Das Automobil-Theater

Paul Scheerbart

Theatertexte


Das Automobil-Theater

 

ngg_shortcode_0_placeholderDie Automobilindustrie hat sich über einen Mangel an Käufern zu beklagen, und so läßt man sich aufkostspielige Experimente ein, um die Interessentensphäre zu erweitern. Und so kam es, daß in der vorigen Woche von einer bekannten Automobilfabrik ein imposantes Schauspiel arrangiert wurde, zu dem die meisten Theaterpotentaten Norddeutschlands geladen waren. Es erschienen u.a. auch Brahm, Lindau, Reinhardt, Hauptmann, Zickel und Bonn. Durch einen Zufall kam es, daß ich auch dabei war. Es wurden zehn Lastautomobile vorgeführt, in denen sich alles, was zu einem Theaterbau notwendig ist, vorfand. Und das Theater wurde in unsrer Gegenwart in einer halben Stunde von zehn Arbeitern »aufgebaut«. Unter den Materialien herrschte Linoleum und Segeltuch vor, von Wellblech und Eisen war wenig zu bemerken; das Ganze bekam durch farbige Hölzer einen sehr frischen modernen Charakter.

Und der Zuschauerraum konnte 150 Personen aufnehmen. Es wurde auch eine Szene aus Lessings »Minna von Barnhelm« gespielt. Und nach der Vorstellung wurde das ganze Theater in ein Restaurant verwandelt mit Küche, Garderobe und Nebenzimmern. Diese Verwandlung nahm kaum 7 Minuten in Anspruch. Zum Schlusse wurde das Restaurant in derselben Zeit in ein kleines Hotel verwandelt, in dem das gesamte Theaterpersonal mit allen Bequemlichkeiten für die Nacht untergebracht werden konnte.

Somit werden wir demnächst auch »fahrende« Theater haben. Und diesen wird, nach dem Vorgeführten zu urteilen, nichts Schmierenartiges anhaften. Leider darf der Name der Automobilfirma noch nicht genannt wer­ den, da zwischen dem Erfinder und der Firma noch einige Differenzen bestehen, die erst beseitigt werden müssen. Es ist der Bau von zehn solchen Wandertheatern von der Firma beschlossen worden.


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Revision 30-12-2022