Das Dualistische in der Bühnenkunst

Paul Scheerbart

Theatertexte


Das Dualistische in der Bühnenkunst

 


Die Darstellungsmittel einer Kunst waren bei der Entstehung von Kunstgesetzen immer in erster Linie maßgebend; eine Plastik, die nur mit hartem Granit arbeitet, wird in ganz andere Bahnen gelenkt als eine Plastik, der weiches Wachs zur Verfügung steht. Das Kunstmaterial gibt die Richtung; leicht zu bearbeitendes Material verführt zu billigen Effekten, schwer zu bearbeitendes Material zwingt zu bedeutenden Stoffen und zu wohlüberlegter Stilisierung; die Wachsplastik auf der einen und die Granitplastik auf der anderen Seite illustrieren dieses.

Die Darstellungsmittel der Bühnenkunst sind aber zwiespältiger Natur; das Kunstmaterial, mit dem die Bühnenkunst rechnen muß, besteht aus den Darstellenden, die lebende Menschen mit gut geschultem Organ sind, und aus den Kulissen. Diese beiden Darstellungsmittel sind nur sehr schwer in ein harmonisches Verhältnis zu bringen; wo die Darstellenden unbedeutend sind, werden die Kulissen immer weiter in den Vordergrund dringen- das merkt man ja in allen den Theatern, die zu Ausstattungsstücken neigen.

Ist nun aber dort, wo die Darstellenden bedeutend sind, ein Zurückdrängen der Kulissen bemerkbar?
Man wird das leider lebhaft bestreiten müssen.
Und daraus ergibt sich, daß dieser Dualismus in der Bühnenkunst dieser sehr gefährlich werden kann.

Dieser Dualismus ist der Bühnenkunst schon sehr gefährlich geworden. Es ist hier ein ständiger Kampf zu konstatieren. Die Darstellenden müssen alles daran setzen, so intensiv wie möglich zu wirken – und die Kulisse beeinträchtigt ihre Wirkungsfähigkeit fast überall.
Damit nun dieses Dualistische in der Bühnenkunst, dessen Bedeutung und Dasein Niemand bestreiten wird, auf der deutsehen Bühne nicht auch weiterhin so störend wirken kann, wird man sich entschließen müssen, im Interesse der Darstellenden, die doch selbstverständlich ihrer größeren Wirkungsfähigkeit wegen wichtiger als alle Kulissen sind, alles Kulissenartige zurückzudrängen.

Ich bin der Meinung, daß die Szene gar nicht einfach genug sein kann.

Leider berücksichtigen die Dichter, die für die Bühne schreiben, dieses Dualistische in der Bühnenkunstnoch viel zu wenig; die meisten haben es sicherlich noch garnicht bemerkt.

Es fragt sich nun, wie die zweifellos notwendige »Vereinfachung der Szene« hergestellt werden soll. Leider ist es nicht gut möglich, diese Frage in einigen Zeilen erschöpfend zu beantworten, und so behalte ich mir vor, in weiteren Artikeln über diese »Vereinfachung« alles dasjenige zu sagen, was ich im Laufe der Jahre darüber gedacht habe. Es ist nicht viel, aber ich glaube doch, daß es etwas sein wird.

Sehr erwünscht würde mir sein, wenn auch von anderer Seite Stellung zu dieser Frage genommen würde, da doch nur so die zweifellos wichtige Angelegenheit in Fluß kommen kann.

Es handelt sich darum, den Kulissen ganz energisch den Krieg zu erklären; die Kulissen müssen gezwungen werden, bescheidener aufzutreten – nur im Dienste der Darstellenden zu bleiben.

Es handelt sich darum, den Darstellenden mehr Raum auf der Bühne zu schaffen- einen Raum, auf dem sie so intensiv wie möglich wirken können.

Nur wenn es möglich ist, dieses Dualistische in der Bühnenkunst ganz klein zu machen, wird es möglich sein, der Bühnenkunst die Stellung unter den Künsten zu geben, die ihr gebührt.


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