Miß Amanda flüsterte ganz leise:
»Das klingt ja fast wie ein Heiratsantrag.«
»Soll’s auch sein!« bemerkte der Architekt.
Fräulein Clara sagte ganz einfach:
»Ja!«
»Das finde ich«, sprach nun der Rechtsanwalt, »ein wenig kurz angebunden – und auch ein wenig leichtsinnig.«
»Warum? Warum?« riefen die Damen.
Der Rechtsanwalt räusperte sich, tat etwas wichtig und hielt dann folgende Rede:
»Meine Damen! Sie wissen offenbar noch nicht, was ein Ehekontrakt bedeutet. Ich aber weiß es, denn ich habe schon hundertfünfzig Ehescheidungsklagen geführt. Ich weiß, daß man bei der Formulierung eines Ehekontraktes nicht leichtsinnig sein darf. Mein Freund Edgar ist ein sehr reicher Mann. Er kann sich also den Luxus leisten, etwas leichtsinnig zu sein. Doch den Damen ist zu raten, nicht so einfach zu unterschreiben. Erst nachdenken! Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang.«
»Und deine Rede war auch sehr lang!« bemerkte Herr Edgar.
»Nun meinetwegen«, sprach der Rechtsanwalt, während er den Füllfederhalter und Papier hervorzog, »können wir auch sofort zur Tat schreiten. Dann gibt’s ganz bestimmt einen Prozeß, und ich erziele ein bedeutendes Honorar. Mir ist es auch ganz gleich, zu welcher Partei ich übergehe. Lieber Edgar! Du wünschest also die Kürze. Gut! Sehr gut! Graues Kostüm also! Sammet und Seide nicht ausgeschlossen?«
»Die sind«, versetzte Edgar, »in jedem Falle ausgeschlossen. Das Kostüm muß so sein, daß es eine buntfarbige Glaswand nicht übertönt. Das Kostüm muß zurücktreten vor der Architektur, darf dem Glase unter keinen Umständen Konkurrenz machen. Nur graues Tuch ist gestattet. Das hebt sich auch brillant vom Buntfarbigen ab, bildet zur bunten Glasarchitektur einen prächtigen Kontrast – und wird überall als wohltuende Zurückhaltung empfunden werden.«
»Ja«, fuhr nun der Rechtsanwalt fort, »sind nun alle Grautöne vom tiefsten Grau bis zum hellsten erlaubt?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Dann«, fuhr der Rechtsanwalt abermals fort, »wäre nur noch zehn Prozent Weiß näher zu definieren. Ist es gleich, ob das Weiß in Glacéhandschuh, Pelz, Spitze oder Leinwand besteht?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Sammet und Seide aber lehnst Du auch in Weiß ab, nicht wahr?«
»Ja!« klang’s abermals zurück.
Herr Krug arbeitete nervös mit der Grätenzange und nahm noch ein großes Stück Hecht.
»Nun«, hob Herr Walter Löwe wieder an, »ist noch Folgendes näher zu erörtern: sind die zehn Prozent en face zu nehmen oder von der Seite?«
Herr Krug zuckte nervös mit den Schultern und aß seinen Hecht.
»Du bist«, bemerkte sein Freund, »übellaunig, aber die Sache muß doch erörtert werden, es kommt auch noch die Rückseite in Betracht.«
Die Damen lächelten.
Herr Krug aber machte ein böses Gesicht und sah zornig den Herrn Löwe an und sprach: »Darauf wünschest Du doch keine Antwort, nicht wahr? Du wolltest nur Witze machen. Jedenfalls meine ich, daß sich immer zehn Prozent Weiß zeigen dürfen – die Stellung ist der Dame ganz und gar überlassen. Weitere Erörterung dieses Themas muß ich mir ganz ergebenst verbitten.«
»Entschuldige!« versetzte der Rechtsanwalt, während er eifrig schrieb, »dann kann gleich der Kontrakt fertig sein. Wenn noch etwas übersehen ist, so wäre das natürlich nur zum Vorteil Deiner Gegenpartei. Mir ist das auch recht.«
Der Turm zu Babel stieg wie ein Kegel empor, sodaß jedes höher gelegene Stockwerk immer ein wenig kleiner war als das unter ihm gelegene. Nun ertönte aus den tiefer gelegenen Stockwerken plötzlich eine zarte Geigenmusik empor – und – es war eine Walzermelodie.
Gleichzeitig erlöschte das Licht in den Glaswänden.
Und die Ampeln kamen alle von der Decke runter und bewegten sich nach dem Takte der Musik auf und ab – auf und ab.
Das sah sehr hübsch aus.
Und der ganze Turm zu Babel rief sehr vielstimmig »Bravo!«
Und man klatschte auch in die Hände.

ngg_shortcode_4_placeholder

Nach diesem Ampeltanz verschwanden die Ampeln in der Kuppel oben und erlöschten, so daß jetzt nur noch das Tischlicht im Turm zu Babel leuchtete.
Die Vier auf der obersten Turmplatte bestellten Kapaun, Kompotts und schwedische Schüsseln.
Man trank den besten Rheinwein.
Und Miß Amanda sprach bedächtig:
»Ich dächte, jetzt könnte das Brautpaar Brüderschaft trinken.«
Es geschah!
Und danach leuchteten in den Glaswänden die großen Scheinwerfer, so daß die Wände jetzt nur noch stückweise erleuchtet wurden. Die Scheinwerfer bewegten sich ganz langsam, so daß sich das Wandbild perpetuierlich veränderte.
Miß Amanda und Mr. Walter Löwe gratulierten dem Brautpaar. Herr Löwe las den Kontrakt vor.
Und man wurde nun sehr lebhaft und sprach über alles mögliche – und man rauchte.
Bei der zweiten Zigarre erblickten die beiden Herren einen graugekleideten Diener in respektvoller Entfernung; Herr Krug winkte ihm, und er meldete:
»Das Luftschiff liegt zur Fahrt bereit im großen Lufthafen auf dem Michigansee.«
»Dann müssen wir aufbrechen«, versetzte Herr Krug, »ich werde erwartet. Das Gepäck meiner Gemahlin kann morgen nachgesandt werden.«
»Wohin denn?« fragte die Gemahlin.
»Nach den Fidschiinseln in der Südsee. Ich baue da auch. Und meine Leute sind in sehr großer Verlegenheit.«
Also die Antwort des Architekten.
»Ja«, rief nun der Rechtsanwalt, »da müssen wir aber zunächst das Standesamt aufsuchen. Es ist hier im Hause ein Standesamt. Ich werde die Beamten zusammenrufen. In einer halben Stunde kann alles erledigt sein.«
Er erhob sich und ging hinaus.
Herr Krug bestellte noch ein paar Liköre und rauchte die dritte Zigarre.
Die Damen rauchten auch und sprachen von der Ausstellung: Miß Amanda erzählte lustig lachend von dem Silberankauf des Herrn Krug und bat Frau Krug, ihr sobald wie möglich zu telegraphieren.

ngg_shortcode_5_placeholder


ngg_shortcode_6_placeholderNach Erledigung der Standesamtsgeschichte bestieg Herr Krug mit seiner Gemahlin das Motorboot und fuhr zu seinem Luftschiff; Miß Amanda und Herr Löwe winkten den Abfahrenden noch lange mit den weißen Taschentüchern zu.
Opalisierend lagen die Glaspaläste da und spiegelten sich in den Fluten des Michigansees. Und Frau Krug machte große Augen, als sie die prächtigen Kabinetts der Luftschiffgondel sah: buntes Glas in allen Wänden und prächtige Balkons, von denen aus man in die Tiefe und zum Sternenhimmel blicken konnte.

ngg_shortcode_7_placeholder

Herr Löwe ging mit Miß Amanda Schmidt zu Fuß der Stadt zu; sie drehten sich öfters um und sahen zum bunt erleuchteten Luftschiffhafen, der nicht weitab mitten im Michigansee lag.
Und da sahen sie auch das Luftschiff des Herrn Edgar Krug aufsteigen, und sie blieben stehen. Und Herr Krug ließ seine Scheinwerfer spielen – in der damals allen Menschen bekannten Signalsprache.
Herr Krug sagte mit Scheinwerfern:
»Die Energie der Menschen scheint mir doch unterschätzt zu sein.«
Miß Amanda lachte, daß es durch die laue Nachtluft schallte, Herr Löwe lachte ebenso laut.
»Auch ein Abschiedsgruß!« sagte Miß Amanda.
Der Rechtsanwalt aber sprach feierlich:
»Das knüpft an das Gespräch an, das wir führten, bevor wir Sie trafen, gnädige Frau! Edgar ist ja sehr kurz angebunden und sehr schroff zuweilen, doch man gewöhnt sich bald an diese Art. Als reicher Mann kann er sich ja immer was erlauben. Und – nicht bestreiten darf man, daß Edgar sehr energisch ist. Nebenbei auch ein vortrefflicher Geschäftsmann. Wir sprachen übrigens über Energie und Bequemlichkeit. Ich war für diese, doch da hätten Sie hören sollen, was er alles hervorstrudelte; die Zeit am Anfange unsres Jahrhunderts strich er raus – aber mit Worten, die fast wie Anbetung der Energie klangen. Wie Edgar die ersten Flugversuche mit den Aeroplanen verherrlichte! Er kennt die Entwicklung ganz genau, er kennt auch alle die Namen von denen, die im Aeroplan ihr Leben ließen. Wenn man Edgar so begeistert hat reden gehört, so verzeiht man ihm manche Schroffheit. Sie werden sich, gnädige Frau, gewiß heute Abend gewundert haben, daß ich mir von Edgar so viel gefallen ließ. Aber Edgar ist ein begeisterter Fanatiker, das erklärt alles. Wer so ehrlich die Energie der Andern anerkennt und selbst in sich immer größere Energie zu erzeugen vermag, der darf nicht schroffer Worte wegen gleich angegriffen oder gemieden werden.«
»Sehr interessant«, erwiderte Miß Amanda, während sich beide schon den Wolkenkratzern der City näherten, »was Sie mir da erzählen. Sie haben mir ein paar Dutzend Fragen, die ich stellen wollte, schon beantwortet, bevor ich die Frage aussprach. Nur noch eine Frage: halten Sie diese Heirat auch für eine Sache, die zum Teil aus Geschäftsinteressen arrangiert worden ist?«
»Diese Frage«, versetzte Herr Löwe langsam, »läßt sich wohl nicht so leicht beantworten. Ihre Freundin, Miß Clara Weber – jetzige Frau Krug – machte auf mich einen sehr raschen heftigen hitzigen Eindruck. Die Dame hat zweifellos Temperament. Und darum suchte ich umzustimmen. Es gelang mir nicht. Nun glaube ich, daß das eine friedliche Ehe nicht so leicht geben wird. Aber – geschäftliche Interessen? Wie meinen Sie das, gnädige Frau?«
Miß Amanda zog ihre Zigarettendose vor, und sie rauchten beide.
»Ich dachte«, meinte sie leise, »diese Kostümgeschichte mit den zehn Prozent Weiß könnte man beinahe geschäftlich nennen.«
»Oh«, versetzte der Rechtsanwalt, »da wollen wir nicht zu schnell urteilen. Aesthetische Rücksichten sind noch keine geschäftliche. Immerhin – Edgar könnte sich momentan einreden, er hätte sehr geschäftlich auf dem Turm zu Babel gehandelt. Und es könnte doch nicht wahr sein. Außerdem – zur Reklame dient das graue Tuch doch nicht. Vielleicht hat er sich blos durch das jähe Temperament hinreißen lassen. Vielleicht! Dann wäre gar nichts an dieser raschen Verbindung geschäftlich.«
»Vielleicht!« sagte Miß Amanda.
Dann schwiegen sie eine Weile.
Und sie trennten sich bald; Miß Amanda wohnte in einem Wolkenkratzeratelier.
Als sie mit dem Fahrstuhl nach oben fuhr, sagte die Dame noch öfters:
»Vielleicht!«
Oben war die Aussicht herrlich, der Vollmond glitzerte auf dem Michigansee.

ngg_shortcode_8_placeholder


Auf einer der britischen Fidschiinseln sollte Herr Krug ein Erholungsheim für ältere Luftchauffeure bauen.
Auf einer nicht sehr umfangreichen Landzunge sollte gebaut werden. Zwölf riesige Transportdampfer hatten das Glasmaterial herbeigeschafft; die Dampfer lagen noch neben der Landzunge. Für Transportzwecke fanden die Dampfer immer noch Verwendung.
Herr Krug fand zunächst, daß die Landzunge allein nicht bebaut werden dürfe – es müsse noch ein größeres Stück von der Insel dem Baugrunde angefügt werden.
»Und die Baubuden sind«, fuhr er fort, »obgleich sie alle aus Glas sind, doch nicht geeignet, einer Dame als Wohnsitz zu dienen. Wir müssen gleich ein Extrahaus für meine Frau bauen.«
Frau Clara befand sich noch in der Luftschiffgondel; sie erhielt gleich darauf von ihrem Gatten das folgende Telegramm:
»Liebe Clara, leider kann ich Dich nicht bitten, hinunterzukommen. Hier ist noch kein vernünftiges Haus für Dich da. Ich lasse sofort das Nötigste zusammenbauen. Telegraphiere doch währenddem an Miß Schmidt und füge einen Gruß von mir bei; auch Herrn Löwe lasse ich grüßen. Schildere das Bauterrain. Du kannst es ja von oben aus gut übersehen. Sieh nur zu, daß die Kühlapparate gut bedient werden. Ihr könnt auch eine Spazierfahrt über den Fidschiinseln unternehmen. Auf Wiedersehen morgen Abend. Dann ist hier alles fertig. Dein Edgar.«
Dieses Telegramm legte Frau Clara in eine große Emailkassette, und dann telegraphierte sie an Miß Amanda Schmidt das Nachstehende:
»Liebe Amanda! In viermal vierundzwanzig Stunden sind wir hier angelangt. Es war eine herrliche Fahrt. Über Honolulu gerieten wir in einen Orkan, der war aber nicht konträr; er führte uns mit rasender Geschwindigkeit weiter, so daß wir schneller über den Fidschiinseln ankamen, als Edgar dachte. Diese Hochzeitsreise wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Ich bin an den großen Luxus noch gar nicht gewöhnt; drei ältere Frauen sind allein für meine Bedienung da. Edgar ist unten und baut für mich ein neues Haus. Ich bleibe solange auf dem Balkon meiner Kajüte. Edgar läßt Dich grüßen, Herrn Löwe ebenfalls. Vom grauen Tuch mit den zehn Prozent Weiß kann ich Dir noch nicht berichten. Hier oben kann ich gehen, wie ich will – viel mehr sitzen und liegen, wie ich will. Die Tropenluft ist herrlich, da die Kühlapparate wundervoll funktionieren. Das Bauterrain sieht vorläufig noch etwas wüst aus. Aber zwölf Dampfer umrahmen das Bild, und etwas Rauch steigt empor. Ich sehe unsäglich viel Glasmassen – zerstreut herumliegen. Ein paar Wände sind aufgerichtet – bunte Wände natürlich. Ich glaube, dieser Edgar macht mich ganz farbenkrank – krank nach Farben – und dabei soll ich immer nur Grau tragen. Viele Eisengerippe sind unten auch zu sehen. Ich bin sehr neugierig auf die Bauleute. Die tragen alle weiße Kleidung. Sehr reinlich kann sie wohl bei der Arbeit nicht bleiben. Kleine Glashäuser sind unten schon fertig. Die sind wohl für mich noch nicht gut genug. Darum muß ich hier oben allein bleiben und Dir telegraphieren. Ich ordne jetzt eine Spazierfahrt an – hoch über den Fidschiinseln. Ich telegraphiere Dir während der Fahrt noch mal. Die Sonne steigt, und wir müssen auch höher steigen. In den Tropen ist es doch schrecklich heiß – trotz der Kühlapparate. Ich bin Deine Clara Krug.«
Dieses Telegramm wurde sofort nach unten gesandt zur Funkenstation, allwo es weiter gegeben wurde zum Michigansee.
Während der Spazierfahrt sandte Frau Clara an Frau Amanda dieses:
»Ich spreche nur immer durchs Telephon zu unserm Steuermann: bitte höher! bitte tiefer! bitte rechts! bitte links! Und so weiter! Und das Luftvehikel fährt ganz so, wie ich’s will. Wir können das Telegramm von einer andern Funkenstation aus absenden. Darum kann ich mich jetzt etwas freier ausdrücken. Ich finde die Inseln so wundervoll, daß das Glas m. E. gar nicht so nötig ist. Hier könnte man beinahe auf alle Kunst verzichten. Kleinere Inseln wirken wie bunte Blumenbeete. Und dazu die riesigen Eukalyptusbäume. Von den Eingeborenen sieht man wenig. Die schlafen wahrscheinlich in Erdhöhlen und denken gar nicht an die Glasarchitektur. Ja, sage mir doch, wie Du über den köstlichen Ehekontrakt denkst. Glaubst Du, daß mich Edgar gewissermaßen als Reklamedame geheiratet hat? Glaubst Du, daß er das nötig hat? Ich weiß es nicht. Ich denke aber immerzu darüber nach. Er hat’s doch gar nicht nötig. Wir fahren demnächst zum Südpol. D. h. nicht ganz hin – aber doch in die Gegend des ewigen Packeises. Wem soll ich da in Grau imponieren? Ich verstehe meinen Gatten noch nicht. Glaubst du, er will nur einen ästhetischen Kontrast in mir besitzen? Glaubst du, daß ihm seine furchtbar bunte Glaswelt bereits zu bunt wird? Manchmal glaube ich’s. Übrigens wollen wir danach zur Insel Borneo, wo ein Riesenbad gebaut wird. Dann nach Japan und Indien. Die Sonne geht unter. Eine Tropensonne! Oh! Das möchte ich bunt photographieren. Der Tropenhimmel ist wunderbar klar. Und einzelne Sterne kommen heraus – auch das Kreuz des Südens. Ich möchte gar nicht aufhören, Dir Grüße zu senden. Lebe wohl! Vergiß mich nicht. Und – gute Nacht! Deine Clara.«
Auch dieses Telegramm wurde rasch befördert. Und zwei Stunden später war Frau Clara in ihrer Kajüte eingeschlafen. Man hörte das Meer rauschen. Ein paar Seevögel flogen vorüber. Und die Diener heizten jetzt die Kabine, da die Nacht in den Tropen sehr kalt ist.

ngg_shortcode_9_placeholder


Am nächsten Tage hatte Herr Edgar Krug mit seinen Bauleuten einen großen Zank; einer der Bauherren war aus England angekommen und hatte bestimmt, daß eine zu große Buntheit bei den ganzen Anlagen nicht möglich sei, da die Augen der Luftchauffeure doch nicht zu stark in Anspruch genommen werden dürften.
Herr Edgar sprach nun feierlichst:
»Ich will ja auch grade das Einfache. Aber das Einfache kann auch bunt sein. Alte Kirchenfenster wirkten schon vor Jahrhunderten immer beruhigend auf die menschlichen Sehnerven. Warum sollen sie heute nicht beruhigend wirken?«
»Ja«, versetzte nun Mr. Webster, diese englische Bauherr, »das mag schon ganz richtig sein – sowohl in der Theorie wie in der Praxis. Hier aber sollen Luftchauffeure ein Erholungsheim haben, deren Wünsche und Ansichten sind hier ganz allein maßgebend. Ästhetische Ansichten und Rücksichten haben hier gar keinen Wert. Die Luftchauffeure sind eben gegen das Bunte und wollen einfarbige große Scheiben. Es soll ein großer Zug durch diese große Anlage gehen.«
Herr Krug sagte noch Manches zur Rettung des Bunten, ließ ein Häuschen für seine Frau in Zinnober und Orange herstellen – und baute auch eine Halle in denselben Farben für den Abendbrottisch.
Die Moskitonetze wurden gleich aufgespannt. Und dann kam des Abends, als die Sonne schon ganz nahe dem Horizonte war, Frau Clara Krug und wurde den Herren – besonders Mr. Webster – in feierlichster Form vorgestellt.
»Sie sehen«, sagte Herr Krug, »an dem Kostüm meiner Frau, daß ich einen Sinn für einfache Wirkungen habe. Meine Frau trägt immer Grau mit zehn Prozent Weiß. Die Luftchauffeure werden sich also nicht über mich zu beklagen haben. Sie sollen auch in den Farben das Einfache haben – ganz wie sie’s wünschen. Ich wäre ja ein schlechter Architekt, wenn ich die Wünsche meiner Bauherren nicht zu berücksichtigen verstände. Das muß ja jeder Architekt in erster Linie verstehen. Das Künstlerische und Ästhetische kommt zweifellos immer erst in zweiter Linie.«
Frau Krug war fast ebenso gekleidet wie in Chikago vor fünf Tagen.
Die prächtigsten Orchideen dufteten auf dem Abendbrottisch. Und sehr viele Früchte machten den Tisch ganz bunt. Herr Krug hatte alles arrangiert.
Herr Webster sagte da:
»Wenn man diesen bunten Tisch sieht und daneben Ihre schönen Reden von der Einfachheit hört, so ist man ein wenig verwirrt. Aber – das Kostüm Ihrer Frau Gemahlin wirkt diesem bunten Tisch gegenüber entzückend.«
So pries man das graue Tuch und sprach weiter über die ganze Anlage. Der Mond ging auf und glänzte auf dem Meere; er sah durch die Moskitonetze dunkelrot durch.
Mr. Webster sagte:
»Mir scheinen zwei Farben für die ganze Anlage durchaus genügend zu sein. Die Orchideen sind ja schon so bunt und die Früchte auch. Da muß man einen Gegensatz haben. Ich wäre für Dunkelviolett und Karmin.«
Herr Krug sah seine Gattin bedeutungsvoll an.
Und sie sagte:
»Zinnober und Orange könnten Sie doch noch hinzugeben.«
Mr. Webster verbeugte sich galant und sagte leise:
»Wenn Sie es wünschen, gnädige Frau! – Ja!«
»Dann hätten wir also«, bemerkte Mr. Krug, »vier Farben zur Verfügung. Dann müßte alles auf perspektivische Wirkungen hin gebaut werden. Das Terrain wird von Hügeln umschlossen. Auf den Hügeln können Windschirme aus Glas stehen in den vier Farben. Lange Gänge können oben angebracht werden. Und unten kommen Teiche und Schwäne und Orchideen – und ein paar Motorboote, so daß alles ganz ruhig wirkt. Wie denkst Du darüber, liebe Clara?«
Nun – Frau Clara war ganz der Meinung ihres Gatten und wollte noch mehr von der ganzen Anlage hören.
Da fuhr Herr Krug fort, ihr seine Pläne auseinanderzusetzen.
»Vergiß nicht«, sagte er nervös, »daß wir hier Tropenklima haben. Das Meer ist von allen Hügeln aus zu sehen. Die Windschirme aber kann man so anbringen, daß das Meer öfters am Ende von zwei parallel laufenden Windschirmen sichtbar wird. Das macht sich sehr effektvoll und läßt sich auch so anbringen, daß es hier vom tieferen Orchideenterrain aus gesehen werden kann; man macht in ein paar Hügel einen Einschnitt, kleidet diesen Einschnitt mit farbigem Glase aus und hat dann den Perspektiven-Effekt auch vom tiefer gelegenen Terrain aus, auf dem ja die Wohnhäuser stehen sollen.«
So sprachen sie weiter über die Anlage, und Mr. Webster hörte mehr auf Frau Clara als auf deren Gatten.
Nach ein paar Stunden war Mr. Webster mit allen Plänen des Herrn Krug einverstanden.
Am nächsten Tage gab Herr Krug seinen Bauleuten die genaueren Pläne.
Und es wurden gleich verschiedene Windschirme aufgerichtet. Und dabei arbeitete man nur mit den Farben Orange, Violett, Karmin und Zinnober.
Frau Clara war immer mit ihrem Gatten zusammen und interessierte sich sehr für die Arbeiten der Schlosser und Glaser und für die Ruhebänke.
Dabei wurde erörtert, ob Bahnschienen anzulegen seien. Dem aber widersprach Mr. Webster, und Mr. Krug sagte lachend: »Schönen Dank dafür. Ich bin auch für kleine Automobile, die auf ein paar Fahrstühlen höher und niedriger gebracht werden können. Dann aber ist überall Fliesenboden nötig. Auch können Sänften zum Menschentransport benutzt werden, damit die Eingeborenen doch auch was zu tun haben.«
Da gab’s ein langes Gerede über die Farben der Fliesen. Herr Webster war wieder nur für zwei Farben – Violett und Weiß.
Nun sollte Frau Clara ihre Meinung sagen. Und da sagte sie:
»Meinetwegen auch Schwarz und Weiß!«
Dazu bemerkte aber Herr Krug mit krauser Stirne:
»Das ist doch wohl zu gewöhnlich. Bleiben wir also bei Violett und Weiß, damit dieser Kampf um die Farbe ein Ende nimmt.«
Hiernach speiste Herr Krug mit seiner Gattin in der Kajüte seines Luftschiffes hoch oben in der Luft.
Frau Krug bekam dann ein Telegramm von Miß Amanda. Das lautete:
»Liebe Clara! Schönsten Dank für Deine lieben Worte. Aber meine größte Sorge ist durch sie nicht zerstreut worden – im Gegenteil. Mr. Löwe ist momentan in New York. Ich habe alles, was ich ausgestellt habe, verkauft. Nun denke ich oft an Dich und bin in Unruhe. Auch Mr. Löwe sagte, daß das keine gute Ehe geben könnte. Ich wundere mich, daß Du so einfach auf die Sache eingegangen bist. Als Reklamedame sollst Du zweifellos verwendet werden. Das finde ich nicht sehr fein. Ich täte das nicht. Außerdem sehe ich in dem ganzen Ehekontrakt eigentlich nur eine Marotte – und zwar eine tyrannische. Der Mann will zeigen, daß er Macht über Dich hat. Ich ließe mir das nicht gefallen. Doch will ich nicht hetzen. Ich fürchte nur, daß es in jedem Falle mal zum Konflikt kommen muß. Sprich zu mir, wenn’s so weit ist. Geht alles gut, so will ich nichts gesagt haben. Ich muß Dich natürlich bitten, Deinem Gatten nichts von meinem Verdachte zu sagen. Grüße ihn und sei auch viele Male gegrüßt von Deiner Amanda. Hol‘ der Teufel die Marotten!«
Auch dieses Telegramm legte Frau Clara in die Kassette mit durchsichtigem Email, in der auch das erste Telegramm ihres Gatten lag.

ngg_shortcode_10_placeholder


ngg_shortcode_11_placeholderFrau Krug blieb jetzt vierzehn Tage oben in ihrer Gondelkajüte, da unten die Schlosserarbeiten zu viel Lärm machten. Der Ballon wurde immer wieder automatisch gefüllt. Und täglich umkreiste das Luftschiff ein paar Dutzend Male das ganze Bauterrain; Mr. Krug und Mr. Webster waren sehr oft oben in den Kajüten und sahen dem Bau der Schlosser und Glaser mit Aufmerksamkeit zu. »Nun ist«, bemerkte Mr. Krug eines Morgens, »das Wichtigste in der ganzen Anlage fertig. Wie gefällt Ihnen, Mr. Webster, die ganze Anlage von der Vogelperspektive aus! Auf diese müssen wir wohl besonderen Wert legen, da ja die Luftchauffeure zumeist auf dem Luftwege dem Erholungsheim nahen dürften. Und – da muß der erste Eindruck gleich der stärkste sein. Wie gefällt Ihnen nun, Mr. Webster, das bislang Geschaffene?«
Mr. Webster schwieg eine Weile.
Dann steckte er sich eine Zigarre an und blies den blauen Rauch in die Morgenluft.
Frau Clara schlief noch, und der Herr Edgar sagte langsam und lächelnd:
»Die Windschirme wirken von der Vogelperspektive aus nicht sehr massiv.«
»Nein!« rief Mr. Webster, »das tun sie nicht.«
»Wir brauchen Dachartiges!« fuhr Herr Edgar fort, »ich werde meinen Leuten durch Farbensignale den Auftrag geben, mal zwei Dächer an einem Schirm anzubringen.«
»Das wird«, sagte Mr. Webster, »die ganze Anlage sehr verteuern; Glas ist ein sehr schweres Material.«
»Sie vergessen die Hebel«, versetzte der Herr Edgar, »mit Hebeln kann man die schwersten Gegenstände nicht nur heben – man kann sie auch leicht mit Hebeln dirigieren.«
Ein schriller Pfiff ertönte auf dem Vorderdeck, und die Farbensignale leuchteten auf und verkündeten unter den Bauleuten, was der Herr Edgar wünschte.
Danach wurde ein anderer Schirm auf den einen Windschirm hinaufgestellt, so daß er durch Hebelgewicht nach oben gerichtet, horizontal und in jedem Winkel festgestellt werden konnte – auch so, daß er mit der anderen Seite den Boden berührte.
»In dieser Stellung«, sagte Herr Krug, »ist der senkrecht stehende Schirm auch bei dem stärksten Orkan, mit dem wir schon rechnen müssen, nicht umzuwerfen; der Dachschirm steht schräg, und der Wind hat eine gut gestützte Angriffsfläche.«
»Herrlich! Herrlich!« rief Mr. Webster.
Als Frau Clara nach zwei Stunden erschien, waren schon fünf der senkrecht aufragenden Windschirme mit Dachschirmen versehen – zwei davon hatten Winkeldachschirme.
Jetzt kamen immer mehr Dachschirme hinauf.
»Ah«, rief Mr. Webster, »Sie haben schon alles vorbereitet. Na – man kann sich’s gefallen lassen. Jetzt sehen die Hügel so aus von hier oben – als wären sie mit Häusern bebaut. Die Dächer sind einfach gestreift. Aber da kommt ja auch ein kuppelartig-röhrenartiges Dach. Ja – Sie haben alles vorbereitet. Eine kleine Überraschung für mich. Was sagen Sie dazu, Frau Clara?«
»Ich bin entzückt!« rief Frau Clara.
Da schüttelten sich die Herren die Hände, und Herr Krug ließ ein schwedisches Frühstück auftragen.

ngg_shortcode_12_placeholder


Acht Tage später war die ganze Anlage mit den Glasdächern fertig; die Dächer ließen sich durch Hebelgewicht leicht immer wieder unter anderm Winkel einstellen.
Und dadurch erhielt die Anlage für den durch die Luft Heranfahrenden immer wieder einen anderen Reiz; die anderen Winkel erzeugten immer wieder ein anderes Dächerbild.
Mr. Webster war mit Allem sehr zufrieden und gab seiner Freude in langen Telegrammen Ausdruck, die durch drahtlose Telegraphie rasch nach London befördert wurden und dort in der Gesellschaft des Erholungsheims den besten Eindruck machten.
Mr. Krug nahm danach mit seiner Gattin von Mr. Webster und seinen Bauleuten Abschied, und man feierte den Abschied bis zum Morgengrauen.
Dann fuhr das Ehepaar im Luftschiff nach Süden, während die Sonne im Osten aufging.
Herr Edgar aß beim Sonnenaufgang frische Taschenkrebse und trank Sodawater mit gutem Burgunder dazu.
Unten fuhr Mr. Webster mit dem letzten der zwölf Transportdampfer nach Borneo.
Die Bauleute gönnten sich drei Tage Ruhe.

ngg_shortcode_13_placeholder


Herr Krug setzte seiner Gattin auf der Fahrt gen Süden, wo es immer kälter wurde, verschiedene Kleinigkeiten über die Anlage auf den Fidschiinseln auseinander.
Erst mußte er ihr den Hebel erklären.
»Denk Dir«, sagte er, »eine große Wage. Du magst auf der einen Seite so viele Zentner rauflegen, wie Du willst, immer kannst Du die vielen Zentner hochheben, wenn Du auf der anderen Seite der Wage ebensoviel Gewicht raufpackst. Dieser Hebelspaß ist die Hauptsache bei der ganzen Ingenieurkunst. Und auch der Architekt hat immer wieder damit zu rechnen. Es ist unsäglich einfach und doch so großartig. Die größten Bauten sind nur mit den Hebeln möglich. Selbstverständlich müssen die Hebelarme die richtige Stärke haben, sonst brechen sie ab.«
Herr Edgar zeichnete seiner Gattin eine Anzahl Anlagen auf, in denen der Hebel die größte Rolle gespielt hat.
»Hätten die alten Ägypter«, sagte er dabei, »die ganze Großartigkeit des Hebels gekannt, sie hätten noch größere Bauwerke als die Pyramiden geschaffen.«
»Wie«, meinte später Frau Clara, »ist aber das Glas gegen Hagel geschützt?«
»Es ist«, versetzte Herr Edgar, »einfach Drahtglas bei den Dachschichten verwandt. Das hält jeden Hagel aus. Zwischen zwei Glasflächen ist ein dichtes Drahtnetz gelegt – und das Ganze ist dann zusammengeschmolzen. Das Netz beeinträchtigt die Farbenwirkung nicht zu stark. Ich bin sogar der Meinung, daß sehr viel mehr Drahtglas in der heutigen Glasarchitektur verwandt werden sollte. Die Anlagen auf den Fidschiinseln stellen ja eigentlich nur eine Scheinarchitektur dar. Aber bunt ist es schließlich doch. Das Prinzip ist gerettet. Und Du hast dabei geholfen. Karmin und Orange sind durch Dich hineingekommen. Ich danke Dir, Clara.« Er küßte seiner Frau höflich die Hand.
Ein Unwetter zog herauf, und sie zogen sich in die geheizte Kajüte zurück.
Das Meer rauschte gewaltig.
Herr Edgar befahl, höher hinaufzufahren.
Und in eintausendfünfhundert Metern Höhe war die Luft wieder ganz ruhig.

ngg_shortcode_14_placeholder


Herr Löwe hörte währenddem in New-York immer wieder von Edgar Krugs Bauten.
Auch von Krugs Bauten auf den Fidschiinseln wurde sehr viel gesprochen.
Man wollte auch Näheres von Mr. Krugs Ehe hören. Aber Mr. Löwe schwieg wie ein Grab.
Auch von Miß Amanda Schmidt ließ sich nichts Näheres erfahren.
Trotzdem kamen verschiedene Andeutungen in der Presse vor, da schließlich die Standesbeamten von Chikago doch nicht so verschwiegen waren, wie sie es eigentlich hätten sein sollen.
Aber was von dem Ehekontrakt in die Öffentlichkeit gelangte, war ein Zerrbild der Wirklichkeit; man erzählte sich, daß Miß Clara Krug sich verpflichet habe, in jeder Woche einmal ein mit Email cloisonné verziertes Kleid zu tragen – und das Kleid sollte dreißig Pfund wiegen.
Mr. Löwe wurde befragt, und er blieb ganz ernst und sagte, daß darüber nicht gesprochen werden dürfte.
Danach logen die Reporter ganz unglaubliches Zeug über Mr. Krug zusammen.
Und dieser ahnte nichts davon; er war unten über dem Packeis des Makartlandes und hatte Mühe, dort die Malerkolonie zu entdecken, für die er auch Glasbauten hergestellt hatte; jetzt sollte im Südpolargebiet noch mehr gebaut werden – aber man sträubte sich gegen das Glas und wollte Holzbauten.

ngg_shortcode_15_placeholder


II

ngg_shortcode_16_placeholderHerr Krug hatte drei von den zwölf Transportdampfern, die vor den Fidschiinseln lagen, mit Glasmaterial, Eisen und Eisenbetonplatten nach dem Süden zum Makartlande gesandt.
Nun kam von dem einen dieser Transportdampfer folgendes Telegramm an Herrn Krug:
»Hier war kolossaler Schneesturm. Mit großer Mühe hier im Hafen angelangt. Das Eis in Bewegung. Sehr viele Seehunde und Seelöwen hier. Der zweite Dampfer ist soeben am Horizont gesichtet. Vom dritten fehlt leider jede Nachricht. Der Schneesturm setzt von neuem ein. Wir raten zur Umkehr. Kolonie nicht zu sehen.«
Zwei Stunden nach Empfang dieses Telegramms befand sich Herr Krug mit seinem Ballon ebenfalls mitten im Schneesturm.
Das war nun für Frau Clara ein großes Erlebnis; der Herr Edgar hatte Ähnliches schon öfters erlebt, erklärte aber, daß dieser Schneesturm gradezu fürchterlich sei, er zeigte seiner Frau die Schneekratzer in heftigster Tätigkeit; immer wieder fuhren die Kratzer über die Ballonhülle und lösten den Schnee los.
Alle Kajüten wurden geheizt.
Herr Krug wollte umkehren.
Doch daran durfte man gar nicht denken; der Sturm trieb den Ballon direkt dem Makartlande zu.
Und in zehn Stunden kamen sie ans Ziel ihrer Reise; so schnell waren sie nicht einmal in dem Orkan, von dem sie über den Samoainseln gepackt wurden, dahingerast.
Überm Makartlande jedoch galt es, den Lufthafen zu entdecken, Herr Krug telegraphierte also an den Transportdampfer – er sollte sich »hörbar« machen – oben sei momentan nichts zu sehen.
Und da hörten die Leute im Luftschiffe plötzlich ein paar Schüsse durch die Polarnacht dröhnen. Und danach sah man Feuersignale und Scheinwerfer. Und der Dampfer wurde entdeckt.
Der Steuermann des Herrn Krug meinte, daß sie sehr leicht zum Südpol gekommen wären, wenn der Dampfer nicht signalisiert hätte.
Die Landungsmanöver gestalteten sich aber außerordentlich schwierig. Vom Dampfer ließen sich die Luftleute mit vielen Umständen herunterziehen. Doch die Kolonie blieb bei dem anhaltenden Sturm immer noch unsichtbar.
Frau Clara kam zitternd vor Kälte aus dem Korbe des Luftschiffes in die Kajüte des Transportdampfers, allwo sie gleich mit heißem Grog empfangen wurde. Da die Seeleute stark rauchten, steckte sich Frau Clara auch eine leichte Zigarre an – und trank Grog – drei Glas – wie ein alter Seebär.
Herr Edgar wunderte sich nicht wenig, als er auch in die Kajüte kam, daß sich seine Frau so gut in jede Situation zu schicken wußte. Die Verankerung des Luftschiffes erwies sich leider bald als total unmöglich. Man mußte das Gas ausströmen lassen. Dabei kam die Gondelkajüte so tief in den Schnee, daß das ganze Luftschiff ebenso unsichtbar wurde – wie die Kolonie.

Die Seeleute wunderten sich, daß bei dem Knallen des Orkans noch die Kanonenschüsse zu hören gewesen waren. Das wurde jedoch verständlich durch die Windrichtung und durch die Nähe des Ballons.
Frau Clara hielt sich fortwährend die Ohren zu; die Sturmtöne waren in der Dampferkajüte immer noch zu hören.
Und dann brach die Sturmmusik mit einem Ruck ab.
Und man hörte nur noch das Meer rauschen. Das Rauschen dröhnte sehr heftig. Es wurde aber doch als Erlösung empfunden; die Orkanlaute oben in der Luft sind viel stärker.

ngg_shortcode_17_placeholder


Danach ward es Morgen.
Die Sonne stand ganz dunkelrot über dem Horizont, Und im Meere tummelten sich unzählige Seehunde und Seelöwen.
Frau Clara sah davon nichts, denn sie schlief. Und Herr Edgar war sehr froh, daß sie schlief. Nun galt es, den Ballon wieder vom Schnee zu erlösen und die Kolonie aufzufinden. Das Erstere nahm einen vollen Monat in Anspruch, das Letztere gelang nach vierundzwanzig Stunden.
Die Sonne stand noch am Horizont, während Herr Krug mit seiner Frau in einem Automobilschlitten zur Kolonie fuhr. Viele Sterne leuchteten am dunkelblauen Himmel. Die Luft war ganz ruhig.
Leute von der Kolonie führten das Automobil – auf einer sehr gefährlichen Straße.
Doch kam man nach verschiedenen kleinen Unfällen schließlich in der Kolonie an, wo alle Bequemlichkeiten zur Verfügung standen, um das junge Ehepaar wieder lebensfähig zu machen.
»Es war eine kleine Südpolarexpedition, obgleich wir noch vom Südpol ein paar hundert Kilometer entfernt sind!«
Also sprach der Herr Edgar.
Frau Clara sagte lachend:
»Na – wenn das blos eine kleine Expedition gewesen ist, so muß ich für die Weiterfahrt danken. Ich werde froh sein, wenn ich wieder in den Tropen bin.«
»Halt!« rief da ihr Gatte, »da kennst Du die Malerkolonie im Makartlande noch nicht. Vielleicht gefällt es Dir hier besser, als Du denkst. Außerdem wird die Reparatur unseres Luftschiffes noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Der Frau Clara gefiel’s in dieser Malerkolonie. Ihr Gatte war in den ersten Wochen immer draußen, um das Luftschiff in die Ballonhalle zu bringen.
So blieb Frau Clara nach langer Zeit mal wieder nur unter Damen. Diese gaben sich die größte Mühe, der Frau des berühmten Architekten gefällig zu sein.
Herr Krug zeigte sich zumeist schlechter Laune; das Luftschiff hatte ganz erhebliche Schäden davongetragen – und das dritte Transportschiff war verschollen und blieb verschollen. Zehn Familien wohnten in der Kolonie.
Zwanzig malende Damen waren da und zehn malende Familienväter. Zehn der Damen waren unverheiratete Töchter.
Nun wollte man für den Herrn Krug nebst Gattin ein großes Fest arrangieren – im gut geheizten Kajütensalon, in dem die Wände aus schwarzem Holz bestanden. Die Damen erschienen in den farbenprächtigsten Toiletten. Nur Frau Krug kam im grauen Kleide mit zehn Prozent Weiß.
Herr Krug lächelte und sagte:
»Die Damen sehen, daß meine Frau graues Tuch trägt mit zehn Prozent Weiß. Sie repräsentiert das Einfache und will der Glasarchitektur gegenüber zurücktreten. Wohl eine Überraschung für die Damen.«
Es war tatsächlich eine sehr große Überraschung für die ganze Kolonie.
Man behauptete, daß der Kajütensalon ja keine Glasarchitektur zeige – und daß Herr Krug die Farben doch so liebe.
Herr Krug sah seine roten, stellenweise überpflasterten Hände an, dachte an sein Luftschiff und sagte:
»Daß Sie sich hier ohne Glasarchitektur behelfen – das ist ja grade mein größter Schmerz.«
Nun erklärte man, daß die Heizungsanlagen nicht gut funktionierten. Und da ging die ganze Festesfreude zu Grunde, denn Herr Krug begab sich gleich mit den Malern hinaus und ließ sich alles erklären und ordnete große Reparaturen an und wollte dann den später eingebauten Kajütensalon mit seinen Holzwänden wieder forthaben.
Und man kam ihm auch in dieser Hinsicht durchaus entgegen, als es sich herausstellte, daß die Heizvorrichtungen nach Erledigung der Reparaturen sehr gut funktionierten.
Hiernach kam das graue Kleid der Frau Clara wieder zur Wirkung, denn der große Klubsaal der Kolonie, in dem eben der Kajütensalon hineingebaut war, ließ seine prächtigen Wandglasfarben so hell leuchten, wie’s der Architekt gewünscht hatte.
Die Damen der Kolonie erschienen alle in anspruchslosen Kleidern, und jetzt verlief das Fest in größter Behaglichkeit. Frau Krug spielte auf einem Harmonium, und vier Damen gaben ein großes Streichkonzert zum Besten. Man trank den heißen Grog und Chartreuse, Benediktiner und Champagner. Auch Bier war da – aus Melbourne.

ngg_shortcode_18_placeholder


An Miß Amanda telegraphierte Frau Clara nach einigen Wochen Folgendes:
»Liebe Amanda! Die Katastrophe ist glücklicherweise noch nicht da. Doch eins muß ich sagen: mir tut der Kontrakt weh. Die Damen hier fragen mich natürlich nicht, warum ich immer Grau mit zehn Prozent Weiß trage. Die eine der älteren Frauen, die mich bedienen, ist eine sehr geschickte Schneiderin und macht mein Kostüm trotz des Paragraphen immer wieder anders. Entzückend ist es, wie die Frau die zehn Prozent Weiß immer wieder in andrer Form bringt. Ich trage jetzt sehr viel Pelz. Eine der Malerinnen fragte aber nach dem Emailkleide. Ja – ich verstehe nicht: in den amerikanischen Zeitungen muß ja ein haarsträubender Unsinn gedruckt worden sein. Telegraphiere mir doch mal darüber. Ich sage natürlich vom Ehekontrakt kein Wort. Ich schäme mich eigentlich, daß mein Leben an solchen Kontrakt gebunden ist. Doch die Polarnächte sind wundervoll. Und der Schnee ist blendend schön; wir müssen immer Holzstäbchen vor den Augen haben, wenn wir hinausgehen. Wozu hier der Edgar noch die Glasarchitektur haben will, mögen die Götter wissen; ich weiß es nicht. Indessen – richtig! – er sagte neulich, daß er durchsichtiges Glas verbauen möchte, um eigentümliche Wirkungen mit beleuchteten Eisblumen herzustellen. Die Blumen vermißt man hier sehr. Es gibt nur ein paar Tulpen und ein paar Töpfe mit Schneeglöckchen. Diese sind Edgars Lieblingsblumen. Nun telegraphiere bald. Es wird zum Abendtee geläutet. Ich bin Deine alte Clara.«
Beim Abendtee setzte Herr Edgar den Malern auseinander, daß er ihnen Veranden mit durchsichtigen Fenstern bauen wollte.
Und das geschah denn auch in den nächsten Tagen.
Auch das dritte Transportschiff kam dann an, das zweite war schon bald nach dem ersten angelangt.
Herr Krug blieb neun Monate auf dem Makartlande und interessierte sich für die Polarmalerei außerordentlich.

Herr Krug gab den Bauleuten seine Pläne für die Erweiterung der Kolonie und ließ zunächst eine Lichtturmstraße bis zur Ballonhalle und bis zum Hafen bauen. Die einzelnen Lichttürme hatten Obeliskenform und ließen sich vom Schneesturm nicht verdunkeln und verschütten. – Oben leuchteten bewegliche farbige Scheinwerfer.
Miß Amanda telegraphierte von den amerikanischen Zeitungen alles, was sie wußte.
Frau Clara fand in Käte Bändel eine Freundin, der sie alles offenbarte.
Käte Bändel war nicht verheiratet und beschloß, mit Frau Clara mitzukommen.
Diese nahm das Anerbieten mit großer Freude an.
Als nach dreiviertel Jahren Abschied gefeiert wurde, da beklagte Frau Clara sehr lebhaft, daß sie schon wieder fort müßte.
Und ihr Gatte sagte triumphierend:
»Siehst Du? das habe ich Dir ja gleich gesagt.«
Der Käte Bändel war auch ganz traurig zu Mute, sie wäre am liebsten auf dem Makartlande geblieben, wollte aber ihre neue Freundin um keinen Preis allein lassen.
Frau Clara ahnte nicht, daß Fräulein Bändel ihr ein großes Opfer brachte.
Man sah im Pelz noch die vielen Seehunde und Seelöwen. Dann fuhr man im Schlitten durch die Lichtturmstraße zur Ballonhalle, allwo alles einstieg und dreimal hoch in den Lüften das Makartland umkreiste.
Dann wurden die Kolonisten wieder ausgesetzt. Man trank noch stehend ein heißes Glas Grog – und das Luftschiff fuhr nach Norden – den Tropen zu.

ngg_shortcode_19_placeholder


ngg_shortcode_20_placeholderUnd bald lag unter dem Luftschiff des Herrn Krug der australiatische Kontinent.
Man sah von den Ballons der Gondelkajüte die riesigen Eukalyptuswälder.
Herr Krug mußte so tief wie möglich fahren, da die Damen das Land ganz genau sehen wollten.
Und sie sahen dann auch viele Känguruhs. Käte Bändel machte viele landschaftliche Skizzen und erzählte immer wieder von den Herrlichkeiten der Kolonie auf dem Makartlande.
»Sie haben uns ja«, sagte sie zu Herrn Krug, »sehr übel genommen, daß wir eine schwarze Holzkiste in unsern Klubsalon hineinbauten. Nun ja – meinetwegen kann man’s ja eine Kiste nennen. Wir nannten die Kiste unsern Kajütensalon und haben dort sehr behagliche Stunden verlebt – wenn’s draußen kalt war und der Orkan tobte. Wie haben wir da die Wärme geschätzt in dem kleinen Raum. Und die schwarzen Holzwände hielten so fein den Sturmlärm ab. Ich kann mir ja denken, daß Sie, Herr Krug, als Architekt immer für das beste und herrlichste Baumaterial – eben für das Glas – sein werden. Doch fürchte ich, daß sich die Sehnsucht nach dem Holz im Polargebiet nicht überwinden läßt.«
»Warum?« fragte Herr Krug.
»Nun«, erwiderte Fräulein Bändel, »ich sagte ja schon: der Sturm ist nicht so heftig zu hören – und man hat das Gefühl der Behaglichkeit. Aber – Sie bauen dafür lieber ein paar Dutzend Wände und Eisenbetonplatten und sagen, daß sich’s im Glaspavillon noch behaglicher wohnen läßt als im Kajütensalon aus Holz. Gewiß glaube ich, daß die Holzkiste nur eine Gewohnheitskiste ist. Ja! Ja! Wär’s aber nicht sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie im Polargebiet ein bischen nachgiebiger wären? Die Herren Maler tun ja schon alles, was Sie haben wollen; sie sind gutmütig – die Maler. Ich fürchte nur, die Herren holen gelegentlich ihre alte Holzkiste wieder vor – oder bauen sie wo anders ein. Sie kommen ja nicht so bald wieder zurück zum farbenprächtigen Makartlande. Liebe Clara, Du hast das Prächtigste bei uns unten noch nicht erlebt; das Meer war immer sehr stark bewegt. Es kommt aber vor, daß es ganz ruhig ist und dann eine Eisfläche zeigt. Und die Eisfläche bei der Mitternachtssonne, wenn sie dicht überm Horizont steht! Und dann im Vollmondschein! Das ist, verzeihen Sie, Herr Krug, noch herrlicher als alle Glasarchitektur. Das ist eigentlich vorbildlich für die Glasarchitektur. Die glatte Eisfläche – die ist ja so wie die glatte Glasfläche. Schade, daß Sie beide das nicht gesehen haben. Sie hätten doch länger im Makartlande verweilen müssen.«
Herr Krug wollte noch mehr wissen von der glatten schneefreien Eisfläche.
Und Fräulein Bändel erzählte so lebhaft, daß Herr Krug plötzlich ganz begeistert aufsprang und dann dem Steward zurief:
»Schnell zwei Flaschen Champagner – roten Champagner – vom besten!«

Währenddem saß Herr Rechtsanwalt Löwe in seinem Wolkenkratzerhotel zu New-York und empfing einen Herrn Stephan, der sich als Filmfabrikant vorstellte.
»Wollte«, sagte Mr. Stephan, »nur anfragen wegen Heirat des Mr. Krug. Sie waren dabei, als Ehekontrakt aufgesetzt wurde. Weiß schon Alles. Miß Krug soll immer schwarze Garderobe tragen. Miß Amanda Schmidt war auch dabei. Nun will ich farbige Films von Turm zu Babel machen lassen – und da das Souper aufnehmen, bei dem der Kontrakt fixiert wurde. Sehr interessant! Sensation für die Europäer! Biete Ihnen, wenn Sie mitmachen, zehntausend Dollars; Miß Schmidt kann ebensoviel bekommen. Mr. Krug nebst Gattin wird durch Schauspielerin und Schauspieler dargestellt.«
»Ist ja ein«, rief Mr. Löwe, »ganz närrischer Einfall. Übrigens mit der schwarzen Farbe stimmt das nicht.«
»Gut«, sagte Mr. Stephan, »so nehmen wir Grau. Kommt ja nicht so genau darauf an. Die Europäer haben jedenfalls ihre Sensation. Und sie lernen dabei auch die Glasarchitektur von Chikago kennen. Dieses Hauptsache! Die Ausstellungsdirektion steuert etwas zur Sache bei. Ist ja Riesenreklame.«
»Dann«, versetzte Herr Löwe, »müssen Sie das Honorar verdoppeln.«
»Mehr als zwölftausend Dollars«, rief der Geschäftsmann, »kann ich aber nicht geben. Beim besten Willen: es geht nicht.«
»Dann geben Sie«, sprach der Rechtsanwalt ernst, »fünfzehntausend Dollars.«
»Dreizehntausend«, rief der Fabrikant.
»Dreizehn«, sagte Herr Löwe, »ist eine böse Zahl. Sagen Sie vierzehn!«
Mr. Stephan höhnte über den Aberglauben, und sie einigten sich auf dreizehntausendfünfhundert Dollars.
»Doch«, fügte Herr Löwe hinzu, »fragen Sie erst bei Miß Amanda Schmidt an. Sie hat die Entscheidung. Wenn sie nicht will, kann aus dem Geschäft nichts werden.«
»Fahre«, sagte Mr. Stephan, mit dem Hute in der Hand, »sofort nach Chikago und werde alles arrangieren.«
Und es wurde alles arrangiert – nachdem mehrere Depeschen zwischen Miß Amanda und Mr. Löwe gewechselt waren.
Noch am selbigen Tage kam alles zu Stande. Und einen Monat später gingen die Films in alle Welt.

Als das Luftschiff des Herrn Krug den australiatischen Kontinent nicht mehr unter sich hatte und bereits über der Insel Java dahinschwebte, begann der Architekt seinen beiden Damen vom Kinibalobad auf Borneo zu erzählen.
»Die Damen glauben ja gar nicht«, sagte er heftig, »wie viele unerfüllbare Wünsche einem Architekten vorgetragen werden; es ist wahrlich nicht leicht, mit reichen Herren umzugehen; man weiß immer nicht, ob die Herren Bauherren nur Geschäfte machen oder nur Vergnügen haben wollen – oder ob sie geneigt sind, für ästhetische Interessen sich einzusetzen. Ich habe immer die Empfindung gehabt, daß die meisten Bauherren gar nicht wußten, was sie eigentlich wollten. Der Architekt muß ihnen erst ein paar Ideen aufsuggerieren. Das ist nicht immer leicht – besonders dann nicht, wenn man’s mit einer Gesellschaft zu tun hat, in der die führenden Köpfe nicht gleich als solche erkenntlich sind. Wenn aber mal ein reicher Bauherr eine eigene Idee hat, dann ist es sicher eine so abenteuerliche unausführbare Idee, daß man einen heillosen Respekt vor den Gedankenflügen der reichen Herren bekommt. Entschuldigen Sie gütigst, daß ich so umständlich bei der Einleitung verweile. Aber sie ist für die Geschichte des Kinibalobades nicht zu umgehen. Schon vor fünf Jahren fing die Geschichte an. Damals sollte der ganze Berg Kinibalo, der auf der Nordspitze von Borneo liegt und viertausendeinhundertzehn Meter hoch ist, zu einer Pyramide umgeformt werden. Sie lachen! Ja – Sie haben es leicht, zu lachen. Ich aber mußte damals dem reichen Bauherrn die Sache ausreden; ich ging natürlich auf die sogenannte Idee zunächst ein. Er wollte ein Gegenstück zu den ägyptischen Pyramiden haben. Dort, sagte er öfters, sind die Pyramiden des Todes, hier soll die Riesenpyramide des Lebens hinkommen. Also, erwiderte ich, es soll ein Weltbad werden, und es sollen die Badegäste auf dem Berge wohnen. Ja! Ja! meinte er lachend und bestellte gleich den ältesten Rheinwein. Und dann haben wir tagelang über die Sache debattiert. Und schließlich wurde aus der anfänglich ganz verrückt klingenden Idee doch etwas Vernünftiges. Der Berg blieb Berg, wurde nicht in eine Pyramide umgewandelt. Dagegen entstanden in allen Höhen des Berges entzückende Kolonieen und Restaurants. Der Kinibalo liegt ja dicht überm Äquator. Darum war es nur natürlich, daß die Badegäste mehr oben auf dem Berge angesiedelt wurden. Und das geschah denn auch. Nun ist die ganze Spitze des Berges bewohnbar gemacht. Natürlich – die Anlage wird noch nach zwanzig Jahren nicht ganz fertig sein. Aber – das schadet ja nichts. Was bis jetzt da ist, kann sich schon sehen lassen. Und – das Kinibalobad ist heute bereits ein Modebad. Ich höre soeben, daß fünfzehntausend Badegäste momentan da sind – trotz der sehr erheblichen Preise. Das Wichtigste war, die Gepäck- und Personenbeförderung von unten nach oben und von oben nach unten zu regeln. Ich schlug natürlich Zahnradbahnen vor. Aber – da widersetzte sich der reiche Bauherr und erklärte, daß die Zahnradbahnen in das ästhetische Gesamtbild, in dem so viel Glas verwertet sei, nicht hineinpassen. Und da hat man nun Hebelbahnen gebaut. Das ist ein ganz besonderer Scherz. Wir werden oben auf dem Berge landen. Ich komme wahrscheinlich, wie mein Steuermann sagt, in der Nacht an. Sie werden, meine Damen, staunen – über das Kinibalobad. Ich achtundvierzig Stunden dürften wir dort sein.«
Die Damen waren nun sehr neugierig.
Und sie freuten sich auf das berühmte Kinibalobad wie die Kinder.

ngg_shortcode_21_placeholder


Über der großen Insel Borneo setzten sich am nächsten Tage ein paar Dutzend rosafarbene Flamingos auf die Gondelkajüte, und die Tiere kamen auch hinunter auf die Balkons und wurden dort gefüttert.
Einzelne der Tiere flogen bald wieder fort, aber drei Flamingos blieben – wie die Haustiere da. Sie wurden von den Damen und Herrn Krug so splendid gefüttert, daß sie nicht mehr fortflogen.
Bald darauf sahen die Luftschiffer den Berg Kinibalo. Viele Scheinwerfer umzuckten die Spitze des Berges. Herr Krug meldete sich durch Scheinwerfersignale an – und dann umkreiste das Luftschiff den Berg, und dabei sahen die Damen des Herrn Krug, daß auf dem Berge an die hundert Luftschiffe und Aeroplanfahrzeuge lagerten. Die gaben alle mit Scheinwerfern Begrüßungssignale, so daß sich die Landung oben sehr feierlich gestaltete.
Jetzt begann gleich für die Damen ein großes brillantes Gesellschaftsleben. Herr Krug ließ seine Damen, als er Mr. Webster sah, der Obhut dieses Herrn und widmete sich sofort den Direktoren der Badegesellschaft.
Mr. Webster zeigte den Damen alle Sehenswürdigkeiten – besonders die Hebelbahnen. Diese beförderten Personen und Gepäck durch fünfhundert Meter lange Hebelarme in ein paar Minuten hinunter und hinauf. Das ging sehr schnell und immer im großen Bogen durch die Luft.

Da nun die Damen tagelang sich selbst überlassen blieben, überredete Fräulein Bändel eines Abends die Frau Clara, bei einem Lampionfeste auf einer zweitausend Meter hoch gelegenen Seeterrasse doch mal statt zehn Prozent Weiß – zehn Prozent Schottisch (ganz bunt karierte Seide) zu tragen. Frau Clara willigte ein und tat, was Fräulein Bändel wollte.
Und so erschienen Beide in dem großen Berglokal.
Herr Krug kam grade hinzu.
Und – seine Miene zeigte eine solche Empörung, daß Frau Clara errötend sagte:
»Verzeih!«
»Nein!« rief er wild.
»Es geschah auf meine Veranlassung!« rief Fräulein Käte Bändel.
»Dann«, sagte Herr Krug kühl, »empfehle ich Ihnen, mit dem nächsten Luftschiff – es fährt morgen früh eins ab – zurück zum Makartlande zu fahren.«
»Ich fahre!« sagte Fräulein Bändel.
Frau Clara ließ sich ihren Mantel anhelfen und begleitete Fräulein Bändel.
Herr Krug fuhr mit der Hebelbahn zum Strande und nahm – mitten in der Nacht – in den Fluten des Ozeans ein lauwarmes Bad; die Bäder unten waren durch Drahtnetze sorgsam gegen Haifische geschützt.
Herr Krug glaubte, seine Frau würde Fräulein Bändel begleiten – bis ins Makartland; Fräulein Bändel aber fuhr allein zum Makartlande zurück.
Und Frau Clara erschien wieder in Grau mit zehn Prozent Weiß, so, als wenn gar nichts geschehen sei.
Herr Krug war kühl aber höflich, und er kam auf die zehn Prozent Schottisch nicht mehr zurück.
Frau Clara telegraphierte an Miß Amanda: »Du glaubst nicht, was ich erlebt habe. Das war geradezu entsetzlich. Edgar kann ein Gesicht machen! Das kann einem Tierbändiger Angst machen! Ich legte zehn Prozent Schottisch an. Und da kam Edgars Gesicht. Miß Bändel hat mich sofort verlassen. Jetzt tun wir so, als wäre gar nichts vorgefallen. Ich aber fürchte, daß ich eine derartige Tyrannei nicht mehr lange aushalte. Clara.«
Und Amanda telegraphierte:
»Ich hätte diese Tyrannei nicht eine einzige Stunde ausgehalten. Amanda. Telegraphiere sobald Dir wieder etwas passiert.«

ngg_shortcode_22_placeholder


Eines Abends traf das junge Ehepaar in einem der beliebtesten Bergrestaurants wieder mit Mr. Webster zusammen. Es war das Lokal zum weißen Elefanten. Der Gastwirt, ein sehr gesprächiger Herr, erzählte vom Tode eines guten alten Freundes, der viele ganz zahme Flamingos besessen hatte, die leider verschwunden seien. Da erzählte nun Mr. Krug von den Flamingos, die auf sein Luftschiff kamen. Und es war bald klar, daß diese Flamingos dem alten verstorbenen Herrn gehört hatten. Mr. Krug schenkte die drei Vögel dem Gastwirt zum weißen Elefanten. Die Tiere wurden gleich herbeigebracht und erregten überall das größte Aufsehen. Erben hatte der verstorbene alte Herr nicht, und so ging die Besitzübernahme ohne weitere Formalitäten vor sich.
Frau Krug wollte etwas sagen.
Aber ihr Gatte schnitt ihr rasch das Wort ab, indem er sagte:
»Hiermit geht wieder eine peinliche Erinnerung rasch in den dunkelsten Hintergrund.«
Mr. Webster hörte das, mißverstand es und sagte:
»Jawohl, den Hintergrund dieses Lokals müssen wir noch besichtigen. Das ist ja hier eine große Sehenswürdigkeit.«
Man sah noch, wie die Sonne farbenprächtig im dunkelblauen Meere unterging und begab sich danach in den vielgepriesenen Hintergrund – in einem großen Hallensaal, in dem die Wände natürlich aus Glas bestanden. Aber – hier war das Glas schüssel- und schalenartig, so daß die Wand von jedem Punkte aus anders wirkte. Von den Schalen, deren tiefere Teile in die Wand hineingingen, waren viele opalisierend – und andre mit Tiffanywolken – auch solche aus buntem Eisglas waren da – und Filigranglas zeigte sich an den Rändern. Da die Schalen von hinten immer wieder anders erleuchtet wurden, gab das oft einen hinreißenden Effekt.
Und Herr Krug bat seine Frau, immer wieder in andrer Stellung vor den Glaswänden zu stehen. Und er erklärte dabei das graue Tuch vor der Glaswand für das beste Kostüm. Und andre Damen, die grade zugegen waren, gaben dem Architekten Recht. Und der Frau Clara wurde die Sache bald peinlich; sie wollte hinaus und behauptete, Kopfweh zu haben.
Da fuhren alle mit der Hebelbahn zur Spitze des Kinibalo.

Und auf der Spitze des Kinibalo sah man den großartigen Sternenhimmel. Alle Sterne leuchteten ganz klar auf dem dunklen Himmelsgrunde.
Und die Sterne spiegelten sich in den Fluten des Ozeans, der wie eine große Schüssel sich nach allen Seiten aufreckte.
Ein paar Aeroplane fuhren mit Scheinwerfern durch den Nachthimmel.
Es war sehr still oben auf dem Berge; von der Meeresbrandung hörte man nicht einen Ton.
Frau Clara fröstelte, und ihr Gatte hing ihr ein großes Tuch um und ließ ihr ein Glas Grog bringen.
Die Herren tranken ebenfalls Grog auf Frau Claras Wohl.
Man saß bis Mitternacht oben in dem großen Spitzenlokal.
Nur bunte Laternen leuchteten da oben und die Sterne des Himmels.
Der Mond ließ sich nicht sehen.
Meteore zogen in Parabelbahnen durch den Sternenhimmel.
Am Horizonte strahlte die Venus.

Am nächsten Tage fuhren Krugs nach Japan, allwo sie in ein ganz apartes Glasreich kamen, das in einem kleinen Bergwerke lag. Da hier eine sehr angenehme Temperatur herrschte, gingen alle Damen – besonders die kleinen Japanerinnen – in den luftigsten Kostümen, die natürlich sehr sehr bunt aufleuchteten und Herrn Krug gar nicht gefielen, da sie die Buntheit der Wände übertönten.
Herr Krug wollte auch hier die Bedeutung des grauen Tuchs seiner Gattin preisen – kam aber schön an. Besonders widersetzten sich die kleinen Japanerinnen.
Die Marquise Fi-Boh sagte:
»Mein edler Herr! Ihre Bemerkungen über die Kontrastwirkungen mögen ja wohl in dem ziemlich zurückgebliebenen Europa einen gewissen Eindruck gemacht haben. Was macht da nicht Eindruck? Aber wahr ist an Ihrer Ästhetik nicht eine Silbe, mein edler Herr! Ihre bunte Architektur ist entzückend wie ein Sonnenaufgang im stillen Ozean. Das Kostüm Ihrer Gattin – verzeihen Sie meine Offenheit, gnädige Frau! – ist abscheulich wie ein altes Gespensterlaken. Mir tut Ihre Gattin in der Seele leid, mein edler Herr! Gestatten Sie, daß wir Ihre Gattin umkleiden?«
»Nein!« rief Herr Edgar wild.
Und er faßte Frau Clara am Arm und wollte mit ihr fort.
»Welche Ungezogenheit!« rief die kleine Marquise Fi-Boh.
Und da mußte Frau Clara plötzlich lachen, und alle Damen lachten mit, daß es schauerlich durch die stillen Glasräume hallte.
Jetzt erklärte Mr. Krug mit jämmerlicher Miene, daß er jetzt Kopfweh habe, und er bat, ihn zu entlassen.
Und er ging mit seiner Gattin schweigend zum nächsten Fahrstuhl.

ngg_shortcode_23_placeholder


ngg_shortcode_24_placeholderDer Architekt erledigte nun alles, was er hier noch anzuordnen hatte, in großer Hast, sandte dann Abschiedskarten an die Damen und Herren der Gesellschaft und fuhr im Luftschiff rasch bei Nacht und Nebel davon, so daß man Frau Clara Krug in Japan nicht zum zweiten Male im grauen Tuch mit zehn Prozent Weiß erblicken konnte.
Das Luftschiff fuhr nach Nordindien, wo Mr. Krug die architektonischen Anlagen in einem großen Tierpark zur Ausführung brachte.

Frau Clara telegraphierte an Miß Amanda von Schanghai aus:
»Amanda! Jetzt wird die Sache amüsant. In Japan hat man mich einfach ausgelacht. Mein Gatte ist mit mir bei Nacht und Nebel davongefahren. Was man alles erlebt, wenn man graues Tuch mit zehn Prozent Weiß trägt! Es ist kaum zu glauben! Ich bin jetzt sehr gespannt, wie’s weitergeht. Telegraphiere nicht! Warte, bis ich Dir Weiteres mitgeteilt habe. Die japanische Marquise Fi-Boh hielt eine Rede an Edgar. Einfach himmlisch! Das Nähere später! Jetzt geht’s nach Indien. Ich bin ganz vergnügt und wie stets Deine alte Clara.«
Dieses Telegramm erregte natürlich in Chikago bei Miß Amanda große Neugierde, sie teilte den Inhalt des Telegramms sofort dem Rechtsanwalt Walter Löwe mit, der noch immer in Geschäftsangelegenheiten in New-York weilte und die ganze Tuchgeschichte beinahe vergessen hatte.

Zwanzig Meilen südwestlich von Schanghai bemerkte Frau Clara auf ihrem Gondelbalkon, daß in nicht allzu großer Entfernung ein Aeroplan fast senkrecht vom Himmel herunterfiel, sie rief:
»Edgar! Edgar!«
Dieser kam, sah das Luftvehikel, stürmte nach hinten zum Steuermann und setzte dort eine Maschine in Bewegung; er wirkte durch drahtlos dirigierte Wellen auf die Steuervorrichtung des Aeroplans, und es gelang, das Fahrzeug kurz vor der Berührung mit dem Erdboden seitwärts abzulenken und ganz korrekt landen zu lassen.
Frau Clara war durch dieses Manöver so aufgeregt worden, daß sie einen kleinen Weinkrampf bekam.
Mit Farbensignalen sprach man nun vom Luftschiff zu dem geretteten Aeroplan.
Und von hier kam – auch durch Farbensignale – folgende Antwort:
»Hier Mr. Burns vom Tierpark in Nordindien. Besten Dank für die Lebensrettung. Ich muß einen kleinen Ohnmachtsanfall gehabt haben.«
Mr. Burns wurde mit seinem Apparat zum Luftschiff emporgezogen.

Im Tierpark, der am Fuße des Himalayagebirges lag, stellte Mr. Burns dem Architekten und seiner Gattin gleich seine ganzen Wohnräumlichkeiten zur Verfügung.
Mr. Burns hatte die zahmen Tiere unter sich – besonders die Ziegen und die Büffelherden – er war ein Feind aller wilden Tiere und wollte Mr. Krug überreden, doch ein paar kräftige Worte gegen das Auffüttern der Tiger, Löwen und Leoparden zu sagen.
Auch Miß Clara Krug sollte nach dieser Richtung hin tätig sein.
Mr. Krug versprach, alles Mögliche zu tun, bemerkte aber gleichzeitig, daß die Tierparkgesellschaft nicht veranlaßt werden könnte, den ganzen Plan der großen Anlagen so rasch zu verändern; nur allmählich wäre hier, meinte er, etwas zu erzielen.
Und Miß Clara sagte, daß sie überhaupt nichts zu sagen habe – und in allen Dingen ganz von ihrem Ehemann abhängig sei. Dieses aber kam mit einem merkwürdigen Zucken der Mundwinkel heraus. Und der Architekt sah seine Frau mit hochgezogenen Augenbrauen an und wußte nicht, ob diese Unterwürfigkeitserklärung nur ein großer Hohn oder ein Phrasengewäsch sei.
Edgar sagte nur leise:
»Zehn Prozent Schottisch!«
Mr. Burns verstand das natürlich nicht, doch glaubte er, daß sein Lebensretter auch ein Feind der wilden Tiere sei – und das genügte dem Ziegen- und Rinderfreund.
Die Anlagen des Tierparks waren aber so umfangreich, daß sie sich nicht einmal von der Gondel des Luftschiffes aus ganz und gar überblicken ließen; man hatte viele Gebirgsschluchten für die Tiere hergerichtet.
Dieses Schluchtenterrain wirkte an vielen Punkten nicht sehr übersichtlich. Der Architekt hatte zunächst nur die Terrains für bestimmte Tiersorten durch hohe Mauern abzugrenzen. Die standen nun sämtlich da – und kamen dem Mr. Krug alle zusammen herzlich primitiv vor, da sie zumeist Backsteinbauten waren, die dem Glasarchitekten natürlich widerstrebten.
Aber – auf allen Mauern fuhren elektrische Wagen. Und die Fahrstühle führten auch die Bahnwagen hinauf und hinab. Und die Mauern zeigten viele Loggien, von denen aus die Tiere sehr bequem beobachtet werden konnten. Die sogenannte Löwengrube wurde von den Besuchern des Tierparks ganz besonders bevorzugt; auf einem sehr großen Terrain brüllten da über hundert Löwen herum. Das war ein sehr großes Gebrülle.
An Lichttürmen und großen Laternen war kein Mangel, Herrn Krug imponierte die ganze Geschichte sehr wenig.
»Mehr Glas!« sagte er öfters.
Und dann pries er den Blick zu den schneebedeckten Bergriesen empor.
»Das ganze Gebirge«, meinte er zu Mr. Burns, »möchte ich bebauen. Das wäre noch eine Aufgabe. Leider ist unsre Zeit für eine wahrhaft kühne Architektur noch immer nicht reif.«
Mr. Burns sah den Architekten ganz scheu von der Seite an. Und er mied darauf seinen Lebensretter, den er einfach für verrückt hielt. Miß Clara bemerkte das und lächelte.
Nun gab es aber einen großen Platz in dem Terrain, den man wohl einen Vergnügungsplatz nennen konnte – denn da gab es Wettrennen von Pferden und Giraffen, Elefanten und Maultieren usw. Auch kinematographische Theater gab’s da.
Und ein Mr. Stephan aus Chikago stellte sich dem Mr. Krug vor und bat ihn, doch mit seiner Gattin in sein Kino zu kommen.
Und da gab’s zu sehen:
»Die Hochzeit des berühmten Architekten.«
Mr. Edgar und Miß Clara sahen mit immer größeren Augen, wie sie dort auf dem Turm zu Babel den Ehekontrakt unterzeichneten. Die Stimme des Grammophons tönte sehr energisch, als die Theater-Clara sagte:
»Ich bin bereit, mein ganzes Leben hindurch graues Tuch zu tragen. Ich geh‘ auf alles ein, denn ich liebe die Glasarchitektur so sehr, daß ich ihr mit buntem Kostüm niemals Konkurrenz machen möchte.«
So ging’s weiter auf der kleinen Bühne. Miß Amanda Schmidt und Mr. Walter Löwe sprachen auch. Und die ganze Vorstellung dauerte eine kleine halbe Stunde. Man hörte das Knallen der Champagnerpfropfen, sah den Ampeltanz und die prächtigen bunten Glaswände, die den Turm zu Babel herrlich umrahmten. Mr. Stephan rieb sich vergnügt die Hände. Das Ehepaar rückte mit den Stühlen hin und her.
Herr Edgar stand schließlich auf und wollte mit kurzer Verbeugung Mr. Stephan verabschieden. Das gelang ihm aber nicht, denn Miß Clara rief nach Schluß der Vorstellung:
»Herr Stephan, Sie haben ja zehn Prozent Weiß vergessen. Ist denn Miß Amanda auch durch eine Schauspielerin dargestellt worden? Das muß eine ganz vortreffliche Schauspielerin gewesen sein.«
Mr. Stephan sagte, etwas blöde dreinblickend:
»Ja! Ja! Vortreffliche Schauspielerin! Hat eklig viel Honorar gekostet. Die Geschichte ist ja besonders für die Europäer gefilmt. Die sind ja so für die Sensationsehen – und besonders für die Sensationshochzeiten. Von den zehn Prozent Weiß habe ich niemals etwas gehört. Schade! Schade! Bitte Sie sehr, nichts davon verlauten zu lassen.«
»Und«, bemerkte nun finster der Edgar, »Mr. Löwe haben Sie auch durch einen Schauspieler darstellen lassen?«
»Ja! Ja!« rief wieder der Mr. Stephan.
»Dann muß ich Sie«, fuhr Mr. Krug fort, »nur darauf aufmerksam machen, daß ich Mr. Löwe sofort telegraphieren werde. Es ist doch merkwürdig, daß die Geschichte ohne mein Vorwissen in die Öffentlichkeit gezerrt worden ist. Sie sprechen von den Europäern. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich auch ein Europäer bin; ich bin in Europa geboren und wohne dort.«
»Du wohnst«, rief nun Frau Clara, »in Europa? Das ist mir ja ganz was Neues! Wo denn da? Bei unsrer Hochzeit ging, Mr. Stephan, tatsächlich alles so eilig, daß ich mich noch gar nicht danach erkundigt habe, wo mein Gatte eigentlich wohnt. Und wir sind bald ein Jahr verheiratet.«
»Liebe Clara«, versetzte Mr. Edgar sehr förmlich, »ich wohne auf der Isola Grande im Lago Maggiore – vis à vis Brissago. In dem alten langen See, den die alten Römer den Verbano nannten. Das hättest Du längst von mir erfahren können. Jetzt müssen wir aber zu Mr. Burns. Wir haben ihm versprochen, unser Frühstück mit ihm zusammen einzunehmen. Leider ist er ein sehr wunderlicher Herr, so daß ich mir nicht erlauben darf, Sie, Mr. Stephan, mitzubringen. Sie entschuldigen uns wohl. Besten Dank für das theatralische Schauspiel.«
Mr. Stephan dienerte noch viel und sagte zerstreut zehn bis zwanzig Mal:
»Hat mich sehr gefreut! Hat mich sehr gefreut.«
Und dann fuhren Krugs davon.

ngg_shortcode_25_placeholder


Auf der Mauerbahn, die neben der Löwengrube dahinsauste, brüllte Mr. Edgar plötzlich viel lauter als alle Löwen und schrie:
»Donnerwetter! Der Teufel schlag rein.«
Miß Clara schrak zusammen.
Sie frühstückten dann schweigend allein. Von Mr. Burns sprachen sie nicht mehr.

Aber jetzt wurde das Telegraphenamt in Bewegung gesetzt.
Mr. Edgar Krug telegraphierte an Mr. Löwe, New-York:
»Soeben die Filmgeschichte gesehen. Das ist ja haarsträubend. Ich bitte Dich als Rechtsanwalt, mir zu sagen, was ich dagegen machen kann. Hole der Kuckuck den infamen Ruhm. Muß man sich Derartiges gefallen lassen? Oder – kann man nach unsern heutigen Gesetzen etwas dagegen machen? Du bist ja durch einen Schauspieler brillant wiedergegeben. Bist Du heute auch schon so berühmt, daß Dich Schauspieler genau imitieren können? Dann muß ich Dich lebhaft bedauern. Hier im Tierpark Nordindien. Sehr viele wilde Tiere hier. Ich bin bald auch ein wildes Tier. Dein alter Freund Edgar.«
Dieses Telegramm wirkte auf Mr. Löwe sehr lustig, er sprach gleich telephonisch mit Miß Amanda Schmidt in Chikago und sagte ihr unter Anderem:
»Wenn Edgar tatsächlich nicht bemerkt, daß wir selber bei der Filmgeschichte mittätig waren, so wollen wir die Sache verschweigen.«
Damit erklärte sich Miß Amanda vollkommen einverstanden; sie erhielt gleich von Miß Clara auch ein Telegramm – das lautete so: »Amanda! Welch ein Skandal! Nie heirate ich wieder einen berühmten Mann. Ich danke bestens für alle berühmten Männer. Sie können mir gestohlen bleiben. Man wird ja in frechster Weise kompromittiert. Und die zehn Prozent Weiß hat der Mr. Stephan einfach weggelassen. Ich sehe wie eine Nachteule aus. Kennst Du die Schauspielerin, die Dich dargestellt hat, näher? Mit solchen Personen, die andre nur kompromittieren, geht man doch nicht um. Das Beste wäre: Du kämst hierher in den Tierpark. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Am liebsten möchte ich die Scheidung einleiten. Durch Berühmtheiten wird man ja blamiert – in infamster Weise. Ich bin es müde, mich dem Gelächter der ganzen Welt auszusetzen. Jetzt habe ich genug von dem grauen Tuch. Komm, so rasch du kannst. Deine arme Clara.«
Kurzum: Diese beiden Telegramme bewirkten, daß Miß Amanda und Mr. Löwe sofort die Reise nach Indien antraten – auch in einem Luftschiff.

ngg_shortcode_26_placeholder


Kaum waren Krugs aus dem Telegraphenamt herausgekommen, so trafen sie Mr. Burns, der sie schmerzlich beim Frühstück vermißt hatte. Und neben Mr. Burns stand Mr. Webster vom Erholungsheim auf den Fidschiinseln.
Mr. Webster wollte wieder nach London zurück. Und er hatte sich schon alle Sehenswürdigkeiten angesehen – auch die »Hochzeitsgeschichte eines berühmten Architekten«. Und er gratulierte dem Ehepaar zu dem kleinen Scherz.
»Was ist denn da«, sagte Mr. Krug, »zu gratulieren? Ich habe meinen Rechtsanwalt mit der Angelegenheit bekannt gemacht. Er kommt her.«
»Ja«, versetzte Mr. Webster, »von juristischen Dingen verstehe ich nichts. Ich gehe grundsätzlich allen Rechtsanwälten einfach aus dem Wege. Na – so schnell kann er ja noch nicht hier sein. Ich schlage jedenfalls eine kleine Ballonfahrt zu den Bergen empor vor. Miß Burns will uns begleiten. Dann sind wir fünf. Einverstanden?«
Man war’s, und bald schwebten die Fünf in einem besonderen lenkbaren Luftschiff zu den Bergen empor – sie schwebten über grausigen Tälern und über Bergen mit ewigem Schnee. Und sie umkreisten den großen Gaurisankar, den höchsten Berg der Erde. Und Mr. Krug wurde sehr gesprächig dabei.
Er sagte mit Heftigkeit:
»Es ist doch empörend, daß man diese einsame grandiose Gebirgswelt noch immer nicht bewohnbar gemacht hat. Bei dem heutigen Stande der Luftschiffahrt kann man das Baumaterial sehr leicht mit Luftschiffen heraufbringen. Auch die Hebelbahnen auf Borneo können hier als Transporteure benutzt werden. Es ist doch zu traurig, daß die Menschen immer noch nicht von der höheren Baulust gepackt worden sind. Es gibt auf der Erde noch soviel unbenutztes Bauterrain.«
Mr. Burns kraute sich wieder hinter den Ohren und sah seine Frau bedeutungsvoll an.
Und dann bewunderten alle Fünf mit Opernguckern die gewaltige Gletscherherrlichkeit. Und sie waren noch oben, als die Sonne unterging. Um Mitternacht landeten sie wieder unten im Tierpark Nordindien.

ngg_shortcode_27_placeholder


III

ngg_shortcode_28_placeholderMr. Krug hatte in den nächsten Tagen mit dem Direktorium des Tierparks einen großen Kampf zu bestehen; die Herren waren der Meinung, daß die ganze Anlage schon genug koste, und Mr. Krug bemerkte dazu: »Freilich kostet die Anlage recht viel. Es sind ja fast vierzig Quadratmeilen Terrain da. Indessen – grade weil sie so viel kostet, müssen Sie noch besondere Anziehungsbauten haben. Die Fremden kommen doch nur der neuen Architektur wegen her. Glauben Sie, daß die Büffelherden und die Löwengrube zehn Leute anziehen? Nein! Da haben Sie die Rechnung ohne meine Glasarchitektur gemacht. Ohne die kommen Sie eben nicht aus. Die Badegäste vom Kinibalo auf Borneo kommen nur her, wenn sie hier große Glasarchitektur zu sehen bekommen. Darum – ich bin ganz bescheiden – schlage ich vor, sämtliche Begrenzungsmauern, auf denen schon Automobile und Bahnwagen auf Schienen fahren – zu überdachen. Die Überdachung denke ich mir in allen möglichen Formen – ganz spitze Dächer, runde, flache, kantige und spitzige. Natürlich alles in buntem Glase. Und unten alles offen. Das geht rasch herzustellen und wird nachts vom Luftschiff aus entzückend wirken – wie bunte Lichtstraßen.«
Da gab’s nun einen tagelangen Kampf.
Mr. Krug mußte den Herren des Direktoriums immer wieder das Veritable des Reklamewertes klar machen; Mr. Webster unterstützte ihn dabei.
Und schließlich wurde beschlossen, den vierten Teil der Begrenzungsmauern zu überdachen.
»Etwas jedenfalls!« sagte Mr. Krug, »aber wenig bleibt’s doch. Das sieht beinahe wie eine Niederlage aus.«
Doch – jetzt wurden die zu bedachenden Stellen ausgesucht. Und man nahm dabei die Vogelperspektive als maßgebend an.
Als man einig geworden war, gab Mr. Krug seinen Architekten die nötigen Aufträge – und alles war bei guter Laune. Man wollte noch ein großes Fest arrangieren.
Mr. Krug jedoch meinte:
»Ein Licht- und Luftfest wäre ja nicht übel. Aber – das wollen wir doch erst arrangieren, wenn die Badesaison auf Borneo zu Ende geht und alles fertig ist.«
Dem stimmten die Architekten bei, und ein paar Mitglieder des Direktoriums versandten Einladungskarten zum Licht- und Luftfeste nach Borneo und nach Japan.
Danach waren Krugs wieder mit Mr. Webster und dem Ehepaar Burns zusammen.
Es waren die Fünf, die zum Gaurisankar emporfuhren, allmählich intimer geworden; man dinierte in einem Grenzmauerlokal, von dessen Loggien aus man riesige Büffelherden sah, die friedlich in der Tiefe grasten.
Die Damen begeisterten sich sehr lebhaft für das Lichtfest; Mr. Burns schimpfte auf die Löwengrube.

Von Mr. Löwe und Miß Amanda lag noch keine Nachricht vor. Wohl aber wurde Mr. Krug telegraphisch nach Ceylon gerufen, wo die internationale Gesellschaft für Atmosphärenforschung großartige Bauten plante.
Mr. Krug fuhr mit Mr. Webster hin, Miß Clara blieb bei dem Ehepaar Burns – in der Nähe der großen Büffelherden.
Und da wurde es Miß Clara Krug etwas langweilig in dem großen Tierpark.
Sie telegraphierte deswegen an die Marquise Fi-Boh in Japan aus Langerweile Folgendes:
»Verehrte Frau Marquise! Mit Vergnügen erinnere ich mich noch Ihrer famosen Rede im erleuchteten bunten Bergwerk aus Glas. Leider mußten wir gleich danach weiterfahren. Und jetzt sitze ich hier im Tierpark Nordindien – ganz allein. Demnächst kommt Miß Amanda Schmidt und der Rechtsanwalt Löwe hierher. In einigen Wochen wird hier ein großes Lichtfest hoch oben in den Wolken gefeiert. Der ganze Tierpark soll erleuchtet werden. Die bengalisch beleuchteten Tiger aus Bengalien werden sich dabei wundervoll ausnehmen. Ich freue mich besonders auf die farbig beleuchteten Löwen in der Löwengrube. Was werden die Tiere zu den Farben- und Lichteffekten sagen? Werden sie noch heftiger brüllen als bisher? Verzeihen Sie mir, daß ich so Unsinniges frage, aber ich langweile mich und wünschte, Sie wären hier. Dann wäre alles famos. Schade, daß die Strecke so weit ist. Denken Sie sich nur dieses: meine Hochzeit mit Edgar ist in einem Kino-Theater hier zu sehen. Ist das nicht skandalös? Oh, ich möchte mich bald mal aussprechen. Vielleicht telegraphieren Sie mir, ob dieser infame Film auch in Japan zu sehen ist. Edgar will klagen. Und ich bin Ihre arme Frau Clara Krug.«

ngg_shortcode_29_placeholder


Mr. Krug fuhr mit Mr. Webster bei vorzüglichen Windverhältnissen sehr rasch nach Ceylon. Und dort überblickte man gleich vom Luftschiff aus in der Morgensonne die ganze Anlage.
Diese Anlage sollte hauptsächlich in ein paar Schock Ballonhallen bestehen – nördlich von Colombo – im Gebirge. Dort ragten auch mehrere Teleskope zum Himmel empor – ganz große Teleskope.
Das Ganze hieß jetzt »Zentrale der Luftforscher«.
Man wollte von Ceylon aus in die höheren Luftregionen vordringen; alle möglichen Luftschiffsysteme sollten hierbei verwertet werden. Und so kam es, daß für sehr viele Systeme ganz besondere Lufthäfen gebaut werden mußten. Schließlich wurden weit über hundert Häfen notwendig, da die Aeroplansysteme damals immer komplizierter wurden und sehr viel Raum beanspruchten. Viele der Hallen wirkten wie riesige Berghöhlen, die so aussahen, als ginge es in die Tiefe des Berges hinein. Mithin herrschte in den Bauten auf Ceylon die Kuppelform vor – und auch die offene Kuppelhalle.
Die Zentrale der Luftforscher verfügte über außerordentliche Mittel. Und da hatte denn Mr. Krug leichtes Spiel – und setzte alles durch.
Einzelne Hallen wirkten schon jetzt in der Morgensonne wie riesige Opale – wie Scharen von Paradiesvögeln, Schmetterlingen und Libellen – wie Scharen von Glühwürmern und funkelnden Käfern und zitternden bunten Schlangen.

Die Architekten im Tierpark Nordindien wollten der Gattin ihres sehr verehrten Mr. Krug eine Ovation bringen. Man wußte, daß Miß Clara Orgelspielerin war. Und so kam ein junger Ingenieur auf die Idee, Glocken-, Pauken- und Posauneninstrumente, die in zehn Türmen versuchsweise untergebracht waren, von einem Punkte aus in Bewegung zu setzen und orgelartig zu spielen.
Die ersten Versuche gelangen – natürlich mit elektrischen Wellen, und Miß Clara wurde gebeten, auf dieser seltsamen Zehnturmorgel zu spielen.
Und sie spielte, daß die wilden Tiere mit Gebrülle aufhörten und staunend zum Himmel emporblickten.
Die ganze Kolonie geriet in Aufruhr. Frau Clara spielte auf dem Rieseninstrument mit so großem Vergnügen, daß sie ihre Langeweile total vergaß.
Des Abends erhielt Frau Clara ein Telegramm von der Marquise Fi-Boh:
»Wir sind«, sagte diese, »schon in Schanghai und kommen mit den prächtigsten seidenen Stoffen. Sie werden staunen. Fünfundachtzig Damen begleiten mich. Die Herren kommen später. Mit ehrfurchtsvoller Begrüßung Ihre ergebenste Marquise Fi-Boh.«
»Die sind resolut!« sagte Frau Clara zu Miß Burns.
Und zwei Tage später waren die Japanerinnen im Luftschiff über dem Tierpark. Der Vollmond schien prächtig, und Miß Clara spielte auf der Zehnturmorgel, daß die ganze Luft zitterte. Die Japanerinnen blickten ganz erstaunt mit hochgezogenen Augenbrauen hinab.
»Gilt das uns?« fragte die Marquise telegraphisch.
»Miß Clara Krug spielt!« lautete die Antwort.
Da klatschten die bunten Japanerinnen in die Hände, daß es laut durch den Mondschein schallte.
Und das Wiedersehen ward auch zu einer großen Ovation für Frau Clara.
Und Frau Clara sah sich plötzlich zwischen unzähligen bunten seidenen Gewändern.
Und die prächtigsten Seidenstücke wurden der Orgelspielerin zu Füßen gelegt.
Da ließ sie sich auch bunt kleiden.
Und man soupierte bei den Büffelherden.
Schließlich spielte Frau Clara fast die ganze Nacht durch – oft klang’s wie wilde Walzermusik. Und dann kam der dumpfe Ernst der Pauken wie eine Burleske hintennach.

ngg_shortcode_30_placeholder


ngg_shortcode_31_placeholderMr. Krug auf Ceylon ahnte natürlich von alledem gar nichts. Er wurde auch nicht benachrichtigt.
Der Architekt sprach mit den ernsten Männern der Wissenschaft und dachte gar nicht mehr an Japan und bunte Seide – auch nicht an graues Tuch.
Dagegen wurden die Hallen für die Luftvehikel immer großartiger. Das Gebirge auf der Insel Ceylon wurde gleichsam mit Brillanten übersät. Man verwandte hier auch viele Spiegel, um die Effekte zu vervielfältigen.
Edgar telegraphierte an seine Frau:
»Ceylon wird großartig. Diese Zentrale für Luftforscher ist wohl das Größte, was die Glasarchitektur bislang geleistet hat. Es ist ein Vergnügen, zu leben, wenn die Bauherren etwas Geld übrig haben. Vorläufig bleibe nur im Tierpark, bis Löwe und Miß Amanda da sind. Dein Edgar.«
Nun gab’s für Edgar leider viele technische Schwierigkeiten zu überwinden; die Ingenieure wurden immer wichtiger; sie waren bei den großen Hallenanlagen ganz unentbehrlich.
Und der Architekt mußte sich jetzt den Ingenieuren anfügen. Das fiel ihm oft sehr schwer. Doch die Praktiker behielten immer Recht. Und der phantastische Architekt mußte seine große Baulust oft zügeln; viele Brückenanlagen und Bogenversteifungen ließen sich nicht gleich so einfach durchsetzen. Die Tragfähigkeit der Eisengerüste blieb immer problematisch. Und wo die Ingenieure nicht mitmachen wollten, da mußte der Architekt einfach nachgeben. Mr. Webster fuhr inzwischen auf einem Motorschiff durchs rote Meer über Neapel nach London.

Und Mr. Löwe kam mit Miß Amanda zum Tierpark.
Und Miß Clara empfing sie mit einer Musik von zwanzig Glastürmen.
Miß Amanda lachte, als sie ihre Freundin in bunter Seide sah. Man fragte nach Mr. Krug und wunderte sich sehr, daß er in Ceylon zu tun hatte.
Die Japanerinnen hatten alle die kinematographische Vorstellung von der Hochzeit des berühmten Architekten gesehen und die Geschichte vom grauen Tuch allmählich begriffen.
Indessen, die Japanerinnen verwünschten den Architekten.
Da kam dem Mr. Löwe die Geschichte ungemütlich vor. Und er beschloß, seinen Freund persönlich zu sprechen – und sofort nach Ceylon zu fahren. Er telegraphierte an Edgar:
»Lieber Edgar! Ich möchte Dich so bald wie möglich persönlich sprechen. Denn die Sache ist viel zu verwickelt, um in Telegrammen ordentlich erörtert zu werden. Das geht gar nicht. Hier kommt sehr viel auf die momentane Stimmung an. Ich bitte Dich: gib Nachricht, ob Du mich sofort in Ceylon empfangen kannst. Dein alter Freund Walter Löwe.«
Dieses Telegramm wurde von Edgar sofort folgendermaßen beantwortet:
»Ich bin hier bei der Berechnung von Hyperbel- und Parabelkurven. Ganz bis über die Ohren mit schwierigen mathematischen und physikalischen Problemen beschäftigt. Da mußt Du noch warten. Komm unter keinen Umständen, denn ich habe nicht einen Moment Zeit. Ich melde mich, wenn ich wieder etwas freier aufatme. Grüße Miß Amanda und meine Frau. Grüße das Ehepaar Burns und Dich selbst. Ich bin Dein vielgeplagter Edgar.«

Im Tierpark wurden währenddem alle Dacharrangements auf den Grenzmauerbauten fertig.
Und man beschloß, nun endlich das große Luft- und Lichtfest zu feiern. Der Architekt wurde natürlich feierlichst dazu eingeladen.
Edgar Krug jedoch sagte telegraphisch:
»Bitte alles ohne mich zu machen. Ich habe hier so viel Kämpfe mit den Ingenieuren auszufechten, daß ich vorläufig für längere Zeit überhaupt nicht zu sprechen bin. Krug.«
Diese schroffe Ablehnung der Einladung wurde von den Architekten und Ingenieuren des Tierparks mit Gleichmut aufgenommen. Man kannte die schroffe Art des Herrn Edgar Krug und wußte sich mit ihr abzufinden.
Und so kam denn das Luft- und Lichtfest ohne Mr. Krug zustande.
Miß Clara spielte auf vierzig Türmen zu gleicher Zeit. Die neue Orgel lockte alle Badegäste von Borneo fort in den Tierpark hinein.
Dazu schwebten unzählige Luftschiffe und Aeroplane über dem ganzen Terrain.
Die Lichtspiele der Scheinwerfer wirkten von unten gesehen – einfach berauschend.
Und von oben sah man unten die farbigen Lichtstraßen auf den Grenzmauern.
Das Fest wurde acht Nächte hintereinander gefeiert.
Und die Geschichte machte einen großen Eindruck auf der ganzen Erdoberfläche.

Mr. Krug aber wurde auf Ceylon immer verdrossener; die kleinen Hallen waren zum Teile fertig und lagen wie funkelnde Schildkröten und umgestülpte Helme da, doch wo mehr im Großen was entstehen sollte, da war die Last der Glasmassen immer wieder zu schwer. Durch Säulen durfte die freie Einfahrt der Aeroplane nicht behindert werden, und so stand viel Eisengerippe da, und die Glasumkleidung ließ sich nicht anbringen.
An Stelle des Glases wollten die Ingenieure leichteres Material – man schlug Drahtnetze mit einer farbigen durchsichtigen Leimmasse überzogen vor. Die war dem Mr. Krug, obschon sie sich immer wieder leicht ausbessern ließ, doch nicht haltbar genug.
Außerdem sollten Wohnungen in die Wände der Hallen kommen. Da mußte man schließlich auf die schief ansteigende Parabel- und Ellipsenform verzichten. Und das wollte der Architekt immer wieder nicht haben. Die Bauherren ließen sich wieder von den Wohnungen in den Wänden nicht abbringen, da von dort aus die Aussicht in die prächtig bunte Halle herrlich sein mußte.
Mr. Krug sagte zornig zu seiner Umgebung:
»Hieraus, meine Herren, erkennen Sie wieder einmal, daß mit Geld allein nichts auszurichten ist. Eine Portion Genialität ist immer wichtiger, doch manchmal ist diese nicht vorhanden, wenn das Geld in Strömen fließt. Darum bin ich der Meinung, daß das Geld dem Fluß der Genialität sehr hinderlich ist. In jedem Falle kann man auch in der Architektur immer wieder erfahren, daß man auch hier immer noch mal aus einer Sackgasse in die andre fährt. Am liebsten führe man zur Hölle. Oh – ja!«
Solch ein Verzweiflungsausbruch löste natürlich sehr gemischte Empfindungen in den Zuhörern aus, die ihren Mr. Krug bald fortwünschten, da sein Eigensinn oft störend wirkte, zumal Manches bei mehr Nachgiebigkeit ganz leicht löslich erschien.
Ein großes Glückwunschtelegramm aus dem Tierpark riß den Architekten etwas aus der Situation. Das Telegramm lautete zum Schluß:
»Das Lichtfest ist aber in erster Linie durch das Spiel auf der Vierzigturmorgel zustande gekommen. Hätte dieses Spiel von Ihrer verehrten Frau Gemahlin nicht so wundervoll oben in den Lüften geklungen, das Lichtfest wäre nicht zu einem Weltereignis geworden. Wir sagen unserem Meister für dieses Fest unsern Dank. Und ebenso danken wir seiner verehrten Frau Gemahlin.
Die Architekten und Ingenieure des Tierparks Nordindien.«
Das erheiterte den Mr. Edgar.
Er telegraphierte gleich seiner Gattin:
»Gratuliere Dir! Dein Vierzigturmorgelspiel ist also Weltereignis geworden? Ich trinke auf Dein Wohl ein paar Flaschen Champagner und lasse heute alle Kegelschnitte – alle Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln – am äußersten Weltenrande liegen. Jedenfalls bin ich sehr froh, daß Du jetzt auch das vermaledeite Berühmtsein kennen lernst. Leidensgenossen nähern sich leichter. Hoffentlich sagst Du auch bald: Ruhm ist unbequem. Dann können wir uns trösten. Grüße Alle und sei selbst viel tausendmal gegrüßt von Deinem Edgar.«

Edgars Telegramm wirkte auf Frau Clara ganz merkwürdig.
Die Japanerinnen waren grade abgefahren. Und der Festtrubel verstummte allmählich. Mr. Löwe und Miß Amanda durchstreiften den Tierpark von einem Ende zum andern. Miß Clara jedoch packte all ihr Seidenzeug zusammen und sandte es in vielen festen Kisten zur Isola grande im Lago Maggiore, wo sich ja ihre Heimat auftun sollte.
Und danach erschien die Orgelspielerin wieder in Grau mit zehn Prozent Weiß.
Miß Amanda riß die Augen weit auf, doch sie sagte nichts.
Mr. Stephan fuhr mit seinen Films nach Europa, nachdem er von Mr. Löwe eine wörtliche Erklärung erhalten hatte, daß dieser dafür sorgen würde, daß die Geschichte mit den zehn Prozent Weiß nicht in die Öffentlichkeit käme.
Mr. Löwe telegraphierte an Edgar:
»Wie geht’s Dir denn? Bist Du bald zu sprechen? Ich bin doch eigentlich nur Deinetwegen hierher gekommen. Das vergiß doch gütigst nicht. Eine Reise nach Indien ist doch keine Lappalie. Walter Löwe.«
Er erhielt keine Antwort.

Mr. Edgar Krug erhielt Besuch auf Ceylon; ein alter Studienfreund Mr. Werner kam an und wollte zum Aralsee, der hoch im Norden östlich vom kaspischen See liegt. Mr. Webster sah bald, wie sehr Edgar auf Ceylon zu leiden hatte – und er überredete den Architekten, doch hier alles seinen Leuten zu überlassen – und mit zum Aralsee zu fahren.
Und Edgar ließ sich überreden.
Auf dem Aralsee gab’s eine Versuchsstation für See-Architektur.
Dort lebten immer über hundert Fachgenossen zusammen. Und Edgar mußte dort nach Mr. Werners Berichten ganz glänzend aufgenommen werden, da die Bauten des Mr. Krug in allen Baukreisen lebhafte Bewunderung erweckten.
Edgar telegraphierte rasch an seine Frau:
»Ich fahre nach Norden und lasse bald von mir hören.
Wie immer Dein getreuer Edgar.«
Und er fuhr gleich darauf in seinem Luftschiff mit Mr. Werner nordwärts.

ngg_shortcode_32_placeholder


Dieses Telegramm aus Ceylon versetzte Miß Clara in die größte Aufregung.
»Es ist«, sagte sie zu Miß Amanda, »ganz unbeschreiblich, was Edgar alles angibt. Jetzt fährt er nordwärts und läßt mich einfach hier, ohne anzugeben, was ich hier allein machen soll. Der Mr. Stephan ist nun auch nach Europa gefahren. Und wir sitzen hier und langweilen uns.«
»Ich würde«, sagte Miß Amanda, »an Deiner Stelle auch nach Europa fahren – gleich zum Lago Maggiore. Da kannst Du ja ruhig darüber nachdenken, ob Du Dich nun scheiden lassen willst oder nicht. Vergiß doch nicht, daß wir eigentlich nur Deiner Scheidung wegen zum Tierpark Nordindien gefahren sind.«
»So?« rief Miß Clara, »und was soll ich denn in Europa anfangen? Das möchte ich doch wissen.«
»Vierzigturmorgel spielen!« lautete die Antwort, »das ernährt Dich übrigens auf allen großen Punkten der Erdoberfläche so gründlich, daß Du schließlich darauf verzichten kannst, die Scheingattin eines reichen Mannes zu sein.«
»Scheingattin?«
Also brauste Miß Clara auf, und sie zitterte vor Wut.
Kurzum: Miß Clara beschloß plötzlich, sofort nach Ceylon zu fahren, um dort über das Ziel von Edgars Fahrt orientiert zu werden. Mr. Löwe und Miß Amanda kamen mit. Und die Drei fuhren in einem großen Luftomnibus nach Ceylon.
In diesem Luftomnibus bemerkte Miß Clara zu ihrer Freundin:
»Du, Amanda, die Einrichtungen in diesem Luftomnibus mögen ja herrlich sein. Aber wer wie ich an Edgars Luftschiff gewöhnt ist, findet doch alles in diesem Omnibus herzlich primitiv.«
Miß Amanda meinte:
»Ei! Ei! Ich vermute, daß Dir weniger an Edgars Luftschiff – als an diesem Edgar selber gelegen ist.«
»So?« sagte leise Frau Clara, »meinst Du also wirklich? Na – Du mußt es ja wissen.«
Auf Ceylon wußte niemand, wohin Mr. Krug gefahren sei.
Miß Clara rang die Hände und sprach mit den Leuten, die zuletzt mit Edgar zusammen gesehen wurden. Und diese fragte sie wieder:
»Mit wem fuhr mein Mann?«
Sie wurde ganz rot dabei, denn sie fürchtete, daß ihr der Name einer Frau gesagt werden würde.
Doch nein! man sagte einfach:
»Mit Mr. Werner.«
»Und wohin wollte dieser?« fragte sie wieder.
Und da lautete die Antwort:
»Zum Aralsee!«
»Ich danke Ihnen!« schrie Miß Clara.
Und nun wollte sie auch zum Aralsee.
Das ging aber nicht so geschwind, da Luftschiffe direkt zum Aralsee nicht fuhren.
So mußte man mehrere Luftomnibusse benutzen. Und man fuhr daher auf zeitraubenden Zickzackwegen zum fernen Aralsee.

ngg_shortcode_33_placeholder


Die Versuchsstation für See-Architektur lag mitten im großen Aralsee; die Ufer des Sees waren von der Station aus nicht zu sehen. Mr. Krug kam mit Mr. Werner nach Sonnenuntergang an. Die Station sah von oben wie ein farbiges Lichtlinienspiel aus; man hatte guirlandenartige Ketten mit bunten Lichtkörpern von Mast zu Mast gezogen. Die Ketten hingen im Bogen herunter oder waren ganz straff. Das wirkte nun von oben wie ein Linienspiel. Die Station lag auf einer großen Anzahl kleiner und großer Schiffe; diese hatten alle möglichen Formen – die meisten rechteckige – doch gab’s auch runde und ellipsenförmige, schiffartige Tragkörper, die sämtlich immer wieder anders miteinander verbunden werden konnten; die Station konnte somit leicht eine ganz andere Form annehmen; auch ließ sie sich beliebig teilen.
Als die Architekten im Luftschiff zusammen ankamen, war die Station scheinbar ein Ganzes. Hundert Architekten und Ingenieure begrüßten den Mr. Krug mit großer Hochachtung; den Mr. Werner kannten alle, die länger auf der Station gelebt hatten.
Das Wichtigste auf dieser Station, die nur von Architekten und Ingenieuren unterhalten wurde und darum nicht über sehr große Mittel verfügte, bestand darin, zu erforschen, welche Baumaterialien am längsten dem Wasser Widerstand leisten könnten.
Bei den Hausbauten oben verwandte man sehr viel Holz mit durchsichtigen Fensterscheiben; die Ampeln an den Guirlanden und auf den Masten bildeten somit für Mr. Krug allein eine Freude. Er sprach gleich über die Verwendung des bunten Glases zu Hauszwecken, man entgegnete ihm, daß das Glas ein ziemlich schweres Material sei, das in allzu großen Massen nicht verwandt werden dürfte.
Indessen – Mr. Krug sollte gleich eine sehr große Freude haben. Man plante ein Klubzimmer mit sehr viel bunt ornamentiertem Glase. Und – um nun die besten Ornamentfenster zu bekommen, hatte man einen Wettbewerb ausgeschrieben; jeder Teilnehmer an dem Wettbewerbe durfte soviel ornamentierte Glasfenster ausstellen, wie er wollte – die Größe des Formates überließ man dem Gutdünken der Künstler.
Oh – dieser Wettbewerb interessierte den Mr. Krug. Und er arbeitete in den nächsten vier Tagen zehn Entwürfe aus. Und sie wurden in verschieden großen Formaten hergestellt.
Da sah’s nun prächtig aus, als eines Abends die ganze Station von Glasfenstern umrahmt erschien.
Alle, die sich auf der schwimmenden Insel befanden, setzten sich auf die Motorboote und umkreisten nun die Insel – immerfort die von innen erleuchteten Glasfenster anstarrend. Jeder durfte zwanzig Fenster als die besten bezeichnen – oder auch weniger. Das Resultat lag bei Aufgang der Sonne vor; Mr. Krug hatte für seine zehn Entwürfe auch nicht eine einzige Stimme erhalten.
Das erregte ungeheures Erstaunen.
»Also«, rief Edgar lustig, »meine Glasbauten auf Chikago machen mich zum berühmtesten Manne. Und hier im Kreise der Berufsgenossen erhalten meine Arbeiten auch nicht eine einzige beifällige Bemerkung. Jedenfalls geht daraus hervor, daß ich mir nicht selber Beifall gezollt habe. So geht es also mit dem Ruhm. Und ich bin ganz fest davon überzeugt, daß alles ehrlich zuging. Es fehlt nicht viel, so verliere ich als Glasarchitekt mein ganzes Ansehen. Da sieht man wieder, wie viel der Ruhm wert ist.«
Nun suchte man den Edgar zu trösten. Doch er wehrte alle Tröstungen sanft lachend ab. »Ich glaube schon«, sagte er, »daß mein ornamentales Schaffen nicht sehr bedeutend ist. In Chikago wirkte nur die ungeheure Masse des Materials. Hier im Intimen hab‘ ich verloren. Das schmerzt mich nicht so sehr; ich bin jedenfalls bereit, die Sieger gelegentlich an der Förderung meiner Bauten teilnehmen zu lassen. Ich bitte um die Adressen der Herren.« Diese Großmut machte einen sehr guten Eindruck.
Doch zu Mr. Werner machte der Edgar ein ganz drolliges Gesicht und meinte zögernd: »Du glaubst nicht, wie mich’s eigentlich freut, daß ich bei dem Wettbewerb so reingefallen bin. Ich halte meine Ornamente wahrhaftig beinahe selber nicht für sehr hervorragend. Man wird meines Erachtens auch niemals seiner Bedeutung wegen berühmt; man wird wirklich nur berühmt, wenn man eine zweifellos gute Sache mit höllischer Energie propagiert. Der berühmteste Mann ist somit nach meinem unmaßgeblichem Dafürhalten wahrhaftig nicht der bedeutendste. Das gilt wenigstens für die Architektur. Es ist das auch ein guter Trost für all die Talente, die nicht so schnell durchdringen; nur wer die stärkste Energie entwickelt, hat mal auf den so zweifelhaften Ruhm zu hoffen. Glaubst Du übrigens, daß mir diese Niederlage schadet? Ich glaub’s ganz bestimmt nicht.«
Mr. Werner sah seinen alten Freund lange mit scheuer Bewunderung an und sagte dann: »Etwas Wahres steckt sicher in Deiner freundlichen Rede. Und sie war gut – wirklich gut.«
Er drückte dem Freunde die Hand.
Und gleich darauf kam ein Telegramm von den Kurian-Murian-Inseln, die an der Ostküste Arabiens liegen.
Dieses Telegramm, das nach den Fidschiinseln gesandt wurde – schon im Makartlande, auf Borneo, im Tierpark zu Nordindien, auf Ceylon gewesen war – enthielt einen neuen großen Auftrag für den Architekten.
»Da siehst Du«, rief dieser zu Mr. Werner, »wie mich das Glück verfolgt! Also: auf zu den Kurian-Murian-Inseln. Du kommst mit. Ich muß nur noch an meine Frau telegraphieren. Die wird denken, daß ich sie total vergessen habe.«
Er telegraphierte sofort ein langes Telegramm an Miß Clara, Tierpark Nordindien.
Und dann fuhren die Beiden wieder im Luftschiff davon, gaben dem Direktorium der Station für Seearchitektur auf dem Aralsee noch guten Rat für das Anbringen der Glasfenster und verabschiedeten sich.
Die schwimmende Insel wurde mit vielen farbigen Scheinwerfern, die kerzengerade zum Sternenhimmel ihr Licht emporsandten, beim Abschiede illuminiert; die farbigen Lichtkegel sahen im Luftschiff famos aus.
Das Luftschiff ließ seine Scheinwerfer unter einem Winkel von fünfundvierzig Grad zu beiden Seiten nach unten zu leuchten und fuhr gen Süden.

Während nun Edgars Luftschiff zu den Kurian-Murian-Inseln eilte, ging sein Telegramm nach Nordindien und von dort nach Ceylon und von Ceylon kreuz und quer dem Luftomnibus nach, der mit Miß Clara und Miß Amanda und Mr. Löwe zum Aralsee fuhr.
In der Station für Seearchitektur kam das Telegramm grade an, als Miß Clara dort erschien.
Da war die Dame sehr traurig.
Und ihre Freundin wurde sehr unwillig.
Mr. Löwe schimpfte.
Und man fuhr nach einigen Tagen zunächst nach Persien. Und da mußte man wieder liegen bleiben.
Und Miß Clara telegraphierte von Teheran zu den Kurian-Murian-Inseln. Das Telegramm blieb aber tagelang unbeantwortet, da Mr. Krug und Mr. Werner dort noch nicht anlangten; man fürchtete dort, daß ihnen ein Unglück zugestoßen sei und telegraphierte an Miß Clara, daß man ein Unglück befürchte.

ngg_shortcode_34_placeholder


ngg_shortcode_35_placeholderAuf den Kurian-Murian-Inseln residierte ein reicher Chinese, der Li-Tung hieß.
Herr Li-Tung war ein sehr sonderbarer Herr. Und als Bauherrn verwünschten ihn schon verschiedene Architekten; Mr. Krug hatte sich längst an die Wunderlichkeiten der reichen Bauherren gewöhnt und glaubte, daß er auch dem wunderlichsten gewachsen sein könnte. Eines Morgens meldete er sich bei Herrn Li-Tung durch Farbensignale hoch über den Kurian-Murian-Inseln kreisend an. Herr Li-Tung signalisierte:
»Sehr angenehm, Mr. Krug, daß Sie schon da sind. Wir befürchteten, daß Ihnen ein Luftmalheur zugestoßen wäre. Muß darum sofort an Ihre Frau Gemahlin nach Teheran telegraphieren. Empfange Sie heute um Mitternacht. Kleiden Sie sich in rote Seide. Meine Diener stehen ganz zu Ihrer Verfügung. Ich bin Ihr Li-Tung. «
Mr. Werner sah seinen Freund lustig an.
»Das beginnt ja«, rief er, »ganz famos. Du, Edgar, sollst in roter Seide erscheinen. Wie erscheine ich da?«
»Das werden uns die Diener sagen!« versetzte Herr Krug, und er überblickte dabei staunend das Terrain unten. Da gab’s keine Felder, keinen Wald und kein Gras. Buntes Majolika-Parkett bedeckte den Boden in Terrassen. Die Terrassen waren durch Treppen und Fahrstühle verbunden.
»Mit dem werde ich einig!« rief Mr. Krug. Und Abends soupierten die beiden Freunde ganz in roter Seide. Danach kam der Empfang.

Li-Tung aber hatte an Miß Clara Krug nach Teheran telegraphiert:
»Gnädigste! Gute Laune anstecken! Gemahl in den Wolken und gerettet. Kommt gleich runter. Fahren Sie nach Schiras. Dort eins meiner Luftschiffe. Kaufen Sie in Schiras auf meine Rechnung für hundert Pfund Brokatstoffe – die besten. Sie werden in Schiras erwartet von meinen Luftchauffeuren. Ich begrüße Gnädigste in vollkommener Hochachtung und bin Ihr Li-Tung.«
Er telegraphierte auch an sein Luftschiff in Schiras.

Um Mitternacht tanzten hundert Damen aus allen Rassen des Erdballs einen bunten Serpentintanz auf dem Majolika-Parkett des reichen Li-Tung; die Damen und ihre farbigen Schleier wurden bunt von unten beleuchtet; die Scheinwerfer kamen aus den Majolikafliesen heraus. Natürlich – diese unterirdische Beleuchtung ließ sich nur dadurch herstellen, daß einzelne Stellen des Parketts aus durchsichtigem Glase bestanden.
Der Tanz wirkte sehr bunt.
Herr Li-Tung stand von seinem Throne auf und umarmte Mr. Krug und Mr. Werner und sagte gleich:
»Meine Kurian-Murian-Inseln können gar nicht bunt genug sein.«
Mr. Krug sagte zu Allem:
»Jawohl! Jawohl! Bin ganz Ihrer Meinung.«
Und dann entwickelte Mr. Li-Tung bei farbiger Fackelbeleuchtung, während die Diener auf dem Majolika-Parkett Tee und Frühstücksgebäck servierten, seine großen Baupläne.
Die Fackeln brannten auf ziemlich hohen Mastbäumen, die man in ein paar Minuten aufgerichtet hatte.
»Sehen Sie«, sagte Mr. Li-Tung, »ich lebe hier wie der alte Kaiser von China, der ja jetzt schon vor vielen Jahrzehnten abgesetzt ist. Ich lebe hier so wie der alte Kaiser, als er noch nicht abgesetzt war. Ich bin nur ein bischen kleiner als er. Nun ja! Deshalb vertrag ich keinen Widerspruch. Und das ließen sich die andern Architekten nicht gefallen. Hoffentlich vertragen wir uns besser, Mr. Krug!«
»Das erscheint mir sehr wahrscheinlich!« sagte dieser ruhig, »jetzt aber Näheres über die Baupläne, Majestät!«
»Hoho!« rief Mr. Li-Tung, »Sie haben kein Recht, mich Majestät zu nennen, denn ich bin doch immer noch ein bischen kleiner als der alte Kaiser von China.«
Mr. Krug verbeugte sich und sagte ruhig:
»Habe leider den alten Herrn nicht gekannt. Der alte Kaiser ist ja wohl schon längst gestorben.«
»Ja!« sprach Li-Tung, »meine Pläne sind kurz diese: ich möchte Häuser haben, die an Galgen hängen. Galgenstraßen möchte ich haben. Sie fragen: warum? Ja – glauben Sie denn, ich werde mein köstliches Majolika-Parkett der Häuser wegen ruinieren? Außerdem: ich will, daß der horizontal stehende obere Galgenarm drehbar ist.«
»Geht!« sagte Mr. Krug, »man verlängert den Galgenarm nach der anderen Seite, belastet ihn und benutzt die Verlängerung als Hebelstange. Wenn die Häuser klein und ganz aus Glas sind, lassen sie sich auch zum Boden runterziehen – höher und tiefer hängen – jedenfalls immer so drehen, daß das Wohnzimmer im Schatten liegt. Eine perpetuierlich variable Architektur. Ich werde gleich Bauleute aus dem Tierpark Ostindien herkommen lassen.«
Mr. Li-Tung sah den Architekten erstaunt an, sprang auf, umarmte ihn stürmisch und rief: »Sie haben mich total verstanden. Sie halten mich nicht für verrückt. Champagner! Wir müssen gleich Brüderschaft trinken.«
Man zechte bis zum Morgengrauen.

Als Miß Clara ankam, fand sie eine sehr ausgelassene Gesellschaft – und lauter exotische Damen: Negerinnen, Indianerinnen, Perserinnen usw. Das Englisch, das gesprochen wurde, klang zumeist sehr unverständlich.
Miß Clara kam in Grau mit zehn Prozent Weiß.
Miß Amanda hatte auch Grau mit zehn Prozent Weiß angelegt.
Mr. Löwe ebenso.
Da sahen die Drei den Mr. Krug in grüner und blauer Seide.
Das war eine große Überraschung.
Mr. Li-Tung bat gleich die Drei, sich rasch in Seide und Brokat zu werfen.
»Widerspruch gibt’s hier nicht!« rief er sehr energisch.
»Widerspruch gibt’s hier nicht!« riefen Mr. Krug und Mr. Werner.
Die Situation wurde nun ganz seltsam. Mr. Löwe faßte seinen Freund Edgar an beiden Schultern und rief:
»Mensch, ich erkenne Dich nicht wieder. Mr. Stephan ist nach Europa gefahren. Bei welchem Gerichtshof soll ich ihn nun verklagen?«
»Laß mich doch damit in Ruh‘!« versetzte der Edgar.
»Aber dieser Klage wegen«, rief Mr. Walter Löwe, »fahre ich Dir doch seit Monaten nach.«
»Mein Herr! Mein Herr!« rief da Li-Tung, »erst umkleiden. Widerspruch gibt’s hier nicht.«
Nun kleidete sich auch Mr. Löwe um.
Und danach pokulierten alle wieder bis zum Morgengrauen.
Die Balletteusen tanzten nach der Musik von fünf alten Leierkasten.
Das fand Miß Clara gräßlich, und sie sagte gleich, daß sie an Vierzigturmorgelmusik gewöhnt sei. Li-Tung bestellte gleich eine Dreiturmorgel. Die Türme sollten durch größere Galgenhäuser ersetzt werden.
Die Leierkasten wurden fortgebracht.
Die exotischen Damen sangen jetzt zu ihren Tänzen.
Miß Clara sagte zu ihrem Edgar:
»Wie lange müssen wir noch hierbleiben?«
Und Mr. Edgar erwiderte:
»Wir müssen mit List fort.«
Aber erst nach zwei vollen Monaten, als die Architekten und Arbeiter aus Indien angekommen und auch die Musikinstrumente für die drei größeren Galgenhäuser da waren, konnte Mr. Edgar seinem Freunde Li-Tung ein Telegramm zeigen, das ihn sofort nach Babylon rief.
Li-Tung wollte mitkommen. Doch Mr. Krug sagte, daß er so bald wie möglich wiederkommen würde.
Und so fuhren Krugs mit Miß Amanda und Mr. Löwe gen Babylon.
Miß Clara erschien beim Abschied auf der Balkonterrasse des Krugschen Luftschiffes wieder in Grau mit zehn Prozent Weiß.
Mr. Li-Tungs Balletteusen tanzten.
Und die Dreiturmorgel, auf der Miß Clara öfters schon gespielt hatte, wurde von einer talentvollen Kreolin gespielt; diese spielte Ballettmusik – mit Glocken, Pauken und Posaunen.
Mr. Li-Tung wehte mit seinem bunt karrierten seidenen Taschentuch.
Und das Luftschiff flog davon.

ngg_shortcode_36_placeholder


»Das war anstrengend!« rief Miß Clara, als sie die Kurian-Murian-Inseln aus den Augen verloren.
»Es hat aber meiner Kasse wieder auf die Beine geholfen!« sagte Mr. Edgar.
Und Mr. Löwe meinte:
»Dann kannst Du mir wohl die Reise ersetzen.«
»Ja!« sagte Mr. Edgar.
Und es geschah.
Miß Amanda wollte nun von Grau und zehn Prozent Weiß sprechen, da sagte aber Miß Clara lebhaft:
»Liebe Amanda, ich bin doch in verschiedener Hinsicht andrer Meinung geworden. Wir wollen die Sache gar nicht weiter verfolgen. Die Kurian-Murian-Inseln bildeten ein Intermezzo in unserem Leben. Dieses Intermezzo hat uns den Magen verdorben. Sprechen wir später über die Farbengeschichte. Ich gehe jedenfalls wieder laut Kontrakt in Grau mit zehn Prozent Weiß.«
Mr. Edgar verbeugte sich lächelnd und gab seiner Gattin eine Zigarette.
Und man kam vorläufig auf die Kostümfrage nicht mehr zurück.

Den Mr. Werner hatte Edgar auf den Kurian-Murian-Inseln zurückgelassen – mit besonderen Verhaltungsmaßregeln. Mr. Werner sollte außerdem die Bauarbeiten »leiten«: seine Haupttätigkeit aber war diplomatischer Natur.
Kaum befand sich Krugs Luftschiff außer Sicht, so sagte zu Li-Tung der Mr. Werner in geheimer Audienz:
»Edelster Herr Li-Tung, der Sie nur ein bischen kleiner sind als der alte Kaiser von China – welche Tatsache ich niemals vergessen werde – ich erlaube mir, ganz ergebenst zu bemerken, daß das Bunte immer gut ist – sehr gut – außerordentlich gut. Indessen – es gibt verschiedene Arten von Buntigkeit – z. B. glänzende knallige Buntheit und schlaffe melancholische Buntheit. Diese beiden Buntheiten passen nicht gut zusammen. Wir aber wollen auf den Kurian-Murian-Inseln keine Art von Buntheiten ausschließen. Und deshalb muß bei der koloristischen Komposition der am Galgen hängenden Häuser auf Majolika-Parkett und Garderobe Rücksicht genommen werden. Ersteres ist da und bereits maßgebend. Die Garderobe verändert sich bei den Ballettdamen, wie Sie wissen, täglich. Darum bitte ich den Damen mitzuteilen, daß der Garderobenkonsum bis auf Weiteres gesperrt werden muß. Später hat er sich der aufgehängten Architektur anzugliedern.«
Das verstand Mr. Li-Tung nicht. Drei Stunden hindurch mußte er sich die Sache klar machen lassen. Dann sagte Mr. Li-Tung: »Man hole den Ballettmeister!«
Nun wurde dem die Sache klar gemacht, ihm bedeutet, daß später, wenn die hängende Architektur erst fertig werde, der Kostümaufwand mächtig wachsen dürfte – usw. usw. Der Ballettmeister sagte schließlich:
»Mächtig wachsen ist gut – sehr gut – außerordentlich gut! Besonders für die Kostüme der Damen, die leider nicht mehr wachsen können; die meisten sind zu alt dazu.«
Bei den hundert Ballettdamen erregte die Neuigkeit einen Sturm der Entrüstung. Doch ließen sich die Damen durch den Hinweis auf das mächtige Wachsen des Kostümkonsums schließlich zur Not beschwichtigen. Doch murrten sie im Geheimen.
Mr. Werner depeschierte an Mr. Krug das Resultat seiner ersten diplomatischen Aktion. Und die hängende Architektur machte immer größere Fortschritte.
Man freute sich über die Glashäuser, die in der Luft hingen, immer mehr.

Währenddem promenierten Krugs mit Miß Amanda Schmidt und Mr. Walter Löwe auf den neuen Quais von Babylon. Im alten Babylon hatte man neue Majolikadämme hergestellt.
Eine Orientgesellschaft wollte im alten Babylon die Herrlichkeit, die unter dem alten Nebukadnezar geherrscht hatte, noch mal herstellen – restaurieren.
»Eine sehr große Kateridee!« meinte Mr. Krug.
Aber die Direktoren der Orientgesellschaft widersprachen lebhaft, sie sagten:
»Die Bestrebungen der verschiedenen Menschen sind eben verschieden – die einen wollen das Alte, die andern das Neue. Außerdem haben wir im Euphrat- und Tigrislande so viel entdeckt und ausgegraben, daß wir jetzt mal eine Epoche der babylonischen Kultur rekonstruieren können.«
»Wir haben viele Beduinen überredet, hier als Krieger, Hofbeamte, Eunuchen, Tempeldiener zu figurieren.«
»Und deshalb haben wir, um den Zuzug der Fremden abzuwehren, beschlossen, alle Besucher zu veranlassen, sich babylonisch zu kleiden – im Geschmack des alten Nebukadnezar, der von sechshundertfünf bis fünfhundertzweiundsechzig vor Christus hier residierte.«
»Das heißt«, rief Mr. Löwe, »wir sollen uns auch babylonisch kleiden und frisieren lassen?«
»Freilich! Freilich!« riefen die Herren vom Direktorium der Orientgesellschaft, »die Damen können so bleiben, wie sie sind. Aber sie dürfen zur Fortbewegung nur Sänften gebrauchen. Sänftenträgerinnen stehen sofort zur Verfügung. Für die Herren stehen gekräuselte Bärte und Perücken zur Verfügung. Wir gehen europäisch, da uns das ganze Terrain gehört.«
Miß Clara lachte ganz laut.
Miß Amanda lächelte.
Die Herren verbeugten sich und Mr. Löwe meinte:
»Na, wem’s nicht gefällt, der kann ja mit der Bagdadbahn nach Konstantinopel fahren. Darauf läuft es ja wohl hinaus.«
»Jedenfalls«, bemerkte Mr. Krug, »eine sehr höfliche Art, die Besucher darauf aufmerksam zu machen, daß vorläufig ihr Besuch noch als etwas störend empfunden wird. Ich aber füge mich – füge mich – wie immer.«
Als nun der Architekt und der Rechtsanwalt im babylonischen Kostüm erschienen, wollten sich die Damen in ihren Sänften halbtot lachen; Mr. Krug sagte ernsthaft:
»Nicht zu lange lachen! Sonst wird uns die Besichtigung des neuen Babylons nicht gestattet.«
»Pardon!« rief ein Herr vom Direktorium, »es heißt das alte Babylon.«
Dabei lag Krugs langes Luftschiff gar nicht weit ab auf dem blumigen Wiesenterrain.

ngg_shortcode_37_placeholder


Nun entwickelte sich aber das Zusammenleben in diesem neuen Altbabylon ganz anders, als man gedacht hatte; ein paar Beduinen benahmen sich kostümiert so, daß sie rasch exportiert werden mußten. Dem wohnten die Vier vom Luftschiff bei.
Mr. Edgar setzte große Glasfenster in den alten Königsbarken durch. Die eine fuhr schon mit Dreirudrern auf dem alten Euphrat herum. An den andern baute man noch. Mr. Edgar setzte auch noch bunte Ampeln an den beiden Rändern der breiten Prozessionsstraße durch. Aber mehr konnte er nicht erreichen. Die Glaser hatten hier nicht viel zu sagen. Majolika war Trumpf.
An einigen Palastwänden sollten auch große plastische Majolikagruppen angebracht werden – und sehr viele babylonische Löwen – im Geschmack Nebukadnezars frisiert – wurden aus gebrannter Tonerde hergestellt. Doch hatte das Terrain einen sehr wenig sympathischen Charakter; überall lag Angefangenes umher, die Lagerstellen der Materialien machten einen unordentlichen Eindruck, und die Herren vom Direktorium ließen sich selten blicken; von einem Tempelbau sah man nur die vier Grundsteine, in die Tönnchen mit babylonischer Schrift hineingelegt wurden.
Im kleinen Euphratrestaurant kam Mr. Löwe eines Abends zu Mr. Krug und den beiden Damen und sagte lächelnd:
»Kinder! Hier fehlt’s am Gelde. Daher die Kostümscherze. Ich denke, wir machen, daß wir möglichst rasch fortkommen.«
»Dann fahr doch«, sagte Edgar, »mit der Bagdadbahn.«
»Schön«, versetzte der Rechtsanwalt, »wie aber steht’s eigentlich mit Deinem Paragraphen im Ehekontrakt? Ich sah Deine Gattin schon in Brokatstoffen. Bald wird sie auch altbabylonisch kostümiert sein. Müssen wir da nicht schnell noch die Sache mit dem Grau und den zehn Prozent Weiß rechtskräftig ändern?«
»Ja«, sprach Edgar, »rechtskräftig aufheben wollen wir den Paragraphen.«
Mr. Löwe fixierte alles schriftlich, und die Beteiligten unterschrieben das Skriptum.
»So ist also«, bemerkte Miß Amanda, »die Kostümfrage erledigt.«
»Keineswegs!« sagte Miß Clara, »ich trage auch fürderhin Grau mit zehn Prozent Weiß freiwillig.«
»Aber Clara!« rief ganz entsetzt Miß Schmidt, »wenn aber Dein Gatte Dich bunt zu sehen wünscht, was dann?«
»Das geht uns nur was an!« bemerkte schnippisch Frau Krug.
Miß Amanda wollte nun auch gleich mit der Bagdadbahn nach Konstantinopel. Doch wurde ihr auseinandergesetzt, daß der Seeweg nach New-York doch bequemer sei. Da wollte sie denn vom Mittelmeer aus ein Motorschiff benutzen.
Mr. Löwe fuhr noch in derselben Nacht mit der Bagdadbahn nach Konstantinopel.
Die letzten Gläser wurden im Euphratrestaurant ohne Perücke – nur mit dem schwarzen gekräuselten Bart – getrunken. Die Damen amüsierten sich königlich bei dieser kulturhistorischen Kostümgeschichte.

Am nächsten Morgen telegraphierte der Edgar an den Li-Tung: »Liebster Freund! Sehe, daß Du hier in Babylon die ersten Anregungen für Deine Majolikaterrassen bekommen hast. Wenn meine Glasbauten doch auch überall so anregend wirken möchten. Jedenfalls muß ich heute zur Insel Kypern fahren, allwo große Seehafenbauten mit sehr viel Glas zur Ausführung kommen sollen. Wenn ich nicht mehr zu den Kurian-Murian-Inseln zurück kann, mußt Du mich im Lago Maggiore auf der Isola grande besuchen. Aber eine Bitte: nicht mit dem Ballett. Grüße Mr. Werner! Wir grüßen Dich Alle, und ich bin Dein getreuer Edgar Krug.«


IV

ngg_shortcode_38_placeholderNach diesem Telegramm ging’s im Luftschiff westwärts zur Insel Kypern. Man flog sehr hoch, da es sehr warm war. Miß Amanda Schmidt bedauerte lebhaft, daß sie sich mit Miß Clara nicht mehr als gleichgestimmt empfand, und Miß Amanda sprach viel von ihren Löffel- und Gabelgriffen in Silber – überhaupt von ihrem kunstgewerblichen Silberzeug. Mr. Edgar bestellte bei ihr ein kleines Warenlager für die Küche seiner Gemahlin.
»Meine Frau hat ja immer noch nicht ihre Küche auf der Isola grande gesehen.«
Das sagte Mr. Edgar öfters.
Und über Kypern hielt er einen kleinen kulturhistorischen Vortrag über die Insel – mit diesen Worten:
»Die Damen dürfen sich nicht wundern, wenn ich ihnen einen kleinen Vortrag halte. Über Babylon hab‘ ich’s ja nicht getan. Jetzt aber kann ich all mein großes herrliches Wissen nicht mehr zurückhalten. Die Damen müssen bedenken, daß Kypern schon dreitausend Jahre vor Christus eine damals recht bekannte Insel war. Man vermutet, daß ägäische Völker von Kleinasien her hier eindrangen. Diese entdeckten hier das viele Kupfer. Nach dem Kupfer erhielt die Insel ihren Namen. Um eintausendfünfhundert vor Christus bezogen die Ägypter ihr Kupfer aus Kypern. Mit dem Kupfer entstand sehr früh eine Bronzekultur auf der Insel, die wahrscheinlich mit der Bronze allen anderen Völkern des Orients voraneilte. Doch ist dieses, soviel ich weiß, noch nicht genau erwiesen. Bei den alten Griechen aber war die Insel des Weines wegen berühmt, der in verharzten Schläuchen aufbewahrt wurde und sehr nach Harz schmeckte. Ich habe kyprischen Wein im Luftschiff. Sie können sich sofort davon überzeugen, daß der kyprische Wein heute nicht mehr nach Harz schmeckt.«
Er winkte dem Diener.
Und der Wein kam.
Und Miß Clara sagte:
»Kein Gelehrter hätte herrlicher reden können als Du, Edgar! Wo hast Du denn all die viele Gelehrsamkeit her?«
»Ich war ja«, versetzte Edgar, »ursprünglich Archäologe. Doch mußte ich die Sache aufgeben, weil das unaufhörliche Graben bei den Ausgrabungen für mich zu anstrengend wurde.«
Man trank über der Insel Kypern auf das Wohlergehen der Archäologie und landete im großen Lufthafen der Insel.

Der Lufthafen lag dicht neben der alten Stadt Kition. Und über dem Mittelbau des kreisrunden Lufthafens befand sich ein großes Hallenrestaurant, das eigentlich nur aus einer einzigen halbkugelartigen Kuppel bestand.
Hier dinierten grade, als Krugs mit Miß Amanda ankamen, die Herren von der Mittelmeermotorschiffgesellschaft. Die Halle leuchtete dunkel violett mit lila Ornament. Die Damen trugen Weiß mit viel Grün dazu.
Da wirkte wieder Miß Clara mit ihrem grauen Tuch und den zehn Prozent Weiß sehr gut; man bewunderte ihre einfache Toilette.
Nun sollte über den großen Seehafen für die Motorschiffe Beschluß gefaßt werden. Und Mr. Krug hatte sehr rasch gesiegt; ihm wurde die Ausgestaltung des Hafens mit Glasarchitektur übertragen.
»Allerdings«, sagte der eine der Direktoren, »wir machen den Herrn Architekten darauf aufmerksam, daß wir allzu viel Farben und allzu Buntes vermeiden möchten. Wir wollen mehr das Einfache. Aber das einfache graue Kostüm der Gattin unsres Architekten bürgt uns ja dafür, daß Mr. Krug nicht den geschmacklosen allzu bunten Farbenzauber auch hier bei Kition auf der alten Insel Kypern einführen wird.«
»Hast es gehört?« sagte leise Miß Clara zu Miß Amanda.
Mr. Krug sah seine Gattin lächelnd an. Und Alle tranken auf das Wohl der Miß Clara. »Das war also«, sagte Miß Clara nachher zu ihrem Gatten, »eigentlich mein erster Erfolg während unserer ganzen langen Hochzeitsreise.«
Und Edgar erwiderte: »Merkwürdig! Und Du bist gar nicht mehr verpflichtet, Grau mit zehn Prozent Weiß zu tragen.«
Sie standen oben auf der Terrasse des Lufthafens und blickten über Kition hinüber auf das große alte Westmeer, in dem die Sonne unterging. Hinter ihnen lag das violette Kuppelrestaurant.

Nun ordnete Mr. Krug die Ausstattung des Seehafens an; die Schiffe sollten bei ihrer Einfahrt gleich in ein großes Glasreich hineinfahren. Und so wurden auf allen Seiten des Hafens große Glaswände angebracht, die wenig ornamentiert das Glas einfarbig in großen Flächen zeigten.
Mr. Krug wollte das Blaue vermieden sehen, dafür sprach er sich für alle Grüns, Rots, Gelbs aus.
»Schließlich«, sagte er zu seinen Leuten, »ist es ja genügend, wenn das Ganze einfach wirkt. Immer einfach! Nur drei Farben! Aber die in allen Tönungen. Man kann gar nicht einfach genug sein. Sehr viel einfarbiges Drahtglas ist herbeizubringen!«
Man tat, wie er sagte.
Die Bauherren nickten sehr vergnügt.
Und bald waren die Probewände aufgerichtet – doppelte Wände waren’s. Und das elektrische Licht leuchtete zwischen den doppelten Wänden.
»Mr. Krug«, sagte Miß Amanda, »hier verstehe ich Sie nicht recht. Alles soll ganz einfach sein. Aber mir erscheint die Sache doch als sehr bunt.«
»Sehr richtig!« erwiderte Edgar, »ich will ja auch ziemlich bunt alles machen. Nur eines übersehen Sie: das Ganze wird trotzdem einfach wirken.«
Nun wurde Mr. Krug auch nach Kairo gerufen; Miß Amanda wollte nicht mit und fuhr mit dem nächsten Motorschiff durch’s Mittelmeer nach New-York; sie sagte, daß sie die bestellten Silbersachen schnell fertig machen wollte.
»Telegraphiere mir doch recht bald wieder!«
Das sprach Miß Amanda zu Miß Clara, als sie schon im Schiff saß.
Krugs fuhren bald darauf nach Kairo.

In Kairo hatte man eine Pyramidengesellschaft gegründet.
Und die wollte die Anziehungskraft der Pyramiden auf die Fremdenwelt um ein Beträchtliches erhöhen.
Mr. Krug schlug nun vor, die Nilschiffe zu kostbaren Glasschiffen zu machen.
Doch das genügte den Herren nicht.
Mr. Krug schlug auch vor, kleine Hotels auf den Ufern des Nils herzustellen – prächtige Glashotels.
Das wurde alles für zu teuer gehalten.
Da sagten die Herren, daß sie auf den Spitzen der Pyramiden große Glasobelisken haben möchten.
Als das Mr. Krug hörte, wurde er ganz rot im Gesicht, und er schrie die Herren wütend an:
»Das ist ja empörend! Die ältesten Baudenkmäler, die wir auf der Erde haben, wollen Sie derartig behandeln! Wollen Sie die alte ägyptische Architektur verhöhnen? Das soll ich als Architekt zulassen?«
»Sie sind doch aber sonst so«, sagte man freundlich, »für die Glasarchitektur. Wie kommt es denn, daß Sie hier plötzlich anders wollen?«
»Meine Herren!« rief Mr. Krug, »ich bin Archäologe und habe einen heiligen Respekt vor allen alten Baudenkmälern. Allerdings– bin ich auch Glasarchitekt. Aber niemals werde ich mit dieser Glasarchitektur alte ehrwürdige Pyramiden verhöhnen. Ich teile das sofort öffentlich in allen Bauzeitungen mit und werde schon die Archäologen zum Schutze der Pyramiden zusammenbringen. Ich breche hiermit die Verhandlungen ab und fahre auf der Stelle davon. Sie sollen mich nicht wiedersehen!«
Miß Clara sah ihren Gatten voll Bewunderung an.
Und bald darauf flogen sie im Luftschiff hoch über dem alten Nil wieder nordwärts.
»Fahren wir jetzt«, fragte Miß Clara schüchtern, »zum Lago Maggiore?«
» Nein «, erwiderte Mr. Krug, » wir fahren zuerst nach Malta, allwo ein Museum für altorientalische Waffen gebaut werden soll.«
»Grade für Waffen?«
Also Miß Clara.
»Ja«, versetzte ihr Gatte, » das sind doch auch Altertümer. Und – ich hoffe, dort auf Malta ganz freie Glasarchitektur schaffen zu können. Vielleicht werden die Bauten auf Malta noch viel grandioser als die bei Chikago. Du siehst jedenfalls, daß sich die Archäologie ganz gut mit der Glasarchitektur verträgt.«
»Ja«, sagte Miß Clara lebhaft, »das sehe ich. Und ich fühle auch, daß Deine Stellung nicht grade eine leichte ist. Die Leute wollen das Bunte nicht, sie sagen: das ist zu grell. Und nun mußt Du ihnen immer wieder zureden, doch wenigstens ein paar Farben zu bewilligen. Du mußt die Leute gradezu zur Farbe verführen. Ich verstehe, daß das keine kleine Arbeit ist. Und – das graue Tuch, das ich trage, soll zur Verführung der Bauherren das seinige beitragen. Ich fange an, allmählich die Bedeutung des grauen Tuchs zu ahnen. Habe ich Recht! Oder – habe ich Unrecht?«
»Das weiß ich nicht!« sagte Mr. Edgar lächelnd, »doch zunächst muß ich diesen Barbaren in Kairo auf die Zehen treten. Ich möchte Berichte an die Bauzeitungen diktieren.«
Miß Clara erhob sich.
Und Mr. Edgar diktierte wütende Berichte an die Bauzeitungen.
Dabei leuchtete der Vollmond.
Und viele Störche schwebten am Luftschiff vorüber. Ein Storch setzte sich neben den Steuermann, doch flog er nach ein paar Minuten den andern Störchen wieder nach.

In Malta wurde Mr. Krug mit großen Banketts empfangen.
Hier ging alles ohne Schwierigkeiten.
Hier war sehr viel guter Wille, aber leider wieder mal sehr wenig Geld da.
Verzweifelt sagte Edgar zu seiner Gattin:
»Sieh! Hier könnte ich nun das Allergrößte zusammenbauen. Hier sind die Leute begeistert von der Glasarchitektur. Und immer wieder muß ich konstatieren, daß auf Erden dort, wo Begeisterung da ist, wenig Geld da ist. Es ist ein Jammer.«
»Nun laß doch nur!« tröstete Frau Clara, »Du baust doch an so vielen Stellen, an denen sehr viel Geld vorhanden ist.«
»Es kann aber gar nicht genug gebaut werden!« rief Mr. Edgar und lief davon.
»Es liegt etwas Unersättliches in meinem Manne!« sagte Miß Clara zu ihrer Kammerfrau.
Und dann wollte Miß Clara erfahren, ob ihr Gatte auch früher schon so viel gebaut hätte.
Doch darüber konnte die Kammerfrau gar keinen Bescheid geben, da sie erst in Chikago von Herrn Krug engagiert wurde.
»Als was?« fragte Frau Krug.
»Eigentlich«, versetzte die alte Frau, »als Leiterin der Küche. Die Leitung der Küche hat jetzt eine andere Frau übernommen. Die eignet sich auch viel besser für das ganze Küchenregiment.«
Sie sprachen noch lange.
Sie saßen auf einer Terrasse des großen Mittelmeerhotels zu Malta.

ngg_shortcode_39_placeholder


Mr. Krug telegraphierte nun an Mr. Webster, der in London weilte, also:
»Sehr geehrter Herr Webster, hier in Malta soll ein großes Museum für orientalische Waffen gebaut werden. Und ich soll’s mit herrlichster Glasarchitektur umrahmen. Meine Pläne sind vollkommen fertig. Aber ich kann sie nicht verwenden, denn die Gesellschaft hat nicht das nötige Geld. Können Sie mir nicht einen Rat geben, an wen man sich da wenden könnte? Ich wäre Ihnen dankbar; ich möchte nicht gerne weiter reisen, ohne hier etwas erreicht zu haben. Mit vielen Grüßen – auch von meiner Frau – Ihr ergebener Edgar Krug.«
Das Telegramm zeigte Edgar auch seiner Frau – und sie warteten Beide auf die Antwort mit großer Spannung.
Die Antwort lautete:
»Geehrter! Wer interessiert sich denn heute für orientalische Waffen? Ich würde der Gesellschaft raten, die Waffen zu verkaufen – und für das Geld eine Glasarchitektur zu schaffen, ohne ihren Zweck anzugeben. Später finden sich, wenn die Architektur vortrefflich ist, leicht ein paar Liebhaber, die die Palazzos ankaufen. Sonst kenne ich leider nicht Kapitalisten, die für die Erhaltung einer Waffensammlung Geld ausgeben möchten. Orientalische Waffen haben heute doch kaum einen Liebhaberwert. Viele Grüße – auch Ihrer Frau Gemahlin. Webster.«
Das Telegramm wurde auch den Direktoren der Gesellschaft vorgelegt. Diese jedoch erklärten, daß sie an Testamentsparagraphen gebunden wären, die nicht so leicht zu umgehen sein dürften.
Sofort ließ Edgar den Wortlaut des Testamentes an Mr. Löwe Chikago telegraphieren und anfragen, ob das Testament anzufechten sei.
»Unanfechtbar!« telegraphierte bald darauf der Mr. Löwe.
Nun hätten die Direktoren riesig gerne die ganze Waffensammlung verkauft. Aber sie durften eben nicht. Miß Clara schlug vor, sich doch mit den andern Erben in Verbindung zu setzen, doch da erklärten die Direktoren auf Malta, daß sie das längst getan, schnöde Antworten hätten sie bekommen.
Mit dem vorhandenen Gelde ließ sich zur Not ein kahler Backsteinbau ausführen.
Mr. Krug raufte sich in der Verzweiflung die Haare – d. h. er tat so: in Wirklichkeit ließen sie sich gar nicht raufen, da sie ganz kurz waren.

In Chikago hatte inzwischen Miß Amanda Schmidt von den Verlegenheiten des Mr. Krug auf Malta gehört.
»Das ist ja«, telegraphierte sie an Mr. Löwe, »ganz unerhört. Da denken wir, Krugs seien reiche Leute, und schließlich existiert der Reichtum gar nicht. Was man nicht alles erleben kann. Mir gibt Mr. Edgar einen fürstlichen Auftrag, ich soll für fünftausend Dollars Silberzeug herstellen. Und er selbst hat gar nicht so viel Geld, um ein paar Glaspaläste zu bauen. Das ist betrübend. Reiche Leute, die kein Geld haben, können mir doch in der Seele leid tun. Alle Welt will von ihnen haben – haben – haben. Und sie könnten Geld ebensogut gebrauchen – wie die Armen. Eine größere Komödie als die Geldkomödie dürfte auf Stern Erde nicht auffindbar sein. Sagen Sie mal, Mr. Löwe, entschuldigen Sie, daß ich so lange spreche – aber meinen Sie nicht, daß wir die siebenundzwanzigtausend Dollars, die wir zusammen bei der Filmgeschichte eroberten, nicht dem Ehepaar Krug zur Verfügung stellen könnten? Mir brennt das Geld im Portemonnaie.«
»Aber«, rief Mr. Löwe, »dann geben Sie doch rasch das Geld einer Bank. Außerdem: Sie müssen ja, Miß Amanda, mächtig große Portemonnaies besitzen. Schonen Sie die doch; man kann immer nicht wissen, wozu man solche Gebrauchsgegenstände mal verwenden könnte. Ich bitte Sie nur um Eines: vorläufig Diskretion! Nichts ohne meine Einwilligung machen! Außerdem: wir können dem Mr. Krug vielleicht helfen, ohne uns bloszustellen. Einverstanden damit?«
»Ja!« sagte Miss Amanda.
»Dann«, fuhr Löwe fort, »vorläufig abwarten. Nichts tun! Ja nicht an Miß Clara telegraphieren. Versprechen Sie mir das?«
»Ja!« sagte Miß Amanda.

Währenddem dachte Miß Clara sehr lebhaft an ihre Freundin Amanda, und sie telegraphierte ihr von Edgars Verlegenheit.
Miß Amanda telegraphierte:
»Fasse Dich in Geduld. Vielleicht nimmt alles noch ein gutes Ende; ich muß leider schweigen, bin aber wie stets Deine alte Freundin Amanda.«
»Schweigen muß sie?«
Also Miß Clara, die aus diesem Telegramm nicht klug werden konnte. Ihrem Gatten teilte sie von Miß Amanda nichts mit.
Edgar aber gab die Partie noch nicht auf; er wandte sich ganz kühn an Mr. Li-Tung. Da bekam er aber eine Antwort, die er nicht erwartet hatte – sie lautete so:
»Lieber Edgar! Was verpflichtet Dich denn, für alte orientalische Waffen Lanzen zu brechen? Das ist doch heutzutage ganz töricht. Denkst Du denn, ich werde mein Geld für eine Waffensammlung vergeuden? Ich denke ja gar nicht daran. Ich würde mir auch unsäglich viele weitere Feinde zuziehen. Man haßt mich schon meiner aufgehängten Architektur wegen in hinreichendem Maße. Man möchte mich hier am liebsten selber aufhängen. Die Hälfte meines Balletts ist schon auf und davon. Ich wohnte täglich in einer anderen Glasvilla und entbehre das Ballett gar nicht mehr. Du solltest Dir mal jetzt die Sache ansehen. Mr. Werner hat die Galgenvillen mit peinlichster Akkuratesse ausgeführt. Man kommt von unten in jedes Haus hinein. Der Mann hat Humor, ich aber habe kein Geld für orientalische Waffen. Wenn Du mich nicht besuchst, so besuche ich Dich. Heil Deiner Gattin und Dir. Ich bin Dein Galgenhumorist Li-Tung.«
Auch dieses Telegramm wurde den Direktoren vorgelegt. Nun fragten die genau nach den Preisen. Und da stellte es sich heraus, daß schon mit siebenundzwanzigtausend Dollars ganz prächtige Räumlichkeiten herzustellen seien, wenn das Geld, das für den kahlen Backsteinbau da war, hinzugelegt würde.
»Siebenundzwanzigtausend Dollars!« sagte Miß Clara, »das halte ich ja gar nicht für so viel.«
Und sie fragte bei der Marquise Fi-Boh in Tokio an, ob sie nicht die fehlende Summe aufbringen könnte.
Da erhielt Miß Clara folgende Antwort:
»Teuerste Miß Clara! Wie leid tut es mir, daß ich Ihnen nicht helfen kann. Ja – vielleicht hat Ihr Gatte Recht gehabt, als er Ihnen graues Tuch mit zehn Prozent Weiß vorschrieb. Aber – komisch finde ich es, daß Sie bei dieser Sparsamkeit doch noch in Verlegenheit gerieten. Ich bin, weil ich einen außerordentlichen Toilettenluxus bei mir eingeführt habe, stets in Bedrängnis. Und mein Gatte hilft mir nicht. Der lacht mich nur aus, wenn ich mit meinem Taschengeld nicht auskomme. Ach, wie gerne würde ich Ihnen, teuerste Miß Clara, helfen! Können Sie nicht ein paar Turmglockenkonzerte geben? Ich bin Ihre arme, stets in Bedrängnis lebende Marquise Fi-Boh.«
Miß Clara zuckte die Achseln.
Ein Turmorgelkonzert ließ sich so schnell gar nicht arrangieren, da auf Malta die Türme fehlten. Auch auf Sizilien ließen sich Türme nicht so leicht zu Konzertzwecken umgestalten.
»Ich glaube«, meinte sie zu ihrem Gatten, »Du könntest hier mal die Partie aufgeben.«
»Nein!« sagte Edgar hastig, »ich habe mich soeben an Mr. Löwe gewandt.«
»Und!« fragte Miß Clara, »was hat er erwidert?«
»Warten wir’s ab, lautete die Antwort.«
Nach einer halben Stunde kam die Nachricht vom Rechtsanwalt, daß das Geld sofort abgesandt werden könnte.
Nun herrschte natürlich auf der Insel Malta ein großer Jubel; Mr. Krug nebst Gattin wurden im Mittelmeerhotel gefeiert wie die Erlöser.
Mr. Krug sagte zu seiner Gattin:
»Siehst Du? Man soll nicht zu früh verzagen. Es endet alles viel besser, als man denkt. Das Geld von Mr. Li-Tung durfte ich natürlich nicht angreifen. Und – Du kannst glauben, daß die Luftschifffahrten nicht so billig sind. Löwe ist doch immer ein guter hilfsbereiter Freund. Er hat nun auch eine Erdumsegelung hinter sich.«
»Ich freue mich sehr!« sagte Miß Clara.
Im Geheimen dachte sie:
»Jetzt könnten wir bald nach Hause fahren.«
Edgar aber sagte, daß er vordem noch auf Sardinien zu tun hätte.
Über seine Baupläne auf Malta äußerte sich Edgar zunächst etwas unbestimmt.
»Ich will hier«, sagte er, »das Übereinandergeschalte; Blumenblattschalen sollen hinter- und übereinander wirken; ich will das Riesenblumenblattmotiv durchführen.«
»Mir noch nicht klar!« sagte Miß Clara.
Die Direktoren der Gesellschaft waren sehr gespannt, was aus der Geschichte werden würde, erklärten sich aber mit allem einverstanden und brachten dem großen Architekten ein grenzenloses Vertrauen entgegen.
Von Mr. Burns kam folgendes Telegramm:
»Verehrter Mr. Krug, Sie haben also meinen Wünschen entsprochen und heimlich gegen die wilden Tiere gepredigt. Nun ist die Saat aufgegangen. Die Löwengrube ist eingegangen. Man hat die Tiere endlich sämtlich vernichtet; eine Mauer fiel zusammen, als ein kleines Erdbeben entstand – da brachen die wilden Löwen durch, zerrissen hundert Schafe und zehn Menschen und wurden niedergeschossen. Die Löwengrube existiert nicht mehr. Das habe ich Ihnen zu danken. Mit meiner Frau zusammen sagen wir Ihnen unsern heißen Dank. Und wir senden Ihnen Beiden viele herzliche Grüße. Mr. Burns nebst Frau.«
Miß Clara sagte:
»Laß mich erwidern.«
Und sie schrieb einen Brief; sie wollte wieder mal einen Brief schreiben. Sie schrieb, daß sie sich über den Untergang der Löwengrube sehr freue; die habe sie beim Vierzigturmorgelspiel sehr gestört – aber ihr Gatte stecke nicht dahinter.
Diesen Brief schrieb Miß Clara an Miß Burns.
Danach erhielt Miß Clara ein Telegramm von Käte Bändel, die noch immer im Makartlande weilte.
»Dein indisches Orgelspiel«, sagte Käte zum Schluß, »dröhnt uns hier Allen in den Ohren. Jetzt bist Du auch berühmt. Und berühmter wirst Du werden als Dein Gatte. Hat er Dir nun endlich buntes Tuch statt des grauen gestattet? Telegraphiere doch. Wir grüßen Dich alle, und besonders grüßt Dich Deine alte Käte Bändel.«
Da war Miß Clara eigentlich ärgerlich. Doch ihr Ärger schlug plötzlich um, und sie dachte mit großer Zärtlichkeit an Miß Käte.
»Du«, sagte sie ihr unter Anderem telegraphisch, »spotte nicht über das graue Tuch. Es ist besser, ein buntes Haus zu haben als ein buntes Kleid. Jenes macht das ganze Leben bunt, dieses aber dient nur der Eitelkeit und bringt die Gelder um, die für den Hausbau da sein sollten. Edgar hat mit seinem grauen Tuch Recht. Das will ich Dir mündlich erklären. Edgar bittet Dich um Verzeihung des schottischen Ärgers auf Borneo wegen, und wir laden Dich ein zur Isola grande auf dem Lago Maggiore. Du sollst, wenn ich zu Hause bin, unser erster Besuch sein.«
Dieses Telegramm erregte große Freude im Makartlande. Und die Käte Bändel versprach bald, demnächst als Gast auf der Isola grande zu erscheinen.
Da kam Mr. Werner von den Kurian-Murian-Inseln und stellte sich dem Mr. Krug als Baumeister zur Verfügung.
»Lange«, sagte er, »hält es der Mr. Li-Tung in seinen hängenden Palästen nicht mehr aus. Zwölf Tänzerinnen waren noch auf den Inseln, als ich fortging. Die können heute schon fort sein. Er wollte zur Isola grande kommen, sprach viel davon.«
Darauf erklärte Edgar seinem Freunde die Baupläne auf Malta.
»Es ist«, sagte er, »meine Absicht, sechs bis acht Glaswände in Schalenform hinter einander zu setzen. Dazwischen können die Waffen auf Tischen und in drehbaren Schränken untergebracht werden. Fällt nun das Sonnenlicht so durch die acht farbigen Glaswände, dann gibt das hinter der achten Wand einen sehr komplizierten Effekt. Nun brauchen die Wände nicht die Deckenhöhe zu erreichen. Wie Riesenblumenblätter sollen die Wände wirken.«
Und er zeigte dem Mr. Werner die Zeichnungen. Und Mr. Werner ging gleich daran, die Sache auszuführen.
»Es nimmt gar nicht viel Zeit in Anspruch!« meinte er lächelnd, »jedenfalls freue ich mich, daß ich’s hier mal mit einer feststehenden Architektur zu tun habe und nicht immerzu mit einer perpetuierlich bewegten – wie auf den Kurian-Murian-Inseln.«
»Das Ganze des Museums«, sagte Edgar, »soll wie eine plastisch aufragende Mondsichel den hügelig aufragenden Boden bedecken.«
Mr. Werner sagte:
»Eigentlich eine recht komplizierte Idee – mit den acht Schalen hintereinander. Und selbst die hast Du durchgesetzt. Na – ich gratuliere Dir. Hier hast Du ja Bauherren, die Vertrauen zu Dir haben.«
»Jawohl«, versetzte Edgar bitter, »und kein Geld.«
Danach erzählte er von den siebenundzwanzigtausend Dollars, die Rechtsanwalt Löwe gesandt hatte.
Mr. Werner wunderte sich sehr.

ngg_shortcode_40_placeholder


ngg_shortcode_41_placeholderUnd Krugs fuhren nach Sardinien, während Mr. Werner die Bauten auf Malta mit Eifer förderte.
Auf Sardinien hatten Franzosen und Chinesen einen großen botanischen Garten angelegt – den größten der damaligen Zeit; seit fünf Jahren baute hier Mr. Krug Glaspaläste für die Gewächshäuser.
Da das Terrain zehn Quadratmeilen groß war, wurde immer wieder Neues gebaut; jetzt studierte man den Einfluß des farbigen Glases auf die Orchideen.
Hier lebte Mr. Krug beinahe wie zu Hause; er hatte ein kleines Automobil zur Verfügung und fuhr nun täglich mit seiner Gattin durch die Garten- und Glaspracht auf den trefflich mit farbigen Steinfliesen bedeckten Wegen dahin. Oft machten sie auch große Spaziergänge durch die höher gelegenen Waldpartien.
»Es ist hier so ruhig«, bemerkte eines Abends Miß Clara, »wollen wir nicht aussteigen und oben im Waldrestaurant Abendbrot essen? Ich habe Hunger und auch Durst. Wir können da oben das Meer sehen und auch den Sonnenuntergang. Das Automobil nimmt uns hier Keiner fort. Die perpetuierlichen Luftfahrten haben mich doch sehr angegriffen.«
Edgar erklärte, daß das Abendessen oben ganz vortrefflich schmecken würde – besonders, da sie eine gute halbe Stunde auf bequemen Treppen höher steigen müßten.
Als sie oben vor dem Meere so dasaßen und sehr gute Forellen aßen, Schneehühner und delikate Taschenkrebse – und dazu deutschen Rheinwein tranken, da wollte Miß Clara wissen, weshalb Edgar sich mit archäologischen Dingen mal beschäftigt habe.
»Sehr leicht gesagt«, erwiderte Edgar, »setz Dich nur auf den Standpunkt, auf dem sich die Leute vor drei, vier oder fünf Jahrtausenden befanden. Man kannte am Himmel fünf Planeten und Sonne und Mond – das waren sieben Sterne, die ihren Standpunkt am Himmel ständig veränderten. Die Zahlenmystik von fünf und sieben, die in der Astrologie eine so große Rolle spielt, kehrt in den alten archäologischen Funden immer wieder. Dazu kam der Tierkreis – zwölf Bilder waren’s; den Radius des Kreises kann man sechsmal auf der Peripherie des Kreises auftragen. Die sechs verdoppelt macht zwölf. Das sind die zwölf Doppelstunden des Tages. Die Dreieinigkeit ist wohl auch aus dem Kreise hervorgegangen, denn drei Punkte, die nicht in einer Graden liegen, lassen sich immer in eine Kreislinie bringen. Diese sehr einfach klingenden Dinge finden wir in den Ornamenten der Urzeit immer wieder. Und darum sehen wir in dieser uralten Ornamentik den Himmelsglauben der alten Priester. Und darum ist die Archäologie so interessant. Aber – ich weiß nicht, ob Du viel davon verstanden hast. Ich habe zu Hause eine kleine sehr alte Ornamentsammlung – da kann ich Dir das alles näher erklären.«
»Danke Dir!« sagte Frau Clara.
Und sie sahen Beide mit dem Opernglase in die Farbenpracht des Sonnenunterganges und in die Farbenpracht des großen Meeres, das wie eine gewaltige Schüsselwand aufragte.
»Eigentlich kreischend bunt!« sagte Frau Clara.
»Ja«, versetzte hart der Edgar, »so kreischend bunt für das Auge wie Deine Vierzigturmorgelmusik für das Ohr. Und doch ist alles sehr angenehm, wenn man von dem Bunten weiter absitzt. Es kommt also bei Farben und Tönen auf die Distanz an. Ich kann mir sogar ein Konzert mit Explosivstoffen denken; Schüsse können in der Ferne vielleicht ganz angenehm wirken. Ich bin ja so heftig für das Bunte – auch für das unfeine Bunte – das sogenannte unfeine Bunte – eingenommen, daß ich meine Leidenschaft maskieren muß. Sieh, das ist ja der eigentliche Grund, weswegen ich den Paragraphen vom grauen Tuch einführte. Er ist ja jetzt abgeschafft. Aber ich danke Dir doch, daß Du immer noch grau gehst. Ich wirke dadurch weniger bunt, nicht wahr? Übrigens: ich trage ja auch nur graue Kleider.«
Frau Clara lächelte und reichte ihrem Gatten die Hand. Und er küßte ihre Hand sehr galant.
Der Kellner zündete die bunten Ampeln an, obgleich die Sonne grade erst untergegangen war.
Und dann saßen sie da und blickten ins Meer.
»Ich glaube«, rief Frau Clara, »unsre Taschenkrebse werden kalt.«
In demselben Augenblicke stürzte ein Telegraphenbote herbei und rief:
»Ein Telegramm für Mr. Krug!«
Mr. Krug las das Telegramm und sprang dann ganz erregt von seinem Emailstuhl auf.
»Unerhört!« rief der Architekt.
»Was?« rief Frau Clara.
Und sie las Folgendes:
»Hier soeben auf Malta ein haarsträubendes Verbrechen geschehen. Glücklicherweise Menschenleben nicht gefährdet. Aber vier große Luftschiffe landeten hier vor einer Stunde, graue Kerls mit zehn Prozent Weiß sagten, daß sie die orientalische Waffensammlung sehen möchten. Sie sehen, einpacken und auf die Luftschiffe bringen – war das Werk weniger Augenblicke. Da ich mit vier Direktoren ganz allein zugegen war, konnte ich an Widerstand nicht denken. Die Kerls drückten uns noch freundlich die Hand – und weg waren sie – hoch oben in den Lüften fuhren sie gen Süden dem heißen Afrika zu. Es schienen sehr viele Neger dabei zu sein. Jetzt ist das Museum grade fertig. Morgen wollten wir die Waffen ausstellen. Und heute haben wir plötzlich ein Museum, in dem es keine Museumsgegenstände gibt. Wir sind beraubt. Keiner von uns trug Waffen bei sich. An solchen Luftüberfall hat Keiner von uns gedacht. Ich glaube, daß sich hier Jemand einen Scherz geleistet hat. Jetzt ist aber guter Rat teuer. Ich rate Dir, auf Sardinien zu bleiben. Grau mit zehn Prozent Weiß kompromittiert Deine Gattin. Malta ist englisch. Aber die englische Regierung wird große Vorschüsse verlangen, wenn die Räuber verfolgt werden sollen. Und die Direktoren hier haben jetzt kein Geld mehr. Telegraphiere doch gleich an Rechtsanwalt Löwe. Ich bin empört. Das Museum ist herrlich. Und die Waffen schweben über Afrika. Und wir wurden nicht mal gefesselt. Aber machen konnten wir nichts. Werner.«
Es läßt sich denken, daß dieses Telegramm einen großen Eindruck auf das Ehepaar Krug machte.
Es war schon mitten in der Nacht. Alle Sterne leuchteten. Die bunten Laternen des Automobils wurden angezündet. Und dann ging’s in scharfer Fahrt zum Telegraphenamt des botanischen Gartens.
Und dort telegraphierte Mr. Krug an Mr. Löwe die ganze Nacht durch. Miß Clara schlief in einem bequemen Sessel des Wartesalons ein. Und sie schlief ganz gut. Als Edgar seine Gattin bei Morgengrauen weckte, sagte diese:
»So gut habe ich schon lange nicht geschlafen.«
»Der Löwe kommt!« rief Edgar.
»Wie?« rief Miß Clara, »gibt’s hier im botanischen Garten auch eine Löwengrube? In Indien ist doch die Löwengrube schon abgeschafft. Und hier neben Orchideen gibt’s Löwen – oh!«
»Clara!« schrie Edgar, »wach auf! Du träumst noch! Ich meine den Rechtsanwalt Walter Löwe – der kommt!«
»Lach mich aus!« sagte Miß Clara, »aber ich habe wirklich von heulenden Löwen geträumt, und der Rechtsanwalt Löwe war unter ihnen ganz umwickelt mit Löwenfellen, und er heulte auch wie ein Löwe.«
»Dabei kann mir auch unheimlich werden«, sagte Edgar, »ich telegraphiere diesem Rechtsanwalt Langes und Breites vom Überfall, und er sagt gleich, daß sich daraus sehr leicht ein brillantes Geschäft entwickeln könnte. Aber, setzte er hinzu, er müsse jetzt unbedingt persönlich am Ort der Tat sein – ich wollte ihn veranlassen, doch da zu bleiben, in Chikago sei es doch so herrlich. Indessen – er sitzt schon im Luftschiff. Der Löwe kommt. Ich habe beinahe Furcht vor dem Kommenden.«
Am nächsten Abend stand die Räubergeschichte in allen Zeitungen der Erdoberfläche. Aber – die ausschmückende Phantasie der Reporter hatte überall soviel Falsches hinzugesetzt, daß die Völker aller Erdteile ganz merkwürdige Vorstellungen von diesem Überfall einer Luftflotte bekamen. Manches schien absichtlich falsch dargestellt.
In den nächsten Tagen saß das Ehepaar Krug zwischen Bergen von Zeitungen.
Und dann erhielt Miß Clara Telegramme von Rechtsanwälten, die sich alle dafür einsetzen wollten, die Dame von den Verdächtigungen frei zu machen.
»So«, rief Miß Clara, »als wenn ich schon auf der Anklagebank sitze! Was kann ich dafür, daß die Räuber graues Tuch trugen mit zehn Prozent Weiß? Jetzt wird mir das graue Tuch sehr unangenehm.«
»Und ich«, brüllte Edgar, »verwünsche den verdammten Paragraphen im Ehekontrakt. Man soll eben in Gesellschaft eines Rechtsanwalts sehr vorsichtig sein. Man soll mit einem Rechtsanwalt gar nicht umgehen. Man soll vorsichtig in der Wahl seiner Freunde sein. Rechtsanwälte verwickeln uns blos in Geschichten, die uns peinlich sind und Geld kosten. Rechtsanwälte machen Geschäfte, die man nicht machen sollte.«
»Da hast Du es«, sagte Miß Clara, »aber den Rechtsanwälten ordentlich gegeben. Aber – der Löwe kommt trotzdem. Wahrscheinlich will er mir auch beistehen.«
Und vierundzwanzig Stunden später hatte Miß Clara die Erklärungen von achtzig Rechtsanwälten, die ihr alle beistehen wollten; jetzt schimpfte sie auch auf die Rechtsanwälte. Mr. Edgar jedoch lachte, daß die Glaswände bebten.
»Jetzt«, rief er lustig, »bist Du in Wahrheit berühmter als ich. Ich wundre mich sehr, daß Du noch keine Anklageschrift von der englischen Regierung erhalten hast. Aber die weiß, daß auf Malta nicht Geld für Vorschüsse vorhanden ist. Außerdem telegraphierte mir ein englischer Staatsanwalt, daß er eine Waffensammlung doch nur als eine Bagatelle behandeln könne.«
»Ich glaube«, sagte Frau Clara ernst, »es wäre jetzt Zeit, endlich nach Hause zu fahren. Ich sehne mich nach einer ruhigen Häuslichkeit. Die Hochzeitsreise hat sich doch zu lange ausgedehnt. Meinst Du das nicht auch, Edgar?«
»Nein!« sagte dieser lakonisch, »außerdem müssen wir jetzt geduldig das Weitere abwarten. Wir haben uns eine schöne Geschichte eingebrockt. Jetzt heißt es: die Suppe ausessen. Du hättest damals auch nicht auf den frivolen Paragraphen so leichtsinnig eingehen sollen.«
»Das hat«, erwiderte Frau Clara, »mir damals schon der Rechtsanwalt Löwe gesagt.«
»Ja!« rief Edgar, »die Rechtsanwälte haben zudem immer noch Recht. Hole der Teufel die ganze Juristerei. Oh!«
Er fuchtelte mit geballter Faust in der Luft herum.
Mr. Webster telegraphierte an Miß Clara:
»Mein herzliches Beileid, gnädige Frau! Ich bin Ihr sehr ergebener Webster.«
»Läßt er mich nicht grüßen?«
Also fragte Mr. Edgar, und Miß Clara sagte lakonisch: »Nein!«
Die Marquise Fi-Boh telegraphierte aus Tokio:
»Meine arme Frau Clara! Sie sind ja zu beklagen. Sie sind ja vor aller Welt kompromittiert. Und nun sind Sie auch noch in eine veritable Räubergeschichte verwickelt. Das ist ja sehr romantisch. Aber bedenken Sie, daß die Gefängnisse der menschlichen Staaten noch immer nicht bunte Glaspaläste sind. Ich bin jedenfalls der Meinung, daß Sie auf das Schlimmste gefaßt sein müssen. Das haben Sie von dem abscheulichen grauen Tuch. Ich bin froh, daß ich mich niemals verpflichtet habe, graues Tuch zu tragen. Bei mir kann’s nicht bunt genug zugehen. Telegraphieren Sie mir doch, ob Sie sich schon in Untersuchungshaft befinden. Das ist ja alles sehr romantisch. Aber ich bin froh, daß ich Derartiges nicht erlebe. Herzliches Beileid, Frau Clara! Nicht weinen! Dadurch wird nichts gebessert. Ich bin Ihre Marquise Fi-Boh.«

ngg_shortcode_42_placeholder


Der arme Mr. Werner hatte es auf Malta auch nicht leicht, er telegraphierte an Mr. Edgar:
»Da die Geschichte jetzt unerträglich ist, tu‘ ich so, als wäre ich krank. Drei Ärzte behandeln mich. Ist denn der Löwe noch nicht da? Der die einzige Rettung! In größter Verzweiflung. Dein alter Freund Werner.«
Löwe aber schwebte über dem Atlantischen Ozean im Luftomnibus. Und der kam widriger Stürme wegen nicht weiter. Nach einigen Tagen nahm der Luftomnibus eine Zwischenlandung auf den Bermudainseln vor. Löwe telegraphierte von dort an Edgar, daß er bald an Ort und Stelle zu sein hoffe.

Miss Burns sandte auch an Miß Clara ein Beileidstelegramm, das ganz voll Trauer und Wehmut war; Miß Clara lachte eine halbe Stunde hindurch ohne Unterbrechung. Miß Käte Bändel aber telegraphierte:
»Clara, verzage nicht! Ich gehe mit Dir ins Gefängnis. Das soll ein fideles Gefängnis werden. Ich grüße Dich und bin schon auf Borneo. Deine Käte Bändel bin ich für jetzt und immerdar.«
»Die Menschen sind alle verrückt geworden!« sagte schließlich seufzend Miß Clara, nach diesen Worten aber erhielt sie ein Telegramm von Miß Amanda Schmidt aus Chikago, das diesen Wortlaut hatte:
»Jetzt kann ich nicht mehr schweigen. Ich habe für den Chikago-Turm zu Babel-Film gesessen und ein Honorar von dreizehntausendfünfhundert Dollars bekommen. Löwe bekam ebensoviel. Dieses Geld haben wir in die Museumsgesellschaft zu Malta gesteckt. Ich will’s nicht wiederhaben. Verzeih Deiner armen Amanda – und seid Beide herzlich gegrüßt. Miß Schmidt.«
Miß Clara zeigte das ihrem Gatten.
Der zündete sich langsam eine Zigarre an und blickte aufs blaue Meer hinaus.
»Unfein!« sagte leise Miß Clara, »aber zuletzt hat sie alles gut gemacht. Ich halte diesen Mr. Löwe für einen gefährlichen Menschen.«
Gleich danach wurde Krugs eine Karte gebracht, auf der stand:

Walter Löwe, Rechtsanwalt
Chikago                 Malta

Nach vierundzwanzig Stunden hatte Mr. Löwe wieder das Vertrauen des Ehepaares Krug zurückerobert.
Er hatte schließlich gesagt:
»Daß ich für Dich, lieber Edgar, Reklame gemacht habe, wirst Du nicht bestreiten und mir nicht verübeln können. Frauen fassen alles sehr leicht sentimental auf. Mit Sentimentalität macht man aber keine Geschäfte. Ich schenke Dir nicht wie Miß Amanda die dreizehntausendfünfhundert Dollars, laß mich aber in das Direktorium der Museumsgesellschaft zu Malta aufnehmen und sorge dafür, daß dort ein Museum für die Geschichte der Glasarchitektur entsteht. In acht Tagen wird das Museum eröffnet. Jetzt spricht alle Welt von Malta. Man soll merken, daß ein amerikanischer Rechtsanwalt im Direktorium ist.«
Mr. Krug mußte zugeben, daß diese Ausnützung der peinlichen Situation nicht unfruchtbar für seine Bestrebungen sein könnte. Die Herren schüttelten sich die Hände, und Mr. Löwe fuhr nach Malta; Miß Clara hatte sich zurückgezogen und ließ sagen, daß sie Kopfweh habe.

Krugs wohnten im Bürgerheim des botanischen Gartens. Dieses kleine Hotel lag versteckt in einem Talkessel des Gebirges. Die Farben der Glaswände leuchteten da ganz einfach nur in Karmin und Blau.
Zum Diner erschien Frau Clara mit strahlenden Augen und sagte:
»Ich hörte, daß Mr. Löwe nach Malta gefahren ist. Ich atme auf und fühle mich wieder ganz wohl.«
»Ich auch!« versetzte Edgar.
Nach dem Essen fuhren sie im Automobil zum Orchideenhotel.
Das lag dicht am Meer und hatte herrliche Terrassen.
»Hast Du nicht Wünsche?« fragte Edgar.
»Ja«, versetzte Clara, »ich möchte gern Austern essen.«
»Selbstverständlich können wir das«, versetzte der Architekt, »aber ich dachte, Du würdest mal architektonische Wünsche äußern.«
Er bestellte die Austern und roten Champagner dazu.
»Die Sache mit Löwe«, fuhr er fort, »hat sich ja ganz gut entwickelt. Er führt auf Malta ein Museum für die Geschichte der Glasarchitektur ein und bringt die beräuberte Insel wieder zu Ehren. Darum glaube ich, daß wir jetzt endlich bald nach Hause fahren können. Aber zu Hause soll Dir gleich ein Extrasalon gebaut werden. Darum fragte ich nach Deinen Wünschen.«
»Ja«, erwiderte errötend Miß Clara, »dann kann er vielleicht in allen grauen Tönen sein – mit etwas Weiß oder Schwarz. Geht’s?«
»Ich habe«, sagte Edgar, »Glaswände in Grau am Lago Maggiore, aber es ist etwas Gold dabei. Weiß und Schwarz sind nicht vorhanden.«
»Ich bin auch«, erwiderte wieder Miß Clara, »mit dem Golde zufrieden.«
»Ja«, meinte nun der Architekt, »das Zimmer ist nicht groß, und es ist ein Harmonium in dem Zimmer. Wenn Du spielst, hört man’s am besten in dem großen Speisesaal. Du kannst beim Spiel gar nicht vom tiefer gelegenen Saal aus gesehen werden. Du kannst da auch schreiben und lesen. Es wird Dir gefallen. Ich gebe gleich ein Telegramm auf, daß alles fertig ist, wenn wir kommen.«
»Oh!« rief Frau Clara, »das ist ja wundervoll.«
Sie trank ihm zu.
Und dann sagte sie:
»Dazu darf man nicht ›danke‹ sagen.«
Edgar lachte und gab dem Kellner das Telegramm.
»Hast Du heute«, fragte er, »Zeitungen und Telegramme erhalten?«
»Ein kleiner Handwagen brachte mir die Sachen«, versetzte sie, »doch ich habe nichts gelesen – meiner Kammerfrau hab‘ ich alles gegeben.«
Nun fuhren viele große Luftschiffe und viele Aeroplane von Spanien herkommend vorüber.
»Die fahren«, sagte Mr. Krug, »nach Malta.«
»Oh«, rief Miß Clara, »jetzt wollen wir uns nicht mehr um die verrückte Räubergeschichte bekümmern. Mag doch die Welt davon denken, was sie will. Ich habe doch nichts damit zu tun, nicht wahr?«
»Nein, liebe Clara«, sagte der Architekt ernst, »aber vergiß nicht, daß mir Löwe doch ein Freund zu sein scheint. Er hat doch aus der peinlichen Situation was gemacht.«
»Indessen«, meinte Frau Clara, »diese Rechtsanwälte mit ihren Geldgeschichten sind mir doch etwas peinlich. Ich urteile ja nur nach meinem Gefühl. Er hat uns mit dem Ehekontrakt in Verlegenheit gebracht. Er hat mit der Filmgeschichte ein gutes Stück Geld verdient und uns das Monate hindurch verschwiegen. Dabei hat er auf Deine Kosten die Welt umsegelt und jetzt ist er im Direktorium einer Museumsgesellschaft. Ich fürchte, er könnte uns noch in weitere Verlegenheiten bringen.«
»Du ahnst nicht«, erwiderte Edgar, »daß ich bereits in den schönsten Verlegenheiten war. Hätte ich nicht durch Li-Tung so viel Geld bekommen, so säßen wir hier nicht so friedlich an der Küste Sardiniens im Orchideenhotel. Im übrigen will man hier noch Deinetwegen ein Orchideenfest feiern. Sonntag über acht Tage soll’s beginnen. Wir müssen also noch vierzehn Tage hier bleiben. Du sollst Bach spielen.«
»Ich freue mich darauf!« sagte Miß Clara.
Und sie aßen Austern und tranken roten Champagner.
Und die große Sonne ging unter im blauen Meer.
Und viele weiße Möven flogen am Strande vorüber.
Oben in der Luft schwebten große Luftschiffe und Aeroplane.
»Fahren alle nach Malta?« fragte Miß Clara.
»Du«, versetzte ihr Gatte, »das weiß ich wirklich nicht.«

ngg_shortcode_43_placeholder


V

ngg_shortcode_44_placeholderFür das Orchideenfest war Opalschmuck im Haar der Damen vorgeschrieben – und graues Tuch mit zehn Prozent Weiß.
Das Direktorium des botanischen Gartens auf Sardinien wollte damit der vielgeplagten Miß Clara eine Ovation bereiten; die Herren erklärten es einfach für lächerlich, wenn Jemand annehmen möchte, Miß Clara stände in irgendwelchen Beziehungen zu den Lufträubern auf Malta.
Miß Käte Bändel traf währenddem in Locarno ein und telegraphierte an Miß Clara, daß sie da sei. Das Telegramm kam kurz vor dem Orgelkonzert. Und Mr. Krug bat die Dame, zum Schloß auf der Isola grande zu fahren, der Portier sei informiert – und der Schloßherr mit seiner Gattin werde gleich mit dem Luftschiff ankommen; Mr. Krug teilte dem Portier mit, daß er drei Zimmer für Miß Bändel herzurichten habe – die buntesten.
Dann kam das Konzert. Und Miß Clara spielte den alten Bach ganz klar und ganz heiter; man brachte der Orgelspielerin als Dank die herrlichsten Orchideen – in Töpfen blühend – unter Glas, daß sie gleich versandt werden konnten.
Bei dem großen Diner unterhielt sich Mr. Krug mit den Damen des Direktoriums.
»Es muß doch«, sagte die eine Dame, »für einen Glasarchitekten recht qualvoll sein, über eine der großen Backsteinstädte dahinzufahren.«
»Das«, versetzte Mr. Krug, »tue ich auch gar nicht. Meine Luftchauffeure sind eifrig nach der Karte bemüht, allen Backsteinanlagen aus dem Wege zu gehen. Man macht sehr oft deswegen mit meinem Luftschiff einen großen Umweg, nur damit ich nicht daran erinnert werde, daß es Menschen noch gibt, die zwischen Backsteinen hausen. Ich höre auch nicht gerne was von den Backsteinhäuslern. Gnädige Frau, Sie können’s mir wirklich glauben, mir ist die ganze Backsteinkultur sehr unsympathisch. Es schmerzt mich nur, daß einige Architekten auch heute noch Bauten mit Backsteinen ausführen. Na – Ansehen erringen ja damit diese Architekten heute nicht mehr.«
Miß Clara sandte ihrem Gatten ein Telegramm von Miß Amanda Schmidt, die auch in Locarno eingetroffen war –mit den Silbersachen.
Mr. Edgar telegraphierte ihr dasselbe, was er Miß Käte telegraphiert hatte.
Nun saßen also zwei Damen in Krugs Schloß und warteten.
»Sie werden sich gut unterhalten!« meinte Miß Clara.

Mr. Li-Tung saß in einer seiner hängenden Glasvillen und aß Frühstück; er spickte die Brötchen mit einem alten orientalischen Dolche auf und führte sie lächelnd zum Munde.
Danach wollte er ein Telegramm aufschreiben; er ließ sich seinen Füllfederhalter reichen – und siehe da – die Tinte war eingetrocknet.
»In den Tropen«, sagte er düster, »trocknen die besten Erfindungen ein, besonders auf den Kurian-Murian-Inseln. Ich trockne selber bald ein. Das aber muß – beim Barte des Propheten! – in jedem Falle vermieden werden. Ich schreibe mit meinem Bleistift.« Und er schrieb für sein Telegraphenamt das Folgende:
»Edelster größter der Architekten! Du mein lieber Mr. Edgar! Du bist, wie ich in den Abendblättern lese, immer noch nicht zu Hause. Du sitzest auf Sardinien. Und Mr. Löwe, den ich ja kennen gelernt habe, hat auf Malta ein Museum für die Geschichte der Glasarchitektur eingerichtet. Da bist Du ja der triumphierende Mann des Tages! Wohl dem, der so gute Freunde hat wie Du! Sei froh, daß die orientalischen Waffen gestohlen wurden. Ich gratuliere Dir! Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen und von ganzem Gemüt. Bald spreche ich auf der Isola grande bei Euch vor. Ich grüße Euch Beide und bin Euer freundlicher guter Schutzgeist Mr. Li-Tung.«
Er gab das Telegramm seinem pechrabenschwarzen Diener, nahm wieder den Dolch in die Hand, hob ihn hoch und ließ ihn funkeln in der großen Tropensonne.

ngg_shortcode_45_placeholder


Das Telegramm des Mr. Li-Tung kam an in Sardinien, als man auf den Terrassen des Orchideenhotels die Abenderfrischungen einnahm. Krugs lachten so heftig, daß sie sagen mußten, warum sie lachten.
Am Tage darauf kamen weitere Glückwunschtelegramme; Mr. Webster, der auf den Fidschiinseln weilte, sagte ungeheuerlich höfliche Worte und bat tausendmal um Entschuldigung; Mr. Burns kam wieder auf die totgemachten Löwen zurück und behauptete, daß einem Löwentöter immer alle Dinge zum Besten gereichen müßten.
Mr. Werner gratulierte ebenfalls.
Mr. Krug sandte danach auch an Mr. Löwe ein sehr freundliches Telegramm.
Und das Ehepaar Krug fuhr nun endlich zum Lago Maggiore.
Miss Clara sah immerzu nach Norden und konnte vor Sehnsucht gar nicht schlafen.
»Du glaubst ja gar nicht«, sagte sie auf dem Balkon des Luftschiffes zu ihrem Gatten, während sie still in den Mond blickte, »wie sehr ich mich nach einer ruhigen Häuslichkeit sehne – und wie ich mich freue auf mein graues Zimmer, in dem das Harmonium steht. Ja!«
Sie hatte noch immer den Opalschmuck im Haar.
Unten das mittelländische Meer funkelte im Mondenschein.
Und viele Sternschnuppen leuchteten oben am Himmel auf.
Es war eine sehr ruhige Nacht.
Das Luftschiff fuhr mit dem Winde, und die Propeller bewegten sich nicht.

Mr. Stephan saß mit seinen Films in Genf und ärgerte sich.
Er hatte schlechte Geschäfte gemacht und ärgerte sich über Alles.
Er ärgerte sich auch über Mr. Löwe, der mit seinem – Mr. Stephans – Gelde jetzt die allerbesten Geschäfte auf Malta machte.
Und Mr. Stephan dachte darüber nach, wie er wohl die Lufträuber photographieren könnte.
Die Lufträubergeschichte hätte er allzu gern gefilmt.
»Wie«, sagte er zu sich selbst, »fang ich die Geschichte an? Ich brauche einen reichen Herrn, der vier eigene Luftschiffe hat. Und mit dem filmen wir die Geschichte auf der Insel Malta. Wo ist der Herr? Ha! Ich weiß es. Mr. Li-Tung hat mindestens vier eigene Luftschiffe. Der kann mich glücklich machen. Auf zum Telegraphenamt.«
Und er telegraphierte zu den Kurian-Murian-Inseln Langes und Breites von den großen Lufträubern auf Malta. Und dann bat er dreist um leihweise Hergabe von vier Luftschiffen mit hundert Dienern.
Er bekam folgende Antwort:
»Sie sind ja ein sehr verehrter Herr! Mein Guter, tun Sie mir den Gefallen und warten Sie ein wenig. Ich komme demnächst in die Schweiz, und da will ich Sie auch besuchen. Sie sollen mich kennen lernen. Haben Sie auch alte orientalische Waffen in Genf? Sonst bring ich welche mit. Warten Sie ein wenig. Dann wird sich alles Weitere schon finden. Ich bin Ihr ergebenster Mr. Li-Tung z. Zt. noch auf den tropischen Kurian-Murian-Inseln.«
Mr. Stephan schlug sich vor die Stirn.
Aber er verstand das Telegramm nicht.
»Am besten ist wohl«, sagte er schließlich, »ich schweige zu diesen unverständlichen Worten. Schweigen ist Gold.«
Nachdenklich öfters mit dem Kopfe schüttelnd ging er seinem Hause zu.
»Will er nun? Oder – will er nicht?«
Also rief der Mr. Stephan.
Ein alter Deutscher fragte den Mr. Stephan, wie man wohl am schnellsten zum Montblanc hinaufkäme.
»Mit einem Aeroplan!« sagte Mr. Stephan.

Miß Clara aber sah zum ersten Male ihre sogenannte »Häuslichkeit«; die ganze Isola grande war ein großes Schloß mit vielen Terrassen und seltsamen Türmen und sehr vielen buntfarbigen Balustraden und buntfarbigen Wänden.
Edgar hatte es so eingerichtet, daß sein Luftschiff nach Sonnenuntergang ankam; da leuchtete nun der Palazzo mächtig auf; alles elektrische Licht wurde mit einem Ruck angeknipst, und die Türme sandten große farbige Scheinwerfer seitwärts und nach oben.
Miß Amanda Schmidt und Miß Käte Bändel begrüßten die Dame des Hauses – so als wenn niemals etwas vorgefallen wäre; dem Mr. Edgar gegenüber waren die beiden Damen etwas zurückhaltend.
»Nun«, sagte Mr. Edgar zu Miß Amanda, »ich habe Ihnen noch gar nicht für die dreizehntausendfünfhundert Dollars gedankt. Es geschehe hiermit. Ich werde mich, sobald ich kann, revanchieren.«
Er küßte Miß Schmidt galant die Hand und küßte dann auch Miß Bändel die Hand, indem er sagte:
»Auf den schottischen Spaß von Borneo wollen wir nicht mehr zurückkommen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir verziehen.«
Und Miß Clara fügte dem hinzu:
»Mein Gatte ist eine so grade, rücksichtslos in einer Linie vorwärtsgehende Natur, daß man ihm kleine Härten schon verzeihen muß. Er ist eigentlich so konsequent wie die echten Romanhelden; der Name Edgar klingt ja auch schon so romanhaft.«
»Oh!« rief nun der Gatte, »grade weil er romanhaft klingt, gebe ich mir Mühe, das Romanartige in mir zu verschleiern.«
»Ach so«, rief da Miß Amanda, »mit dem grauen Tuch Ihrer Gattin, nicht wahr?«
Das gab nun ein sehr lustiges Gespräch, und beim Souper war alles gleich so lebhaft, daß Miß Clara ganz vergaß, einen Rundgang durch die erleuchteten Palasthallen zu unternehmen.
Es ging nun spät in der Nacht noch zu den Küchenräumen, allwo Miß Amanda ihr Silberzeug aufgestapelt hatte – mit feierlicher Kerzenbeleuchtung; es sah beinahe wie eine Weihnachtsbescherung aus.

Am nächsten Tage kam ein Telegramm von Mr. Li-Tung aus Malta an.
»Edelster Freund«, sprach Mr. Li-Tung, »das Museum für die Geschichte der Glasarchitektur ist ja hier ganz großartig. Ja, dann kann man wohl weiter in der Welt kommen, wenn man so treue Freunde hat – wie diesen Mr. Löwe, Rechtsanwalt. Ich habe soeben mit ihm und Mr. Werner Brüderschaft getrunken. Ich gratuliere Dir zu Deinen Freunden und will mir auch Mühe geben, Dir förderlich und nützlich zu sein. Übermorgen bin ich auf der Isola grande und ganz in Deiner Nähe wieder Dein auch sehr edler Freund Li-Tung.«
Edgar gab das Telegramm lachend den Damen, und die waren nun auf den Besuch mächtig neugierig.
Am Nachmittag fuhr Edgar mit seinen drei Damen im Luftschiff um den Montblanc herum in großen Kurven.
Es wurde Nacht, und Edgar sah, daß der Montblanc ganz mit Lichttürmen erleuchtet wurde.
»Das ist ja ganz neu«, sagte er, »was alles passieren kann, wenn man mal zwei bis drei Jahre von Hause fort ist! Man erkennt dann seine Heimat gar nicht wieder. Die Lichttürme, deren Bau ich damals so sehr zur Orientierung der Luftschiffe empfahl, sind jetzt von Andern hergestellt. Nun – das freut mich doch, daß meine Ideen als richtige erkannt worden sind.«
»Sind Sie nicht«, sagte Miß Amanda, »ein wenig neidisch, daß Sie nicht mit Erbauung der Lichttürme beauftragt wurden?«
»Aber«, erwiderte Mr. Krug, »ich kann doch nicht alles bauen! Ich bin froh, wenn die Glasarchitektur siegreich vordringt. Ich selbst will . . .«
Er schwieg.
Miß Clara fragte:
»Was willst Du?«
»Mich freuen«, sagte der Gatte, »daß die Lichttürme so herrlich aussehen. Ich will den Turmwächtern gratulieren.«
Und die Scheinwerfer sandten Signale vom Luftschiff aus in die Nachtluft. Und auf den Türmen kamen auch die Scheinwerfer vor und dankten dem Architekten mit sehr viel Höflichkeit und mit prächtigstem Lichtspiel.

ngg_shortcode_46_placeholder


ngg_shortcode_47_placeholderEinen Tag darauf kam Li-Tung mit vier Luftschiffen an.
»Mein größter Bauherr!« sagte Mr. Edgar zu seinen drei Damen, »da muß man sich viel gefallen lassen. Diese Dienerschaft zu bewirten, wird recht mühsam sein.«
Aber Mr. Li-Tung rief gleich beim Hinunterkommen:
»Habe keine Angst, mein edelster Freund, meine Schiffe sind mit Dienern und Architekten gefüllt, die die Herrlichkeiten des Schweizerlandes studieren sollen.«
»Hör mal«, versetzte Edgar, »es heißt: mit Architekten und Dienern. Du wirst doch Deine Diener nicht vor den Architekten nennen. Ich will nicht hoffen. In meinem großen Speisesaal können wir alle zusammen frühstücken. Meine Frau spielt auf ihrer kleinen Orgel.«
Und nach einer halben Stunde spielte Miß Clara zum ersten Male in ihrem grauen Zimmer mit zehn Prozent Gold. Hier wirkten die verschiedenen Grautöne des Glases sehr zart. Und die Gesellschaft unten wurde von den Dienern des Mr. Li-Tung bedient. Dieser bat nach dem Spiel den Mr. Krug um eine kurze Unterredung unter vier Augen.
Und da sagte der reiche Chinese:
»Freund! Ich habe in Deinem Interesse gehandelt. Ich habe Dir selber das orientalische Waffenmuseum gestohlen. Bist Du mir vielleicht böse dafür? Mr. Löwe hat Dir ja so fein aus der Affäre geholfen. Du wurdest gleich tüchtig berühmt. Weißt Du auch, daß der Ruhm immer wieder eine tüchtige Auffrischung braucht? Nu ja – siehst Du? Dafür hab‘ ich gesorgt. Die Auffrischung ist nötig, sonst wird der Ruhm sauer.«
»Hör mal, Li-Tung«, versetzte Edgar, während er sich auf seinen Stuhl setzte, »Du machst aber die gefährlichsten Dinge. Hast Du Löwe davon erzählt? Was sagt der?«
»Der ist«, versetzte Mr. Li-Tung, »auch ganz sprachlos, sagt, ich solle mit Dir gleich konferieren.«
Mr. Edgar raufte sich die Haare und bat um Bedenkzeit.
Und er ging zu Miß Clara in das graue Zimmer und erzählte ihr, was vorgefallen war. Miß Clara sagte lächelnd:
»Das hab‘ ich mir gedacht. Und wieder ist der Rechtsanwalt Walter Löwe dabei. Ich rate, da die Geschichte ein Scherz ist, ihn auch als solchen bekannt zu machen. Und Mr. Li-Tung baut in der Nähe von Gibraltar ein neues Museum für altorientalische Waffen. Mr. Werner kann’s ja bauen. Und Li-Tung führt die Sachen dahin ab.«

Mr. Li-Tung war mit dem Vorschlage der Miß Clara ganz einverstanden.
Mr. Löwe wurde sofort benachrichtigt.
Und Mr. Werner fuhr nach Gibraltar.
Die vier Luftschiffe entfernten sich noch am selben Abend und holten die gestohlenen Waffen aus dem Innern Afrikas.
Die Architekten, die Mr. Li-Tung mitgebracht hatte, begaben sich zum großen Teile in die Schweiz, um die Lichttürme zu studieren.
Die Presse wurde gleichzeitig alarmiert.
Und da schimpfte man sehr heftig auf die Scherze der reichen Herren.
Mr. Li-Tung jedoch wurde glimpflich behandelt; man erklärte in der Presse seinen räuberischen Überfall für einen sehr guten Witz, durch den nebenbei Mr. Krug an Ansehen nur gewonnen habe.
Und Mr. Li-Tung lachte sehr.
Mr. Krug mit seinen drei Damen lachte bald ebenso; dem reichen Herrn konnte wirklich Niemand etwas übelnehmen.

Viele Glückwunschtelegramme kamen dieses Mal auf der Isola grande nicht an; die Menschen der damaligen Zeit rechneten immer lieber mit der Bösartigkeit als mit der Güte der Menschen.
Von Mr. Löwe kam Folgendes:
»Lieber Edgar! Wundre Dich nicht, daß ich scheinbar auch bei der Auflösung der Räubergeschichte die Hand im Spiele hatte. Tatsächlich nur scheinbar. Hier wurde die Pyramidengesellschaft in Kairo, die Du so grimmig ausgeschimpft, der Tat geziehen. Man war in Kairo sehr erregt. Und das hörte hier Mr. Li-Tung. Da zu befürchten stand, daß die Herren in Kairo sehr geschädigt werden dürften, so machte Mr. Li-Tung ein sehr ernstes Gesicht, sagte, daß er Niemanden habe schädigen wollen – und offenbarte sich Mr. Werner und mir. So der Tatbestand. Ich glaube, er spricht für die Güte des Mr. Li-Tung. Viele Grüße Deinem Hause und Dir. Dein alter Walter Löwe.«
Als Frau Clara das Telegramm sah, schüttelte sie den Kopf und fragte Mr. Li-Tung, ob sich alles so verhielte.
Der bejahte kurz und fragte nach Mr. Stephan.
Mr. Stephan erhielt dieses Telegramm:
»Mein verehrter Herr! Jetzt werden wir Ihrer bald habhaft werden. Bleiben Sie in Genf. Sie sollen abgeholt werden. Li-Tung.«
Der Geschäftsmann hatte in Genf alles vom Maltaspaß gelesen und glaubte nun, ihm solle auch ein Spaß vorgespielt werden.
Nun studierte Li-Tung die Wohnungseinrichtungen auf der Isola grande mit ungeheurem Eifer.
»Zeige mir«, sagte er zu Mr. Edgar, »zunächst mal Deine Arbeitszimmer. Die müssen ja sehr interessant sein.«
»Sind sie auch!« versetzte Edgar, und er zeigte ihm ein Dutzend Räumlichkeiten, in denen er zu arbeiten pflegte.
Diese Arbeitszimmer waren sämtlich nicht groß; ein paar hatten freien Ausblick auf den Lago Maggiore, andre dagegen gar keinen Ausblick – unten drei bis vier Meter hohe Eisenbetonwände und das Licht oben in farbigen Glasfenstern, die bis zu fünfzehn Metern hinaufgingen, während die sehr kleine Grundfläche einfarbiger dicker Tuchstoff bedeckte. Zumeist brannte in diesen kleinen Zimmern eine Wachskerze. Edgar las da viel und rauchte.
Abends fuhr man zumeist im Motorboot auf dem See herum, aß dort auch im Freien oder in der bunten Gondelkajüte Abendbrot. Mr. Li-Tung benahm sich sehr höflich zu den Damen, besonders zu Miß Käte Bändel.
»Es ist merkwürdig«, sagte er mal zu dieser, »daß unser Architekt die abschließenden Wände nur bei sich zu Hause hat. Es ist doch auch sehr wohltuend, wenn man mal zwischen ganz abgeschlossenen Wänden dasitzt und nichts von der Außenwelt durch allzu nahe Glasfenster gewahr wird.«
»Ich finde«, versetzte Miß Käte, »den Wandbelag der dunkleren Zimmer sehr interessant – besonders dunkles Linoleum mit nielloartig eingelegter Lackornamentik. Gestickte Seide an den Wänden gefällt mir auch. Felle an den Wänden gefallen mir weniger. Sehr interessant jedoch sind die bunten Kolibrifedern an der geschlossenen Wand.«
»Und mir«, fuhr Li-Tung fort, »hat die bunte Majolika an der Wand sehr gut gefallen. Wundern muß ich mich nur über die heftige Ablehnung des Holzes, das auch in den Möbeln so eigensinnig umgangen wird. Herrlich sind auch die Steinmosaikarbeiten – und Emailornament auf Metall.«
Währenddem ward es dunkel auf dem langen See, und die vielen Lichttürme der Isola grande leuchteten mit einem Ruck auf und gleichzeitig die Lichtguirlanden, mit denen die Türme unter einander in prächtigen Bogen verbunden waren. Von unten sahen die Turmkapitells sehr prächtig aus. Und die Scheinwerfer stiegen kerzengrade aus den Kapitells, die breit nach allen Seiten überkragten, empor – wie phantastische Lichtblüten.
Mr. Krug lud seine Gäste ein, im Freien auf einer der großen Terrassen Abendbrot zu essen.
Die Sterne sah man kaum, soviel Licht schwebte und schaukelte in der Luft.
Und das Licht spiegelte sich in dem mit eingelegter Arbeit reich verzierten Steinparkett.
Man fuhr auch zur Isola bella hinüber.
Und Mr. Edgar gab lächelnd zu, daß er wohl dieser Isola bella in seiner Isola grande eine Konkurrenz schaffen wollte.
»Ich habe nur«, sagte er, »auf die Flora beinahe verzichtet. Die Architektur ist nach meiner Meinung nicht freundlich gegen die Pflanzenwelt. Auch Kieswege darf der Architekt eigentlich nicht leiden. Doch wir haben ja auf der Isola bella soviel Anregendes, daß ich keineswegs behaupte, in dem Meinen überall etwas Besseres gegeben zu haben.«
»Und doch«, sagte Miß Clara, »bekommen wir morgen aus Sardinien Orchideen – oh, die sind noch herrlicher als alle Glasarchitektur.«
Edgar zündete sich eine Zigarre an – es war auf der Isola bella – und sagte:
»Das steht fest. Sie sind im Übrigen schon zu Hause angelangt – die herrlichen Orchideen – wahrlich – den Orchideen mach ich nicht Konkurrenz. Ganz bestimmt nicht! Die Natur – oder der Stern Erde – was für uns wohl dasselbe bedeutet – ist immer noch großartiger als der kleine Mensch mit seiner im besten Falle etwas schwächlichen Phantasie.«
»Du arbeitest«, rief Li-Tung, »zu heftig in Bescheidenheit. Man glaubt Dir nicht recht.«
»Dann fahren wir«, versetzte Edgar heftig, »sofort nach Hause, um die Orchideen im blauen Blumenhaus zu bewundern. Da können wir entscheiden, ob ich zu heftig in Bescheidenheit arbeitete.«
Und auf der Isola grande war man so begeistert von den Orchideen, daß Li-Tung alles zurücknahm.

ngg_shortcode_48_placeholder


Eines Tages kam Mr. Li-Tung zum Mr. Krug und sprach mit sehr lauter Stimme:
»Verehrlicher Freund! Jetzt glaube ich bald lange genug bei Dir geweilt zu haben. Ich rüste mich zum Aufbruch. Mein Luftschiff will innerhalb sechs Tagen hier sein. Darum müssen wir diese sechs Tage noch gründlich auskosten. Ich schlage vor: Du fährst uns drei Tage und drei Nächte hindurch in Deinem Luftschiff durch das ganze Alpenland bis nach Tirol und dann auf andern Wegen zurück nach Genf. Lach‘ nicht, daß ich bei Luftschiffahrten noch von Wegen rede. Das ist so die Macht der Gewohnheit. In Genf nehmen wir Mr. Stephan auf. Und dann muß er uns hier in den letzten drei Tagen ein wenig filmen. Du gestattest doch, daß ich alles dazu von meinen Dienern vorbereiten lasse, nicht wahr?«
Mr. Edgar zögerte mit der Antwort, sagte aber schließlich:
»Ja! Also wollen wir zu den Damen gehen.«
Die Damen saßen grade vor einer Balustrade am Ufer und fütterten die Schwäne.
Miß Clara sagte:
»Ja, man ist ja im Luftschiff mehr zu Hause als in seiner Häuslichkeit. Schade! Früher gab’s doch noch häusliche Frauen. Die gibt’s heute nicht mehr.«
Miß Amanda sagte:
»Ja, wer besitzt denn soviel, daß er immerzu zu Hause sitzen kann? Man muß Geschäfte machen. Deswegen aber müssen auch die Frauen sehr viel unterwegs sein. Ich will in zehn Tagen auf der Weltausstellung in der Lüneburger Heide sein.«
Und Miß Käte sprach:
»Ich möchte im Luftschiff um die ganze Erde rumfahren. Mir kann’s gar nicht bewegt genug sein auf diesem Stern Erde.«
»Und nicht bunt genug«, fügte Mr. Li-Tung hinzu, »nicht wahr, so meinten Sie doch, meine Gnädigste?«
»Jawohl!« versetzte Miß Käte.
Das Motorboot, das die Pakete aus Locarno brachte, legte an. Und die Schwäne schwammen langsam in den See hinaus.
Edgar hatte sich Bücher kommen lassen im Gesamtgewicht von vierzig Zentnern.

Dann fuhren die beiden Herren mit ihren drei Damen im Luftschiff über dem Hochgebirge dahin – in nordöstlicher Richtung mit dem Winde. Am Ortler sahen sie in dreitausend Meter Höhe die großen Gletscherbeobachtungsstationen, von denen aus mit Scheinwerfern in der Nacht die Gletscher beleuchtet wurden.
Krug war dort bekannt und wurde sehr freundlich aufgenommen mit Grog und Lachsforellen.
Der oft sehr großen Kälte wegen hatte man hier die Veranden mit fünffacher Glaswand umspannt. Die Damen tranken Tee und fühlten sich so gemütlich wie in einer Häuslichkeit. Nördlich von Innsbruck fanden die Fünf Leuchttürme mit Glockenspielen. In Innsbruck selber wurde auf diesen Türmen gespielt – so, wie auf der Vierzigturmorgel Miß Clara im Tierpark Nordindien spielte. Miß Clara spielte hier auch.
Und es klang wundervoll durch die Gebirgswelt; man hatte hier nur große und kleine Glocken – nicht Pauken und Posaunen.
Am Chiemsee besuchte man mehrere Sanatorien, die alle ganz aus Glas gebaut waren. Hier pries man die Herrlichkeit des Glases so heftig, daß Mr. Krug sehr verwundert dreinschaute; er hatte sich das Beifallhören schon ganz abgewöhnt.
In Luzern kehrte man in den schwebenden Restaurants ein.
Und dann wohnte man den Lichtspielen auf dem Vierwaldstättersee bei.
»Dagegen«, sagte Li-Tung, »sind die Feuerwerkskünste, die man vor hundert Jahren hatte, aber auch Garnichts.«
Er gewann bei den Wetten hundert Pfund.
Die Preisrichter waren Frauen.
Und es wirkte eigentlich komisch, daß bei diesen Lichtspielen gewettet wurde. Es wurde immer wieder gewettet, welcher Lichtspielkomposition der erste, zweite und dritte Preis zuerkannt würde. Die Scheinwerfer kamen von den Bergen, von den Ballons und vom Seespiegel. Die Damen vom Preisrichteramt hatten jedesmal eine andre Stellung – mal in der Luft – und mal auf dem Wasser – oder in den Bergen.
Mr. Li-Tung fragte in Genf telegraphisch an, ob Mr. Stephan noch zu Hause sei. Und da dies der Fall war, drängte er zum Aufbruch; er tat sehr eilig.

In Genf sagte Mr. Li-Tung zum Filmfabrikanten Mr. Stephan:
»Packen Sie all Ihr Werkzeug zusammen – Grammophone und photographische Apparate. Wir werden viel zu tun haben. Wir fahren zunächst zur Isola grande.«
»Und«, fragte Mr. Stephan, »der Überfall auf der Insel Malta? Wie steht’s damit? Er ist momentan nicht mehr aktuell, da ja kein Geheimnis mehr auf der Sache lastet. Scherz eines reichen Herrn – weiter nichts. Alles gelöst. Aber – ich will’s vielleicht doch machen. Es müßte nur sehr kurz sein.«
»Kommen Sie nur mit!« sagte Mr. Li-Tung. Die Damen machten große Augen, als sie den berüchtigten Filmkaufmann sahen.
»Soll denn«, sagte Miß Amanda zu den beiden andern Damen leise, »wieder mal eine Hochzeit gefilmt werden ? Hm! Meinen Sie, daß ich gegen meinen Willen geheiratet werden soll?«
»Das meinen wir nicht!« sagte Miß Käte lächelnd, »aber ich bin in der Tat sehr neugierig, was daraus werden wird.«
Indem kam Edgar hinzu und sagte geheimnisvoll:
»Ich weiß wirklich nicht, was Li-Tung jetzt vorhat. Ich fürchte, daß wieder so was wie ein Überfall geplant ist. Ich bin jedenfalls auf das Schlimmste gefaßt.«
»Man sollte sich«, sagte Miß Clara, »nicht nur vor den Rechtsanwälten in Acht nehmen – man soll sich auch vor den reichen Herren in Acht nehmen. Ich bleibe jetzt jedenfalls ein ganzes Jahr still zu Haus.«
»Ich auch!« sagte Mr. Edgar und wollte seiner Frau die Hand küssen, wurde jedoch durch seinen Luftchauffeur daran verhindert, der ihm hastig sagte:
»Mr. Li-Tung will das Luftschiff bekränzen. Sind wir verpflichtet, ihm das zu gestatten?«
»Bewahre!« rief Edgar, »Li-Tung, was fällt Dir ein?«
»Du erlaubst es also nicht?« fragte der Chinese.
»Nein!« sagte Edgar unwillig.
»Gut!« erwiderte der Chinese, »dann gebe ich meinen Dienern den Befehl, die gekauften Blumen einzeln im großen Bogen aus den Kajütenfenstern hinauszuwerfen.«
Es geschah.
Edgar schwieg.
Die Damen riefen entzückt:
»Oh!«
»Oh!«
»Die herrlichen Blumen!«
Und Nachmittags kam man zur Isola grande. Und da sah Mr. Krug, daß sein ganzes Schloß von oben bis unten mit Blumenkränzen und frischen Tannenreisern geschmückt war.
Er runzelte die Stirn, mußte aber sich sagen, daß das Ganze recht hübsch wirkte.
Da er damit zufrieden schien, waren’s die Damen auch.
Li-Tung lächelte.
»Verzeih!« sagte er zu Edgar.

Edgar sagte hastig im Schloß zu seiner Frau:
»Die Sache geht mir zu weit! Ich ärgre mich, daß ich ihm die Erlaubnis gegeben habe, das Haus zu schmücken. Daran hab‘ ich nicht gedacht, daß er die ganze Architektur verhunzen würde.«
»Nun sei nur ruhig!« erwiderte die Clara, »wir werden ja auch das überstehen. Ich weiß nur noch gar nicht, worauf’s hinausläuft.«
Man aß Mittag im großen Speisesaal.
Mr. Stephan saß zum Filmen bereit in einer der vielen Wandlogen.
Mr. Li-Tung klopfte mit seinem persischen Dolch dreimal an sein Rheinweinglas und sagte:
»Dies ist das Zeichen zum Filmen. Jetzt haben die Herrschaften wohl die Güte, sich so natürlich zu benehmen wie auf dem Theater.«
Man lachte und löffelte die Schildkrötensuppe.
Edgar sagte:
»Grüne Schlinggewächse hängen über unserm Speisetisch. Das hat der Tisch auch noch nicht erlebt.«
»Sprich nicht zu viel«, sagte der Chinese, »es kostet Geld. Ich frage kurz und zielbewußt Fräulein Käte Bändel: wollen Sie, Gnädigste, meine Gemahlin werden?«
»Nein!« rief Miß Käte.
»Das ist mal brav!« rief Miß Amanda.
Mr. Li-Tung fragte nochmals:
»Wollen Sie wirklich nicht?«
»Nein!« rief Miß Käte nochmals, »denn so ohne Umstände macht man doch einer Dame nicht einen Heiratsantrag.«
Mr. Li-Tung klopfte sechsmal mit seinem persischen Dolche an sein Rheinweinglas und sagte traurig:
»Die Damen und Herren können sich jetzt benehmen wie sie wollen – auch sagen, was sie wollen: es wird vorläufig nicht weiter gefilmt.«
»Schade!« rief Miß Käte.
Mr. Li-Tung riß die Augen weit auf.
Draußen hörte man das Propellergesurr eines Aeroplans; im Lufthafen landete ein Herr, der sich bisher noch nicht angemeldet hatte; man nahm also weiter keine Notiz von dem unbekannten Besuch.
Das Diner verlief ziemlich schweigsam.
Dann trank man auf einer wundervollen Terrasse vor einer mächtigen bunten Glaswand, die wie Seide glänzte, den Kaffee.
Mr. Stephan erschien wieder mit seinen Apparaten im Hintergrunde.
Die Abendsonne glänzte auf dem bunten Steinfliesenmosaik.
Mr. Li-Tung klopfte wieder dreimal mit seinem Dolch an einem Wasserglase und sprach heftig:
»Gnädigste Miß Bändel! Entschuldigen Sie gütigst, daß ich so kurz angebunden Ihnen einen sogenannten Heiratsantrag zu machen wagte. Aber ich wollte es dem Mr. Edgar nachmachen.«
»Einen sogenannten Heiratsantrag!« rief Miß Käte, »mein Herr, Sie gehen zu weit!«
»Siehst Du, Clara«, rief Miß Amanda, »die hat Haare auf den Zähnen. Zu der wird Keiner von grauem Tuch mit zehn Prozent Weiß reden.«
»Ich habe«, sagte Miß Clara, »heute nicht zehn Prozent Weiß, wohl aber zehn Prozent Granaten angelegt.«
»Ich bitte«, sagte Li-Tung, »nicht zu lange zu reden, da ich selber Längeres reden möchte. Sie dürfen nicht vergessen, daß das Filmen ein sehr teures Vergnügen ist.«
»Knauserei beim Hochzeitsfilm!« rief Miß Käte, »das ist nicht einladend.«
»Ich bin kein Knauser!« rief der Chinese, »beim Barte des Propheten. Ich schwöre Ihnen, daß ich Ihnen sehr zugetan bin. Nur weiß ich nicht die rechten Worte zu finden. Wollen Sie nicht, was ich möchte? Ich fahre mit Ihnen gleich vor Vergnügen um die ganze Erde rum – und schwere Paragraphen soll’s im Ehekontrakt auch nicht geben. Sagen Sie doch Ja!«
»Na ja!« rief Miß Käte.
»Hurra!« rief Mr. Li-Tung.
Man gratulierte dem Paar.
Und dann erschien Mr. Löwe auf der Terrasse.
»Der Löwe muß doch immer dabei sein!« flüsterte Miß Amanda.
Miß Clara jedoch sagte:
»Dann hat die Sache doch einen Schluß.«
Die Kontrakte wurden von Löwe gleich hergestellt und unterzeichnet.
Der Sekt floß in Strömen.
Und Mr. Stephan rief:
»Soll ich denn immer weiter filmen?«
Da sagte Miß Käte Li-Tung zu dem Filmfabrikanten:
»Nun lassen Sie’s nur sein, sonst kostet die Geschichte tatsächlich zu viel.«

ngg_shortcode_49_placeholder


ngg_shortcode_50_placeholderMr. Stephan erhielt sein Honorar.
Mr. Löwe erhielt auch das Seinige.
Vom Überfall auf Malta sprach man nicht mehr, wohl aber vom Waffenmuseum bei Gibraltar – das sollte eine Konkurrenz für die Alhambra sein.
Danach fuhren Mr. Li-Tung mit seiner Gemahlin gen Westen; über Madeira, Feuerland, Makartland wollten sie nach Australien; dort wollte Miß Käte Känguruhs zeichnen.
Mr. Löwe fuhr nach Paris.
Mr. Stephan wieder nach Genf.
Miß Amanda fuhr zur Weltausstellung in der Lüneburger Heide.
Und Mr. Krug ließ die Blumen des Chinesen von seinem Schlosse rasch entfernen.
Und Miß Clara sagte:
»Ein Glück, daß sie fort sind.«

Mr. Krug zeigte seiner Gattin auch sein kleines Ornamentmuseum.
Hier standen die Stahlschränke in der Mitte. Wände und Kuppeln leuchteten in blau-rot-gelber Würfelornamentik.
»Dieses kleine Museum«, erklärte Edgar, »ist nur ein kleiner Beitrag zur Zahlenmystik. Ich deutete Dir schon auf Sardinien an, wie bedeutsam die drei, fünf, sieben ist. Alles ist auf die Sterne zurückgeführt. Die uralten Priester in Babylonien und an andern Orten blickten mehr zum Himmel als die andern Menschen.«
Er sprach noch sehr viel darüber, sagte auch, daß die sieben Regenbogenfarben eigentlich gar nicht sieben sind, die Sieben sei nur der fünf Planeten nebst Sonne und Mond wegen eingeführt, die sieben Tage der Woche hätten diesen Astralkörpern auch ihre Entstehung zu danken, auch in der Musik spiele deshalb die Fünf und Sieben eine so große Rolle usw. usw.
»Könntest Du nicht«, fragte Miß Clara, »wieder zur Archäologie zurückkehren?«
»Nein «, versetzte der Architekt, » wer einmal von der Glasarchitektur gepackt ist, der lebt in den Glasfarben. Aber in diesen ist natürlich die Ornamentik die Hauptsache. Der Zahlensymbolik wegen imponieren uns ja nur die alten Teppiche – sie kommen uns wie etwas Heiliges vor. Aber darum vergeß ich ja mein kleines Ornamentmuseum nicht.«

Auf dem Abendbrottisch lag ein Telegramm von Mr. Werner, der ganz hingerissen von der Ornamentik der alten Alhambra nur von dieser erzählte, so daß Mr. Krug sagte:
»Ich fürchte, daß dieser Enthusiast die Alhambra noch mal bauen könnte. Glücklicherweise ist er ans Glas in seinem Waffenmuseum gebunden.«

Miß Clara ging sehr oft in die kleinen Orchideensäle und pflegte dort die empfindlichen Blumen mit großem Eifer, tat allerdings nichts, was der Gärtner nicht gutgeheißen hatte.
Der Smaragdsaal, der mit Amethystornamentik leuchtete, war Miß Claras liebster Aufenthalt. Auch hier nur blühende Orchideen.
Sie vergaß über den Orchideen ganz ihr Orgelspiel.

Mr. Webster telegraphierte von den Fidschiinseln:
»Die Anlagen hier, verehrter Mr. Krug, sind jetzt so weit entwickelt, daß jetzt auch die alten Bureaubeamten Englands ein ähnliches Heim haben möchten wie die Luftchauffeure. Die Verhandlungen sind so weit gediehen, daß ich Ihnen im Laufe von zwei Monaten Bestimmtes unterbreiten kann. Teile Ihnen heute schon mit, daß Sie ganz allein als Baumeister für das Unternehmen in Betracht kommen. In vorzüglicher Hochachtung bin ich Ihr ergebenster Webster.«
Das war dem Architekten sehr angenehm, und er bat seine Gattin, mit ihm nach Venedig zu fahren – im Luftschiff.
Miß Clara willigte gerne ein; sie kannte Venedig noch nicht.
»Das Fliesenparkett auf dem Markusplatz«, sagte Edgar, »mußt Du kennen lernen. Da wirst Du bemerken, daß wir heute doch weiter sind als vor vierhundert Jahren. Vielleicht bemerkst Du das auch nicht, das wäre mir ebenfalls recht.«
Sie fuhren hin.
Und Miß Clara meinte:
»Die Ornamentik zu kritisieren – dazu bin ich noch nicht gelehrt genug. Aber für die Bureaubeamten Englands solltest Du hier in der Nähe noch ein zweites Venedig bauen.«
»Ja «, versetzte Edgar, » wir dürfen aber nicht so oft an Konkurrenz denken. Das macht zumeist unoriginal. Aber ich werd’s mir überlegen.«

Auf der Isola grande trafen Gäste ein, die Bauherren werden wollten; Krugs mußten aus Venedig zurück.
Mr. Krug führte seine Gäste gleich in die Modellsäle.
Da waren die Kuppeln und Decken und Wände ziemlich einfach gehalten – zumeist nur zwei Farben im Glase.
Und die einzelnen Modelle standen zwischen Wandschirmen aus grauem Tuch. Die Wandschirme – zwei bis drei Meter hoch – ließen sich stellen, wie man wollte.
Da gab es Schloßmodelle, die auf den ersten Blick wie ein Haufen bunter Glaskugeln wirkten. Jedes Modell ließ sich drehen oder drehte sich automatisch, ließ sich höher heben und auch wieder senken bis zum Boden hinab.
Auch Modelle von ganz kleinen Villen befanden sich in den Sälen – und auch Anlagen von kleinen Kolonieen.
Die Besucher hatten immer sehr viel guten Willen, wenn sie sehr wenig Geld besaßen. Und wenn sie über dieses in großer Fülle verfügten, so waren sie sehr eigenwillig und wollten oft Dinge haben, die sich unmöglich machen ließen.
Miß Clara hatte von diesen Modellsälen sehr wenig Notiz genommen, jetzt ließ sie sich vieles erklären und erkannte bald, welche Arbeit in diesen Experimenten steckte. Sie begann zu photographieren und hatte bald von jedem Modell eine Reihe von Aufnahmen.
Von Mr. Burns lief ein Telegramm aus Ceylon ein – das lautete:
»Lieber Herr Krug! Zufällig bin ich hier bei den Luftforschern auf der Insel Ceylon bei Colombo. Man ist hier sehr aufgeregt, daß so viel Geld für die Lufthäfen verschwendet worden ist. Man will das vorhandene Geld nur noch für die Luftforschung ausgeben und allen Luxus vermeiden. Ich teile Ihnen dieses mit, damit Sie sich danach richten können. Man konstruiert hier große Höhenluftballons mit verschließbarer Gondel; man will über zehntausend Meter hoch steigen. Ich fürchte, daß die meisten Ihrer herrlichen Glashallen, die wie große geheimnisvolle Bergaugen glänzen, nicht fertig werden dürften. Es sind jetzt hier so viele Wissenschaftler versammelt, daß alle künstlerischen Elemente in den Hintergrund gedrängt werden. Viele Luftgrüße. Ihr dankbarer Burns.«
»Da siehst Du nun«, sagte Edgar zu seiner Frau, »wie leicht die besten Verbindungen zu den schlechtesten werden können. Glücklicherweise gilt auch das Umgekehrte, womit ich mich immer zu trösten pflege.«

Eines Morgens standen Krugs hoch oben auf dem höchsten Turm ihrer Insel – hundert Meter über dem Seespiegel.
Edgar sagte zu seiner Frau:
»Ich möchte Dir gerne eine kleine Freude bereiten. Aber es geht noch nicht. Das Geld ist zu knapp. Ich möchte Dir eine Turmglockenorgel herstellen lassen, auf der Du von hier aus spielen kannst, daß die großen Berge dröhnen und der Seespiegel zittert. Dazu fehlen aber die Glastürme in den Bergen, so daß die Glocken noch nicht untergebracht werden können. Vielleicht geht es mit drei Türmen.«
»Ja«, sagte Miß Clara, »aber ich weiß nicht, ob für Derartiges so viel Geld ausgegeben werden darf. Fahren wir mal wieder zum Tierpark nach Nordindien. Dort sind ja Türme und Glocken und Pauken und Posaunen in größter Anzahl da. Nebenbei muß ich Dir sagen, daß ich damals beim Spiel eigentlich gar nicht den rechten Genuß hatte. Ich denke, wir lassen die Geschichte vorläufig in Nordindien. Vorläufig bin ich mit der Orgel in meinem grauen Zimmer ganz zufrieden.«
»Ich wollte«, meinte Edgar kleinlaut, »noch einen kleinen Reklamereiz für die Isola grande schaffen.«
»Ist das so nötig?« fragte Frau Clara.
»Ja«, sagte Edgar, »man arbeitet mir jetzt an so vielen Stellen entgegen, daß ich meine Isola grande in die beste Beleuchtung setzen muß.«
»Dann wollen wir«, sagte Miß Clara, »zusehen, daß wir ohne Gebirgsorgeln auskommen.«

Auf dem Frühstückstisch fand Miß Clara ein Telegramm von Miß Käte Li-Tung.
Das lautete so:
»Allerliebste Clara! Sei mir gegrüßt. Wir sitzen noch immer auf der Insel Madeira. Wir reisen mit Gemächlichkeit. Denn wir haben Zeit. Außerdem ist der Wein hier ganz hervorragend. Wir sind auf zwanzig kanarischen Inseln gewesen. Da gab’s so viele Kanarienvögel. Ich habe Dir ein Dutzend zugeschickt. Sie werden wohl in einigen Wochen anlangen. Wann wir auf den Kurian-Murian-Inseln sind, ist noch nicht abzusehen. Mein Gatte will da eine große Paukenorgel im Meere unterbringen – auf dessen Oberfläche sollen schwimmend ein paar hundert große und kleine Ballons verankert werden. Und auf denen soll man drahtlos trommeln und pauken können. Würdest Du wohl so freundlich sein und das neue Instrument einweihen? Du brauchst nicht gleich zu antworten. Überlege Dir’s nur ein paar Monate. Wir reisen sogleich zum Feuerland und dann ins Makartland. Ich wünsche, daß es jedem Menschen so gut geht wie uns. Darum grüßen wir Euch Beide vieltausendmal, und ich bin Deine alte Käte Li-Tung.«
»Die Pauken-Käte!« rief Miß Clara.
Und Edgar schmunzelte beim Lesen des Telegramms und meinte:
»Da haben sich Zwei gefunden, die zueinander gehören. Ich glaube nicht mehr daran, daß sich die gegensätzlich geformten Naturen anziehen – im Gegenteil: der Zurückhaltende will die Zurückhaltende, der Lustige die Lustige, der Traurige aber niemals die Traurige – oder vielleicht doch?«
»Auf Li-Tungs Wohl!« sagte Miß Clara und trank ein volles Glas Rotwein aus.

Nachmittags fuhren Krugs im Motorboot auf dem Lago Maggiore herum.
Und gegen Abend saßen sie in ihrem Turmsalon und aßen Artischocken.
Dieser Turmsalon war fünfundsiebzig Meter hoch.
Hier hatte der Architekt aus der Kuppel einen ganz spitzen Turm gemacht. Die Grundfläche – mit dickem grauen Tuch belegt – nahm kaum fünfzig Quadratmeter in Anspruch.
Aber der Blick vom Mitteltisch aus in die Kuppelspitze hinein gehörte zum Besten, was die Isola grande bieten konnte.
Mit dem Kopf auf dem oberen Polster des Ledersessels blickten nun Beide nach oben und rauchten eine Zigarette und sahen schweigend in die bunte Pracht der Spitze – das Rote, Blaue, Grüne, Weiße, Violette – usw.
»Ja! Die Farbe!« sagte Mr. Edgar.
Und dabei schien plötzlich die Abendsonne durch das Glas der Turmspitze – und das funkelte und glühte.
»Ja! Die Sonne!« sagte Miß Clara.
Als es dunkel wurde, brachte der Diener ein Telegramm von Miß Amanda.
Der Diener zündete eine Wachskerze an.
Und Miß Clara las:
»Liebe Clara! Sage bitte Deinem Mann, daß er ganz vergessen hat, architektonische Modelle auf die Weltausstellung zu senden. Man vermißt diese Modelle. Viele Grüße Euch Beiden. Amanda.«
Edgar ließ seinen Kammerpräsidenten holen, einen alten Herrn, der alle Paketangelegenheiten zu besorgen hatte.
Der Kammerpräsident wurde beauftragt, zehn Modelle zur Weltausstellung in der Lüneburger Heide zu senden; Edgar gab ihm gleich die Nummern der Modelle.
Danach wurde Licht gemacht – elektrisches – bis zur Turmspitze hinauf.
Edgar rauchte noch eine Zigarette und blickte starr den Kopf in die Polster zurückgelehnt nach oben in die bunte Turmspitze hinein.
»Libellenflügel!« sagte er leise, »Paradiesvögel, Leuchtkäfer, Lichtfische, Orchideen, Muscheln, Perlen, Brillanten usw. usw. – alles das zusammen ist das Herrlichste auf der Erdoberfläche – und das finden wir alles in der Glasarchitektur wieder. Sie ist das Höchste – ein Kulturgipfel!«
Sie aßen dann geröstete Schnecken.
Und sie tranken ganz frisches Bier aus dem nahegelegenen Brissago.
Und dann rauchten die Beiden gute Kubazigarren und blickten wieder mit zurückgelehntem Kopfe hinauf – in die Turmkuppel hinein.

ngg_shortcode_51_placeholder

 

Index Bücher – Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß


alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 06-01-2023