Cervantes

DAS LETZTE VIERTEL

C

Erzählt von der Müllermütze, von der Morgen­ röte – vom Stall und von den Sporen – und von den Widmungen.

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Ich bekam nun zunächst von Sancho meine Müllermütze.
»Sie haben mir«, sagte Sancho, »das Leben gerettet. Dafür müssen Sie belohnt werden.«
Ich sprach dem Geretteten in den höflich­ sten Worten für die grosse Belohnung meinen Dank aus und wollte dann wissen, warum die Morgenröte so schrecklich für die Spanier sei.
»Oh«, sagte Sancho, »Sie dürfen nicht ver­ gessen, mein Herr, dass wir Geister aus der Unterwelt sind und demzufolge eine permanente Abneigung gegen das Sonnenlicht haben; wir sind doch nicht daran gewöhnt. Würden wir uns mal den Sonnenstrahlen preisgeben, so würden wir das fürchterlichste Gliederreissen bekom­ men.«
»Don Quichotte«, rief da der Herr Cervan­ tes, »du musst Dich auf den Rosinante setzen und ihm die Sporen geben. Die Müllerknechte werden von Zeit zu Zeit schreien: »Es geht in den Stall«. Dann wird der Rosinante kräftig mit den Beinen ausgreifen – und die verdammte Morgenröte wird hinter uns verschwinden. Reite, mein Ritter, schräge in die Höhe. Wenn wir weit genug fort sind – können wir oben wieder an­ halten. Wenn wir nur erst die Schmiede wieder erreicht haben!«
Es geschah alles, wie der Herr Cervantes gesagt hatte.
»Armer Rosinante!« sagte Sancho.
Die zwei Windmühlenflügel klapperten wie­ der.
»Sehen Sie«, fuhr nun Sancho zu mir ge­ wandt fort, »als der Don Quichotte vor 300 Jah­ ren in Madrid erschien, da musste sein Verfasser erst noch ein Buscapie schreiben, um die Neu­ gierde zu reizen – durch Anspielung auf bekann­ te Persönlichkeiten. So schwer ist es, ein gutes Buch ins Volk zu bringen. Ja, ja! Plebs bleibt Plebs. Vor 300 Jahren las der nur Ritterromane. Daher musste der Don Quichotte die engsten Beziehungen zu diesen Ritterromanen haben. Merken Sie sich das! Heute zu Ihrer Zeit liest der einfache Mann nur Zeitungen – also: wenn Sie ein Buch unters Volk bringen wollen jetzt im Jahre 1904 – so muss dieses Buch die engsten Beziehungen zur Zeitungslektüre haben – even­ tuell diese verhöhnen – oder so ähnlich.«
»Sancho«, rief der Herr Cervantes dazwi­ schen, »nun rede mal über die Widmungen.«
»Was jedoch«, sprach Sancho feierlich, »die Widmungen des Herrn Cervantes anbetrifft, so ist darüber das Folgende zu sagen. Wir mussten uns bei der Herausgabe des Don Quichotte nach einem Beschützer umsehen und wandten uns daher an den Herzog von Bejar und fragten ihn, ob er wohl die Widmung annehmen möch­ te. Und der Herzog wollte anfangs nicht. Erst als der Herr Cervantes das erste Kapitel vorgelesen hatte nahm der Herr Herzog an und wurde mit uns zusammen unsterblich. Sonst hat der Herr Cervantes zumeist nur aus Dankbarkeit gewid­ met – so dem Grafen von Lemos, Don Pedro Fernandez de Castra, der unser bester Mäcen war – neben dem Erzbischof von Toledo, Don Bernardo de Santoval. Na – alle Beide sind ja für ihr Mäcenatentum auch von uns unsterblich gemacht worden. Im zwanzigsten Jahrhundert widmet man zumeist, um Parteifarbe zu beken­ nen – so als wenn die Dichtung ein grosses Par­ lament wäre.«
Es gab einen Ruck und wir fielen alle Drei auf den Fussboden der Müllerstube.
Rosinante wieherte dabei – und das klang unheimlich.


E

Worin berichtet wird, wie Rosinantens Vorder­ beine mit Mehlsäcken beschwert werden – und über welche Dinge in der Müllerstube debattieret wurde.

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Don Quichotte kletterte durchs Fenster in die Müllerstube und sagte heftig:
»So geht’s nicht weiter! Der arme Rosinante hampelt sich ja die Beine aus. Die abgeschosse­ nen Windmühlenflügel haben uns aus dem Gleichgewicht gebracht.«
Da rief Sancho:
»Die Müllerknechte müssen die Vorderbeine des Rosinante mit Mehlsäcken beschweren – dann wird das arme Tier wohl besser in der Luft stehen können.«
Die Müllerknechte, die sich schon ganz hei­ ser geschrieen, taten, was der Sancho ge­ wünscht hatte.
Und wir sahen den Müllerknechten bei ihrer schwierigen Arbeit zu, während Persien tief unter uns vorüberzog – wie eine wellige weisse Wolke.
»Es ist aber«, sagte der Don Quichotte, »sehr irrtümlich, wenn man glauben möchte, ich sei blos eine Parodie auf alles ideale Streben. Hauptsächlich wird in mir die Tapferkeit ver­ höhnt, wie im Sancho die Feigheit verhöhnt wird und in der Dulcinea die Tugend. Ausser­ dem bin ich ein guter Mensch und ein Feind al­ ler Schlechten. Und auch diese meine Güte wird mir zur Komödie.«
»Ich habe mir«, fiel hier der grosse spani­ sche Dichter selber ein, »die grösste Mühe gegeben, Alles komisch zu nehmen – besonders aber mich selbst. Und aus diesem letzteren Bestreben ist es herzuleiten, dass der Don Quichotte so ein braver ehrlicher Kerl wurde.«
»Denn«, rief Sancho, »wer sein eignes Licht untern Scheffel stellt, wird sich nicht die Taschen mit fremden Geldern füllen.«
»Und es ist«, sagte Don Quichotte, »fraglos das Schlimmste, wenn man nimmt, was uns nicht gehört.«
»Aber auch diese Ehrlichkeit kann man komisch nehmen!« sprach der Sancho.
So sprachen die drei Spanier weiter, wäh­ rend die Müllerknechte dem armen Rosinante die Mehlsäcke an die Füsse banden.
Und ich fragte nach dem falschen zweiten Teil des Don Quichotte, und da wurde der Herr Cervantes gleich sehr lebhaft und heftig.
»Stellen Sie sich vor«, sagte er mit funkeln­ den Augen, »ich hatte mich nach der Heraus­ gabe des ersten Teils mit meiner Frau in die Ein­ samkeit zurückgezogen und durch die Freund­ lichkeit meiner Mäcene fast 8 Jahre in Ruhe ge­ lebt, 1613 gab ich meine Musternovellen heraus – da erscheint ein Jahr darauf der zweite Teil des Don Quichotte von Alonso Fernandez de Avel-laneda aus Tordesilla. Und dieser Kerl, der gar nicht mal so hiess – wohl aber, wie ich wusste, ein Schauspieldichter aus Arragonien war – hatte obendrein noch für Lope de Vega Partei ge­ nommen und mich als Schauspieldichter in den siebenten Rang gesetzt.«
»Und das«, rief Sancho, »können Sie noch nicht einmal heute nach dreihundert Jahren ko­ misch nehmen?«
Cervantes lachte und sagte gemütlich zu mir:
»Ja, es ist doch sehr vergnüglich, wenn uns-re Geschöpfe so lebendig werden, dass sie uns selber Moral predigen können. Na – jedenfalls kam der echte zweite Teil meines Don Quichotte 1615 heraus.«
»Und da«, sagte Don Quichotte, »wurde al­ len Lesern auch meine philosophische Bedeu­ tung klar. Ich bin eben auch der grosse Hohn auf alle wirkliche und wahre Grösse. Ich bin die spanische Grandezza an sich … der Grössen-wahn, der da weiss, dass er komisch ist. Ich bin die lebendige Selbstironie des kühnsten Dich­ ters, der je gelebt hat.«
»Und ich«, rief Sancho, »bin ganz bestimmt auch ein Philosoph und mindestens so bedeu­ tend wie der Ritter von den Löwen – da ich doch der Ritter von den Bomben bin.«
Während sich nun die Spanier also ganz gemütlich weiterzankten, waren die Müller mit ihrer Arbeit fertig geworden und kehrten nun laut fluchend in die Mühle zurück.
Der Rosinante spitzte seine langen weissen Ohren.


R

Was In der Müllerstube ausserdem noch passiert.

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»Bombensicher«, sagte Sancho, »ist aber unser Dichter stets ein Exemplum dafür, dass es Hu­ moristen stets ein bischen schlecht gehen muss, wenn sie was ordentliches schaffen sollen. Wie lange musste die Menschheit auf den zweiten Teil des Don Quichotte warten! Volle zehn Jah­ re! Wäre die falsche Fortsetzung nicht gekom­ men, so hätten wir die richtige nie gehabt.«
»Mein Sohn Sancho«, sagte der Don Qui­ chotte, »es muss nicht blos den Humoristen, sondern allen denen, die was Ordentliches lei­ sten sollen oder wollen, zeitweise schlecht gehen – denn die menschliche Natur ist träge von Ju­ gend auf, und alle Leute fürchten immer, dass sie sich überarbeiten könnten.«
»Sie sprechen«, sagte ich nun scharf, »ei­ gentlich nur das aus, was ich auch schon öfters ausgesprochen habe.«
»Dann trinken Sie doch«, sprach Sancho zu mir, indem er mir auf die rechte Schulter schlug, »mit dem alten Ritter von den Löwen Brüder­ schaft. Sie gehören zusammen.«
Da lachte der Herr Cervantes und sagte la­ chend:
»Kinder, jetzt haben wir aber keine Zeit mehr zum Scherzen. Herr Ritter von den Löwen, bitte, seien Sie so freundlich und sagen Sie noch ein paar Worte über meine andren Bücher. Wir müssen bald wieder in die Unterwelt zurück.«
Herr Don Quichotte räusperte sich mit der Hand am Munde und sprach:
»Anno 1613 erschienen, wie schon er­ wähnt, die Novelas ejemplares. Diese zwölf No­ vellen waren Erinnerungen aus der italienischen Soldatenzeit des Verfassers – und aus seiner Sklavenzeit in Algier. Da in Spanien zu jener Zeit eigentlich nur Übersetzungen italienischer No­ vellen existierten, so machten diese zwölf Mu­ sternovellen ihrer Originalität wegen ein gewis­ ses Aufsehen. Allerdings – original daran war wohl nur das Stoffliche und nicht das Formale. Eine neue Form hat sich unser Dichter eigentlich nur in dem Roman geschaffen, in dem ich selbst der Held zu sein die Ehre habe. Im Jahre 1614 erschien dann die Reise nach dem Parnass, Viage al Pamaso – in Terzinen wurde da der Verfall der spanischen Literatur behandelt. Das Büchlein ist in acht Kapiteln geschrieben – nach dem Muster des Cesar Caporale, eines italieni­ schen Dichters des sechzehnten Jahrhunderts. 1615 kamen dann die schon erwähnten Zwi­ schenspiele mit ein paar andern Schauspielen heraus – und gleich danach der zweite Teil dessen, der ich selber bin. Anfang April 1616 wurde noch Trabajos de Persiles y Sigismunda vollen­ det – eine Nachahmung des Theagenes und der Chariklea des Heliodorus. Dieser Persiles ist erst nach des Dichters Tode 1617 von seiner Ge­ mahlin Catalina herausgegeben.«
Wie der Don Quichotte grade das Wort »Catalina« aussprach, sah ich, dass der eine Mehlsack von dem linken Vorderbeine des Rosi-nante runterrutschte und in die Tiefe fiel – ich glaube, er fiel ins Schwarze Meer.
Der Rosinante musste aber geschlafen ha­ ben, denn kaum war der Sack gefallen, so fiel der Schimmel selber nach der rechten Seite um, so dass die Beine mit den Mehlsäcken sich drehten wie Windmühlenflügel – und wir in der Windmühle drehten uns mit – da flogen alle Mö­ bel und alle Spanier durcheinander.
Ich aber hielt mich krampfhaft am Fenster fest und sah dann, wie die Müllerknechte aber­ mals auf dem Pferde herumkrabbelten und mit grosser Mühe sein Gleichgewicht wieder herstell­ ten.
Ich blickte mich scheu um und sah die drei Spanier zwischen den Möbeln der Müllerstube auf dem Fussboden liegen.


V

Handelt von Dingen, die zu dieser Geschichte und zu keiner andern gehören.

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Die Müllerknechte fluchten draussen ganz mar­ tialisch, und ich sagte schnell, indem ich mich umdrehte:
»Könnten sie nicht die Lanze des Herrn Don Quichotte zum Fenster hinausstecken und durch Anpusten soweit verlängern, wie es nötig ist, um das Schwergewicht des Rosinante wie­ derherzustellen?«
Sancho sagte:
»Es ist nur gut, dass Sie auch mal einen schlauen Einfall haben. Das wollen wir so ma­ chen, denn das Gefluche der Müllerknechte ist nicht anzuhören.«
Und er machte es so, wie ich gesagt hatte; es wurde draussen wieder still; die Knechte zo­ gen sich in die Mühle zurück.
Don Quichotte jedoch schlang seinen rech­ ten Arm um den Hals des Cervantes und küsste die Stirne seines Dichters und sagte:
»Nun will ich noch erzählen, wie es mit unserm Dichter zu Ende ging. Ostern 1616 zog er, um seine Brust zu stärken, nach Esquivias, allwo seine Frau Catalina geboren war. Aber er blieb da nicht lange, da es immer schlechter mit ihm wurde; er musste schleunigst nach Madrid zurück. Hier liess er sich die letzte Ölung geben und schrieb dann einen sehr witzigen Brief an den Grafen Lemos. In diesem Briefe widmete er seinem alten Mäcen sein letztes Werk, den Persi-les. Und dann starb der Dichter am 23. April 1616. – 68 Jahre und sechs Monate alt. Irdische Schätze hinterliess der Dichter nicht – wohl aber andre. Begraben wurde der Dichter seinem Wunsche entsprechend bei den Trinitanerinnen ganz einfach – nicht einmal ein Leichenstein zeigt an, wo der Dichter Don Miguel de Cervan­ tes Saavedra ins Innere der Erde hinein gelassen wurde.«
Cervantes sass zwischen den Möbeln neben Don Quichotte – und Haar und Bart waren dem Dichter während der letzten Erzählung schnee-weiss geworden.
Ich stand ganz still und wagte kaum zu at­men.


A

Verschiedenes – und was uns abermals in der Müllerstube passierte.

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Und Sancho Pansa sagte nun, indem er sich be­ mühte, so leise wie möglich zu sprechen:
»Kaum aber war unser Dichter begraben, so war sein Ruhm geboren. Im Laufe der letzten drei Jahrhunderte erschienen 400 Ausgaben in Spanien. Und ausserdem erschienen fast ebenso viele Übersetzungen – nicht weniger als 200 Übersetzungen in England, so dass ich wohl be­ haupten könnte, ich wäre der Urheber, der Grossvater des englischen Humors. In deutscher Sprache sind nur 70 Übersetzungen erschienen. Diese Zahl wird sich hoffentlich bald verdreifa­ chen, damit ich auch behaupten kann, ich wäre der Grossvater des deutschen Humors.«
»Mein Sohn Sancho«, sagte nun Don Qui­ chotte mit weicher Stimme, »Du bist doch wirk­ lich nicht imstande, eine Sache mit Ernst zu be­ handeln. Zuweilen muss ich das bedauern.«
Nach diesem Wort brach die Lanze in der Mitte durch, und ich sah wieder, wie unser Schimmel nach rechts überkippte. Und in der Müllerstube standen wir plötzlich alle auf dem Kopfe, was ganz natürlich zuging, da ja die glücklicherweise sehr niedrige Stubendecke nach unten kam, während das Pferd seine mit Mehlsäcken beladenen Vorderbeine auf seinen Bauch legte – und somit in der Luft auf dem Rücken lag.
Da riss mir aber die Geduld, und ich sagte heftig:
»Aber, meine Herren, das Umgestülptwer­ den mag wohl für die unsichtbaren Zuschauer ein Vergnügen sein – mir macht es keinen Spass.«
Da sagte Sancho:
»Mir auch nicht!«
Cervantes und Don Quichotte sagten das auch.
Ich aber wusste wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte – ich schwieg.


N

Wie wir draussen waren.

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»Diesem Zustande wollen wir rasch ein Ende machen!« sagte der scharfsinnige Ritter Don Quichotte de la Mancha.
Und er liess von den Müllerknechten vier lange Balken zu den Fenstern hinausstecken.
»So«, sagte der Ritter darauf, »jetzt ver­ lassen wir diese ramponierte Müllerstube, damit uns nicht noch die Kacheln des Ofens auf die Nase fliegen. Und wir verlassen diese Stube durch die vier Fenster – jeder durch ein beson­ deres Fenster. Und draussen legen wir uns auf die Bretter so hin, dass der Rosinante für die Folge im Gleichgewicht bleibt.«
»Ich möchte aber«, warf ich ein, »nicht ger­ ne hinunterfallen.«
»Dann werden Sie eben angebunden!« sag­ te Sancho.
Das geschah nun, nachdem die Müller­ knechte das Pferd wieder umgedreht hatten.
Und dann lagen wir Vier sehr bald mit dem Bauch auf dem Balken, während unter uns in der Tiefe das Schwarze Meer vorbeizog.
Ich umklammerte fest meinen Balken und blickte hinunter in die Fluten des Schwarzen Meeres, die im Mondenschein glitzerten.


T

Von der grossen Gefahr, die von Osten kommt.

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Nun hörte ich die Spanier leise miteinander sprechen, und mehrmals hörte ich, dass sie vom Schiessen sprachen.
»Ob sie«, dachte ich, »mich beschiessen wollen?«
Doch das war wohl nicht der Fall, denn ich hörte den Don Quichotte sagen:
»Das Pferd steht nicht fest genug – wir kom­ men zurück. Ich sehe auch schon wieder ein paar rote Streifen im Osten. Wir müssen dem Rosinante ein paar Kugeln ins Fell jagen – sonst kommen wir nicht zur Zeit in die Schmiede.«
»Laden wir rasch unsre Pistolen!« sagte Sancho.
»Jawohl«, sagte der Herr Cervantes, »es ist die höchste Zeit – ich fühle schon ein bedenkli­ ches Zucken in den Beinen.«
Und ein paar Augenblicke später hörte ich fünf oder sechs Pistolenschüsse.
Und mir war so, als würde ich mit meinem Balken noch weiter in die Welt hinausgescho­ ben.
Auf allen Seiten sah ich jetzt nur noch grosse strahlende Sterne und Mondenschein.
Der Balken unter mir schwankte auf und ab, als hätte ich riesige Meereswellen unter mir.


E

Enthält, wie sich der Leib des Rosinante verän­derte – und wie es weiterging.

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Mit grosser Mühe gelang es mir endlich, mich umzublicken – und da sah ich denn, dass die Mühle zusammengedrückt war wie eine alte Hutschachtel, und der Leib des Rosinante hatte sich verlängert.
Und je länger ich hinsah – um so länger wurde der Leib des Rosinante.
»Das müssen wohl die Pistolenschüsse ge­ tan haben!« dachte ich dabei.
Und dann sah ich auf dem langen Leibe des Rosinante wieder die drei Spanier reiten.
Aber die drei Spanier waren jetzt riesig gross – Don Quichottes Lanze schien in die Ster­ ne hineinzuragen.
Und mir schwand das Bewusstsein.


S

Wie alles endete.

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Ich fühlte plötzlich ein Dutzend harte Menschen­ hände an meinem Körper.
Ich riss erschrocken die Augen auf – und sah den Herrn Sandmann mit seinen Schmiede­ gesellen.
Die Gesellen lachten, und einer sagte:
»Jawohl, hätten wir nicht feste zugepackt, so wären Sie mit den Spaniern in die Unterwelt gefahren. Der Schimmel flog wie ein Pfeil.«
»Ich danke sehr! Ich danke sehr!« stotterte ich.
Und dann bat ich den Herrn Sandmann, mich schnell hinauszubringen – an die frische Luft.
Und man brachte mich hinaus.
Und da sah ich über den nassen Wiesen die Sonne aufgehen – ganz dunkelrot – so dun­ kelrot wie der Mond am Tage vorher.
»Sie sind 36 Stunden fortgewesen!« sagte der Herr Sandmann.
»So! so!« sagte ich.
Und ich starrte in die dunkelrote Sonne und freute mich, dass ich keine Angst vor ihr zu haben brauchte.
Ich nahm meine Müllermütze ab und stand ganz still.


alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

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Revision 06-01-2023

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