Das abgekürzte Verfahren
Paul Scheerbart
Theatertexte
Das abgekürzte Verfahren
In Berlin muß doch sehr viel überflüssiges Geld existieren, denn hier werden immer wieder Gründungen arrangiert, die einen pekuniären Vorteil bei dem besten Willen aller Beteiligten nicht abwerfen können.
So erhielt ich vor acht Tagen ein Handschreiben von einem neuen Theater-Bureau mit folgendem Wortlaut:
Hochgeehrter Herr!
Sie wissen wohl schon längst, daß in Deutschland viel mehr Dramen geschrieben als aufgeführt werden. Das ist sehr beklagenswert – besonders für die verehrliche Autorschaft. Von hunderttausend Dramen, die in Deutschland geschrieben werden, kommen gerade nur zehn Stück zur Aufführung. Und diese Aufführung wird in sehr vielen Fällen noch auf Kosten der verehrlichen Autorschaft durchgesetzt.
Diesem beklagenswerten Zustande wollen wir nun zu begegnen versuchen.
Es ist naturgemäß nicht möglich, alle Theaterstücke, die geschrieben werden, auch auf einem Theater zur Aufführung zu bringen. Das würde uns – wir haben es sehr genau kalkuliert – mindestens fünf Milliarden deutscher Reichsmark jährlich kosten. So viel Geld haben wir leider vorläufig noch nicht.
Aber ein anderes ist möglich zu machen. Wir können eine ganze Reihe von Stücken in abgekürzter Form bringen. Durch Abkürzungen dürften sehr viele Theaterstücke eine größere Wirkung erzielen, als in der langen Originalfassung. Warum sollte sich ein Theater mit abgekürztem Verfahren in Berlin nicht halten können?
Wir haben hundert unbeschäftigte Dramendichter engagiert, die das Abkürzen binnen drei Tagen bewerkstelligen können.
Das Honorar für die Abkürzung ist ein sehr mäßiges und wird von Fall zu Fall durch unsern geschäftlichen Verwaltungsrat festgesetzt.
Wir bitten Sie nunmehr um Einsendung ihrer Stücke, damit wir Ihnen die Höhe des Kürzungshonorars mitteilen können.
Die Hälfte des Honorars erbitten wir vor Beginn der Kürzung, die zweite Hälfte nach vollendeter Kürzung. Für den Erfolg leisten wir fachentsprechende Garantie. Unsre Dichter haben bereits verschiedene Dramen von Shakespeare zweckentsprechend gekürzt. Diese gekürzten Dramen liegen in unserm Bureau zur Ansicht aus. Wenn es Sie interessiert, diese Kürzungen zunächst kennen zu lernen, so bitten wir Sie sehr, uns in unserm Bureau zu besuchen. Durch die sehr lebendige Situation, die wir auf der Bühne schaffen können, ist eine Verständigung des Publikums sehr leicht möglich und oft in anderthalb bis zwei Sekunden zu erzielen, so daß unsäglich viele Worte, die in den bisher geschriebenen Theaterstücken zu lesen sind, auf der Bühne gar nicht gesprochen zu werden brauchen.
Daß dem so ist, werden Sie aus unsern Shakespeare-Kürzungen ersehen.
Wir bitten Sie sehr, unsre durchaus wohlgemeinte Offerte nicht als Scherz anzusprechen; uns geht das Wohl und Wehe der dramatischen Autorschaft zu Herzen. Und wir haben deswegen ein erhebliches Kapital für die Einrichtung unsres Bureaus geopfert und hoffen, daß wir das nicht vergeblich getan haben.
Vergeblich aber hätten wir’s getan, wenn uns die Unterstützung der verehrlichen Autorschaft versagt würde.
In ausgezeichneter Hochachtung
ganz ergebenst
Friedrich Hasenklever & Co.
Theater-Bureau: Berlin W.O
Die Sache klingt unglaublich. Aber ich kann dieses Schreiben jedem Ungläubigen in der Originalfassung vorlegen. Es ist tatsächlich nicht daran zu zweifeln. Nun habe ich mich immer bemüht, möglichst kurze Stücke zu schreiben. Es berührt mich daher etwas eigentümlich, daß man auch meine kurzen Stücke einem abgekürzten Verfahren unterwerfen möchte.
Die abgekürzten Shakespeare-Dramen habe ich noch nicht kennen gelernt. Aber ich begrüße diese Abkürzungen mit großer Freude. Shakespeare nimm doch auf der deutschen Bühne einen zu großen Platz ein.
Auch ist es für die Darsteller sehr erfreulich, daß ihnen jetzt nur ein kürzeres Rollenstudium zugemutet werden kann.
Köstlich ist es auch, daß in Berlin noch immer so viel Unternehmungsgeist herrscht. Leider vermisse ich die näheren Angaben über das neue »abgekürzte« Theater. Für die abgekürzten Stücke muß doch ein neues Theater gegründet werden – ohne das geht’s doch nicht. Ich empfehle jedenfalls den Titel »Kurze Bühne«. Oder – sollte sich »Preußisches Theater« eignen? Das Preußentum war doch immer sehr kurz angebunden. Und »schneidig« müssen die abgekürzten Stücke doch wirken – wie alles Preußentum.
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