Der galante Räuber

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte!


Der galante Räuber

oder  die angenehme Manier

Ein Garten — Scherzo

Aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Immer mutig


Halt! rief der Hauptmann.
Und dreißig blanke Flinten drehten sich der Gesellschaft zu.
Der Herr Graf ließ sein Glas fallen, daß es auf seinem Knie zerschellte und die gelben Stiefel mit Rotwein besprengte.
Sechs Damen fielen aufkreischend in Ohnmacht, die Kavaliere erbleichten und griffen nach ihrem Portemonnaie.
»Nicht so schnell, meine Herren!« sprach der Hauptmann, »Ich‘ verachte Ihr Geld. Sie irren sich in mir. Knoppke, lege den Herren die Handfesseln an. Herr von Rabenwitz wird sich die Ehre geben, die ohnmächtigen Damen mit Arabiens Wohlgerüchen zu besprengen.«
Der Vollmond stieg dunkelrot hinter dem Schwanenteich aus den Fliederbüschen heraus, und die beiden Räuber taten, was ihnen ihr Gebieter, der sicheine gute Cigarre anzündete, befohlen hatte.
Als nun die sechs Damen wied» erwachten, verbeugte sich der große Räuberhauptmann artig wte ein Page und sprach sanft wie eine Taube zur Gräfin: »Meine Gnädigste, wir wollten uns die Ehre geben, Ihnen eine kleine Überraschung zu bereiten. Als Lohn bitte ich nur, mir eine einzige kleine Bitte zu gewähren. Ist sie gewährt?«
Die Gräfin neigte höflich bejahend ihr Haupt, denn sie war doch neugierig.
Und mehrere Räuber verließen die Gesellschaft, bestiegen den großen Kahn und ruderten bis in die Mitte des Schwanenteiches.
Die Gesellschaft, die in einer wild zerklüfteten Felsengrotte unter schwankenden Lampions saß, erholte sich ein bißchen, denn die übrigen Räuber zogen sich mit ihren Flinten hinter die Rosenbüsche zurück. Der Herr Hauptmann nahm auf einem Schaukelstuhle Platz. Lieblich dufteten die Rosen.
So sah man denn erwartungsvoll in den Teich, der vom roten Monde unheimlich erleuchtet wurde.
Da pufft es plötzlich auf dem Teich, und schillernde große Gasblasen — grüne und blaue — steigen langsam in den schwarzen Nachthimmel empor.
Die runden großen Gasblasen zittern, die grünen und blauen Wolkenwirbel im Innern der Blasen ziehen ab, dehnen sich aus, zucken und drängen sich zusammen — und dann platzen die feinen Luftballons — wie Seifenblasen — und dicke sanfte Perlen fallen wie Schnee aus ihnen heraus — langsam in den Teich.
Der Hauptmann bietet der Gräfin den Arm und geht mit ihr ein paar Schritte seitwärts.
Der Graf springt auf, rüttelt an seinen Handfesseln, rollt die Augen und ist wütend für Sechs.
Aber die Gräfin kommt gleich wieder .und lächelt — sie hat allerdings ihr Perlen—Kollier, das einen halben Zentner Gold gekostet hat, nicht mehr bei sich.
Der Graf setzt sich wieder. ‚
Und der Hauptmann wendet sich nun an die Damen, die schwarzes Haar haben (zwei sind’s nur), und feierlich spricht er: »Meine gnädigsten Damen, auch Ihnen wollen wir eine Überraschung bereiten. Sie werden fühlen, daß ich nur ein kleines Andenken möchte — und mir’s nicht abschlagen; — nicht wahr?«
Die Damen nicken hastig, denn sie sind noch neugieriger als die Gräfin.
Und zwei Raketen steigen aus dem Schwanenteich, sie
teilen sich oben in sieben Arme, aus deren umgebogenen Spitzen dicke rote Tropfen, die wie Blutstropfen aussehen, schnell herunterstürzen.
Die schwarzen Damen erschrecken, Herr von Rabenwitz besprengt sie aber mit duftigem Olivenwasser.
Die Schwarzhaarigen ziehen ihre Ringe vom Finger und machen auch die Ohrringe los, geben Alles dem guten Hauptmann, der das Empfangene dankend einsteckt, doch gleichzeitig bemerkt, daß er auch die im schwarzen Haare befindlichen Haarnadeln als Andenken haben möchte. Er bekommt auch diese Haarnadeln, an denen unzählige Rubinen blitzen.
»Wollen Sie nicht«, fragt der Graf, »ein Glas Wein trinken? Leider ist meine Bedienung nicht hier.«
Der Hauptmann lächelt, zuckt mit den Achseln und sagt leise: »Verliebte trinken nicht, Herr Graf! Jetzt kommt die Überraschung für die drei Blonden.«
Und da knattern auch schon drei große Sonnen los —das funkelt und blitzt — das knistert und knackt — das poltert und rumort — wie echte Rebellen.
Die Sonnen drehen sich und schleudern brennende Diamantgarben nach allen Seiten.
Der Hauptmann erhält derweil von den drei Blonden alle Pretiosen, die sie bei sich haben, als Andenken.
Und er küßt den Damen sämtlich zärtlichst die Hand und blickt ihnen ernst und traumsüß ins Auge.
Und dann verschwinden die Räuber — lassen die kleine Gesellschaft wieder allein.
»Das war ja entzückend — brillant!« rufen die Kavaliere, denn ihnen hatte man nichts abgenommen.
Aber die Damen sind ganz verwirrt.
Der Graf ruft polternd: »Nun macht uns mal die Fesseln los. Man muß nicht immer nur verliebt tun.«
Die Damen werden noch verwirrter, tun aber trotz ihrer Verwirrung, wie der Graf gebot. Die Damen sind rot wie Rotwein. Der Vollmond leuchtet Allen hell, ins Angesicht.

ps_152   Die Helden

Immer mutig:


Nachdem ich kurze Zeit gewartet hatte, hörte ich abermals den Trichter sprechen – und zwar in kurzen Absätzen, die ungefähr diesen Wortlaut hatten: »Die allzu guten Menschen sind ebensolche Narren wie die allzu bösen.« »Manche Leute werden bloß deshalb von andern anmaßlich behandelt, damit sich jene das Kopfhängertum abgewöhnen.« »Die Brutalität macht die Brutalisierten immer munter, darum schimpfe man nicht auf die Brutalität.« »Die Komödie des Geldbeutels ist im menschlichen Leben bloß ein Zwischenaktsscherz.« »Gleichheit ist sehr oft Ungerechtigkeit.« »Die Lichtphantome der Moral sind ebenso kompliziert wie alle andern Dinge der Welt.« »Es zeugt von wenig Scharfsinn, wenn man den Göttern flucht.« »Die Moral der Götter ist immer anders als die Moral der Kreaturen. «
Und dann kam Verschiedenes, was ich bei den Nilpferdchen schon hundert Mal gehört hatte. Und dann saß ich wieder dem Lapapi gegenüber – in der großen Bibliothek. Er sprach von den geheimnisvollen Kräften, die überall die Hauptsache hervorbrächten. Und im Laufe des Gesprächs kam auch die nachstehende Geschichte zum Vorschein.


ps_scheerbart_immermutig     Die Güter der Erde  Kraftspaß

  Index Gesamt   –   Erzählungen   –     Meine Tinte ist meine Tinte!   Immer mutig  
 

alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 02-01-2023

image_pdfimage_print