Die farbigen Monde

    Danke an den Logenbruder Rakkóx für die fehlerbefreite Version!

Paul Scheerbart

Verlassenes


Die farbigen Monde

Kosmosophisches Scherzo

Index – Erzählungen – verlassene Geschichten

An die zehn Monde kreisen um einen großen Welt­ball. Und jeder Mond hat eine andre Farbe.
Und die Monde denken nach – alle zusammen – auf einmal.
Ein leises Stöhnen entringt sich ihren Kratern.
Der Äther pfeift dazu.
Die Glieder der Weltkörper knarren.
Und an ihren Eispolen wird’s wärmer.
Die Stürme jagen heftiger über die runzlige Mondhaut, so dass der Äther lauter pfeift.
Die Monde denken nach.

Die Monde denken so:
»Was mag er wollen? Er, der Große – der Gelieb­te – was mag er wollen – er, der große Stern, den wir umkreisen?«
»Was kann er wollen?«
»Er möchte nur!«
»Was möcht‘ er denn?«
»Sollen wir näher kommen? Sollen wir wieder in die einsame Nacht hinaus? Liebt er uns nicht mehr? Will er uns anders, als wir sind?«
»Sollen wir uns drehen wie er? Sollen wir so dun­kel sein wie er? Sollen wir unsren Glanz abschüt­teln – unsre leuchtende – unsre farbig leuchtende Luft?«
»Was mag er wollen? Er, der Große – der Geliebte – was mag er wollen?«
»Sollten wir’s nicht erfahren können?«
» Das käme doch nur auf einen Versuch an!«
» Hm! Ja! Hm!«

Währenddem beginnt der Purpurmond, der weit draußen wandelt, zu zittern – so ätherdurchdrin­gend zu zittern – wie ein verrückter Komet.
Des Purpurmondes Krater dampfen.
Mit diesem Zittern und Dampfen sagt der Purpur­mond den andren Monden, dass man mit den Ver­suchen nicht gleich, nicht sofort beginnen dürfe; an müsse erst im Chor ein Lied singen – – –natürlich in Mondsprache.

Die Monde verstehen’s und stimmen zu. Ein süßes Sausen schwingt sich selig durch den Weltenraum.
Ein Mondorchester stößt seltsame, wunderliche Tone ins All hinein. Manche Töne sind schrill, andere­ dumpf, viele voll wie Riesenposaunen, einige so stark wie die größten, mächtigsten Sonnen. Donnernd und pfeifend, klingend und klirrend jagen Töne durcheinander. Die Monde wollen erst ihre verrosteten Stimmen »prüfen«.
Dann aber beginnt das Mondorchester – ganz in seiner Weise – mit langen Tönen – es hallt so:

Immerzu – in denselben Kurven­ –
Geht es fort – in die leersten Weiten –
Was wollten wir? Undurchschaubar großer, grausiger Raum,
Bist du nur ein wüst hinwirbelnder Traum?

 

Gellend klagt das Mondorchester in die öde Lee­re hinein . . . . . prasselnde Töne wirbeln dazwischen.
Und nach einer Weile, wie es ruhiger geworden ist, fährt’s fort – doch jetzt – säuselnd – weich – fast mollig:

Ohne Ziel und ohne Wollen
Trollen wir uns wie die Tollen
Durch die endlos große Nacht der Welt.

Drauf wird’s ganz still. Nur der Äther pfeift wie sonst.
Plötzlich beginnt abermals das Konzert des gro­ßen Mondorchesters – jetzt wie leidenschaftliches Geflüster – nicht zu laut – aber glühend heiß wie Krateratem:

 

Und ihn­ –
Und ihn –
Den Geliebten starren wir
Immer an
Immer zu.
Ewig hängen wir an ihm.
Niemals wenden wir uns ab
Von dem heißgeliebten Stern.
Ihn, den Großen, starren wir
wie zehn bunte Raumgespenster
Geisterhaft
Immer zu
Immer an. –
Und der heiß umkreiste Gott –
Er wird nimmer qualvoll weinen­ –
Er wird nimmer selig lachen­ –
Ewig wird er sich nur – drehen –
­Sich nur drehen – sich nur drehen­ –
Trollen nur wie wir, die Tollen,
Ohne Ziel und ohne Wollen
Durch die endlos große Nacht der Welt.

Aufstöhnend – gräulich grell – zerstampft sich in schauerlich brüllenden Tönen das große Mondor­chester. Die Stimmen knacken, bersten – und rei­ßen auseinander – – und dann verstummt die Weltmusik.


Der Mittelstern dreht sich fünfzig Mal.
Wie er sich zum einundfunfzigsten Male drehen will – zeigen seine Monde an einzelnen Stellen eine etwas veränderte Farbe.
Der sich drehende Mittelstern wundert sich nicht, aber merkwürdig kommt’s ihm doch vor.
Nachdem sich nun der Heißgeliebte, ohne die veränderten Farbenflecke auf seinen Monden aufmerksamer zu betrachten, wieder ein paar hundert Mal in zufriedener Gemütsruhe weiter gedreht hat und sich seines durch die ewigen Drehungen er­zeugten Drehrausches bewusst geworden, da be­merkt der Große, dass die Monde – seine zehn Monde – die Farbe gewechselt haben.
Der Purpurne sieht moosgrün aus, der Blaue vio­lett, der Silberne zinnoberrot, der Rosafarbige leuchtet schneeweiß, und der Gelbe zeigt einen ul­travioletten Ton. Auch die andren Monde haben andre Farben. Indes der Heißgeliebte wundert sich auch dies­mal nicht. Er lässt sich Nichts merken und dreht sich weiter.
Und die Monde warten – warten immerzu! Sie hoffen lange Zeit hindurch, dass er, der Große, sich äußern wird.
Doch er, der Große, der äußert sich nicht …
Die Monde möchten so schrecklich gern wissen, was er, der Heißgeliebte, will.
Der aber dreht sich nur – dreht sich ohne jegliche Veränderung – immerzu – genauso wie bisher.
Das will den farbigen Monden, die schon ihre Farbe gewechselt haben, gar nicht gefallen.



Und die Monde denken wiederum nach … . . . .
Der jetzt moosgrüne Mond meint dann nach eini­ger Zeit: »Versuchen wir’s mal in andrer Art!«
Er schlägt vor – ein bisschen die Bahn zu verändern.
Da wackeln aber die anderen Monde gar bedenk­lich mit ihren kugelrunden Leibern und drücken durch ein weithin vernehmliches »Nein« aus. Die Bahnveränderung scheint ihnen doch zu gefahrvoll …. wie leicht könnten sie sich stoßen . …. und jeder Stoß kostet ja das Leben.
Doch der Moosgrüne begegnet diesen Bedenken. Er sagt, er wolle ganz allein ein bisschen weiter in den Raum hinausziehen – das könne Nichts schaden.
Nun – damit sind denn die andren Monde nach einigem Sträuben einverstanden.
Der Moosgrüne geht also ein bisschen in den Raum hinaus.
Da wird der Heißgeliebte natürlich stutzig – er hätte beinahe vergessen, sich weiter zu drehen.
Im selben Augenblick sagt er sich aber gleich, dass sich so was für ihn nicht schicke – wundern mögen sich junge Kometen – ein in geordneten Ver­hältnissen lebender Mittelstern darf sich überhaupt nicht wundern.
Und er lässt sich abermals Nichts merken.

– – –

Wieder vergehen lange, lange Zeiten. Der Heißgeliebte dreht sich wie bisher.
Der Moosgrüne kommt allmählich wieder zu­rück und seufzt – die andren Monde seufzen auch.
Sie stoßen dabei aus ihren Kratern so große Wol­ken heraus, dass ihre farbigen Lüfte verdunkelt werden ….
Indes auch das hilft Nichts.
Der Heißgeliebte scheint gänzlich unempfindlich zu sein. Er schweigt sich aus.

– – –

Die Monde wissen jedoch, dass er denkt. Er ist nicht dumm.
Drum wollen sie auch wissen, was er denkt.
»Abwarten«, meint ein kleiner Mond, »scheint mir doch das Beste zu sein. Vielleicht will der große Freund nur, dass wir ihn ruhig anschauen wie bis­her.«
Die Andren brummen, widersprechen aber nicht. Und dann sind sie ruhig – lange Jahrtausende lang. Die Monde sind so ruhig, als lebten sie nicht mehr.
Doch ihre Neugierde schläft nicht.
Schließlich machen sie noch einen Versuch, ihren Freund zu einer Äußerung zu veranlassen.
Sie geben sich ihre Farbenlüfte wieder zurück, so dass sie allmählich wieder so aussehen wie einst.

– – –

Natürlich hilft das auch Nichts. Die Monde verzweifeln beinahe.
Der jetzt wieder Purpurne ist der Neugierigste, weil er der Letzte war, der sich zum Mittelstern hingezogen fühlte – er gehört eigentlich gar nicht zu den andren neun Monden – er war früher ein großer, großer Komet.
Der Purpurne meint nach längerem ernstem Nachdenken:
»Brüder, wir müssen die Gedanken des Heißgelie­bten in andrer Weise zu erfahren suchen. Wir müssen unser Gefühl mehr ausbilden. Wir müssen herausfühlen, was er, der Große, denkt. Wir müssen auch selber nachdenken, wenn wir seine Gedanken kennenlernen wollen.«
Das leuchtet den Brüdern ein.
Und sie bilden nun mit vieler Müh‘ in langen Jahrtausenden ihr Gefühl aus – und denken recht viel. Sie werden dabei natürlich immer klüger.
Und wie sie nun so immer klüger werden – ja – da glauben sie schließlich, Verschiedenes wahrzu­nehmen. Der Mittelstern scheint zu sprechen.
In einer Nacht sagt der blaue Mond: »Ich glau­be, wisst ihr, der Heißgeliebte will uns nur sagen . …«
»Was denn?« rufen stürmisch, Wolken hervor­dampfend die Andern.
»Er sagt«, meint langsam der Blaue, »Lasst Alles so kreisen, wie’s grade kreist.«
Eine dumpfe Pause tritt ein.
Und Alle hoffen, der Mittelstern werde die Wor­te es blauen Mondes bestätigen.
Indes das tut er wieder mal nicht.
Er ist unbegreiflich.

– – –

Wieder ein paar tausend Jahre später meint der silberne Mond, er, der Heißgeliebte sage:
»Meine lieben Monde, es ist das Eine genauso gut und genauso schlecht wie das Andre.«
Wieder Pause ….
Und wieder vergeblich!
Die Monde würden lachen, wenn sie das Lachen gelernt hätten. Leider haben sie das noch nicht ge­lernt.
Plötzlich ruft der Ultraviolette:
»Ich hab’s! Ich hab’s! Er sagt: >Ihr berauscht euch nicht oft genug, ihr seid mir zu nüchtern!<« Da denken Alle – jetzt hätten sie’s herausbekommen ….. . … . ……………….. .
Der Heißgeliebte dagegen – bleibt auch jetzt noch stumm – so stumm wie die unsichtbaren Geister.
Endlich nach sieben mal hundert Tausend Jah­ren ruft der Purpurne:
»Der Heißgeliebte sagt: >Seht nur, Monde, wie ich mich drehe!<« Die andren Monde werden unwillig, sie halten die Bemerkung für einen schlechten Scherz.
Aber der Purpurne ruft zum zweiten Mal: »Das war noch nicht sein letztes Wort. Er will auch wissen, warum wir uns nicht auch so drehen.«
Da – ja – da – sind – sämtliche Monde – – ganz verblüfft.
Und sie bemerken sehr ärgerlich, dass sie sich doch in andrer Weise zu berauschen gewöhnt seien. Es könne doch nicht jeder in derselben Weise begei­stert werden.
Aber – auf dem heißgeliebten Mittelstern – da leuchten endlich die hellen Freudenfeuer des Verstandenseins hochflackernd auf.

– – –

Was der Purpurmond sagte, das hat der Heißge­liebte wirklich die vielen Millionen Jahre hindurch gedacht. Er hat’s nicht sagen wollen, weil sich Sterne­ die innersten Gedanken niemals sagen, sondern nur wollen, dass die Andren zu diesen innersten Gedanken durch eigne Entwicklung gelangen. Nur dann können die innersten Gedanken den Andren was nützen.
»Warum dreht ihr euch nicht auch immer um euch selbst?« Das war die große Frage des Heißgeliebten.
Der Purpurne hat ihn verstanden.
Deshalb dreht der sich auch gleich – er dreht sich aus ins Weltall hinein – immer um sich selbst dreht er sich.
Bald wird er auch ein Mittelstern sein, um den sich Monde bewegen, ohne sich um sich selber zu drehen. Und diesen Monden wird der Purpurne wieder dasselbe Rätsel aufgeben, das der Heißge­liebte aufgab.
»Warum dreht ihr euch nicht auch immer um euch selbst?«
Ach ja, die alten neun zurückgebliebenen Monde des Heißgeliebten verstehen ihren Freund noch immer nicht – sie starren ihn, den Großen, noch wilder an als bisher. Sie können’s eben nicht fassen, dass Sterne nur selig werden können, wenn sie sich um sich selber drehen.
Der Purpurne – der ist glücklich – der sagt sich jetzt:
»Es gibt nur ein einziges Mittel, das Leben zu er­tragen – und das einzige ist der Rausch – und dieser Rausch wird, wenn er dauerhaft sein soll, nur da­durch erzeugt, dass man seinen Körper – sein ganzes Wesen – immerzu in derselben Bewegung erhält. Diese Bewegung ist beim runden Stern die Dre­hung um sich selbst – die einzige Bewegung, die unveränderlich und unaufhörlich fortgesetzt wer­den kann. Andre Mittel, einen ewigen Rausch, ein ewiges Glück, in sich zu erzeugen, gibt’s für einen Stern nicht.«
Der Purpurne singt, während er purpurne Wol­ken aus seinen alten Kratern lustig herausdampft:

Selig drehen wir uns weiter
Durch den großen Weltenraum.
Wir sind immer froh und heiter,
Uns betrübt kein Sehnsuchtstraum.
Denn wir leben nur im Rausch!
Ewig – in demselben Rausch!
ja, wir sollen – mehr nicht wollen!
– – –   – – –   – – –
Trollen wir uns wie die Tollen
Ohne Ziel und ohne Wollen
Durch die Welt!
– – –   – – –   – – –
Durch die Glanznacht dieser großen Welt!

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