Schattenspiele

Paul Scheerbart

Theatertexte


Schattenspiele


In München und in Paris sollen sich die Schattenspiele längst eingebürgert und bewährt haben. Und jetzt will man auch in Berlin Schattenspiele zur Aufführung bringen. Man will sogar ein eigenes Theater für die Schattenspiele bauen. Und Tatsache ist, daß eine ganze Reihe von Künstlern in Berlin mit der Herstellung von wirkungsvollen Silhouetten beschäftigt ist. Man könnte beinahe der Meinung sein, daß jetzt eine neue Epoche im modernen Theaterleben beginnen könnte. Leider ist auch in dieser Sache etwas Peinliches: es fehlt nämlich an den passenden wirkungsvollen Stücken. Alles ist da – Künstler, Theater, Publikum, Geld, Schauspieler und Schauspielerinnen, Regisseure, alle technischen Apparate. Ja – »beinahe« ist Alles da.

Es fehlen nur noch momentan die Autoren mit den neuen Stücken – sonst ist alles da.

Eigentlich ist das ein etwas grotesker Anfang.

Allerdings – so ungewöhnlich ist dieser Anfang nicht. Es gibt viele Pendants. Ich erinnere mich, daß vor nicht allzu langer Zeit eine Reihe von Verlagsanstalten gegründet wurde, bei denen auch alles da war- Geld in Hülle und Fülle, unzählige Drucker und Papierhändler, neue Typen, Künstler und Buchbinder usw. – nur an die Autoren hatte man gar nicht gedacht. Und zu spät entdeckte man, daß die »richtigen« Autoren denn doch fehlten – zum mindesten momentan unsichtbar waren – oder einfach nicht mehr zu haben waren.

Bei den Schattenspielen liegt nun aber die Sache so, daß die »richtigen« Autoren nach meinem Dafürhalten beim besten Willen nicht zu entdecken sind – die Dramatiker, die auf den usuellen Bühnen Erfolg haben, denken gar nicht daran, sich mit den »schwierigen« Schattenspielen abzugeben. Und die Dramatiker, die noch keine Erfolge auf den usuellen Bühnen hatten, haben sich ganz bestimmt noch nicht ernstlich mit der Schattenbühne beschäftigt. Da wir aber mindestens hunderttausend erfolglose Dramatiker in Deutschland haben, so ist es wahrscheinlich – ach! so sehr wahrscheinlich – daß in diesem Sommer >>hunderte« von neuen Schattenspielen entstehen werden.

Indessen: alle Theaterleute wissen auch, daß unter den hunderten von Schattenspielen, die in diesem Sommer des Jahres 1909 geschrieben werden dürften, kaum drei sein könnten, die als Experimente aufführungswert sind.
Das ist sehr beklagenswert.
Die drei Stücke, die als Experimente »vielleicht« möglich sind, werden das Interesse des Publikums auch nicht so ohne weiteres erregen. Und man wird dann sehr bald wieder der Meinung sein, daß mit dieser ganzen Schattenspielkunst auch nicht viel zu machen ist.

Und das ist auch sehr beklagenswert.

Es wäre doch nur nötig, daß man die schwierigen Partien in dieser Kunstart ganz klar vor sich sieht.
Man darf nie vergessen, daß sich jede Kunst aus ihren Darstellungsmitteln entwickelt; diese zwingen einer Kunst die Gesetze auf. In der Schattenspielkunst, sind die Darstellungsmittel menschliche Stimmen und Schatten. Kulissen gibts nicht – und Plastik gibts auch nicht. Umarmungen sind unmöglich. Mithin ist auch die gesamte Erotik unmöglich. Die Schatten zwingen zum Un- und Uebermenschlichen. Die Stücke können gar nicht phantastisch genug sein. Fabelhafte Gebirge und Landschaften, ganz groteske Gestalten mit ganz neuen Hörnern, Rüsseln und Gliedmaßen werden auf der Schattenbühne sehr natürlich wirken. Alles Realistische dagegen würde sehr unnatürlich wirken. Das gehört da einfach nicht hin.

Dann darf man nicht vergessen, daß mehr als zwei Schatten-Personen nicht leicht auf dieser zweidimensionalen Bühne unterzubringen sind. Alles Gespensterhafte und Geisterartige läßt sich sehr leicht vorführen. Alle Personen müssen etwas Derartiges an sich haben. Sehr lang dürfen die Stücke unter keinen Umständen sein. Das hielte niemand aus. Die gesprochenen Worte werden viel stärker wirken, da sie so tönen können – wie Töne aus einer anderen Welt….

Man wird ohne Frage sehr viel Neues von den Schattenstücken verlangen. Und es wird den Dramatikern sehr schwer fallen, das Neue zu geben. Darum sollten sie zunächst versuchen, die groteske Satire auf die Schattenbühne zu bringen. Das Satirische ist hier immer noch das leichtere. Burlesk, toll und ausgelassen kann allessein. Das ist sehr viel leichter zu ertragen, als das Ernste. Dieses scheint mir beinahe das Schwierigste auf der Schattenbühne.

Achim von Arnim hatte ein Schattenstück geschrieben, und es ist in München aufgeführt. Mit derartigen »Ausgrabungen« sollte man aber nicht anfangen. Die Romantiker waren schlechte Konstrukteure, sie waren nicht nüchtern genug für die Bühnenkunst….

Neugierig kann man sein- auf die neuen Stücke der Schattenspieler.


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Revision 31-12-2022

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