Die Gesellschaft des Herrn von Kaminski

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Die Gesellschaft des Herrn von Kaminski

Schauspiel in einem Aufzug

 


Personen:

Herr von Kaminski
Ado
Bedo Weltenschöpfer
Cedo
Dedo
Frau Krause, Haushälterin

 

Länglicher Tisch in der Mitte – mit der Schmalseite nach vorn. Zwei Gedecke auf der linken Seite und zwei auf der rechten mit je zwei Stühlen. Herr von Kaminski sitzt an der hintern Schmalseite. Weinflaschen, Gläser und Speisereste. Frau Krause kommt von links mit Obst, stellt es auf den Tisch und nimmt einige Teller mit.


von Kaminski: Meine Herren, daß ich Sie nicht sehen kann, ist mir natürlich sehr schmerzlich. Ach bitte, Frau Krause, stellen Sie nur das Obst auf den Tisch. (Sie tut es und nimmt ein paar Teller) Lassen Sie nur die andern Teller stehen. Gehen Sie nur; ich werde Sie rufen, wenn es nötig ist. (Frau Krause ab) Aber, meine Herren, ich habe doch das meiste von dem, was Sie mir mitteilten, hören können. Und wenn ich auch nicht alles verstanden habe – vieles verstand ich doch. (Er horcht mit der Rechten am rechten Ohr) Gewiß, Sie machten sich durch Gleichnisse verständlich. Oh, ich weiß das. Wenn Sie vom Hörbaren sprachen, so war das, was ich hören sollte, nur gleichnisartig hörbar – Ohren und Zungen gibts gar nicht in Ihrer Welt, Herr Ado. (Wendet sich zu dem Stuhl, der rechts neben ihm steht) Ich bin Ihnen aber schon sehr dankbar, wenn Sie mir eine Ahnung zu kosten geben. (Pause. Horcht)

Freilich! Freilich! Ich werde natürlich nicht vergessen, daß Sie alles bildlich meinten. Wenn ich mir aber eine Welt vorstelle, die nur für die feinsten Töne der Musik geschaffen ist- in der die Sterne nur aus starken schwingenden Saiten bestehen – so habe ich doch eine Vorstellung. (Horcht wieder) Gewiß! Und alle Wesen sind in dieser Welt nur Ohrwesen. Und diese ganze Phantasie ist nur bildlich gemeint. Ich verstehe. (Pause)

An Stelle des Ohrs habe ich nur einen andern, nur nicht verständlich zu machenden neuen Sinn zu setzen, der nur mit dem Ohrsinn verwandt ist. (Pause)

Wie bedaure ich, daß Sie fortmüssen. Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen. (Steht auf und verbeugt sich gegen den Stuhl zu seiner Rechten) Oh, Herr Bedo, und nun müssen Sie auch schon fort. (Horcht zum vordern Stuhle an seiner rechten Seite) Ihre Welt werde ich auch niemals so wörtlich nehmen. Ich behalte besonders, daß Sie überall runde schwebende Köpfe haben -Wolken von Köpfen, in denen jeder Tautropfen ein Kopf ist – und alle diese Köpfe verändern sich immerzu. (Horcht wieder) Ja, ich verstehe! Es ist eine sehr geistreiche Welt- Ihre Kopfwelt. Und- der ganze Himmel voller Köpfe- das muß wundervoll wirken – erinnert an alte italienische Himmelsbilder mit Engelsköpfen. Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen. Ich bedaure, daß auch Sie schon fortmüssen. (Steht auf und verbeugt sich ·mehrere Male sehr tief vor dem Stuhle, der vorne zu seiner Rechten steht) Meine Herren, es war der herrlichste Abend meines Lebens. Wie bedaure ich, daß er zu Ende ist. Ich werde nichts von dem, was Sie mir mitteilten, vergessen. (Zu dem Stuhle, der vorne zu seiner Linken steht) Herr Cedo, Ihre Funkenwelt ist mir so geläufig. Natürlich! Ein pyrotechnisches Wunder. Alles Funken. (Horcht) Ja- und auch die Funken sind nur ein Gleichnis. (Erhebt sich und verbeugt sich vor dem Stuhle sehr lange und sehr tief einmal) Und (zum Stuhl an seiner Linken) nun sind Sie nur noch ganz allein hier, Herr Dedo. (Horcht. Längere Pause)

Das ist ja wundervoll, was Sie mir sagen. Sie meinen, ich könnte auch so Welten schaffen? (Horcht wieder) Hm! So wärs also gar nicht so übel, ein Mensch zu sein? (Pause)

Oh – wie tröstlich! Natürlich – Sie haben Recht: die Ausführung der Welten in handgreiflicher Weise ist gar nicht so wichtig – die Phantasie, die Idee ist tatsächlich das Wichtigste. (Horcht) Ja, das hab ich auch schon immer gedacht: wer alles gleich handgreiflich haben will, ist eigentlich nur ein Dilettant. (Horcht wieder) Ja – Ihre Welt besteht aus feinsten Spinngewebeschleiern. Und es ist da alles so fein, daß nichts für menschliche Augen sichtbar wird­ nichts fühlbar: (Horcht abermals) Ich werde das alles nicht vergessen; ich weiß wohl, es gibt in der unendlichen Unendlichkeit noch viel, viel mehr Welten, als wir ahnen können. (Pause)

Ja, der Mensch ist noch nicht so weit, um all das Vielseitige und Feine aufnehmen zu können – schon die Ahnungen strengen sehr an. (Steht auf und verbeugt sich viele Male) Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen sehr- sehr! Ich werds nie vergessen. Weltenschöpfer werden- ja, das ist das, was wir erstreben müssen. Ich danke Ihnen. (Frau Krause kommt her­ ein und steht rechts sehr mürrisch da) Ach, Frau Krause! Ja! Aber ich sagte Ihnen doch, daß ich Sie rufen würde. Warum sind Sie denn so gekommen? Ach so, Sie wollen schlafen gehen. Das Geschirr können Sie ja hier lassen. Gehen Sie nur schlafen. Gute Nacht! (Frau Krause ab, ohne ein Wort zu sagen. Herr von Kaminski setzt sich wieder auf seinen Stuhl und blickt geradeaus)

Vorhang


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