Der fanatische Bürgermeister

Paul Scheerbart

Revolutionäre Theater-Bibliothek


Der fanatische Bürgermeister

Kosmisches Drama in vier Akten

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Personen:
Theodor III., Bürgermeister der fliegenden Stadt.
Lirándula, Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften.
Kuck, Erster Oberweltlotse.
Könnicke, Vorsitzender der Archiv-Kommission.
Ihlefeld, Bauinspektor der fliegenden Stadt.
Jijajópsi, Ein altes Kameelsmensch.
Ratsherren, Bürger, Verwaltungsbeamte,
Frauen und Lebewesen aus verschiedenen Sternwelten.

 Die Handlung spielt in der fliegenden Stadt, die Zeit ist nicht bestimmbar.

Erster Akt Grosser grüner Himmel mit langsam runtergehenden silbernen Sternen.Rechts und links segelartig gespannte weisse, graue und braune Leinewand, die von langen Bambusstäben, die quer und schräg nach hinten und nach oben gehen, gehalten wird. Hinten ragen, von unten aufsteigend, ein paar Segelspitzen herauf, die geländerartig abschliessen können. Hinter den Seitenwänden, die hinten schräge nach oben gehen, breite freie Eingänge nach beiden Seiten.Vorn links ein grosser dreieckiger Schreibtisch mit Bambusfüssen, dreieckige Hocker mit Bambusfüssen an verschiedenen Stellen unordentlich umherstehend.

Auf schwarzen Stöcken von verschiedener Höhe hinten und an den Seiten ein paar weisse Papierlampions in Krystallform mit unregelmässigen schwarzen Flecken.

Theodor in grauer Toga, die recht nachlässig zerknillt ist, mit einem gelben Pyramidenhut, dessen Kanten mit roten Rubinen besetzt sind.

Kuck in brauner Toga, die sehr steif wirkt, mit weissem Wolkenschieber aufm Kopf.

Beide sitzen neben dem Schreibtisch.

 

THEODOR.

Der Trauerklops ist blos ein Faulpelz.

KUCK.

Dann ist der Freudenklops blos ein roher Patron.

THEODOR.

Na, lassen wir jetzt die ganze Klopsosophie ruhen.

KUCK.

Lassen wir lieber gleich Alles ruhen. Wir haben die Ruhe wirklich sehr nötig. Wenn man so immerzu Jahrtausende hindurch von Stern zu Stern fährt, so lernt man allmählich die Ruhe schätzen.

THEODOR.

Faulpelze seid Ihr eben.

KUCK.

Du gehst ein wenig summarisch vor. Lass die Schimpferei und werde ruhiger.

THEODOR.

Ich soll die Schimpferei lassen? Das ist köstlich. Schimpfe ich auf die Welt?

KUCK.

Nein – aber auf uns!

THEODOR.

Jawohl! Weil Ihr eben auf die Welt schimpft, deswegen schimpfe ich auf Euch.

KUCK.

Und wir schimpfen auf Dich, weil Du unser Schimpfen beschimpfen tust.

THEODOR.

Ja, die Trauerklopsosophen mag ich eben nicht. Ich will mich ganz deutlich aussprechen.

KUCK.

Sei bitte kurz; ich muss gleich wieder ans Steuer, Er steht auf. wir fliegen grade durch die grünen Nebel durch – und da muss man aufpassen.

THEODOR stellt hinten zwei Hocker über einander und stützt sich darauf, während Kuck mit über der Brust gekreuzten Armen neben dem Schreibtische steht und den Theodor finster und pathetisch anblickt.

Die fliegende Stadt ist in grauer Vorzeit einzig zu dem Zwecke gegründet, den lebenden Wesen auf den verschiedenen Sternen unsrer Weltecke eine einzige Sache zu übermitteln – nämlich: einen ungefähren Begriff von der nie zu erschöpfenden Grossartigkeit der Welt.

KUCK.

Von dieser Grossartigkeit der Welt bin ich eben heute nicht mehr überzeugt.

THEODOR.

Unterbrich mich nicht. Du weisst, dass ich keinen Zweifel an der Grossartigkeit der Welt aufkommen lasse. Ich erkläre diejenigen, die scheinbar unglücklichen Verhältnissen nicht ein paar gute Seiten abgewinnen können, einfach für Faulpelze, die ihr bischen Witz nicht anstrengen wollen.

KUCK.

Bitte – sage, was Du willst; ich habe keine Zeit. Machs doch kurz!

THEODOR.

Wir nehmen in unsrer fliegenden Stadt aus den verschiedenen Sternwelten Lebewesen auf, denen wir die Grossartigkeit der Welt so deutlich wie möglich machen wollen. Ihr aber seid zu faul, mit diesen Lebewesen, die später wieder auf ihren Stern zurückgebracht werden sollen, zu verkehren. Und so ist ihr Aufenthalt hier ziemlich unnütz.

KUCK.

So setz sie doch wieder aus.

Lirándula er scheint.

Aber ich muss jetzt fort, entschuldige mich. Erzähle der Lirándula das Weitere. Es ist mir wirklich unsympathisch, Dir immer wieder meinen Standpunkt noch mal klar zu machen. Auf Wiedersehen! Ab.

LIRÁNDULA in grauen dünnen Gewändern mit niedriger weisser Federkrone im aufgelösten Flachshaar.

Wie geht es Dir, Theodor? Ich bin so entsetzlich traurig. Wir haben wieder auf dem Stern c 7 im alten Ringsystem so entsetzliche und erbärmliche Zustände gesehen, dass mir der Appetit vergangen ist.

Sie setzt sich neben den Schreibtisch.

THEODOR immer noch hinten in Denkmalsstellung.

Und Du willst die Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften sein?

Er zieht an einer Klingelschnur, und ein Diener in braun und grau gestreiftem Kittelanzug erscheint.

Geh zum Bauinspektor Ihlefeld und zum Vorsitzenden der Archiv- Kommission Könnicke und bitte die Herren, so rasch wie möglich herzukommen.

Diener ab.

LIRÁNDULA.

Was macht denn der Kuck? Der sah ja ebenfalls so traurig aus.

THEODOR.

Ihr seht alle traurig aus. Aber ich werde Euch aufrütteln. Dieser Kopfhängerei werde ich ein Ende bereiten.

LIRÁNDULA.

Ich verstehe Dich nicht – Du bist so hart.

THEODOR.

Das Leben in der Welt würde bald einschlafen, wenn es nicht zuweilen harte Formen annehmen könnte.

Immer noch hinten in derselben Stellung, in der er bis zum Abgange bleibt.

Ich erkläre Euch feierlich, dass ich Euch die rührselige Stimmung austreiben werde. Wie viel mal soll man Euch denn sagen, dass all das Unglück, das Ihr auf den Sternen seht, doch nur Scheinleben ist. Wir haben doch selber nur ein Scheinleben. Wir sind doch Alle – Alle –.Geister!

LIRÁNDULA.

Ja, alle Geister haben nur ein Scheinleben – natürlich! Alles Leben ist schliesslich blos Scheinleben. Aber ob den Lebenden das Scheinleben gefällt, das hängt doch schliesslich blos von den Lebenden ab.

THEODOR.

Das hängt von mir ab, liebe Lirándula!

LIRÁNDULA. Aber – man kann ja Furcht vor Dir bekommen.

KÖNNICKE in braunem Lodenrock bis zum Knie und weisser Ballonmütze.

Was hör ich? Hier wird von Furcht gesprochen? Was ist denn los?

THEODOR unbeweglich.

Lieber Könnicke, teile mir bitte mit, wie viele Fremde sich momentan in der fliegenden Stadt aufhalten.

KÖNNICKE.

2673 sogenannte Fremde – eine grandiose Menagerie aus der grandiosen Welt.

THEODOR.

Verkehren diese Fremden unter einander?

KÖNNICKE.

Aber Theodor, wie soll ich das wissen?

THEODOR.

Hm! Wozu sind denn eigentlich diese Fremden hier? Ich dächte, Ihr solltet sie über die wichtigsten Angelegenheiten des Weltalls belehren. Hm? Wie stehts denn damit?

KÖNNICKE.

Das hat doch, wie Du weisst, wenig Zweck. Das Hornvieh begreift doch nichts. Das weisst Du doch. Daher haben wir doch die Belehrungsarie aufgegeben.

THEODOR.

So befehle ich Euch, die Belehrungsarie wieder von neuem zu beginnen.

IHLEFELD in grauem Rock bis zu den Füssen und weisser Würfelmütze.

Den Befehl vernahm ich. Wen sollen wir belehren? Dich?

THEODOR.

Nein – die Fremden.

IHLEFELD. Schön! Ich bin bereit. Ich bin zu Allem bereit – Du brauchst wirklich nur zu befehlen. Mir ist alles ganz egal.

THEODOR.

Ihr scheint Euch die Belehrungsarie etwas schwierig vorzustellen. Da muss ich Euch also helfen. Hört zu, wie ich Euch helfen werde: Ihr wisst, dass auf einzelnen Sternen die Fortpflanzungsarie komischer Weise durch zwei verschiedene Geschlechter bewerkstelligt wird. Da müssen sich denn immer ein paar Leute verheiraten – d.h. durch ein möglichst langes Zusammenleben eine gegenseitige Verständigung zu erzielen suchen. Und – und – so werde ich Euch – mit den Fremden verheiraten. Jeder von Euch wird gezwungen werden, mit einem Fremden Tag und Nacht zusammenzuleben – dann wird Euch die Belehrungsarie nicht mehr so schwierig vorkommen.

LIRÁNDULA.

Bist du toll geworden? Verheiraten sollen wir uns? – mit diesen Idioten? Du willst uns mit Ungeheuern verheiraten? Ich soll wohl einen Sechsbeinigen heiraten – was? Oder denkst Du an einen mit zwei Rüsseln? Hahaha! Die Geschichte wird reizend! Hahaha!

THEODOR langsam abgehend.

Das Weitere wird sich finden.

Lirándula fängt an zu weinen und setzt sich hinten auf einen Stuhl, Könnicke tröstet die Lirándula. Ihlefeld steht vorne rechts mit über der Brust verschränkten Armen, sieht die beiden Andern an und lächelt immerzu, während der Vorhang langsam runtergeht


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Zweiter Akt

 

Rote Wolken bedecken den ganzen Himmel und fallen immerzu bald langsam und bald schneller in die Tiefe.Vor jeder Seitenwand drei dreikantige Lampions, deren Spitze unten ist; sie können fast einen Meter hoch und oben sehr eng sein. Der mittlere Lampion-Stock höher als die beiden andern. Die niedrigen Lampions hellblau, die mittleren höheren hellgrün.Die hinten aufsteigenden Segeltücher können umfangreicher und die Seitenwände so verstellt sein, dass die Bambusstöcke in Kanten und Winkeln stecken, die von den Segeltüchern gebildet wurden.

Keine Tische und keine Stühle.

Ratsherren und Verwaltungsbeamte in grauen und braunen Gewändern gehen hinten lebhaft und heftig gestikulierend vorüber.

Ihlefeld und Kuck kommen nach vorn.

 
     
     

KUCK.

Dieser Theodor ist verrückt.

IHLEFELD mit einem vierkantigen Metermass – dessen Dezimeter hinter einander schwarz und weiss.

KUCK.

Weisst Du, was er soeben gesagt hat?

IHLEFELD.

Na was hat er denn gesagt?

KUCK.

Diejenigen, die sich nicht gutwillig mit seinen Ungeheuern verheiraten lassen, sollen mit diesen Ungeheuern zusammengebunden werden – mit Stricken – oder mit Ketten. Und das nennt dieser Tyrann »verheiraten«. Verheiraten! Merkst Du jetzt, was »verheiraten« heisst? Bleibst Du noch ruhig?

IHLEFELD.

Mich kann er verheiraten und zusammenbinden – mit wem er will – meinetwegen mit sieben zweibeinigen Kameelsmenschen. Ich bleibe so ruhig wie ein Komet in der Badewanne – natürlich! Man hat doch nichts zu versäumen.

KUCK.

Dann bist Du selbst ein Ungeheuer.

IHLEFELD lachend.

Du kannst mich nennen, wie Du willst – es ist mir Alles ganz egal. Im Egalismus steckt doch der Welthumor.

THEODOR Hinter den Beiden – zu Kuck.

Mein lieber Oberweltlotse, Du willst Dich drücken.

Er winkt einem Diener und flüstert ihm was ins Ohr.

Du scheinst eine kleine Schwärmerei für Kameelsmenschen zu haben – ich sehs Dir an.

KUCK.

Ich begreife nicht, warum sich die Beamten und Bürger Deine perfide Infamie gefallen lassen.

IHLEFELD.

Na warum denn nicht?

KUCK.

Ihr seid Bestien.

THEODOR.

Wir wollen blos die Traurigkeit umbringen – nicht die Bürger der fliegenden Stadt. Die Andern fangen allmählich an, mich zu begreifen – doch mein Freund Kuck will mich nicht begreifen – da muss ich ihn zwingen.

IHLEFELD.

Theodor, Du bist der grösste Bürgermeister aller Zeiten! Ich bete Dich an.

Lässt sich vor ihm auf ein Knie nieder.

Während hinten die Bürger und Beamten die Köpfe zusammenstecken und teils lachen, teils wütend mit den Fäusten drohen, wird das Kameelsmensch Jijajópsi von zwei Dienern an Stricken gefesselt langsam nach vorn geführt. Jijajópsi hat einen Kameelskopf und einen grossen Höcker auf dem Rücken, Arme und Beine wie ein Mensch – aber mit schwarzen Stoffen umwickelt.

THEODOR.

Bindet dieses Kameelsmensch an den Herrn Kuck, sodass sie sich nicht weiter als zwei Meter von einander entfernen können.

KUCK während die Diener den Befehl ausführen.

Das ist eine Gewaltsmassregel.

IHLEFELD.

Aber, lieber Kuck, wer wird denn daran zweifeln? Rede blos nicht in Gemeinplätzen.

JIJAJÓPSI.

Onkel Theodor, Du bist ein Hauptkerl. Wie heisst denn mein Bräutigam?

KUCK.

Mein Name ist Kuck.

JIJAJÓPSI.

Huhuhu! Welch ein kurzer Name! Allerdings – Du hast auch keinen Höcker. Mein Name lautet Jijajópsi – Jijajópsi! Merk Dir das!

Vertraulich dem Theodor die Hand auf die Schulter legend.

Und dieser mangelhaft Gebildete soll mir die Grossartigkeit der Welt plausibel machen?

THEODOR.

Ja, mein lieber Jijajópsi.

JIJAJÓPSI.

He, Kuckchen! Nu mach mir mal erst klar, dass Du selber grossartig bist! Huhuhu! Das wird Dir nicht gelingen. Ich bin grossartig – ob aber ausser mir noch was grossartig ist – das bezweifeln wir. Huhuhu!

Die Diener gehen mit den Beiden ab.

IHLEFELD.

Das ist ein feines Ehepaar!

LIRÁNDULA kommt mit Könnicke.

Die Geschichte wird einfach himmelschreiend.

THEODOR.

Liebe Lirándula, Du scheinst noch nicht zu wissen, was es heisst: Eine fliegende Stadt regieren. Du hast als Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften Deine Pflichten versäumt und musst dafür in exemplarischer Weise bestraft werden.

LIRÁNDULA.

Ich bin es wie so viele andre Bürger müde geworden, mich für eine Welt zu begeistern, in der es so viel Jammer und Elend – Gemeinheit und Erbärmlichkeit gibt. Was geht mich die allgemeine Begeisterung an? Es ist mir gänzlich gleichgiltig, ob sich die Andern begeistern oder nicht. Dirigiere Deine Begeisterungsgesellschaften selber. Ich wünsche Dir viel Vergnügen dazu. Aber sei überzeugt: derjenige, der die Stirn hat, all den ekelhaften Lebensdreck, den wir auf so vielen Sternen kennen gelernt haben, noch weiter als eine imposante Grossartigkeit zu feiern, ist ein erbärmlicher – stinkend gemeiner Lump, der einfach ausgepeitscht werden sollte.

IHLEFELD.

Lirándula ist ohne Zweifel die grösste Rednerin aller Zeiten – nu rede Du, Bürgermeister. Ich glaube, Ihr würdet zusammen ein oratorisches Ehepaar allererster Güte bilden.

THEODOR zu einem Diener.

Bring mir mal einen Stuhl.

IHLEFELD.

Ach was? Willst Du aufn Stuhl steigen?

THEODOR.

Ich will mich auf den Stuhl – setzen.

Setzt sich auf einen Bambusstuhl mit Armlehnen recht umständlich hin.

KÖNNICKE nach hinten rufend, wo Bürger und Beamte die Köpfe zusammenstecken.

Kommt doch näher, liebe Freunde! Unser Bürgermeister will eine Rede reden.

Einzelne kommen langsam weiter nach vorn.

THEODOR.

Wir können die Zustände, die uns in der Welt als unglückliche erscheinen, mit sehr verschiedenen Augen ansehen. Es steht uns frei, heute ein Unglück für beklagenswert und morgen für bewundernswert zu halten. Wer aber behaupten will, dass das Unglück in der Welt Alles überschwemmt – sieht nur nach einer Seite; jeder Gutwillige muss zugeben, dass jedes Unglück, wie’s auch sei, immer und ewig auch ein paar gute Seiten zeigt. Wer diese nicht sieht, ist blos zu faul, sie zu suchen. Der Pessimismus ist die Philosophie der Faulheit, und der will ich den Hals brechen. Ich will Euch zwingen, die guten Seiten aller Dinge zu entdecken. Wenn Ihr das nicht gutwillig tut – gut – so verheirate ich Euch mit unsern Fremden; und diese sogenannten Ungeheuer werden Euch schon so lange quälen, bis Euch die guten Seiten an allen Dingen sichtbar werden.

JIJAJÓPSI stürmisch herbeilaufend.

Onkel Theodor! Mit diesem Kuck will ich nicht länger zusammensein. Der Kerl weint ja immer – so was kann ich nicht vertragen.

THEODOR aufstehend zwei Dienern winkend.

Bindet Jijajópsi mit der Lirándula zusammen – aber mit Ketten!

JIJAJÓPSI während er mit der Lirándula zusammengebunden wird.

Theodor, Du hast die feinsten Einfälle! Du bist einfältig! Ich glaube, die Kameelsmenschen werden bald alle von der Grossartigkeit der fliegenden Stadt überzeugt sein. Und das genügt ja schon. Was brauchen wir viel über die Welt nachzudenken? Die Welt ist doch viel zu gross.

LIRÁNDULA plötzlich lachend.

Mein edler Gemahl, wie heisst Du denn?

JIJAJÓPSI.

Ich heisse Jijajópsi – und Du?

LIRÁNDULA.

Ich heisse Lirándula – Direktrice.

JIJAJÓPSI. Na, Dein Name ist ja lang genug.

THEODOR mit hocherhobenen Armen.

Ich segne Euch!

Vorhang!


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Dritter Akt Oefters Windgesause und Gepfeife in der Luft – besonders während der längeren Rede.Im Himmel sinken bunte Wolken, die zuweilen von hellen Sonnenstrahlen durchquert werden, langsam in die Tiefe.Die Seitenwände wie im ersten Akt.

Verschleierte Lampions in gleicher Höhe – auch hinten vor dem Himmel. Die Schleierfarben verschiedene grelle Grüns.

Kleine Bambustische und violette Halbkugelhocker.

 
     
     

THEODOR Dem Könnicke gegenübersitzend.

Die Welt, wie sie uns erscheint, ist nach allen Richtungen unendlich gross – und diese Unendlichkeit, von der wir ringsum umgeben sind, ist niemals zu durchdringen – da ist nirgendwo durchzukommen. Und eine solche Welt soll nicht grossartig sein?

KÖNNICKE.

Ja doch – aber …

THEODOR.

Und diese Unendlichkeit ist blos eine einzige Form, in der sich die grosse Welt zeigt; sie kann sich noch in unendlich vielen andern Formen zeigen. Ist das noch immer nicht grossartig genug?

– – – – – – – – – – – – –

KÖNNICKE.

Sehr richtig! Die Welt kann sehr grossartig sein. Ist aber deshalb unser Leben auch grossartig?

THEODOR.

Schweres Brett! Leb in der Welt ein Weltleben – und Dein Könnickeleben wird auch ein grossartiges Leben sein.

IHLEFELD eiligst herbeikommend.

Lieber Bürgermeister, ich komme als Abgesandter! Deine neuen Ehepaare können sich nicht vertragen; sie wollen Dir ihre liebe Not zu klagen geruhen. Willst Du sie empfangen?

THEODOR.

Jawohl, ich bin grade in der richtigen Stimmung. Ich werde ihnen schon heimleuchten. Lass sie nur kommen.

IHLEFELD eiligst abgehend.

Sie werden gleich da sein.

KÖNNICKE.

Mein Könnickeleben!

Er steht auf und geht nach hinten – die Ehepaare erscheinen; sie gehen zum grösseren Teile frei neben einander, mehrere sind aber mit Stricken und klirrenden Ketten an einander gefesselt; die Fremden, die Lebewesen aus verschiedenen Sternwelten sind, unterscheiden sich von den Bürgern der fliegenden Stadt hauptsächlich durch besondere Kopfformen und durch buntere Trachten. Die Kopfformen können vogelartig und tierartig – mit und ohne Hörnerschmuck sein, können auch blos groteske Gesichtsmasken oder Flügel, Rüssel, besondere Arm- und Beinbildungen oder Aehnliches zeigen. Auch Riesen und Zwerge können dabei sein und sechsfüssige Rüsseltiere u.s.w. Die Anzahl der Paare ist gleichgiltig – nur ist das Zuviel im Grotesken weniger zu fürchten, als das Zuwenig. Allen voran Lirándula und Jijajópsi.

LIRÁNDULA.

Mir ist es einfach unmöglich, immerfort mit Idioten zu verkehren. Ich kann nicht mehr, erlöse mich – oder ich werde einfach wahnsinnig. Ein solches Leben ist einfach nicht zu ertragen; es geht nicht.

DIE ANDERN durcheinander, während sie sich rechts und links auf den Halbkugeln, auf den Tischen und auf dem Fussboden niederlassen.

Es geht nicht! Es geht nicht!

Sie murmeln und murren.

THEODOR geht langsam nach hinten und dabei Alle lange mit Blicken durchdringend, kommt wieder nach vorn und geht wieder nach hinten und bleibt dann hinten in der Mitte stehen und dreht sich plötzlich um. Alles erschrickt und verstummt.

Es geht nicht! Ja – wenns nach Euch ginge, würde Garnichts gehen. Es geht aber nicht nach Euch – und deshalb geht Alles. Hört blos aufmerksam – recht aufmerksam zu – und Euch wird in ein paar Augenblicken Alles ganz anders vorkommen. Ihr sollt verzaubert werden. Nun hört mich freundlichst an!

Alles Folgende unregelmässig im Tempo – stellenweise sehr schnell.

Die Bewohner der fliegenden Stadt mitsamt den Fremden tun so, als wenn sie nicht mit einander auskommen könnten. Sie denken also: es geht nicht! Und es geht doch! Die Unzufriedenen haben ja blos – ihre Instruktion noch nicht ordentlich begriffen. Die Instruktion verlangt, dass die Bürger den Fremden die Grossartigkeit der Welt plausibel machen. Was heisst das aber? Das heisst: die neuen Ehepaare sollen sich gegenseitig immer weniger bemerkbar werden; sie sollen eben zusammen ihre Gedanken hinaustragen in die grosse Welt; sie sollen eben ein ganz andres Leben zu leben beginnen – ein Weltleben! – ein grosses Weltleben!

LIRÁNDULA.

Ja – wenn das so ginge!

THEODOR.

Das Weltleben ist ein Leben, in dem es kleinliche persönliche Zwistigkeit und Traurigkeit nicht mehr gibt.

Sehr schnell das Folgende.

Ist Euch das immer noch nicht klar? Begreift Ihr immer noch nicht, dass Ihr, wenn Ihr Euch pedantisch an die Instruktionen klammert, alle Traurigkeit und alle Weltverachtung verlieren müsst? Ihr müsst eben weit draussen ausser Euch leben. Was ist denn das Leben in einem Kopfe? Das ist doch blos ein sehr simples kleinliches Leben. Ihr müsst danach streben, in Tausenden von Köpfen zu gleicher Zeit zu leben. Langsamer. Und dann müsst Ihr danach streben, nicht blos in möglichst vielen Köpfen – sondern auch in möglichst vielen Sternen – und schliesslich in möglichst vielen Weltformen zu leben. Das Dasein, das Ihr bislang kanntet, war doch nur ein Ineuchsein. – Und ein solches Dasein ist doch nur ein Vorspiel für das Dasein, das ein Auseuchherausgegangensein ist. Auf das Aussichherausgehen läuft doch der ganze Zweck der fliegenden Stadt hinaus. Daher haben wir hier das eine einzige grosse Evangelium von der Grossartigkeit der Welt – jener Welt, die eben ausser uns ist – und in die wir hineinmüssen.

KÖNNICKE.

Das ist aber nicht so leicht.

THEODOR.

Natürlich! Wer in sich selber eingekapselt bleibt, wird ein Leidtragender sein und Alles für sehr schwer halten.

Hastig und heftig.

Wer aber aus sich rauskommt, wird empfinden, dass das Weltall ringsum immer herrlicher wird – und dass es einfach lächerlich ist, die Herrlichkeit der unendlichen Welt zu bezweifeln. Auf die Kniee, Ihr Undankbaren!

Einzelne tuns. Das Folgende wieder sehr schnell.

Die Welt, wie sie uns erscheint, ist nach allen Richtungen unendlich. Und diese Welt mit der Unendlichkeit nach allen Richtungen, in der sich alles Denkbare als ein Wirkliches zeigen kann – sie soll Euch nicht grossartig genug sein? Plötzlich weich. Ich bitte Euch: kniet nieder! Ihr tragt den Kopf zu hoch.

Die meisten der Versammelten knieen nieder.

Ihr seid nicht wert, dass Ihr lebt, wenn Ihr noch ein Mal zweifeln wollt – an der ungeheuerlichen allmächtigen Grossartigkeit des Weltlebens. Rauh. Wozu schert Ihr Euch um Euer kleines albernes Eigenleben? Lebt ein Weltleben – und Alles ist gross und gewaltig. Geht aus Euch raus – und hinein ins All.

LIRÁNDULA kniet auch nieder.

Hinein ins All!

THEODOR langsamer.

Im All ist der unendliche Raum noch nicht das Letzte. Der unendliche Raum ist nur eine einzige Daseinsäusserung des Alls; das All kann sich noch in unendlich vielen anderen Formen äussern.

Wieder sehr schnell.

Und wenn Ihr immer weiter hineinragt in die grosse All- Welt – so findet Ihr doch nirgendwo ein Ende! Alles wird immer gewaltiger und grösser. Und dieses Weltall

Mit dem Fusse aufstampfend.

soll nicht grossartig sein? Das soll nicht grossartig sein? Auf die Kniee! Auf die Kniee! Sonst trifft Euch der Blitz!

Alle sind jetzt auf die Kniee gesunken.

Nähert die Stirne langsam dem Boden!

Alle tuns – Theodor hebt seine Arme hoch auf, dreht sich langsam um und bleibt in Adorantenstellung vor dem bunten Himmel stehen. Ein paar Strahlen erleuchten Theodors Pyramidenhut, seine Hände und seine Arme.

Vorhang!


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Vierter Akt Auf hellblauem Himmelsgrunde ziehen goldene schlangenartig gebogene Streifen von rechts nach links.Weisse Kugellampions mit roten Flecken in verschiedener Höhe. Zwei runde Tische vorn rechts und links, hinter jedem eine lange Polsterbank.Auf der linken Bank sitzt Theodor, auf der rechten Ihlefeld.  
     
     
     

IHLEFELD.

Siehst Du – das hast Du nun von Deiner langen Rede. Jetzt bist Du genau so klug wie ich – der ich Garnichts tue – wie ich, dem schon seit Jahrtausenden alle Dinge der Welt ganz gleichgiltig sind. Kümmere Dich doch nicht um Deine Amtsgeschäfte. Was geht Dich Dein Amt an? Alle Leute wollen ja nur ihre Ruhe. Lass doch Alles gehen, wie es will.

THEODOR.

Das klingt ja sehr vernünftig. Aber ich will doch nur, dass Alle vergnügt und heiter werden. Das ist doch nichts Böses. Hat denn meine Rede Garnichts genützt?

IHLEFELD.

Etwas doch: jetzt sind Alle vom Gegenteil überzeugt! Jeder glaubt nun, dass er sich nur um sein wertes Ich zu bekümmern habe und die Welt ganz unbeachtet lassen müsse.

THEODOR.

Das könnte zuweilen auch ganz gut sein – ja! Aber, lieber Ihlefeld, die Geschichte wird mir allmählich langweilig.

IHLEFELD.

Das war mir eigentlich immer jede Geschichte. Aber ich habs doch stets ganz heiter aushalten können. Jijajópsi ist übrigens mit Lorbeeren umkränzt und hält sich jetzt für einen Schwerenöter. Und die Lirándula stimmt ihm in allen Fragen bei – mit Innigkeit.

THEODOR.

Dann könnte ja dieses Kameelsmensch Bürgermeister werden.

IHLEFELD.

Lass lieber die Lirándula Deine Mütze tragen; dem Jijajópsi sitzt sie nicht; der hat einen zu grossen Kopf.

THEODOR klingelt, und ein Diener erscheint.

Hol mir den Herrn Oberweltlotsen Kuck.

Diener ab.

IHLEFELD.

Eigentlich kannst Du Dich doch nicht wundern, wenn in einer Zeit, in der Alles still steht, ein Vorwärtstreibender nicht sympathisch begrüsst wird.

THEODOR.

Und diese Ruhe in einer fliegenden Stadt!

IHLEFELD.

Lass Sie mal still stehen – auch still stehen.

THEODOR zum eintretenden Kuck.

Ist ein Stern in der Nähe?

KUCK.

Ja, wir kommen dicht an einem Kalkstern vorbei.

THEODOR.

Wird der Kalkstern von vernünftigen Wesen bewohnt?

IHLEFELD.

O Du Vernünftigkeit!

KUCK.

Der Kalkstern wird von grossen Springtieren bewohnt, deren einziges Vergnügen Saltomortals sind; die Tiere machen oft bei einem Sprunge an die neun hundert Saltomortals.

THEODOR.

Und was tun die Tiere ausserdem?

KUCK.

Sie turnen zuweilen, um ihre Muskeln zu stärken.

THEODOR.

Sind die Tiere Fleischfresser?

KUCK.

Sie fressen nur Kalkpilze.

THEODOR.

Schön! Du kannst gehen. Halt in der Nähe an, wenn wir so weit sind.

KUCK.

Wir sind in fünf Minuten da.

Kuck ab. Theodor klingelt wieder, und der Diener erscheint noch mal.

IHLEFELD.

Diese springenden Tiere scheinen Dir um ihrer Lebhaftigkeit willen ein grosses Interesse zu erregen.

THEODOR zum Diener.

Hole Könnicke, Lirándula, Jijajópsi und die älteren Stadträte.

Diener ab.

IHLEFELD.

Willst Du schon wieder eine neue Rede reden? Du wirst noch heiser werden. Schone dich doch.

THEODOR.

Dir kann das doch ganz egal bleiben, ob ich heiser werde oder nicht.

IHLEFELD.

Allerdings – es ist mir auch ganz egal.

Geht langsam ab, während Könnicke, Jijajópsi, der mit Lorbeeren umkränzt ist, und Lirándula kommen.

THEODOR.

Lieber Könnicke, mach bitte bekannt, dass die neuen Eheschliessungen, die ich eingeführt habe, wieder abgeschafft werden.

ALLE.

Ah!

THEODOR.

Ich sehe leider ein, dass sich der Humor nicht erzwingen lässt.

KÖNNICKE.

Aber Theodor! Wie danke ich Dir, Theodor! Die ganze Stadt ist auch bereits in hellem Aufruhr; man wollte schon das Ratshaus stürmen. Ich eile, um zu beruhigen.

Ab.

THEODOR die älteren Ratsherren durch Handschütteln begrüssend.

Wie freue ich mich, dass ich meine alten Freunde wiedersehe.

LIRÁNDULA während sie sich von einem Diener die Ketten abmachen lässt und so von Jijajópsi frei wird.

Lieber Jijajópsi, es wird mir die kurze Zeit unsrer Ehe für mein ganzes Leben unvergesslich bleiben.

Grosses Freudengeschrei der Völker hinter der Scene von unten dumpf herauftönend.

THEODOR.

Jetzt also sind Sie frei, meine Herrschaften. Jetzt können Sie auch frei bleiben. Meinetwegen können sie fürderhin von der Welt und von Ihrer eigenen hochgeschätzten Persönlichkeit denken, was Sie Lust haben. Es wird mir nie wieder einfallen, andern Leuten meine Meinung aufzwingen zu wollen. Bleiben Sie so trauerklossig, wie’s Ihnen beliebt. Entschuldigen Sie gütigst meine Aufdringlichkeit. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen eine kurze Zeit hindurch lästig fiel. Es soll nie wieder geschehen.

ALLE durch einander.

Aber ich bitte Sie, Herr Bürgermeister! Theodor! Alter Freund! So schlimm wars ja nicht.

THEODOR.

Meine liebe Lirándula, gestatte gütigst, dass ich Dir meine Würde übergebe.

Erstauntes Gemurmel der Räte.

Nimm Deinen Federhut ab. So! Und lass Dir meinen Pyramidenhut aufs Haupt drücken. So! Regiere Du fortan die Bürger, Ratsherren und Fremden der fliegenden Stadt! Und – tu das nur mit Sanftmut und Gelassenheit und pass auf, dass Keiner den gemütlichen Gang ihres Lebens störe. Und Ihr, verehrte Ratsherren, setzt mir gefälligst ein Denkmal. Wir halten, wie Ihr schon bemerkt, an – und ich springe auf den Kalkstern, den wir da drüben ganz in der Nähe sehen können. Diener! Diener! Schnell das Sprungbrett!

Die Diener legen ein Sprungbrett hinten zurecht. Die Ratsherren schütteln mit dem Kopfe – Könnicke kommt.

KÖNNICKE.

Theodor, wo willst du hin? Wo ist Dein Pyramidenhut?

THEODOR.

Huldige der Lirándula! Ich springe auf den Kalkstern! Lebt wohl!

Er rennt übers Sprungbrett und springt hinunter.

ALLE wild durch einander schreiend.

Theodor! Theodor! Theodor!

KÖNNICKE nach vorn kommend mit Lirándula und Jijajópsi.

Lirándula!

Er fällt vor ihr auf ein Knie und küsst ihr die Hand, Jijajópsi tut es auch – die Ratsherrn beugen sich hinten in malerischen Gruppen weit über die Segeltuchgeländer und starren in die Tiefe. Die Wolken stehen ganz still.

Ende!


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Revision 31-12-2022