Lachende Gespenster

Paul Scheerbart

Revolutionäre Theater-Bibliothek


Lachende Gespenster

Ein Schauspiel zwischen schwarzen Wänden in einem Aufzuge

 

Personen


Friedrich, ein Grossdestillateur
Amalie, seine Ehefrau
Lisette, Amaliens Kammerzofe
Drei Gespenster

Die Handlung spielt in einem Zimmer mit schwarzen Wänden zur Frühlingszeit
Rechts und links und hinten drei schwarze W ände – rechtwinklig zu einander – doch so, dass hinten rechts und links in der Richtung der Seitenwände Durchgänge bleiben.
Vorne in der Mitte sitzt Friedrich mit dem Gesicht zum Publikum wie ein Orientale vor einem grösseren Kochtopf und rührt mit einem langen Löffel darin herum. Unter dem Topf brennt eine kleine blaue Spiritusflamme. Friedrichs Kopf ist mit weis-sen Tüchern turbanartig umwunden. Ein türkischer Schlafrock, der schon recht abgenutzt und angerissen ist, umhüllt den Oberkörper und liegt in unordentlichen F’alten rechts und links auf dem ebenfalls schwarzen Fussboden.


:Friedrich:  (ohne sich umzudrehen) Wer stört mich denn da wieder? Wer ist da?
Lisette: (die hinten mit einer Kerze in der Hand erscheint) Lisette.
Friedrich: Das sagt nicht viel. Welche Lisette?
Lisette: Die Lisette, die Kammerzofe der gnädigen Frau.
Friedrich: Was will sie denn?
Lisette: Die gnädige Frau möchte den gnädigen Herrn sprechen, und ich sollte fragen, ob das dem gnädigen Herrn angenehm wäre.
Friedrich: Angenehm ist mir das ganz und gar nicht – aber lass sie nur kommen – wenns nur nicht zu lange dauert.
Amalie: (in hellblauem Morgenrock) Friedrich, schämst Du Dich nicht, in Gegenwart des Dienstpersonals in so verächtlicher Weise von mir zu sprechen? Angenehm ist es Dir ganz und gar nicht, wenn Deine Frau zu Dir kommt?
Friedrich:  Schrei blos nicht so! (er rührt weiter mit seinem Löffel, dreht sich auch im Folgenden nicht um.)
Amalie: Lisette, holen Sie einen kleinen Spieltisch. Ich werde die Kerze so lange halten. (Lisette ab.)
Friedrich: Willst Du mit mir Karten spielen?
Amalie: Nein, ich will die Kerze nicht so lange halten. Ich habe Dir eine Erklärung zu machen.
Lisette: (bringt einen kleinen ziemlich hohen dünnbeinigen Tisch aus Mahagoniholz) Wo soll ich den Tisch hinstellen?
Amalie: Hier! (Der Tisch wird hinten links vor die Rückwand gestellt und der Leuchter darauf.) Lisette, Sie können gehen. (Lisette ab.)
Friedrich: Du willst wohl Tischrücken mit mir spielen und die Geister beschwören.
Amalie: Nein, ich will Dir blos ganz grade heraus meine Meinung sagen.
Friedrich: Ja, ja, rede nur zu!
   
   

Amalie: Draussen ist Frühling – heller Sonnenschein – blauer Himmel – hellgrün sind die Bäume.

Friedrich: Das ist immer um diese Jahreszeit da. Nennst Du das: Deine »Meinung« sagen.

Amalie: Ha, Du höhnischer Mensch! Schämen solltest Du Dich, Deine arme Frau so gemein zu behandeln.

Friedrich: (sehr lebhaft weiter in seinem Topfe herumrührend) Amalie! Gemahlin! Ich tu Dir doch nichts.

Amalie: Wie? Du tust mir nichts?

Friedrich: Ich tu Dir Garnichts.

Amalie: So? Seit Jahr und Tag sitzest Du hier zwischen Deinen schwarzen Wänden und braust Deine berühmte Tinktur zusammen.

Friedrich: Zum Heile der Menschheit.

Amalie: Was geht mich die Menschheit an?

Friedrich: Sei nicht so roh! Du weisst, dass ich die Geschichte bald raus habe.

Amalie: Mich wirst Du bald raus haben. Ich pack schon meine Sachen und verlasse Dich. Hast Du mich verstanden?

Friedrich: Meine Tinktur wird die Menschen so klug machen.

Amalie: Du bist selber nicht sehr klug. Brau man Deine Tinktur für Dich allein. Ich packe meine Sachen und geh los. Es ist Frühling draussen.

Friedrich: Meine Tinktur wird die Menschen nicht blos klug -sondern auch schmerzlos machen.

Amalie: (abgehend) Ich packe einfach ein.

Friedrich: (während Amalie nicht mehr da ist) Hör nur, Amalie! Du musst noch ein bischen Geduld haben. Bald werde ich die Geschichte raus haben – und dann werden die Menschen erlöst werden – von allen Schmerzen. Dann wirst auch Du ganz glücklich sein – und auch ganz klug. Heute bist Du nicht ganz klug – nicht wahr, Amalie? Warum bist Du so still? Denkst Du über den Frühling nach? (Ein weisses Gespenst erscheint hinten rechts und geht langsam zum Tisch und löscht das Licht aus.) Warum hast Du das Licht ausgelöscht?

Erstes Gespenst: (langsam links nach vorne kommend – mit sehr tiefer Frauenstimme) Ich will Dir selbst ein Licht sein.

Friedrich: Aber Amalie, wozu verstellst Du denn so Deine Stimme?

Erstes Gespenst: Ein Licht hat immer eine tiefere Stimme.

Friedrich: Rede – ich höre – ich bin sogar neugierig auf das, was Du mir mit tieferer Stimme zu sagen hast.

Erstes Gespenst: (sich links an der Wand niederkauernd) Du willst die Menschen alle klug machen, und das geht doch nicht.

Friedrich: Warunm nicht?

Erstes Gespenst: (stets mit sehr tiefer Stimme) Kein Einfall kann so klug sein, dass er nicht von einem klügeren übertrumpft werden könnte.

Friedrich: So? Na ja! Und da meint meine Amalie, dass selbst die feinste Klugheit schliesslich auch blos wie eine Dummheit aussehen könnte.

Erstes Gespenst: Ganz meine Meinung! Es ist deshalb nicht nötig, die Menschen klüger zu machen, als sie sind. Man könnte ja niemals mehr das Gefühl des Steigens bekommen, wenn alle Menschen gleich hoch stünden. Und das Erhabene gäbs dann auch nicht mehr – und auch nicht mehr das Lächerliche. (Das Gespenst lacht unheimlich.)

Friedrich: (während das zweite Gespenst hinten rechts erscheint und rechts vor der hinteren Wand stehen bleibt) Amalie, Du kommst mir so verändert vor.

Erstes Gespenst: Vergiss einmal, dass Du Ehemann bist.

Friedrich: Gerne – ich vergesse.

Erstes Gespenst: Du willst nun noch die Schmerzen der Menschheit beseitigen – mit Deiner Tinktur – nicht wahr?

Friedrich: Ja, das will ich.

Erstes Gespenst: Die Schmerzen der Menschheit sind aber blos pure Einbildungssache – sie sind garnicht da – und was nicht da ist, kann man doch nicht beseitigen – nicht wahr?

Friedrich: Aber Malchen! Woher hast Du denn das? Ja – das könnte man vielleicht ganz gut behaupten und auch verteidigen. Aber die Menschen werdens nicht begreifen.

Zweites Gespenst: (langsam rechts nach vorne kommend – stets mit sehr hoher greller Frauenstimme) Wer nicht hören will, muss fühlen.

Friedrich: Das ist ja wieder eine andere Stimme – das wirkt ja ganz unheimlich; und die hohe Stimme wirkte noch tiefer als die tiefen Schallwunder!

Erstes Gespenst: Ich glaube, die Menschen werden noch Dinge begreifen lernen, die noch viel komplizierter als alle Schall-wunder sind. Wenn Uu unten im Tale stehst, so glaubst Du, dass die Wolken ganz langsam dahinziehen. Aber wenn Du oben auf dem Berge stehst, so merkst Du, dass die Wolken fliegen – wie schnelle Schwalben. Und Du musst lachen, dass Du die Wolken mal ftir langsam und träge halten wolltest. So ist es auch mit der Entwicklung der Menschen, die doch auch nur Wolken sind.

Friedrich: Aber sie werdens doch nicht begreifen – so bald noch nicht – sie werden sich eben einbilden, dass sie Schmer/en haben – und das ist so gut, als wären die Schmerzen wirklich da. (Sehr schnell und eifrig gestikulierend). Meine Tinktur soll ja eben die Menschen so klug machen, dass sie ihre Schmerzen nicht mehr als Schmerzen empfinden – dass sie sich immerzu ganz wohl fiihlen – sich immer zu trösten wissen. Zweites Gespenst: Es gibt aber schon sehr viele Menschen, die sich immer zu trösten wissen – auch ohne Deine Tinktur. Friedrich: So? Gibt es die?

Zweites Gespenst: (sich mitten an der rechten W and niederkauernd) Freilich! Du bist ja schon so lange nicht draussen gewesen – draussen im Sonnenschein! Da draussen gibt es solche Leute scharenweise! (Das zweite Gespenst lacht – und das erste Gespenst lacht, wenn das zw eite aufgehört hat, ebenfalls – und so lachen sie abw echselnd hinter einander.) Friedrich: (nachdem er mit der Hand am Ohr nach beiden Seiten hingehorcht – angstvoll) Hier lachen ja Zwei! (Es w ird ganz still.)

Zweites Gespenst: (doktrinär) Die Leute draussen haben längst begriffen, dass die sogenannten Seh merzen und Unbequemlichkeiten im menschlichen Leben einfach notwendig sind – notwendig zur Erhaltung des Lebens – denn wo Alles glatt und ew ig freudenvoll zugeht – fehlt schliesslich die Sensation – es passiert nichts mehr – und die glücklichsten Menschen fangen langsam an, sich in unbeschreiblicher Weise zu langweilen. Friedrich: So? Das Glück ist also langweilig?

Erstes Gespenst: Allerdings! Zweites Gespenst: Allerdings!

Drittes Gespenst: (das hinten links erscheint) Allerdings! Friedrich: Jetzt sprechen ja Drei! Amalie! Amalie! Wo bist Du?

Drittes Gespenst: (stellt sich in die Mitte der hintern Wand und bleibt da hoch aufgerichtet stehen) Höre weiter! Unterbrich mich nicht durch Deine Angst. Wir sind lachende Gespenster. (Alle drei lachen. Das dritte Gespenst spricht stets mit konventionellem Theater-Pathos.) Friedrich: Von wo kommt Ihr her? Erstes Gespenst: Aus einer andren Welt. Zweites Gespenst: Aus einer Welt, in der es ebenfalls immer noch Schmerzen, Unbequemlichkeiten und Dummheiten gibt.

Drittes Gespenst: Aus einer W elt, in der man nicht mehr klagt und stöhnt – und nicht mehr Tinkturen braut, um das Leiden zu lindern.

Friedrich: Soll ich auch das Lachen lernen? Alle drei Geister: Das wäre gut! (lachen kurz auf.) Friedrich: iNa – meinetwegen! Ich wills versuchen! Möge der Teufel meine Tinktur weiterbrauen! (Nimmt den Löffel aus dem Topf und zerbricht ihn, wobei er sich die Finger verbrennt und »Au!« schreit.)

Alle drei Gespenster: (zusammen) Au! (Lachen unbändig und sehr lustig, während Friedrich ärgerlich die beiden Löffelstücke rechts und links hinwirft und sich die Finger am Munde kühlt.)

Das dritte Gespenst: Wenn die Gegenwart Alles fertig und vollendet hätte – dann gäbs doch keine Zukunft mehr – und dann wäre doch das höchste Glück – das Hoffnungsglück – ganz undenkbar.

Das erste Gespenst: Ganz undenkbar! Das zweite Gespenst: Es gäbe dann keine Hoffnung mehr. Das dritte Gespenst: (sehr laut und schön) Keine Hoffnung mehr!

Das erste Gespenst: (dumpf) Reine Hoffnung mehr! Das zweite Gespenst: Schlag Deinen Rochtopf entzwei. Friedrich: Nein, der kann ja in der Rüche gebraucht werden.

Das dritte Gespenst: kommt her zu mir! (Die beiden ändern Gespenster stehen auf und gehen nach hinten.) Friedrich: Wo seid ihr? Wer hält mir den Ropf fest? Ich will Euch sehen.

Das erste Gespenst: Wozu willst Du uns sehen? Glaubst Du, nur das sei da, was Du sehen kannst? Friedrich: Nein, ich glaube schon, dass noch mehr da ist. Das zweite Gespenst: Bleib also ruhig sitzen vor Deinem Rochtopf, der in der Rüche weiterleben soll. Das klingt so zukunftsvoll. Das klingt so leicht und hoffnungsvoll. Erstes Gespenst: Sei lustig, alter Friedrich! Die Schmerzen sind ja garnicht da.

Zweites Gespenst: Wer wird denn noch an eine Wirklichkeit glauben!

Erstes Gespenst: Das ist ja ungebildet! Zweites Gespenst: Auch die Schmerzen haben keine Wirklichkeit!

Drittes Gespenst: (laut und schön) Wenn nur die Hoffnung bleibt!

Alle drei Gespenster: Wenn nur die Hoffnung bleibt! Das dritte Gespenst: Draussen ist es grün (alle drei umschlingen sich) und das Grün ist die Farbe der Hoffnung. Und wenn die Hoffnung nicht war –

Alle drei zusammen: Dann war Alles aus! Drittes Gespenst: Aber die Hoffnung ist da und bleibt da – sie ist unsre einzige Wirklichkeit – und darum geht Alles immer weiter – immer weiter!

Alle drei Gespenster: (zusammen, während sie versinken) Heiter – weiter!

Amalie: (hinten links im Reisekostüm) Warum hast Du denn die Rerze ausgepustet? Friedrich: Bist Du da hinten, Amalie?

Amalie: Gewiss doch! Wer soll denn sonst hier sein? Aber hier ist ja wieder Alles finster. Ich will Dir blos noch Adieu sagen, (nach links) Lisette, bringen Sie die Rüchenlampe.

Friedrich: Was soll denn die Küchenlampe hier?

Amalie: Ich will Dich doch noch ein Mal sehen.

Lisette: (mit der Lampe, die sie auf den kleinen Tisch stellt) Hier ist die Küchenlampe.

Friedrich: (steht schnell auf und sieht die Beiden gross an — dann befehlshaberisch) Lisette, nehmen Sie den Rochtopf auf, der da steht, und verwenden Sie ihn in der Küche.

Amalie: (schlägt die Hände überm Ropf zusammen) Was ist denn nur los?

Lisette: (hebt den Rochtopf mit Taschentuch und Schürze auf) Der ist aber heiss!

Amalie: Mann! Friedrich!

Friedrich: Malchen, ich werde Dich begleiten; Du sollst nicht alleine fahren.

Lisette: (lässt den Rochtopffallen, Amalie und Friedrich fallen sich in die Arme) Dieser alte Topf! (Sich die Finger am Munde kühlend.)

Friedrich: Warst Du vorhin nicht hier?

Amalie: Natürlich!

Friedrich: Komm raus! Komm raus! (Beide nach hinten links Arm in Arm ab, während die Lisette die blaue Spiritusflamme knieend auspustet.)

Vorhang!


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Revision 31-12-2022

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