Cervantes


DAS ZWEITE VIERTEL

 

 

C

Handelt von dem Luftritt und von der Schlacht bei Lepanto.

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»Halten Sie Ihren Zylinder fest!« rief der Herr Cervantes zu mir hinauf.

Ich schlang fester meine Beine um Don Quichottes Hals und drückte meinen Zylinder tiefer in die Stirn, die Vorderbeine des Rosinante leuchteten im Mondeslicht wie Geisterarme, und Cervantes sprach hastig und sehr laut, dass es durch die Frühlingsnacht schallte:
»Der Sultan von Konstaninopel, Selim der Zweite, hatte seine Flotte im Jahre 1570 nach Cypem geschickt, und die Venetianer baten den Papst Pius V. um Hilfe, und der ernannte den Herzog von Pogliano – Marco Antonio Colonna-zum Ober-Admiral der Papstflotte. Nun kamen noch die Spanier dazu – unter Juan Andrea Doria. Und ich trat unter dem neapolitanischen Kapitän Diego de Urbina – als gemeiner Soldat -in den Dienst der vereinigten Heere. Anfangs ging alles bei uns herzlich schlecht – die Türken eroberten Nikosia. Dann aber wurde Don Juan von Österreich – ein natürlicher Sohn Karls des Fünften – unser Generalissimus. Und da kam’s am 7. Oktober 1570 zur grossen Schlacht bei Lepanto. Ich lag fieberkrank in meiner Kabine, als ich den ersten Kanonendonner hörte. Da hielt’s mich nicht mehr im Bett. Ich sprang auf und war bald mitten im ärgsten Getümmel, kämpfte wie zehn Löwen – bis ich zwei türkische Flintenkugeln in der Brust – und eine Kugel in der linken Hand hatte. Da war ich blessiert – und musste nach Messina ins Hospital. Wir aber hatten gesiegt.«
»Donnerwetter!« schrie Sancho hinter mir, »gleich mit drei Kugeln auf einmal. Gut, dass ich nicht dabei war.«
»Mein Sohn Sancho«, sprach Don Quichot­ te unter meiner Brust, »du warst zu allen Zeiten ein Hasenfuss, und damals spieltest Du in unse­ rem Dichter Don Miguel noch keine Rolle – ich selber dagegen um so mehr.«
Ich starrte auf das umgestülpte Seifenbek-ken, das dem Don Quichotte immer noch als Helm diente.
Und die Sterne des Himmels funkelten im Himmel überall, und der alte Vollmond wurde von weissen Frühlingswolken umhüllt.


E

Welches vom Soldatenleben handelt – desglei­ chen von den verdammten Seeräubern.

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Aber Don Miguel de Cervantes Saavedra war über die Zwischenbemerkungen des Sancho Pansa und des Don Quichotte sehr ungehalten und redete nun sehr heftig und sehr laut in den Sternenhimmel hinein:
»Ihr Beiden, die ihr da hinter mir sitzt, tut euch vorläufig nicht so dicke – damals wart ihr blos ein paar Embryos. Ich aber war sehr stolz auf meine Verstümmelung, trug, als ich aus dem Hospital herauskam, meinen linken Arm in einer seidenen Binde und verheimlichte den Verlust meiner linken Hand keineswegs – was mir durchaus ein martialisches Ansehen gab. Ich war damals anno 1571 erst gute 24 Jahre alt und noch nicht in der Lage, alle Dinge dieser Welt von der komischen Seite zu nehmen. Ich war, trotzdem ich viele Verse machte, Soldat vom Scheitel bis zum Zeh – und zwar ein spani­ scher Soldat. 1572 war ich bei einer Expedition gegen Tunis, 1573 vor Goleta, 1574 in Genua -ausserdem sah ich Florenz, Venedig und Neapel Lucca, Palermo, Messina und viele andere Städte. Fünf Jahre lebte ich als Kriegssoldat und als ein sehr tüchtiger – erhielt aber keine Aus­ zeichnung und keine Belohnung. Und da gaben mir der Don Juan von Österreich und der Her­ zog von Sessa grosse prächtige Empfehlungs­ schreiben, mit denen ich nach Madrid gehen sollte. Und so schiffte ich mich denn auf der spa­ nischen Galeere elSolem – im September 1575 um nach Madrid zu segeln. Und am 26. September 1575 trafen wir auf ein Geschwader von Seeräubern aus Algier. Und diese ver­ dammten Seeräuber waren in der Übermacht -fünf Schiffe gegen eins. Wir fochten wie die Teufel. Aber die Galeere des Dali Mami nahm unsre spanische. Und ich wurde mit meinem Bruder und vielen andern spanischen Edelleu-ten der Sklave dieses verdammten Dali Mami. Wenn ich daran denke, so kommt mir die Ge­ schichte ganz und gar nicht komisch vor.«
Mir jedoch kam das umgestülpte Seifen­ becken, das ich mit meinen beiden Händen festhielt, sehr komisch vor, und ich haute plötz­ lich mit meinen beiden Fäusten drauf los, dass es unheimlich durch die Nachtluft klang.
Don Quichotte sagte feierlich mit seiner ro­ stigen Stimme:
»Mein Herr, Sie scheinen zu meinen, dass mein Helm ein Pferdeschenkel ist. Das ist eine sehr irrtümliche Meinung. Sie tun gut, die Ge­ genstände, die sich Ihrer Betrachtung darbieten, nicht immerzu zu verwechseln.«
Ich sagte stotternd:
»Seien Sie nicht – böse – verzeihen – Sie!«
»Stottern Sie«, rief da der Herr Cervantes, »um mich nachzuahmen und dadurch zu ver­ höhnen?«
»Keineswegs! Keineswegs!« sagte ich hastig.
Sancho sang danach ein spanisches Liebes­ lied – mit einer Stimme – die so klang – als wenn sie gebraten wäre.


R

Wie sich Sancho auf einem Kirchturm zu helfen weiss.

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»Sancho, halt’s Maul!« rief der Herr Cervantes.
Und ich sah unter uns eine Kirche mit zwei Türmen. Dem einen Turme fehlte die Spitze, und auf diesen stellte der Rosinante seine vier Füsse mit den neuen Hufeisen; Mauerstein und Hufeisen knirschten und knackten, als sie zu­ sammentrafen; der Rosinante wieherte.
»Sancho, gib uns was zum Abendbrot!« rief nun der Herr Cervantes.
Sancho lachte und sagte:
»Leicht gesagt! Hätte schon gerne selber was gegessen. Aber mein Schnappsack ist leer wie ein ausgeräubertes Dorf. Wäre ich nun nicht der weltkluge Sancho, so würde ich verzweifeln und meinem Leben durch einen Sprung in die Tiefe ein knochenzerbrechendes Ende bereiten. Doch da ich so klug bin, erfasse ich den Speer meines edlen Ritters von der traurigen Gestalt -und mache den Speer durch Anpusten so lang wie einen Kirchturm, dass der Speer bis auf das Strassenpflaster hinabreicht. Und dann klettre ich an diesem Riesenstock hinunter und hole was.«
Und er tat, wie er gesagt hatte.
Don Quichotte lobte ihn dafür, und der Herr Cervantes bat mich, von den Schultern sei­ nes Ritters herunterzuklettern und in die Wind­ mühle durch das kleine Fenster hineinzusteigen.
Ich tat das natürlich mit grösster Behendig­ keit. Und als ich im Fenster zurückblickte, sah ich, wie der spanische Dichter über den Kopf seines Helden hinüberkroch und an dessen Rük-ken vorsichtig herunterglitt.
Danach war ich mit dem spanischen Dichter zusammen in der Mühle, während San-cho unten in der Stadt seinen Schnappsack füllte und der Don Quichotte ganz steif auf sei­ nem Rosinante sitzen blieb – wie ein altes Denkmal aus der ehrwürdigen Ritterzeit.
In der Mühle hörten wir ein geheimnisvolles Knistern und Rauschen, obschon die Windmüh-lenflügel sich draussen nicht bewegten. Als wir die Treppe hinunterstiegen und die Plattform des Kirchturms betraten, hörten wir in der Mühle einen Esel schreien.
Wir setzten uns – d. h. Cervantes und ich -auf eine alte Holzbank und blickten über die Stadt hinweg zum fernen Horizont.
Der Mond schien jetzt wieder ganz hell, doch Hess sich bei dem Mondenlicht nicht viel erkennen, so dass ich den Spanier neben mir fragte, wo wir uns denn eigentlich befänden.
»Ja«, versetzte der, »warum wollen Sie denn das wissen? Wollen Sie nicht lieber das Weitere von meiner Gefangenschaft in Algier hören?«
Ich bat selbstverständlich meiner Frage we­ gen um Entschuldigung und sagte, dass ich sehr gerne das Weitere von Algier hören würde.
Wir sassen so, dass wir vor uns zunächst die beiden Beine des Herrn Don Quichotte und die vier Beine des Rosinante sahen; zwischen diesen sechs Beinen sahen wir die unbekannte Stadt im Mondenschein.


V

Von dem, was man erleben kann, wenn man vorzügliche Empfehlungsschreiben bei sich trägt.

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»Stellen Sie sich nur vor«, fuhr der Herr Cervan­ tes fort, »was der verdammte Seeräuber Dali Mami dachte, als er meine beiden Empfehlungs­ schreiben in meinen Taschen fand: er hielt mich für einen masslos reichen und vornehmen Herrn – denn der Don Juan von Österreich und der Herzog von Sessa – das waren damals fast die berühmtesten Persönlichkeiten im ganzen mittel­ ländischen Meer. Der verdammte Dali Mami dachte nun natürlich, ein riesiges Lösegeld aus mir herauszuschlagen, und hielt mich in Ketten unter ständiger Bewachung. Dabei wurde mir recht eigentümlich zu Mute. Ein erster Fluchtver­ such nach Oran misslang; wir mussten auf un-serm Boote zurück, und ich wurde als Rädels­ führer so stramm behandelt, dass mir die Augen übergingen. Etwas komisch kam mir die Sache allerdings vor, und mein Held, dessen lange Beine wir jetzt sehen, bekam immer mehr Leben vor meinen Augen – sah allerdings noch lange nicht wie eine Parodie aus. Der echte Humor entspringt immer einer Qualzeit, die uns lang­ weilig geworden ist. 1576 wurden mehrere Be­ kannte und Freunde losgekauft, und ich gab dem Fähnrich Gabriel de Castaneda einen Brief an meine Eltern mit. Und die brachten all ihr Geld zusammen, auch die Mitgift meiner Schwe­ ster – ungefähr 300 Goldgulden. Aber dem ver­ dammten Dali Mami war’s nicht genug, und ich kaufte meinen Bruder Rodrigo los. Das geschah im August 1577. Rodrigo sollte ein bewaffnetes Fahrzeug senden und mich mit Gewalt und List befreien.«

Das Haupt des Cervantes sank nach diesen Worten auf seine Brust, so dass er ganz alt und verfallen aussah.
Da kam Sancho mit seinem vollen Schnappsack – am Speere kletternd – wieder zum Vorschein.
Und gleichzeitig kamen zwei Frauen aus der Mühle heraus und die Treppe herunter.
»Das ist«, flüsterte Sancho leise, »meine Frau Therese und die berühmte Dulcinea von Toboso.«
Die beiden Damen tanzten auf der Plattform ganz ohne jeden Laut eine Seguedilla und verschwanden dann wieder.
»Gut, dass sie nicht gesprochen haben!« rief Sancho.
Und er brüllte darauf so wie eine alte Kuh, dass der Herr Cervantes wieder den Kopf auf­ hob.


A

Erzählt von Hassans Garten und von der unter­ irdischen Republik.

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»Meine Herren«, rief dann der Sancho, »Sie ha­ ben in mir den besten Kammerdiener aller Zei­ ten.«
Und er packte seinen Schnappsack aus.
Da kamen denn zum Vorschein: dicke Blutwürste, Kaviar, Weissbrote, Schwarzbrote, grosse Butterstücke, Sardellen, saure Gurken, geräucherte Flundern, Schweineschinken, ge­ bratene Hühner, Enten, Hummern und Brat­ würste und zehn Flaschen Portwein.
»Du Schlemmer!« sagte der Don Quichotte, als er alle diese Dinge von oben herab ansah.
Nun assen wir und tranken dazu.
Und der Herr Cervantes fuhr in seiner Er­ zählung fort.
»Wissen Sie«, sagte der Spanier, in der rechten Hand ein saure Gurke – mit finstrer Mie­ ne, »was es heisst, eine Verschwörung leiten? Oh, ich hab’s kennen gelernt. Drei Meilen von Algier besass der Alcaide Hassan einen Garten, in dem ein Christensklave namens Juan die Auf­ sicht führte. In diesem Garten befand sich eine unterirdische Höhle, und in dieser Höhle lebten ungefähr fünfzehn spanische Edelleute, die alle aus Algier fliehen wollten. Wir hatten zwei ver­ traute Sklaven – den einen nannten wir den »Gärtner« – der bewachte unsere Höhle. Der an­ dre Sklave brachte uns die Nahrung wie ein Sancho Pansa und hiess der »Vergolder«. Der Garten lag in der Nähe des Meeres, und wir warteten auf ein befreundetes Schiff, das uns er­ lösen sollte. Das kam nun auch Ende September des Jahres und wollte nachts an den Strand kommen, wurde aber zweimal von Fischern ent­ deckt und musste sich zurückziehen. Wir wuss-ten in der Höhle nichts von diesen missglückten Versuchen. Und der »Vergolder« wollte sich wie­ der mal eine Portion Geld verdienen und verriet dem Alcaiden Hassan die ganze Verschwörung, die zu leiten ich die Ehre und das Vergnügen hatte. Wir kamen alle gleich bei Nacht und Nebel in den Kerker, und dann sollte ich dem Has­ san die Mitschuldigen sagen, die uns mit ihrem Schiffe abholen wollten. Das lief natürlich wie­ der auf Erpressungen hinaus, denn solche Ver­ schwörungen waren einfach damals in Algier nicht erlaubt. Und jede entdeckte Verschwörung wurde den Aussenstehenden stets sehr teuer. Ich Hess mich daher ruhig foltern und verriet die, die uns mit ihrem Schiffe retten wollten, mit keiner Silbe. Das fiel mir recht schwer; die Daumen­ schrauben können einen Menschen wahnsinnig machen – glücklicherweise konnten sie mir nur an der rechten Hand angebracht werden, da ich ja die linke nicht mehr hatte. Aber auch die verschiedenen anderen Folterwerkzeuge…«
»Erzählen Sie blos nicht davon«, schrie jetzt der Sancho erbärmlich los, »sonst vergeht mir der ganze Appetit.«
Der Herr Cervantes lachte kurz auf, aber er sprach nicht weiter von den Folterwerkzeugen. Und mich berührte das auch sehr angenehm, da ich einen grossen Hunger verspürte und jetzt mit Eifer den Bratwürsten und Sardellen zusprach.
Wir assen und tranken dazu und schwiegen einige Minuten hindurch und dachten nach.
Don Quichotte in seiner Denkmalsstellung auf dem grossen Rosinante nahm sich im Mon­ denschein recht romantisch aus – es wirkte besonders sehr eigentümlich, als er sich ein kleines Kaviarbrötchen in den Mund steckte …


N

Enthält hauptsächlich die Geschichte vom Werte der Kühnheit

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»Der Gärtner wurde gehenkt!« sagte der Herr Cervantes.
»Ach du meine liebe Zeit!« rief der Sancho, während er die Schultern ängstlich nach allen Seiten bewegte.
»Mein Sohn Sancho«, sprach der Don Quichotte, »hab dich nicht immer so albern! Gib mir lieber noch eine halbe Ente.«
Sancho spiesste die halbe Ente auf einen spitzen Stock, den er von unten mitgebracht hatte, und reichte das Geflügel dem Ritter hin­ auf.
Und der Herr Cervantes fuhr fort.
»Ich wurde natürlich wieder meinem hab­ süchtigen Dali Mami übergeben und der setzte mich wieder fest, dass ich nicht drei Schritte frei herumgehen konnte. Doch unternahm ich noch vier grossartig angelegte Fluchtversuche. Und sie schlugen alle fehl. Und ich verzweifelte beinahe; wenn mich nicht die Wut aufrechtgehalten hätte, dann wär’s aus gewesen. Diese Wut aber macht immer wieder neuen Mut. Und so wollte ich schliesslich die ganze Stadt Algier mit Hilfe der damals dort befindlichen Christensklaven er­ obern. Es gab damals an die 25000 Christen­ sklaven in Algier. Die Geschichte wäre geglückt, wenn nicht fast alle so mutlos gewesen wären. Es ist eben nichts so verächtlich als das Ver­ zweifelte.
Und es ist eigentlich gar nicht zu bedauern, wenn die Sklavennaturen, die nichts zu unter­ nehmen wagen, einfach zugrundegehen. Nun hören Sie aber, was aus denen wird, die die nö­ tige Wut und dementsprechend die nötige Kühnheit im Leibe haben! Dem Alcaiden Has­ san gefiel ich meines Mutes wegen so sehr, dass er sagte: »Um meine Hauptstadt, meine Sklaven und Schiffe zu sichern, muss ich diesen ver­ stümmelten Spanier in meine Macht bekom­ men, um ihn streng zu bewachen.« Das hatte ich nun davon! Er kaufte mich für 500 Goldgulden. Und auf diese Weise war’s nun noch viel schwie­ riger geworden, mich loszukaufen.
500 Goldgulden bedeuteten damals ein grosses Vermögen. Hassan behandelte mich gut. Aber ich platzte vor Ungeduld. Und da wurde mein tatenlustiger Ritter, der jetzt vor uns sitzt auf seinem grossen Pferde und Entenknochen isst, immer lebendiger vor meinen Augen. Aus Witz und Wut entsteht der Humor. Sancho, giess uns die Gläser voll.«
Sancho tat es, und wir tranken jeder drei grosse Gläser Portwein.
Und die Stadt schien mir dabei immer hel­ ler zu werden – und immer grösser.
Cervantes schmiss darauf sein Glas so hef­ tig auf die Plattform des Turms, dass das Glas in tausend Stücke zersprang, die in hohen Bogen in die unbekannte grosse Stadt hineinflogen.


T

In welchem von dem Werte der Furchtsamkeit ge­ plaudert wird, während unheimliche Gespenster er­ scheinen und verschwinden.

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»Na«, begann nun der dicke Sancho Pansa, als er satt war, »unser Dichter hat ja nun seinen trefflichen Mut so energisch an die grosse Glok-ke gehängt, dass mir noch immer die Ohren brummen. Da das nun aber so aussieht, als wollte sich unser Dichter selber loben, so muss ich schon einige Worte über die Bedeutung der Furchtsamkeit sagen. Die Furchtsamen sind im­ mer viel schlauer und haben daher stets grössere Erfolge zu verzeichnen als die Kühnen. Wäre der Herr Cervantes in Algier weniger kühn gewesen – so hätte er Zeit gehabt, jeden seiner Flucht­ versuche etwas schlauer anzulegen. Und unser Dichter hätte dann nicht solange in Ketten zu schmachten brauchen.«
»Es tat mir aber«, sagte Cervantes, »die schlechte Zeit in Algier sehr gut – denn ich lernte Geduld im Unglück.«
Da stiegen die Treppe der Windmühle ein Pfarrer und ein Barbier herunter, die trugen eine Dame.
»Das ist«, sagte Sancho, »die berühmte mi-komikonische Infantin, die ja jedem Menschen, der Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quichotte de la Mancha kennt, auch be­ kannt sein dürfte.«
Schweigend gingen die Beiden mit der In­ fantin zum Speere des Don Quichotte und Hes­ sen sich an dem in die Stadt hinab – wie der dicke Sancho.
Und diesen dreien folgten noch viele andre Gestalten, von denen Sancho behauptete, dass sie sämtlich dem Herrn Cervantes angehörten -für alle Ewigkeit.
Und dazwischen sprach Sancho immer wie­ der von der Bedeutung der Furchtsamkeit.
Don Quichotte rief aber plötzlich von sei­ nem Pferde herab:
»Mein Sohn Sancho, verachte nicht so sehr die Dummheit! Wenn der Kühne auch dumm ist – dafür hat er doch Unternehmungsgeist – und der bringt immer Glück. Wie weit hast du es denn mit deiner Schlauheit gebracht?«
»Bis zum König!« brüllte Sancho ärgerlich.
Aber der Don Quichotte sprach lächelnd:
»Titel und Würden bringen nur Bürden. Als König hast du, mein lieber Sohn Sancho, doch nichts zu essen bekommen.«
»Nun«, erwiderte Sancho, »immer haben Sie gesagt, dass im Essen auch nicht alles Glück der Welt enthalten sei. Und jetzt soll auf einmal konstatiert werden, dass ich als König Unglück hatte, als ich nichts zu essen hatte? Im übrigen -wie kommen Sie, Herr Don Quichotte de la Mancha, dazu, komische Sprichwörter an fal­ scher Stelle zu gebrauchen? Ich dächte, dazu hätte ich nur ein Recht – nicht Sie!«
»Meine Geister sollen still sein!« brüllte da der Dichter Cervantes.
Und Sancho verkroch sich.
Und aus der Mühle kamen leise und schweigend alte spanische Edelleute heraus – die gingen alle zum Speere des Don Quichotte und Hessen sich an dem Speere in die Stadt hinunter.
Ich sah den Geistern zu.
Der Mond schien hell und klar.


E

Handelt von der Erlösung und von dem freundli­chen Pater.

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Herr Cervantes wandte sich zu mir um und sprach:
»Sie müssen noch den Schluss von meinem Abenteuer in Algier hören. Der Hassan hatte mich also für 500 Goldgulden gekauft – und wollte nun 1000 Goldgulden für mich haben. Das war der Erfolg meiner Tapferkeit; Sancho hatte ganz recht, als er den Wert der Tapferkeit recht tief stellte. Nun war damals mein Vater gestorben. In Madrid gab es aber eine Sklaven­ erlösungsbehörde – zu der brachten meine Mut­ ter und meine Schwester 300 Goldgulden, damit ich ausgelöst werden könnte. Nun – das langte eben nicht. Zwei Trinitariermönche, Fray Juan Gil und Fray Antonio de la Bella, waren im Mai 1580 im Auftrage der spanischen Skla­ venerlösungsbehörde nach Algier gekommen. Nun wollte aber der Alcaide Hassan 1000 Gold­ gulden für mich haben, und ich wurde gefesselt auf Hassans Schiff gebracht und sollte mit ihm nach Konstantinopel – für immer. Da hat sich aber der Pater Gil aufs Bitten gelegt – und so er­ klärte der Hassan schliesslich, dass er mich für 500 Goldgulden freigeben würde. Und da hat der Pater Gil für mich die Kaufleute in Algier angepumpt – und am 19. September 1580 – war ich erlöst. Und Anfang 1581 war ich wieder in Spanien.«
Cervantes atmete tief auf.
Sancho sagte leise:
»Wenn der Pater nicht gewesen wäre – so würde ich nie das Licht der Welt erblickt haben.«
»Mein Sohn Sancho«, sagte da Don Qui­ chotte auf seinem hohen Pferde, »du machst doch stets deine Scherze zur unrichtigen Zeit.«
»Und Sie, Herr Don Quichotte«, erwiderte Sancho, »benehmen sich immer sehr feierlich, wenn’s gar nicht nötig ist.«
»Still!« sagte Cervantes.
Da hörten wir in der Windmühle den Esel schreien.
»Der ruft mich!« sagte Sancho.
Und Sancho ging in die Windmühle hinein.


 S

Enthält das, was Cervantes und Don Quichotte jetzt noch kennen lernen möchten.

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Da stand Cervantes auf und sagte zu mir feier­ lich:
»Wissen Sie, was wir, mein Don Quichotte und ich, jetzt noch kennen lernen möchten?« Ich stand auch auf und sagte schnell: »Das möchte ich sehr gerne wissen.« »Nu«, erwiderte Cervantes schmunzelnd, »den japanisch-russischen Krieg!«
»Wenn’s geht«, sagte ich rasch, »möchte ich den auch gerne kennen lernen.«
»Das geht!« versetzte Cervantes.
Und da gingen wir zusammen in die Wind­ mühle.
Und kaum hatten wir die Türe hinter uns zugemacht, so hörten wir wieder die Windmüh­ lenflügel klappern und rauschen.
Wir flogen wieder zum Himmel empor.

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