Das Donnerwetter

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Das Donnerwetter

Ein Schauspiel für Weltverbesserer

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Personen:

Mr. de Krebs, Ober-Polizei-Kommissarius auf dem Gebiete der Erfindungsangelegenheiten
Mademoiselle Fifi Manchette, staatlich privilegierte Erfinderin
Mr. Marsacco, Ober-Polizei-Kommissarius auf dem Gebiete der Empfindungsangelegenheiten
Moddelmaus, Stations-Oberdiener
Ein altes Gespenst

Die Handlung spielt in Paris am Ende des zweiten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung


Sprechzimmer in der pariser Weltverbesserungsstation. Hinten rechts und links Eingänge. Links die Bureaus des Mr. de Krebs, rechts die des Mr. Marsacco zu denken

Krebs (von hinten links nach vorn): Moddelmaus! Moddelmaus! Zum Donnerwetter- wo stecken Sie denn wieder?

Moddelmaus (eiligst von hinten rechts): 0, Herr Ober! Der Dienst in dieser Weltverbesserungsstation ist so anstrengend -so anstrengend. Zwei Stunden habe ich soeben mit dem Herrn Ober-Polizei-Kommissarius auf dem Gebiete der Empfindungsangelegenheiten konferiert.

Krebs: Dafür sind Sie auch Stations-Oberdiener. Die Welt muß endlich verbessert werden.

Moddelmaus: Ja, Herr Ober, die Welt muß verbessert werden.

Krebs: Das hab ich immer gesagt.

Moddelmaus: Zum Donnerwetter, Herr Ober, ich auch!

Krebs: Moddelmaus, vergessen Sie nicht den Respekt! Mir steht es zu, hier zu donnerwettern. Holen Sie sofort Mademoiselle Fifi Manchette aus dem Fasten-Gefängnis. Das Verhör soll gleich beginnen. Diese obstruktionslustige, staatlich privilegierte Erfinderin soll mich kennen lernen.

Moddelmaus: Zu Befehl, Herr Ober! Dieser pfiffigen Fifi wollen wirs zeigen. (Hinten links ab)

Marsacco (von rechts): Monsieur de Krebs! Verehrter Herr Kollege! Ich gehe zum Frühstück ins Hotel Royal. Wenn Sie meine Unterstützung wünschen, so lassen Sie, bitte, den Moddelmaus telephonieren.

Krebs:Meinen verbindlichen Dank, Herr Kollege! Ich werde mir die Freiheit nehmen,Sie rufen zu lassen,wenn es nötig ist.

Marsacco: Wünsche guten Morgen!

Krebs: Guten Morgen!

sarius – mit seiner Unterstützung! (Moddelmaus von links mit Mademoiselle Fifi Manchette) Ah! Na endlich! Kommen Sie man hier nach vorn, mein Fräulein. (Sie kommt nach vorn rechts, Moddelmaus setzt sich im Hintergrund oder links auf einen Stuhl)

Fifi: Mein Herr, die Behandlung, die mir hier in Paris zuteil wird, halte ich einfach für haarsträubend.

Krebs: Was wollen Sie denn noch haben? Der Staat gibt Ihnen ein reichliches Taschengeld, Automobil, Villa und lenkbares Luftschiff und auch ein Segelboot und zahlreiche Dienerschaft – ist das alles noch nicht genug? Sollen wir Ihnen noch zehn Liebhaber, drei Ehegatten und einen kleinen Harem halten? Ja? Wollen Sie das?

Fifi: Mein Herr, Sie werden beleidigend. Vergessen Sie nicht, wer vor Ihnen steht.

Krebs: Das vergeß ich nicht.

Fifi: Uebrigens: von all den staatlichen Ehrengaben, die Sie aufzählten, habe ich in den letzten vierzehn Tagen nichts gesehen und nichts genossen – da Sie mich ins Fasten-Gefängnis einsperren ließen- wo mir nur trocknes Brot und kaltes Wasser verabreicht wurde. Das ist einfach haarsträubend.
Krebs: Das haben Sie sich doch selber zuzuschreiben. Wozu erfinden Sie nicht rechtzeitig, was von Ihnen verlangt wird? Warum erfinden Sie nicht rechtzeitig?
Fifi: Das ist haarsträubend. Ich habe bereits auf den Weltverbesserungsstationen von New-York, Nanking und Sewastopol gearbeitet – aber so was ist mir noch nicht passiert.
Krebs: Nu mal Scherz bei Seite! Zum Donnerwetter! Die Welt muß endlich verbessert werden. Wie stehts denn mit dem Apparat zur Ablenkung der Meeresstürme? Hm? Wie stehts damit? Und wie stehts mit dem Fallschirmapparat für Bergkraxler? Sprechen Sie, mein Fräulein! Dies ist ein Verhör!
Fifi: So! Also: bei Wasser und Brot soll ich Ihnen die großartigsten Apparate erfinden?
Krebs: Na, wozu sind Sie denn eigentlich angestellt?
Fifi: Haarsträubend! Wer kann denn auf Kommando erfinden?
Krebs: Wir müssen auch auf höhern Befehl jederzeit unsre Pflicht tun.
Fifi: Sie sind ein verrücktes Monstrum.
Krebs: Sie werden jetzt weitere vier Wochen wegen Beamtenbeleidigung bei Wasser und Brot eingesperrt. Wir werden Ihnen schon das Erfinden beibringen. Glauben Sie, der Staat zahlt sein schweres Geld für technische Hochschulen, Ingenieur-Akademien, staatliche privilegierte Erfinderinnen und Erfinder nur so zum Spaß? 0 nein! Zum Donnerwetter! Die Welt muß doch endlich mal verbessert werden.
Fifi: Moddelmaus! Moddelmaus! Holen Sie mir sofort den Monsieur Marsacco, Ober-Polizei-Kommissarius auf dem Gebiete der Empfindungsangelegenheiten, ich brauche seine Unterstützung.
Krebs: Ich brauche seine Unterstützung nicht.

Fifi: Moddelmaus, müssen Sie auch täglich was erfinden?

Moddelmaus: Monsieur Marsacco frühstückt im Hotel Royal, und ich brauche täglich gar nichts zu erfinden.
Fifi: Sie Glücklicher! Telephonieren Sie.
Moddelmaus: Soll sofort geschehen. (Hinten rechts ab; man hört den Apparat in der Ferne)
Krebs: Nun sind Ihnen schon wieder vier Wochen aufgebrummt. Sie tun mir recht leid. Sie sollten doch danach trachten, Ihre beispiellose Faulheit und Pflichtvergessenheit abzulegen. Ich würde mir an Ihrer Stelle die Augen aus dem Kopf schämen. Sie sind doch noch ganz jung und kräftig- da können Sie sich doch endlich mal Mühe geben, die Welt zu verbessern. Was haben Sie denn in Sewastopol erfunden?
Fifi: In Sewastopol erfand ich, wie man Geister erscheinen läßt,
Krebs: Das ist ja unheimlich. Was erfanden Sie denn in Nanking?

Fifi: In Nanking erfand ich, den menschlichen Körper unsichtbar zu machen.
Krebs: Das ist ja unheimlich. (Moddelmaus hinten rechts)

Moddelmaus: Monsieur Marsacco kommt gleich. Er will nur noch sein Austernkonfekt aufessen.
Fifi: Das könnte er doch unterwegs tun.
Marsacco: Das hat er auch getan! Das hat er auch getan!
Fifi: Endlich! 0, wie dank ich Ihnen, daß Sie endlich gekommen. Denken Sie nur, Ihr Herr Kollege hat mich vierzehn Tage lang einsperren lassen – und jetzt hat er mir weitere vier Wochen bei Wasser und Brot aufgebrummt.
Marsacco: Das steigert unser Empfindungsvermögen in gewaltiger Weise. Ich kann das Vorgehen meines Herrn Kollegen nur gutheißen.

Fifi: Ist das Ihr Ernst? Krebs: Ist das Ihr Ernst?

Marsacco: Tatsächlich, meine Herrschaften! Sie glauben gar nicht, wie empfindlich und empfindsam der Mensch wird, wenn er so sechs Wochen hindurch bei Wasser und Brot aus­ harren mußte. Solche Kur ist noch viel wirksamer als eine wochenlange Dampferfahrt. Im Grunde genommen, läuft beides auf dasselbe hinaus. Man denkt in beiden Fällen schließlieh nur noch: o, wärs doch endlich zu Ende – o, wärs doch endlich vorbei! Nur hat man auf der Dampferfahrt gemeinhin­ Seekrankheit – und im Gefängnis nie – dies ist also eigentlich vorzuziehen. –

Fifi: Meine Herren, Sie machen mich ja mit Ihren Reden ganz verrückt.

Moddelmaus: O,daran gewöhnt man sich, mein liebes Fräulein.

Fifi: So? Na- dann will ich versuchen, Sie, meine Herren, auch verrückt zu machen. Mit meinen alten Erfindungen werde ich Sie verrückt machen.

Krebs: Sie werden es doch nicht wagen, sich gegen Ihre Obrigkeit aufzulehnen.

Moddelmaus: Herr Ober, soll ich das Fräulein gleich fesseln?

Fifi: Seien Sie still, meine Herren! Haben Sie schon ein altes Gespenst gesehen?

Marsacco: Dazu sind wir zu empfindlich. Ich bin doch in Empfindungsangelegenheiten seit Jahren wohl erfahren.

Fifi: Das freut mich ..: dann werden Ihnen die Haare noch besser zu Berge stehen- sehen Sie da hinten an die Wand. (Hinten schwarzes Gespenst mit langen Armen)

Moddelmaus: Hilfe! Hilfe!

Krebs: Die Erfinderinnen müssen sämtlich zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt werden.

Marsaccö: Zum Donnerwetter! Dann kann ja die Welt niemals zu Ende verbessert werden.

Moddelmaus: Zum Donnerwetter! Das scheint mir auch gar nicht nötig zu sein.

Fifi: Meine Herren! Ich habe auch erfunden, den menschlichen Körper unsichtbar zu machen. Ich verschwinde jetzt. (Verschwindet)

Krebs: Donnerwetter, das ist die höchste Frechheit.

Fifi: (unsichtbar, unten): Seien Sie einander Mal vorsichtiger, wenn Sie mit Erfinderinnen zu tun haben.

Krebs: Das Donnerwetter soll dreinschlagen.

Fifi (unsichtbar, hinten): Seien Sie doch froh, daß ich nicht dreinschlage.

Marsacco: Herr Kollege, Sie haben sich blamiert.

Krebs: Meinen Sie das im Ernst?

Marsacco: Im vollsten Ernst!

Mjjddelmaus: Sehen Sie, Herr Ober, hätten Sie auf mich gehört, so hätten Sie mir gleich vorhin die Erfaubnis gegeben, die Dame verhaften zu lassen.

Fifi (unsichtbar, oben): Aber jetzt ist es zu spät: Leben Sie wohl, Herr Ober-Polizei-Kommissarius! (Lacht)

Krebs: Zum Donnerwetter! Nun lacht sie uns noch aus.

Vorhang


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