Jenseitsgalerie

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Die mikroskopische Untersuchung der photographischen Platten, die uns von den großen Sternwarten geliefert wurden, zeitigte bekanntlich erst im zwanzigsten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung einige Resultate. Diese sind bislang dem großen Publikum noch nicht zu Gesicht gekommen, da man Mißdeutungen aus dem Wege gehen möchte; es ist zweifellos richtig, daß uns das Mikroskop zuweilen nur Dinge offenbarte, die in der Natur des photographischen Materials begründet liegen. Es ist hier natürlich nicht der Ort, auf diese rein fachmännischen Fragen näher einzugehen. So viel steht aber bereits fest: die photographischen Platten, die von demjenigen Himmelsteile, der sich neben dem Neptun auf allen Seiten in einer merkwürdigen Helligkeit zeigt, aufgenommen wurden, haben unter dem Mikroskop einfach berauschende neue Weltbilder vorgeführt, deren kosmischer Charakter nicht mehr angezweifelt werden darf.
Die zehn vorliegenden Zeichnungen sind Nachbildungen von dem, was wir jenseits der Neptunsbahn entdeckt haben. Diese JenseitsGalerie will uns demnach nur das Jenseits zeigen, das jenseits der Neptunsbahn zu finden ist, vollkommen in unsrer Raumsphäre bleibt und in jeder Beziehung unsrem Sonnensystem angehört. Es handelt sich hier keinenfalls um ein – Jenseits von Raum und Zeit.
Allerdings – von jenem Jenseits, das hinter der Neptunsbahn in unsrem Sonnensystem da ist, geben die zehn vorliegenden Zeichnungen nur einen winzig kleinen Teil; es sind gerade nur die Gestalten herausgegriffen, die eine Gesichtsform besitzen, die der menschlichen ähnlich ist. Eine solche Gesichtsform ist aber das Anormale jenseits der Neptunsbahn; die meisten der dort lebenden kosmischen Gestalten haben eine solche Gesichtsform nicht.
Jedenfalls lehren uns die nun bekannt gewordenen Jenseitsgestalten, daß unsre Sonne nicht nur von kugelrunden Planeten umkreist wird; auch solche Planeten umkreisen unsre Sonne, an denen wir eine große Fülle von gewaltigen Gliedmaßen auch äußerlich entdecken können. Wir müssen demnach annehmen, daß auch die kugelrunden Planeten durchaus selbständig denkende Lebewesen sind, obschon uns ihre Organe nicht sichtbar werden.
Hier liegt die wesentliche Bedeutung der neuen astronomischen Entdeckungen: die großen Gestalten jenseits der Neptunsbahn beweisen uns, daß unser Sonnensystem aus »lebendigen« Gestalten besteht – daß auch alle Planeten Lebewesen höherer Ordnung sind. – Und jetzt werden wir auch nie wieder behaupten dürfen, daß unsre große Sonne nur ein wüstes Konglomerat von glühenden Stoffen ist.
Wenn nun gefragt wird, ob die große Gestalt, die uns Blatt 5 zeigt, von kleineren Lebewesen auf ihrer Oberfläche bevölkert ist, so können wir das wohl für wahrscheinlich erklären – aber eine derartige Frage geht augenblicklich noch viel zu weit. Wir haben zunächst eine Erklärung dafür zu suchen, wie es kommt, daß diese großen neuen Sonnentrabanten aus so vielen kleinen Teilen bestehen, die scheinbar miteinander garnicht zusammenhängen – und doch zusammen ein Ganzes bilden. Wir werden eine derartige Körper struktur aber wohl begreiflich finden, wenn wir sie mit den drei Saturnringen vergleichen, die bekanntlich aus Millionen kleiner Sterne bestehen.
Andrerseits dürfen wir nicht vergessen, daß auch diesseits der Neptunsbahn ungezählte Mengen von Meteoren herumsausen, von denen auch viele zusammen einen organischen Körper bilden dürften. Daß wir diese diesseits der Neptunsbahn befindlichen Meteorlebewesen noch nicht entdeckt haben, liegt an der Unvollkommenheit unsrer astronomischen Instrumente einerseits und andrerseits daran, daß der Himmelsraum zwischen Neptunsbahn und Sonne bisher noch nicht weiter nach solchen Meteorlebewesen durchsucht worden ist.
Wie weit die neuen Planeten jenseits der Neptunsbahn von der Sonne entfernt sind, können wir heute noch nicht angeben: daß sie aber nicht viel weiter vom Neptun entfernt sind, als der Neptun von der Sonne entfernt ist, das wissen wir bereits.
Blatt 3,4, 6, 9 zeigen sehr viele kometenartige Gliedmaßen, und diese sehen so aus, als könnten sie sich leicht von dem Hauptkörper loslösen. Diese Loslösbarkeit legt uns den Gedanken nahe, daß die sämtlichen Kometen, die wir vom Stern Erde aus entdeckt haben, Teilwesen sein könnten, die sich von jenen Lebewesen hinter der Neptunsbahn losgelöst haben. Diese Hypothese ist durchaus ernst‘ zu nehmen, da wir bekanntlich noch keinen einzigen Kometen jenseits der Jupitersbahn in unsren Teleskopen zu Gesicht bekommen haben. Es würde
durch diese Hypothese auch die ungeheure Anzahl der Kometen erklärt sein, die ja nach Kepler im Weltenoceane so zahlreich sind wie die Fische im Meer.
Wir müssen es uns versagen, den neuen, hinter der Neptunsbahn entdeckten Gestalten gegenüber weitere Erklärungsversuche entgegenzubringen; wir müssen uns erst langsam mit dem Neuen vertraut zu machen suchen; das fabelhaft großartige Leben, das jetzt für unsere Augen in unsrem Sonnensystem sichtbar zu werden beginnt, ist so gewaltig, daß zunächst ein längeres Schweigen der Be
Die Dimensionen der in diesen zehn Blättern vorgeführten Gestalten sind sehr große; die Gestalt in Blatt 7 scheint die Größe des Jupiters um ein Beträchtliches zu überragen.
Diese zehn Blätter dürfen naturgemäß nicht nach reinästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden, da diese ja nur irdischen Daseinserscheinungen ihre Entstehung zu verdanken haben.
Wohl ist es verständlich, warum die wissenschaftliche Welt mit der Publikation dieser neuesten Entdeckungen zögert; sie berühren ja alles das, was man so lange dem Astronomen glaubte, so heftig, daß man diese zögernde Haltung der Gelehrten eigentlich nur billigen kann.
Der Künstler aber hat es glücklicher Weise nicht nötig, zögernd zurückzubleiben – wenn auch Einzelheiten späterhin einer kleinen Korrektur bedürfen sollten.

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Revision 30-12-2022

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