Luftschlösser

Paul Scheerbart

Verlassenes


Luftschlösser

Eine Peruanische Geschichte

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Mr. Andres, ein amerikanischer Millionär, lag auf seinem Diwan und rauchte. Und er knirschte mitunter sehr vernehmlich mit den Zähnen; er war gar nicht sehr vergnügt.
Da wurde der Oberastronom Mr. Paulson gemeldet, ein etwas griesgrämiger Herr.
Mr. Paulson sagte:
„Das Wetter ist heute wieder abscheulich.“
Danach nahm er gleich eine der umherliegenden Zigarren, setzte sich auf einen sehr bequemen Stuhl und steckte sich die Zigarre umständlich an.
„Haben Sie“, fragte Mr. Andres, „meinen Brief gründlich gelesen?“
„Selbstverständlich“, erwiderte Mr. Paulson, „aber ich vermag nicht einzusehen, was diese neue Idee der Sache nützen soll. Wir sitzen hier in Peru, und Sie haben schon auf allen freien Bergspitzen kleine Sternwarten erbaut – die reinen Luftschlösser. Dreißig Luftschlösser haben Sie gebaut. Jetzt wollen Sie noch fliegende Luftschlösser haben – ganz echte. Was das soll, weiß ich nicht. Sind die dreißig Bergspitzenschlösser nicht schon genug? Wir wollen doch nur den Laurentiusstrom beobachten – vom 9. bis zum 11. August. Wollen Sie nun vom Luftballon aus auch noch beobachten lassen? Das ist doch nicht so einfach, wie Sie denken.“
„So einfach“, erwiderte Mr. Andres, höhnisch auflachend, „ist überhaupt nichts, und besonders ist hier in Peru gar nichts einfach. Meine Architekten und Astronomen sind – auch nicht einfach; sie machen alles so kompliziert und umständlich, daß man einfach wild werden könnte.“
„Sie sagen ja immer“, versetzte Mr. Paulson, “ daß man sich das Leben recht sauer machen müßte – nur so käme man zu den höheren Freuden des Daseins. So erklären Sie sich auch den amerikanischen Sport. Na – mir soll’s recht sein. Meinetwegen! Wenn wir nun aber alles gründlich und dementsprechend umständlich anfangen, so knirschen Sie natürlich mit den Zähnen und schimpfen wie ein alter Irokesenhäuptling. Wahrscheinlich – um uns das Leben auch ein wenig sauer zu machen. Was aber zuviel ist,das ist eben zuviel; Sternwarten in Luftballongondeln sind nach meiner Meinung ein veritabler Blödsinn. Diese Luftschlösser könnten Sie wohl in die Rumpelkammer werfen. Wie stellen Sie sich denn eigentlich die Beobachtung mit einem Fernrohr in schwankender Gondel vor?“
„Sie soll ja gar nicht schwanken“, rief heftig Mr. Andres, „außerdem sind die Beobachtungen von den Luftballons aus doch nötig, denn wir könnten doch viele Wolken am Himmel haben. Die könnten wir doch nur mit den Ballons überfliegen. Und – wenn die Gondel mal zu stark schwankt, so kann man ja in der Beobachtung ein paar Momente pausieren. Ich sehe immer wieder, daß die Herren Astronomen nur machen wollen, was sie wollen, aber nicht, was ich will. Und ich bezahl’ doch alles. Warum also diese Widersetzlichkeit? Weil sie sich einbilden, Fachleute zu sein? Auf ihr Fachmannstum pfeife ich. Sie haben übrigens noch nicht die Ausstattung meines Zimmers bewundert. Ich bitte sehr um Bewunderung. Die Luftballons – fünf Stück – werden jedenfalls hergestellt – mit brillanter Gondelkajüte, die geschlossen ist. In jeder Gondel werden drei kleine Fernrohre angebracht.“
Mr. Paulson sagte – an den Fingern zählend:
„Also dreimal fünf Gondelfernrohre machen fünfzehn Fernrohre. Auf jeder der dreißig Bergspitzensternwarten sind auch drei Fernrohre. Neunzig und fünfzehn machen zusammen einhundertundfünf Beobachtungsstellen. Keine üble Leisung, das muß ich sagen. Wenn wir da nicht ein Resultat erzielen, so haben wir uns jedenfalls vergeblich bemüht. Das läßt sich an den Fingern leicht zusammenrechnen. Schade um das schöne Geld und um die grandiose – Arbeit! Und – man soll sich ja das Leben möglichst sauer machen, um zu den höheren Freuden des Daseins zu gelangen. Wenn’s auch nichts nutzt – der Astronomie. Vielleicht nutzt es dem Magenbehagen. Haben Sie einen Kognak hier?“
„Erst bewundern!“ sagte Mr. Andres.
Ein bunt ornamentiertes Fenster war ganz oben dicht unter dem braunen Holzgetäfel der Decke, ziemlich breit, aber drei Meter über dem Fußboden. Auf diesem lag ein einfarbiger, dunkelvioletter Samtteppich. An den Wänden schwarze Seide, zwischen vielen hellbraun polierten Holzpfeilern, die senkrecht von unten nach oben gingen. Auf der schwarzen Seide aber waren bunte Gestalten aufgestickt. Die Gestalten hatten Rüssel und Schlangenbeine und harnischartige Rümpfe, erinnerten nicht an die Wesen, die es auf der Erde gibt.
Mr. Paulson sah sich diese Gestalten lange an, schüttelte mit dem Kopfe und sagte dann:
„Das sollen wohl die Meteorgeister sein, die Sie entdecken wollen, Mr. Andres! Haben Sie die Zeichnungen für die Stickereien selber angefertigt?“
„Jawohl!“ versetzte Mr. Andres, „gefallen Ihnen diese Ungeheuer? Ich glaube eben daran, daß derartige Ungeheuer in unserer Erdluft herumsausen. Jeden Tag fahren zehn Millionen derartiger Fabelwesen durch unsere Atmosphäre. Das ist so meine Meinung – wenn Sie wollen – meine Phantasiegrille. Aber ich glaube eben daran. Zehn Millionen Sternschnuppen haben wir eben täglich in unserer Atmosphäre. Das werden Ihnen alle Astronomen bestätigen. Das wissen Sie ja. Ich brauch’s Ihnen nicht zu beweisen, sie sind ja selber Astronom. Deswegen wollte ich ja meine Luftschlösser bauen. Auf den Bergspitzen haben wir die schon. Ich will eben sehen, ob ich nicht recht habe. Hinter das eigentliche Wesen der Meteore müssen wir doch mal kommen. Zur Erde kommen die zehn Millionen Meteore zumeist nicht. Was herunterfällt, sind nur ein paar winzig kleine Krustentrümmer. Nun sagen die Astronomen, daß die meisten dieser zehn Millionen Meteore in der Luft verbrennen. Welch absurde Anschauung! Ich muß immer lachen, wenn ich daran denke. Nein! Sie müssen mal für meine Idee ein größeres Interesse zeigen, mein lieber Mr. Paulson! Wir müssen doch mal dahinter kommen, was eigentlich unsere Meteore sind. Darum will ich auch veritable Luftschlösser bauen – Luftschlösser, die von Ballons getragen werden. Sie werden schon hergestellt. Die Aufträge sind schon gegeben worden. Es kostet recht viel. Aber ich glaube doch, daß alle meine Luftschlösser nicht vergeblich sein werden. Die fliegenden Luftschlösser sind den Meteoren doch näher als die unten auf den Bergspitzen. Verstehen Sie mich nun ein wenig?“
„Ganz und gar!“ sagte Mr. Paulson kalt, „ich bewundere die hübschen abenteuerlichen Zeichnungen. Das ist doch mal was anderes. Würden in Europa zweifellos großes Aufsehen erregen. Sie könnten Geschäfte damit machen. Ich glaube sogar, daß damit in Amerika ein Geschäft zu machen wäre.“
„Hören Sie auf“, rief Mr. Andres, „hier haben Sie einen Kognak. Sie haben genug bewundert.“
Er schenkte sich ein, und Mr. Paulson trank drei Kognaks, lächelte, steckte sich eine neue Zigarre an und sagte:
„Die jungen Astronomen, die ich engagiert habe, werde ich gehörig instruieren, damit wir vielleicht doch ein kleines Resultat erzielen. Wir haben aber hundert Astronomen zu engagieren. Nun – aus Deutschland werden wohl einige kommen – die sind billiger als die unsrigen – auch solche Idealisten und Forschungsfanatiker wie Sie, Mr. Andres. Immerhin – hoffen wir, daß die Sache nicht ganz und gar vergeblich ist. In den Photographien haben sich die Meteore bisher immer nur als einfache Linien gezeigt!“
Im August war auf den Luftschlössern des Mr. Andres alles in der größten Bewegung – die fünf Ballons stiegen zunächst gefesselt auf, wurden aber öfter wieder runtergezogen.
Und dann kam der 9. August, und dann der 10. und 11. Und diese drei Tage waren prächtig. Über 25.000 Photographien von Meteoren wurden aufgenommen.
Als nun die Photographien alle vorlagen, ergab sich, daß sich die Meteore keineswegs als einfache grade Linien zeigten; die Linien waren zum Teil zackig und immer wieder von verschiedenen Lichtstärke.
„Aha!“ rief da Mr. Andres, „Sie erkennen daraus, daß die Meteore nicht einfache Kometentrümmer sind. Wir haben’s hier mit komplizierten Gebilden zu tun. Wir haben es ganz bestimmt mit unregelmäßigen Gebilden zu tun; anders ist die ungleichmäßige Lichtverteilung und das Zackige in den photographierten Linien nicht zu erklären. Was wollen Sie mehr, meine Herren? Ich komme meinem Ziel schon näher.“
Die Astronomen sahen sich gegenseitig betreten an, und Mr. Paulson sagte:
„Vielleicht könnte man die Unregelmäßigkeit der Linien auch anders erklären.“
Da rief Mr. andres heftig:
„Erklären Sie, so viel Sie erklären wollen. Mir soll’s gleich bleiben. Jedenfalls fahren wir in unseren Untersuchungen fort. Und ich bin der festen Überzeugung, daß ich auf dem richtigen Wege bin. Sie werden mich nicht irritieren.“
Sagt es und geht hinaus, schlägt die Türe mächtig hinter sich zu und geht wieder in sein Arbeitszimmer, in dem auf schwarzer Seide die phantastischen bunten Meteorgeister mit Rüsseln, Schlangenbeinen und Harnischrümpfen eingestickt sind. Er sieht alle seine Geister lächelnd an – und pfeift dazu.
Mr. Paulson aber spricht zu den anderen Astronomen im Flüstertone:
„Wissen Sie, meine Herren, es ist ganz nutzlos, mit einem Fanatiker zu streiten. Der hat immer recht und ist immer auf dem richtigen Wege – mag’s kommen wie es will. Jedenfalls verdienen wir mit der Narrheit dieses Mr. Andres ein schönes Stück Geld, und darum wollen wir uns ruhig in unsere Luftschlösser begeben, allwo es ja ganz gemütlich ist. Wir photographieren da ruhig weiter – – – Meteorgeister. Europa wird uns um diese peruanischen Luftschlösser beneiden. Geschäft bleibt Geschäft.“
Alle lächelten – und man frühstückte zusammen – nach der schweren Arbeit – in sehr opulenter Manier.

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