lsis

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


lsis

Schauspiel in einem Aufzuge


Personen:

Osiris, König von Aegypten
lsis, seine Gemahlin
Priester und Tempeldiener
Feldherren
Gespenster

Die Handlung spielt in einem Tempel am Nil. Zeit: Vorhistorisch

Rechts und links schwarze Wände, die auch nur markirt zu sein brauchen. Hintergrund beliebig. Hinten rechts und links Eingänge. Gedämpftes Licht, verdeckt. In der Mitte die Mumie des Königs im geschlossenen und bemalten Deckelsarg.


lsis (Kostüm blau und grün und das Egyptische nur durch den Kopfschmuck zu markiren. Im Eingang links): Geht nun fort in den Vorhof! Und wenn ich Euch brauche, werde ich Euch ein Zeichen geben mit diesem weißen Tuch (zeigt ein großes weißes Battisttuch). Ich wünsche aber, daß kein Priester und kein Tempeldiener in der Nähe bleibt. Nun geht so still fort, wie Ihr gekommen seid. (Man hört leises Gemurmel links.) Still! Still! (Das Gemurmel ist nicht mehr zu hören.) Du bist jetzt wieder bei mir, nicht wahr? (Sie setzt sich hinter dem Sarge auf einen niedrigen Stuhl.) Osiris! Deine Priester und Deine Feldherren warten auf Dich. (Man hört in der Ferne Musikinstrumente – einzelne Töne.) Alle warten auf Dich,Dein Volk will Dich wiedersehen. Was soll ich ihm sagen? (Sie horcht am Sargdeckel) Wie? Höre ich richtig? Du bist schon außerhalb Deines Sarges? (Sie steht auf und horcht nach der rechten Seite – dann hell lachend.) Ja! Ich höre! Das bist Du! In der Nilbarke fährst Du? Ist es wahr? Ich kann doch aber nicht so schnell zu Dir kommen. Jetzt sagst Du mir Lebewohl? Osiris! (Geht schnell zur linken Wand und horcht dort.) Wer ist da? Wer ist da? Wie? Osiris, Du bist auch hier? Ein Adler bist Du? Jawohl, ich höre Deinen Flügelschlag. Aber ich kann doch nicht zu Dir kommen. Du fliegst ja schon nach oben! Komm zurück! Osiris! Nimm mich mit!

Ach, jetzt seh ich Dich nicht mehr. Die Sonne scheint zu grell. Du bist fort. (Setzt sich wieder hinter den Sarg.) Du bist hier und bist auch nicht hier.

Wie soll ich das verstehen? (Horcht mit dem Ohr auf dem Sargdeckel.)

So wars immer?

Wir waren da und waren auch nicht da?

Wo bist Du jetzt? (Blickt wild auf dem Fußboden umher, steht auf und geht hastig herum, kniet nieder und horcht mit Hand am Ohr nach unten.)

Wie viel seid Ihr? Neunmalhunderttausend? Lauter Geister der Unterwelt? Und Ihr seid alle Osiris?

Ihr lügt! (Pause, horchend.)

Ich will nicht sagen, daß Ihr lügt, aber es ist mir doch so ungewohnt, daß mein König überall sein soll. (Pause, horchend.)

Ihr macht mir Angst! (Man hört wieder in der Ferne einzelne Musiktöne.) Ihr sprecht ja plötzlich eine andre Sprache. Ich verstehe Euch nicht. Ihr wollt das Meer aufrühren? Ihr wollt den Nil peitschen? Schlagt die Krokodile! Schlagt sie! Aber laßt mein Land in Ruh. Ihr seid doch der König von Egypten. Vergeßt nicht, was Ihr vorher gesagt habt. Sonst lügt Ihr! Sonst lügt Ihr! (Springt auf.)

Jetzt fühle ich mich so einsam. Ich höre wie Ihr in der Tiefe herumstampft. (Wieder Musikklänge.) Ueberall st- nur nicht bei mir. (Sie kniet jetzt vor dem Sarge.) Osiris! Wo bist Du? (Pause.)

Ueberall? Wirklich? Auch bei mir immerzu? So wie stets, als Du noch lebtest – als Mensch? Und jetzt bist Du ein Gott? Ein großer Gott bist Du geworden? (Nach oben blickend.) Da oben bist Du auch? Zwischen den Sternen gehst Du so ruhig dahin. Ich sehe Dich.
Deine Waffen leuchten wie tausend Sonnen, und der Mond verbirgt sich vor Dir, weil Du ihn blendest – mit Deinen Waffen. (Wieder auf den Sargdeckel mit dem Ohre horchend.) Wer spricht denn hier zu mir? Das ist eine fremde Stimme. Was ist das? Priester! Priester! Oh, ein Fremder ist im Sarg. Osiris ist in Gefahr. (Hinten links mit dem Bauisttuch wehend.) Kommt schnell! Kommt schnell! Ein Fremder ist im Sarg. Bleibt noch da. Ich werde den Sargdeckel öffnen. Osiris ist im Himmel und in der Unterwelt- und überall- überall! Zurück! Ihr dürft hier nicht hinein! (Langer starker Ton eines Musikinstrumentes in der Nähe.) Das war ein Ton von ihm. (Sie horcht zum Sarge hin.) Deine Feldherren willst Du haben? Ich rufe sie! (Rechts mit dem Brusttuch wehend.) Feldherren! Feldherren! Hierher! Hierher! Euer König ruft! Stellt Euch dort drüben ruhig hin! Wartet! (Wieder hinter dem Sarge sitzend.) Was soll ich nun thun? Was soll ich ihnen sagen? Bist Du wie­ der in Deinem Sarge oder ist der Fremde in Deinem Sarge? Soll ich Deinen Sarg öffnen?

Jetzt höre ich nichts.
Doch! Doch! (Nach links zeigend.) Da kommt was näher! Kommt nur! 0, Ihr drückt mir ja den Hals zu! Ruhig! (nach rechts zeigend) Kommt nur auch! Wollt Ihr Alle in den Sarg? Jetzt ist Osiris nicht im Sarge. (Aufstehend, nach oben blickend) Willst Du zu mir kommen? (Pause.)

Auch aus der Tiefe kommt es hinauf. Ich fühls. Ich soll die Priester und Tempeldiener und auch die Feldherren fortschikken? Ja? Willst Du das? (Sie geht nach links.) Osiris will, daß Ihr wieder fortgeht – aber so leise, wie Ihr gekommen seid.

(Sie geht nach rechts.) Osiris will, daß Ihr wieder fortgeht – aber so leise, wie Ihr gekommen seid. (Sie setzt sich wieder hinter den Sarg.) Jetzt sind sie fort. Und wir sind wieder allein. Ist der Fremde nun auch fort? Ja? Das freut mich. (ein kurzer heller Musikton in der Nähe) Osiris, das war wieder Deine Stimme. Jetzt bist Du in Deinem Sarge. (horchend mit dem Ohr auf dem Sargdeckel). Jetzt willst Du nicht mehr überall sein? Nein? Jetzt willst Du nur noch bei mir sein? Ich soll zu Dir kommen? Osiris! Ich komme zu Dir! (Sie stößt sich einen Dolch in die Brust und fällt mit dem Kopf auf den Sargdeckel.)

Vorhang!


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