Der Baron als Erzieher

Paul Scheerbart

 Münchhausen Geschichten


Der Baron als Erzieher


In Amerika war nun die Glaskultur als durchgesetzt zu betrachten; das herrliche Tiffany-Glas wurde in ungeheuren Quantitäten hergestellt, aber auch alle anderen Glasarten erfreuten sich einer großen Beliebtheit.

An vielen Punkten der Vereinigten Staaten von Amerika, die für ganz Amerika tonangebend waren, wurden bereits die alten Backsteinhäuser abgebrochen. Und man begann, die Wege durch Backsteine glatt zu machen; es gab schon lange Backstein-Chausseen, deren Backsteine aus den Häusern der Städte stammten.

Die organisatorische Tätigkeit des Freiherrn von Münchhausen hatte ganz Amerika auf die richtigen Wege geleitet; nun entwickelte sich alles – beinahe von selbst.

Amerika war also in der Kultur allen andern Erdteilen vorausgeeilt. Wenn der alte Münchhausen den Wunsch geäußert hätte, Kaiser von Pan-Amerika zu werden – alle Amerikaner hätten ihm ohne Weiteres das dickste Scepter übergeben – mitsamt einer Krone von vielen Centnern Gewicht.

Aber der alte Herr sagte kühl:

»Regiert Euch allein! Ich habe keine Potentatengelüste – so sind mir die Amerikaner denn doch nicht ans Herz gewachsen, daß ich mich um alle ihre Angelegenheiten kümmern und immer aufm Thron sitzen und regieren sollte. Ich liege lieber aufm Diwan und rauche eine Cigarre nach der andern. Das ist bequemer.«

Also – mit dem Regierungsrummel ließ sich bei dem alten Herrn wirklich nichts anfangen; er hatte auch wahrlich für Amerika genug getan.

Jetzt aber dachte der unermüdliche alte Herr über die andern Erdteile nach. Und er sagte zu seiner Clarissa eines Tages:

»Die andern Erdteile tun mir in der Tat in der Seele leid – besonders das arme Europa dauert mich. Da wohnen die Leute immer noch in finstern Backsteinhöhlen und bekommen nur finstere Gedanken. Das große Licht ist ihnen noch nicht aufgegangen. Sie haben die Bedeutung des großen Lichts noch nicht begriffen. Die Ärmsten tun mir in der Tat in der Seele leid. Selbst im Tierreich ist es doch so, daß die Tiere, die sich eine anständige Wohnung zulegen, recht lange leben bleiben – wie die Bienen, Biber, Ameisen und Schwalben. Auf der anderen Seite sehen wir, daß Tiere wie die Schweine, die auf ihre Wohnungsverhältnisse gar keinen Wert legen, rettungslos dem Untergange verfallen sind. Das ist ja weltbekannt. Und doch achtet in Europa Niemand auf diese allzu deutliche Sprache der Natur. Lebe in einem Glashause, sagen wir dagegen, so wird es Dir wohl ergehen, und Du wirst lange leben und glückliche Einfälle haben.«

»Münch«, rief die Clarissa, »Du bekommst, wie mir deucht, das Redefieber. Du bist der Kikero der modernen Kultur. Der Glas-Kikero! Oh!«

Der Baron sprang vom Diwan auf und sprach scharf wie ein ergrimmter Ober-General:

»Clarissa! Du darfst hier keine Münchhausen-Lästerungen ausstoßen! Das geht nicht! Wenn Du das noch mal tust, drück ich hier auf den Domestikenknopf und lasse sofort zehn Scharfrichter kommen! Ich werde mir schon Respekt verschaffen. Gleich wirst Du Dich anziehen und mit mir nach Europa reisen. Meine Rettungstätigkeit habe ich schon ganz heimlich vorbereitet.“

Die Gräfin Clarissa klatschte in die Hände und sang immerzu: »Bravo! Bravissimo!«

Der Baron sang mit, rief aber plötzlich:

»Aber Du sollst Dich doch anziehen.«

Da ging sie in ihr Boudoir.

Und dann fuhren die Beiden nach Europa – natürlich in ihrem großen Aeroplan-Omnibus, der schon manche Fahrt über den Atlantischen hinter sich hatte.

Über Madeira drehte sich die Gräfin um und blickte nach dem Westen.

»Ei!« rief sie, »da kommt aber eine dunkle Wolke heran. Wir müssen auf Madeira landen.«

»Landen«, versetzte der Baron, »können wir ja. Aber da im Westen ist gar keine Wolke.«

»Was denn?« fragte die Gräfin.

»Mein Gepäck!« sagte der Baron sehr schlicht.

Da wunderte sich die Gräfin. Aber sie sah mit dem Aeroplan-Telescop hin und erkannte bald, daß die Wolke eine Aeroplan-Wolke war.

»Donnerwetter! Münch!« rief sie heftig, »mit so viel Gepäck fährst Du nach Europa? Das ist ja eine entzückende Überraschung!«

»Zur Strafe«, sagte der Baron, »für Deine Ironie.«

Die Gräfin küßte dem alten Herrn ehrfurchtsvoll die Hand.

Danach aßen sie auf der neuen Glasterrasse des Amerikahotels zu Madeira ein gutes Abendbrot und tranken den Landwein der Insel.

Der Vollmond spiegelte sich in den Weingläsern.

»Jetzt werde ich mich«, sagte der Baron über der portugiesischen Küste, »als Erzieher produzieren.«



»Münchhausen als Erzieher«, sagte die Gräfin, »klingt nicht grade sehr neu. Erst kam Schopenhauer als Erzieher, dann Rembrandt als Erzieher – und dann tausend Andre. In Deutschland scheint man nämlich sehr viel von Erziehung zu halten.«

»Darum«, versetzte der Baron mit verschmitztem Lächeln, »will ich mich auch in Deutschland als Erzieher vorstellen. Wir fahren zuerst nach Berlin. Mein Gepäck besteht nur aus 50 Glasarchitektur-Ausstellungen. Die Modelle sind alle in Koffern. Es wird gleich in 50 Städten ausgestellt – zu gleicher Zeit in 50 Städten.«

»Prachtvoll!« rief die Gräfin.

Und die Ausstellungen wurden in 50 Städten arrangiert.

Die Ausstellungen, auf denen sehr viele Villen- und Palastmodelle zu sehen waren, erregten das Interesse bei allen Regierungen.

Nur eine komische Seite kam dabei heraus:

Alle Zeitungen berichteten, daß auch der alte Baron auf allen diesen Ausstellungen, die am selben Tage eröffnet wurden, eine Ansprache und ein paar kleine Vorträge gehalten habe.

Die Europäer schüttelten den Kopf.

Wie wars möglich, daß der Baron an einem und demselben Tage in Wien, Paris, Berlin, London und Petersburg – und noch in 45 andern Städten zu gleicher Zeit auftreten konnte?

Einzelne wollten an Hexerei glauben.

Sie wurden aber ausgelacht.

Man kam bald dahinter:

Kinematograph und Grammophon hatten so täuschend den alten Herrn in den Ausstellungen imitiert, daß kein einziger Zeitungsberichterstatter die Täuschung bemerkte.

Die armen Berichterstatter wurden nun ebenfalls erbarmungslos ausgelacht.

Der Baron aber sagte zu Ihnen:

»Sehen Sie: warum führen Sie meine Signalstationen nicht ein? Stationen kann man unter keinen Umständen auslachen.«

Die Geschichte hatte leider ein merkwürdiges Nachspiel.

Der Baron verkehrte in vielen Gesellschaften.

Und da geschah das Unglaubliche:

Man sah ihn eines Abends sowohl in München wie in Rom – in Berlin und auch in Stockholm.

Das wurde von glaubwürdigen Personen bestätigt; der Baron wurde der Doppelgängerei beschuldigt und verhaftet.

All sein Leugnen half ihm in Berlin nicht viel.

Er wurde schließlich aus Deutschland ausgewiesen.

»Die Sache geht mir über den Spaß«, sagte er zur Clarissa, »da haben sich ein paar alte Schauspieler einen Scherz geleistet, und ich werde dafür ausgewiesen. Außerdem werde ich jetzt auch ausgelacht. Mögen nun meine Ausstellungen ohne mich arbeiten. Wir ziehen uns schleunigst ins alte Provisorium hinter Milwaukee zurück. Als Erzieher habe ich keine Lorbeeren geerntet.«

»Schadet nichts!« sagte die Gräfin Clarissa, »wenn nur die Glaskultur auch in den andern Erdteilen siegreich ist.«

»Viktoria!« schrie der Baron.

Und damit stiegen sie auf im großen Aeroplan – und der alte Herr sagte über Paris:

»Meinetwegen können auch die Pariser über mich lachen; mir war das Lachen niemals unangenehm, auch wenns nur wie ein Auslachen klang.«

In Europa aber hattens jetzt die alten Herrn sehr schlecht. Man traute keinem alten Herrn mehr. Das Alter und das schneeweiße Haar geriet ganz eklig in Mißkredit.

Immer hieß es:

»Vorsicht! Acht geben, daß der alte Herr nicht als Baron Münchhausen auftritt!«

Man mied die alten Herren. Und diese verwünschten den Baron. Das aber schadete dem in Amerika ganz und gar nicht.


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