Das Gastmahl des Assurnasirabal

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Das Gastmahl des Assurnasirabal

Ein regierungsfreundliches Schauspiel


Personen

Zoroaster
Pythagoras
Mani
Mazdak
Assurnasirabal
Hofbeamte des Königs Assurnasirabal

Hinten schwarze Wand. Davor langer Tafeltisch mit der langen Seite nach vorn. Tischdecke auch schwarz. Buntes Geschirr auf dem Tisch – aber Gläser und Teller sind leer. Alle Personen in weißen, langen Gewändern, die nach Art der Beduinenburnusse am Kopf befestigt sind. Links sitzt Pythagoras an der schmalen Tischseite, ihm gegenüber rechts Zoroaster an der andern schmalen Tischseite. An der hintern Tischseite Stühle, in der Mitte der Sessel für den König. Während die beiden Erwähnten ruhig dasitzen, kommen die Andern langsam von hinten rechts und links herein, ohne sich zu setzen – der König kommt ganz zuletzt; er hat eine goldene Zackenkrone auf dem Kopfe.


Zoroaster: Kommt der König schon?

Ein Hofbeamter: Ja, er wird gleich da sein.

Pythagoras: Wer ist der größte Wohltäter der Menschheit?

Zoroaster: Diese Frage will der König beantwortet haben.

Ein Hofbeamter: Der König kommt schon. Aber er geht ganz langsam.

Pythagoras: Wer ist der größte Wohltäter der Menschheit?
Der König: (Die beiden Sitzenden bleiben sitzen.) Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid. (Die beiden grüßen mit Verbeugung des Kopfes; alle setzen sich und trinken aus den leeren Gläsern und essen unsichtbare Speisen.)

Pythagoras: Wer ist der größte Wohltäter der Menschheit?
Zoroaster: Zweifellos nur derjenige, der die Menschheit am kräftigsten fördert, ihr die größte Kraft giebt und die Fähigkeit, das Größte und Herrlichste zu erfassen.
Mani (zur Rechten des Königs): Kann ein Mensch so die Menschheit fördern?
Der König: Die Frage kommt zuletzt.
Mazdak: Ich glaube nur, daß derjenige die Menschheit am kräftigsten fördert, der sie in Ruhe läßt.
Der König: Dann wäre Nichtfördern das Größte; diese Teilnahmslosigkeit kann nicht das Höchste sein.
Mazdak: Aber die Leute sagen doch: gebt uns die Freiheit, dann habt ihr uns das Höchste gegeben.
Der König: Das wäre ja so bequem. Dann säße das Nichtstun auf dem Thron. Nein! Daran glaub ich nicht. Das würde dem schrankenlosen Egoismus die Tore öffnen. Das kann nicht sein. Solche Lehre richtet sich selbst.

Mazdak: Danach wäre alles Regieren immerzu sehr notwendig.
Der König: Ja- Regieren heißt eben: Fördern.

Mani: Aber es kann auch zu viel regiert werden.

Der König: Freilich! Egoisten dürfen nicht regieren.

Zoroaster: Das fragt sich.

Pythagoras: Wenn ein Mensch regiert, so bildet er sich doch nur ein, daß er regiert; er ist doch nur das Werkzeug eines höheren Geistes.

Mani: Ich halte es für ausgeschlossen, daß ein Mensch der größte Wohltäter der Menschheit sein könnte.

Der König: Das ist auch meine Meinung.

Zoroaster: Pythagoras hat jedenfalls Recht; nur ein höherer Geist, einer, der über den Menschen lebt, kann die Menschheit regieren und zugleich fördern.

Der König: Dann wüßten wir ja, wer der größte Wohltäter der Menschheit ist: der große Unbekannte ist es.

Pythagoras: Das meint Zoroaster, der mir gegenüber sitzt. Und ich meine das auch.

Mani: Glauben wir aber auch daran, daß der große Unbekannte unser Wohltäter ist, indem er uns quält?

Der König: Das ist es eben! Wir müssen einsehen, daß er uns quält, um uns zu fördern.

Mazdak: Das wird den Menschen sehr oft schwer fallen, einzusehen, daß alle Quälerei nur eine Förderung ist.

Der König: Aber es ist doch so.

Pythagoras: Wer in jedem Qualtrank die heilende Arznei herausschmecken kann, der wird nicht viel Mühe haben, einzusehen, daß alle Quälerei nur eine Förderung ist.

Zoroaster: Es ist nur peinlich, einzusehen, daß wir immer wieder noch erzogen werden müssen.

Der König: Wie Kinder! Wir bleiben eben Kinder des großen Geistes – solange wir leben.

Zoroaster: Und wenn wir gestorben sind und ein anderes Leben führen -so müssen wir auch immer noch erzogen werden – zu Höherem – immer wieder zu Höherem.

Pythagoras: Und wenn wir so weit sind, daß wir Keinen mehr zur Förderung brauchen?

Zoroaster: Dann haben wir das Bedürfnis, Andere zu fördern. Es ist nicht anders denkbar.

Der König: Und so können wir alle mal später der größte Wohltäter der Menschheit werden.

Pythagoras: Ja- wenn wir mehr sind als alle Menschen …

Mani: Das kann man aber nicht sein – solange man noch als einfacher Mensch lebt.

Der König: Auch das wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß wir uns glücklich fühlen, wenn wir etwas überwunden haben – ob’s eine Begierde, eine Schwäche oder ein Schmerz ist. Und dieses Gefühl müssen wir festhalten. Wir müssen immer wieder einsehen, daß es köstlich ist, wenn wir durch Schmerzliches oder Widriges gestärkt werden.
Pythagoras: Nur dadurch kommen wir weiter!
Zoroaster: Nur dadurch werden unsre Genüsse größer.
Der König: Und so können auch die Harten große Wohltäter der Menschheit sein.
Mani: Und daher kann eigentlich gar nicht zu viel regiert werden.
Mazdak: Wer sich darüber ärgert, schmeckt die Arznei nicht. (Der Vorhang fällt.)


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