Cervantes

DAS DRITTE VIERTEL

C

Wie es nun zunächst im Innern der Windmühle zuging – und was allda geredet wurde.

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Sancho hatte im Innern der Windmühle seinen alten Esel vorgeholt und streichelte ihn, was sich natürlich das gute Tierchen gern gefallen Hess.
Der Herr Cervantes ging zu dem Fenster, durch das man vom Rücken des Rosinante aus in die Mühle hineinsteigen konnte, und sprach durch das Fenster zu dem reitenden Don Quichotte:
»Mein lieber Ritter, zieh die Zügel fest an und reite steil in den Himmel hinauf, aber nicht in die Sterne hinein – nur soweit, dass uns die Erde nicht mehr mitreisst – dann kann der Rosin­ ante und die Windmühle im Schatten der Erde stehen bleiben – und die Erde kann sich weiter drehen – bis wir den Kriegsschauplatz unter uns haben – dann schiessen wir runter.«
»Wollen wir«, fragte Sancho Pansa, »Partei ergreifen und ebenfalls schiessen?«
»Nein«, versetzte der spanische Dichter, »Wir haben im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert oft genug Partei ergriffen.«
Er trat vom Fenster zurück und setzte sich auf einen alten wackligen Barockstuhl mit hoher Rückenlehne und fuhr nun fort, von seinem Le­ ben zu erzählen, während Sancho und ich auf der Ofenbank Platz nahmen und der Esel hin­ auslief zu den Müllerknechten:
»Als ich im Jahre 1581 nach Spanien zu­ rückkam, ging’s sehr bald wieder fort – auf den Azoren gab’s Unruhen – und ich ging zur Unter­ drückung der Unruhen mit. Das war aber meine letzte Kriegstat in meinem damaligen Erdenda­ sein. Danach weihte ich mein Leben den Mu­ sen.«
»Sie schrieben leider«, bemerkte jetzt der Sancho, »zuviel Verse, die ihrem Rufe nicht sehr förderlich waren. Die Galatea, jener Schäferro­ man, den Sie im Jahre 1584 in Madrid heraus­ gaben, hätte ganz und gar in Prosa geschrieben werden müssen; die vielen Verse dazwischen machen das meiste ungeniessbar.«
»Finden Sie nicht«, sagte nun Herr Cervan­ tes zu mir, »dass dieser Sancho als Kritiker ein­ fach unbezahlbar ist?«
Ich stimmte dem lächelnd zu, und Sancho sprach weiter:
»Das, was ich über die Verse des Dichters Cervantes gesagt habe, wird durch eine Äusse­ rung des spanischen Verlagsbuchhändlers, Juan de Villaroel, bestätigt. Herr de Villaroel schrieb nämlich an unsern Dichter wörtlich: »Von Ihrer Prosa kann ich viel erwarten, aber von Ihren Gedichten durchaus nichts.« Eine derartige Äus­ serung ist ja hart, aber durchaus gerecht. Die Li­ teraturgeschichte wird diese Meinungsäusserung des alten spanischen Verlagsbuchhändlers nur bestätigen können.«
Jetzt lachte der Herr Cervantes so heftig, dass ihm die Tränen in den kastanienbraunen Bart rollten – und dass durch die Erschütterung des ganzen Körpers der wacklige Barockstuhl einen Knacks bekam und zusammenbrach.
Aber rasch half Sancho dem Gefallenen wieder auf die Beine.


E

Erzählt vom Heiraten und auch von der Dulcinea von Toboso und von der Therese Pansa.

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Sancho setzte seinen lachenden Dichter auf ein altes Kanapee und sprach nun stehend weiter, was sich seltsam ausnahm, da er schräge zum Fussboden stand, dieweil der Rosinante mit der Windmühle fast senkrecht zum Himmel aufstieg; hätte sich die Windmühle nicht zum Rücken des Pferdes hinübergebogen, so wäre in der Müller­ stube alles durcheinandergefallen; es erklärt sich auch auf diese Weise sehr leicht der Zusammen­ bruch des alten Barockstuhls. Sancho aber sagte schiefstehend:
»Am 12. Dezember 1584 heiratete unser Dichter seine aus Esquivias gebürtige Ehefrau, -Donna Catalina de Palacios Salazar y Vozme-diano. Da kurz zuvor die Galatea erschien, so muss man selbstverständlich diese Galatea mit der Catalina in Zusammenhang bringen. Aber -man muss auch die berühmte Dulcinea von To­ boso mit der Gemahlin des Dichters in Verbin­ dung bringen – und last not least – entschuldigen Sie das Englische! – ist zu konstatieren, das auch meine Frau Therese Pansa eigentlich bloss die eine Hälfte der Frau Cervantes ist, während die andere als Dulcinea zu bezeichnen wäre.«
»Wie?« rief der spanische Dichter, »Du lüg­ nerischer Stallmeister! Du verhungerter Inselkö­ nig, Du willst behaupten, dass meine halbe Frau Deine ganze Frau ist?«
Darauf erwiderte der Sancho ganz ernst:
»Sie können doch nicht bestreiten, Herr Don Miguel, dass Ihre verehrte Frau Gemahlin erst 1626 gestorben ist – also zehn Jahre nach Ihrem Tode, da Sie selbst, Herr Don Miguel, doch anno 1616 starben. Das steht doch in je­ der besseren Literaturgeschichte.«
Nach diesen Worten wurde aber die Mül­ lerstube so schräg, dass Sancho ausrutschte und auf den Rücken fiel, während ich von der Ofen­ bank herunterglitt und so zu Falle kam, dass ich dabei zum Fenster hinaussehen konnte.
Und da sah ich durch das Fenster den dun­ kelblauen Himmel mit vielen runden Sternen, die so glänzten wie kleine Mondscheiben.
Auch ein paar Nebelflecken sah ich zwi­ schen den Sternen.


R

Verständige Unterhaltung, die das spanische Theaterleben zum Mittelpunkt hatte.

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Aber mit einem Ruck kam die Müllerstube wie­ der in die richtige Lage; die Windmühle und der Rosinante standen plötzlich oben im Lufträume still.
Und kaum stand der Sancho wieder auf seinen Beinen, so sprach er auch schon wieder:
»Als nun das Jahr 1584 vorübergegangen war – unser Dichter stand gerade im achtund-dreissigsten Lebensjahre – da kam auch schon wieder das kümmerliche Existenzmalheur zum Vorschein. Die Donna Catalina hatte wohl eine
gute Familie, aber kein gutes Geld – sagen wir lieber: gar keins. Unser Dichter war eben vom Schicksale dazu auserlesen, Humor in sich zu erzeugen – dicken festen Humor – mich – den dicken festen Sancho Pansa.«
Ich setzte mich auf meine Ofenbank, und der Herr Cervantes steckte sich eine Zigarre an und gab mir auch eine, während Sancho breit­ beinig dastehend weiterredete wie ein zorniger Pfarrer:
»Man sieht aber gleich, wie schwer es ist, den richtigen Humor zu bekommen, der »Alles« von der komischen Seite zu nehmen vermag -denn statt nun gleich den edlen Don Quichotte und den noch edleren Don Sancho zu schreiben – schrieb er zehn Jahre hindurch Dramen -Theaterstücke – wohl an die 30 Stück.«
»Mein Sohn Sancho«, sagte da der Don Quichotte, indem er seinen Barbierbeckenkopf durch das Müllerfenster schob, »schnapp nur nicht mitsamt deinem Schnappsack über; jetzt tust Du Dich schon Don titulieren, und wir kön­ nend womöglich noch erleben, dass Du Dich Professor nennst.«
»Dazu hätte ich«, erwiderte Sancho, »mei­ nes anerkannten Rationalismus wegen wohl ei­ ne ganz rationelle Berechtigung. Um aber auf die 30 Dramen des Don Cervantes zurückzu­ kommen, so ist zu bemerken, dass diese wohl in den 10 Jahren von 1584-1594 verfasst, jedoch nicht so sorgfältig aufbewahrt wurden, dass sie alle heute noch zu lesen sein könnten, da etliche verloren gingen.«
»Meine Herren«, rief nun der Don Quichot­ te lustig, »blicken Sie einmal zum Fenster hin­ aus, so werden Sie den Atlantischen Ozean zu Ihren Füssen sehen – in 22 Minuten zieht die Stadt New York unter uns vorbei.«
Wir stürzten ausser Sancho an die Fenster und sahen in der Tiefe – ganz tief unten – den vom Monde durchglänzten Atlantischen Ozean.


V

Fortsetzung der verständigen Unterhaltung, die im vorigen Kapitel begonnen wurde.

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Als wir uns nun sattgesehen hatten an dem gros­ sen Ozean und an der ganzen sich unter uns drehenden Erdkugel, gingen wir wieder an unsre Plätze, und Sancho setzte seinen Vortrag folgen-dermassen fort:
»Erst im Jahre 1615 gab der bereits ehren­ voll erwähnte Verlagsbuchhändler, Herr Juan de Villaroel, einige von den Theaterstücken des Herrn Cervantes in den Buchhandel – und zwar unter dem Titel: »Ocho Comedias y ocho Entre-mes nuevos, nunca representados«. Auch diese waren dem Grafen Lemos dediziert, und der Verfasser erklärte in einem gelehrten Vorwort,
dass er der erste gewesen sei, der hier aus den 5 Akten der Komödie 3 Akte gemacht habe und auch allegorische Personen hineingeführt habe. Hierdurch werden wir gleich überzeugt sein, dass diesen Theaterstücken nicht so viel Grosses anhaftete, um heftigere Meinungsäusserungen hervorzurufen. Und so dürfen wir uns auch gar nicht wundern, wenn unser Dichter Don Miguel einfach seitwärts ging, als der grosse Lope de Vega mit seinen Theaterstücken populär zu wer­ den begann. Übriggeblieben für den Literatur­ freund sind allein die beiden Cervantes-Stücke »los Tratos de Argel« und »la Numancia«. Das erstere behandelt das Leben in Algier, das zweite ist ein Trauerspiel.«
»Sancho«, rief Cervantes, »schlaf bei dei­ nem Vortrage nicht ein.«
»Ich komme ja gerade dadurch«, versetzte Sancho, »in das richtige Fahrwasser, indem ich zum Schlüsse nur sagen will, dass die ganze Theaterkunst eigentlich nur eine Kunst für die Jünglinge und Backfische ist und nicht allzuemst genommen werden sollte, da die Theaterdichter bei ihrer Theaterdichterei mehr an das Geld, das dabei rausspringt, denken – als an die Kunst. Und deshalb begrüsse ich den Misserfolg, den der Dichter Cervantes auf dem Theater erlebte, mit hellem Hallo – weil dadurch unser lieber Dichter gerade gezwungen wurde, an seinen grossen komischen Roman ranzugehen, dem der Ritter im Müllstubenfenster und meine We­ nigkeit ihre Weltexistenz zu verdanken haben.«
»Bist du nun fertig?« fragte der Herr Cer­ vantes.
Und der Sancho sagte leise:
»Ja, wenn mir jetzt die Berechtigung zuer­ kannte wird, mich »Professor« zu nennen.«
»Meinetwegen!« sagte der Herr Cervantes.
Da sprang der Sancho so hoch in die Höhe, dass er mit dem rechten Fusse die Mül­ lerstubendecke berührte.


A

Berichtet vom Beamtenstande und vom Ehe­ stande und von anderen Dingen.

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»Zunächst, mein Sohn Sancho«, sagte der Ritter im Fenster, der mit seinen beiden Beinen auf dem Rücken seines Rosinante stand, »muss ich Dir bemerken, dass die Meinungen, mit denen Du uns ergötzen wolltest, nicht als massgebliche zu betrachten sind, sintemal Du vom Wesen der Kunst eigentlich keinen blassen Schimmer hast und in puncto Belesenheit recht viel zu wün­ schen übrig lassen dürftest.«
»Dann erzählen Sie doch«, gab Sancho rauh zurück, »die Lebensgeschichte unsres Dich­ ters alleine weiter. Es ist ja bekannt, dass Sie sich immer sehr gerne reden hören. Sie können sich meinetwegen auch »Professor« nennen – ich mache mir gar nichts draus.«
Darauf legte sich der dicke Stallmeister lang auf den Fussboden hin, streckte seine Glieder recht behaglich aus und zündete sich ebenfalls eine Zigarre an.
Don Quichotte aber sprach mit gewandten Gesten und lebhaftem Minenspiel:
»Meine Herren, vergessen Sie nicht, dass jetzt unter uns die Vereinigten Freistaaten von Nordamerika vorbeiziehen. Sie brauchen nicht hinauszublicken, da es gerade in Nordamerika regnet und Regenlandschaften von der Vogel­ perspektive aus nur einen einfachen Wolkenein­ druck hinterlassen. Wir aber wollen nicht verges­ sen, dass der Herr Cervantes vom 38. bis zum 48. Jahre seines Lebens Theaterstücke schrieb, da er als verheirateter Mann für seinen Haus­ stand sorgen musste. Und das ist der Vorzug des Ehestandes, dass er den Ehemann zur Anspan­ nung aller seiner Kräfte zwingt. Und geht die Kraft auch manchmal nach der falschen Rich­ tung hin verloren, die Kraft wird doch immer gestählt, und die Muskeln und Nerven bleiben in der Übung. Demnach ist es auch nicht zu be­ dauern, dass der Herr Cervantes im Jahre 1594 nach Sevilla übersiedelte und dort der Unter-kommisionär des Antonio de Guevara wurde, der damals zum Hauptproviantkommisionär bei den indischen Flotten und Kriegsheeren ernannt worden war. Dieser Beamtenstand hat unserm Dichter noch mehr die humoristischen Adern zugespitzt als der Ehestand. Jetzt aber schauen Sie zunächst mal hinaus; wir haben, wenn ich nicht irre, bereits den Grossen Ozean zu unsern Füssen.«
Wir sahen nun alle drei zu den Fenstern hinaus, und der Herr Don Quichotte hatte sich nicht geirrt – der Grosse Ozean war schon unter uns und glänzte im Mondenschein.
Sancho Pansa warf seinen Zigarrenstummel in das grosse Meer hinunter und rief lachend:
»Passen Sie auf, meine Herren, wenn mein Zigarrenstummel in den Ozean stürzt, wird es zischen. Lauschen Sie!«
Wir lauschten – aber wir hörten nicht einmal das alte Meeresrauschen – nur ein Klap­ pern in den Flügeln der Windmühle war für uns vernehmbar.
Dann hörten wir Sanchos Esel schreien.
Und dann wieherte der Rosinante.


N

Erzählt das, was man darin finden wird.

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Während nun die Wassermassen des Grossen Ozeans unter uns vorbeizogen – sehr tief unter uns – denn der Rosinante stand mit seiner Mühle sehr hoch, gingen wir in der Müllerstube auf und ab und plauderten von der Steuerverhältnissen in Spanien am Ende des sechzehnten Jahrhun­ derts.
Cervantes sagte:
»Ich reiste damals in verschiedenen Provin­ zen herum – als Steuererheber. Und dabei lernte ich das menschliche Leben immer mehr kennen, und es kam mir immer mehr sehr lächerlich vor. Und meine beiden Reisegefährten waren damals schon der Don Quichotte und der Sancho Pan-sa. Schon 1597 – also in meinem 50. Lebensjah­ re – waren Stücke meines Romans im Entwürfe völlig fertig.«
»Da möchte ich aber etwas bemerken!« sagte Sancho.
»Tu das!« versetzte der Dichter.
Und der Sancho sprach:
»Sehen Sie mal, meine Herren, unser Dich­ ter musste die grösste Komödie schreiben: die Komödie des Ehrgeizes und der Herrschbegier­ de. Das war’s! Und darum musste er allmäch­ tiger und verhasster Steuererheber werden. Se­ hen Sie da nicht wieder den leitenden Faden in diesem Dichterleben? Und ist es nicht so humor­ weckend, wenn man als ehrgeiziger Mensch eine herrschende Stellung bekommt und dabei von keinem Spanier hochgeschätzt wird? So erging’s unserm Dichter!«
»Mein Sohn Sancho«, sagte Don Quichotte wieder durchs Fenster, »werde blos nicht zu klug, sonst erkennt man Dich nicht wieder; eine gewisse Dosis Dummheit haftet an jedem Genie, und wer wie Du für ein solches gelten will, soll bemüht sein, immer wieder die berühmte Dosis in Erinnerung zu bringen.«
»Das können Sie, Herr Don Quichotte«, gab der Sancho zurück, »sich ebenfalls merken. Aber sehen Sie sich, meine Herren, nur die Ad­ lernase unseres Dichters genauer an. Muss ein Mann mit einer solchen Nase nicht leicht in Streit geraten? Muss er nicht besonders mit de­ nen in Streit geraten, die ihm Steuern zahlen sollen? Und ist es deshalb nicht auch ganz na­ türlich, dass der Herr mit der abgenommenen linken Hand oftmals wegen Scherereien ins Gefängnis kam? Und ist es daher nicht ganz so, wie es sein muss, wenn er im Gefängnis zu Ar-gamasilla, welches Nest in der Provinz La Man­ cha liegt, seinen grossen Roman vom scharf­ sinnigen Edlen Don Quichotte de la Mancha endlich regulär niederzuschreiben begann? Ich sage: endlich! Und damit habe ich wohl dieses Wort nicht missbraucht, denn die erste Nieder­ schrift begann unser Dichter im Jahre 1603 – im 56. Lebensjahre. Allerdings im Jahre 1604 er­ schien die erste Hälfte des Don Quichotte in Madrid schon im Druck! Grade heute vor 300 Jahren geschah das!«
Nach diesen Worten hörte man in der Mül­ lerstube einen grossen Kanonendonner aus der Tiefe herauftönen.
»Wird«, fragte Cervantes, »auf der Erde die­ ser Tag gefeiert?«


T

Die anmutige Schilderung eines Kriegsschauplat­zes, der bei Nacht und Nebel aus der Vogelperspekti­ve betrachtet wird.

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»Nein!« rief Don Quichotte, »wir haben den Kriegsschauplatz unter uns und tun gut, uns jetzt wieder auf Rosinantens Rücken zu setzen, um die Gegend gründlich inspizieren zu können.«
Schnell kletterte Cervantes durchs Fenster und setzte sich vorne aufs Pferd, hinter ihn setzte sich Don Quichotte – und ich setzte mich wieder auf die Schultern des scharfsinnigen Ritters.
Und dann bewegten sich wieder die Wind­ mühlenflügel und wir schössen pfeilschnell hin­ unter.
Und wir sahen bei Nacht und Nebel im hellen Mondenschein – Wladiwostok und Port Arthur – die Russen und die Japaner – Panzer­ kreuzer und Torpedobotszerstörer – grosse elek­ trische Scheinwerfer und kleine eilige Dampfbar-kassen.
Und das machte alles den Herren Cervan­ tes und Don Quichotte einen fürcherlichen Spass.
Sancho, der jetzt hinter mir auf Rosinantens Rücken stand, hatte weniger Vergnügen an die­ sem militärischen Schauspiel, und er sagte in sehr verdrossenem Ton:
»Dazu bin ich doch wirklich nicht aus der Unterwelt herausgekrochen, um mich hier in ve-ritable Lebensgefahr zu begeben. Ich wollte den dreihundertsten Geburtstag unsres scharfsinni­ gen Ritters feiern helfen – weiter nichts. Ich be­ fürchte jedoch, dass wir hier oben als Zuschauer erkannt werden könnten – und dann schiessen sie uns ihre dummen Granaten ins Gesicht.«
»Mein Sohn Sancho«, sagte Don Quichotte, »Du bist und bleibst ein Hasenfuss für alle Ewig­ keit. Hast du denn gar kein Verständnis für krie­ gerische Unternehmungen?«
»Nein! Nein! Gar keins!« schrie der Sancho.
Da sahen wir, wie aus einer Strandkanone in Port Arthur eine lange Feuersäule hervor-schoss.
Und dass bewegten sich die Lichtkegel der elektrischen Scheinwerfer auf dem Meere hin und her – auf und ab – sehr hastig – so wie Spin­ nenfinger.


E

Enthält die Schilderung eines Kriegsabenteuers, das die bedenklichsten Folgen haben könnte.

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Nun hörten wir den Donner der Geschütze ganz deutlich.
Und auf den japanischen Kriegsschiffen sa­ hen wir jetzt auch die Feuersäulen aus den Ge­ schützen herausschiessen.
Und dann sahen wir, wie die Granaten und Bomben am Strande und auf den Schiffen auf­ schlugen und masthohe Flammen erzeugten -und Rauch – und Gekrache – und Gebrüll und Geschrei.
Der Herr Cervantes lenkte den Rosinante tiefer hinab, und da sahen wir denn noch mehr -und die donnernden Geschütze wurden so laut, dass man sich gar nicht mehr unterhalten konn­ te.
Und während wir nun eifrigst hinabblickten – da gab’s plötzlich dicht hinter uns einen furcht­ baren Krach.
Und Sancho schrie durch den Kanonen­ donner hindurch:
»Die Windmühlenflügel sind uns abge­schossen.«
Gleichzeitig aber schwankte ich seitwärts und fühlte, dass Don Quichotte vom Pferde stürzte.
Ich griff nach seiner Lanze und wollte sie in die Höhe reissen – da fühlte ich aber etwas Schweres unten an der Lanze – und sah, dass da unten der Sancho an der Lanze zappelte – und nun mit allen Kräften bemüht war – an der Lanze nach oben zu klettern – während ich mit Don Quichotte immer weiter nach unten sank.
Glücklicherweise sass Don Quichotte sehr fest im Steigbügel, und Sancho konnte ein Pfer­ debein ergreifen.
Und so kamen wir wieder langsam nach ungeheurer Anstrengung in die richtige Stellung.
Unter uns donnerten die Kanonen und Tor­ pedos ohne jede Unterbrechung.
Und wie ich mich grade für gerettet hielt, wurde mir plötzlich durch einen Granatsplitter mein Zylinder vom Kopfe gerissen, dass er im grossen Parabelbogen hinuntersank ins wilde Schlachtengetümmel.
Mein Zylinder vom Jahre 1888!
Sancho hatte es gesehen, als er grade in Don Quichottes linken Steigbügel mit dem rechten Fusse hineinstieg.
»Ich geb‘ Ihnen eine Müllermütze!« rief der dicke Stallmeister zu mir hinauf.
»Das nenne ich Geistesgegenwart!« rief der Herr Cervantes, riss den Rosinante zur Seite und stieg empor – immer höher – und hielt den Ro-sinante erst an, als wir chinesisches Gebiet unter uns hatten.
Ich biss mir auf die Zunge aus Versehen.
Sancho aber sagte zu mir:
»Sie, mein Herr haben mein Leben gerettet. Sie bekommen eine Müllermütze zum Anden­ ken.«
Ich dankte ihm sehr.

Und die Windmühlenflügel standen still.


S

Wie der dicke Sancho Pansa zum Ritter von den Bomben geschlagen wurde – nebst dem, was den drei Spaniern einen grossen Schreck einflösste.

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Als wir nun die Windmühlenflügel ansahen, da bemerkten wir, dass nur noch zwei vorhanden waren, die zu einander im rechten Winkel stan­ den.
»Ach du liebe Zeit!« rief Sancho, »daher wären wir bald alle mitten ins Kampfgetümmel gefallen. Es ist nur ein Wunder, dass sich der Rosinante so lange hat halten können. Die zwei Flügel arbeiten ja ganz anders. Und dem Rosin­ ante wird es nicht möglich sein, sich auf die Dauer im Gleichgewichte zu erhalten.«
Wir kletterten nun alle Vier ins Innere der Mühle, und da sprach Sancho zum Don Qui­ chotte gewandt – folgendermassen:
»Nach dieser Heldentat, Herr Don Quichot­ te, müssen Sie mich zum Ritter von den Bom­ ben schlagen. Sie haben sich damals in Valencia zum Ritter von den Löwen gemacht, als Sie sieg­ reich aus dem Kampfe mit den Löwen hervor­ gingen. Da ich heute siegreich aus dem Kampfe mit den Bomben hervorgegangen bin, so müs­ sen Sie mich zum Ritter von den Bomben schla­ gen – sonst stürze ich mich einfach zum Fenster hinaus und brech mir auf chinesischem Gebiete das Genick.«
»So knie nieder!« sagte Don Quichotte.
Und das tat der Sancho und wurde dann der Ritter von den Bomben.
Da rief der Cervantes erschrocken:
»Kinder, ich sehe einen roten Streifen im Osten. Die Morgenröte! Die Morgenröte!«
Da bekamen auch die beiden andern Spa­ nier einen grossen Schreck.
Ich aber verstand nicht, warum sie so er­ schraken.

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