Die Phantastik in der Malerei

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Die Phantastik in der Malerei

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Der Realismus der Theorie, dem durch die Wiedergabe der äußeren Erscheinungswelt vollkommen Genüge gethan, glaubt vielfach die Phantastik verdammen und bekämpfen zu müssen. Schon die Neigung zur Phantastik will er zurückweisen. Denn da Niemand behaupten kann, daß die Welt der Erscheinungen durch Phantasiethätigkeit zu vergrößern ist, da es Axiom geworden, daß auch die tollste Phantasterei nur eine Composition der von der Außenwelt empfangenen Sinneseindrücke sein kann und daß sich keine noch so große Phantasiekraft über die letzteren auch nur um Haaresbreite zu erheben vermag, – so scheint sich ihm die Verachtung der Phantastik wie etwas Selbstverständliches zu ergeben.
Unter den abstrakten Gedankenketten giebt es ja nun allerdings so manche, die für ewig unzerreißbar gelten dürfen und die dennoch nichts taugen, für die menschliche Existenz nicht den geringsten Werth besitzen. Es sei hier nur an den philosophischen Skepticismus eines Berkeley erinnert – er ist unwiderleglich; von consequentester Durchbildung der Anschauungsart, – indessen was nützt es uns, wenn wir wissen, daß Welt und Ich eben so viel Existenzberechtigung und Daseinskraft besitzen wie eine wirre Traumerscheinung: wir leben im sogenannten Leben doch nicht unsrer philosophischen Überzeugung gemäß. Wir lassen die unwiderleglichen Theorien in der Ecke liegen und thun so, als hätten wir uns nie mit ihnen abgequält. Sollte es uns mit jenen Theorien des einseitigen Realismus nicht bald ähnlich ergehen? Es ist unwiderleglich, daß wir die Welt der Erscheinungen durch Phantasiethätigkeit nicht zu vergrößern im Stande sind, daß eine Komposition aus den bekannten Sinneseindrücken niemals mehr bieten kann, als ein einzelner Sinneseindruck in seiner vollen Fülle und Frische. Diese Erkenntnis nützt uns aber sehr wenig, denn jeder Künstler wird sich beim Erschaffen seiner Kunstwerke zumeist doch immer wieder auf seine Phantasie stützen und verlassen. So wie die Philosophie keine Kraft besitzt, wenn sie das ethische Leben eines Menschen verändern oder verbessern soll, so weiß sich auch die Kunstphilosophie dem wilden Schaffensdrange des Künstlers gegenüber selten oder niemals eine bemerkbare Stellung zu erringen.
Vom Werthe der associativen Vorstellungen hätte der Fanatiker gegen die Phantasie vollends nie etwas verlauten lassen dürfen; es läßt sich nämlich nicht läugnen, daß die associativen Vorstellungen von der Erfassung des einzelnen Eindrucks mehr ablenken als zu ihr beitragen; so natürlich es ist, daß ich den einzelnen Eindruck nur auffassen kann, wenn ich ihn einem anderen gegenüberstelle, so haben doch bislang die Vergleiche zumeist die associirte Vorstellung in den Vordergrund gedrückt; dadurch gelangt aber der einzelne, zur Darstellung bestimmte Sinneseindruck vermindert zur Geltung.
Ob nun also die Phantastik berechtigt ist oder nicht: unabhängig von gewissen ästhetischen Überzeugungen müssen wir ihr Dasein konstatiren. Speziell in der deutschen Malerei ist diese Phantastik nicht zu tödten, sie lebt immer länger in lustigster, witzsprühender Laune dahin – unbekümmert ob sie anerkannt wird ober nicht. Da ihr Dasein jetzt bisweilen in theoretischer Absicht übersehen wird, so ist es vielleicht geboten, gerade eine Betrachtung der phantastischen Erzeugnisse der Malerei zum Thema zu wählen. Die denkbaren Ziele der Phantastik, die zugleich neue Runstziele sind, dürften hierbei in erster Reihe Interesse erregen. Vielleicht kommt man schließlich zu der Überzeugung, daß der ästhetische Staub doch die Phantastik zaghaft gemacht, daß durch diese Zaghaftigkeit manches formscheue keckoriginale Kunstwerk im Entstehen verhindert wurde und daß es Zeit sei, auch hier einmal ästhetischen Staub abzuschütteln, damit die Kunst selbst nicht erstickt werde.
Betrachten wir demgemäß ganz unabhängig von Kunstphilosophie und Kunstwissenschaft die phantastischen Gemälde, so fällt unser Auge vielleicht zuerst auf die gemalten Geistererscheinungen. Daß aber bei deren Reproducirung eine besondere Phantasiethätigkeit notwendig gewesen, ist gemeinhin nicht einzusehen. Wir haben in den Geistererscheinungen ganz im Gegentheil rein realistische Intentionen zu vermerken. Die bekannten Themen aus der Religionsgeschichte, zu der die Maler der vielen Vorbilder wegen immer wieder zurückgelenkt werden, sind ohne eigentlich Geisterwelt garnicht darstellbar. Da ist es sonach nicht verwunderlich, wenn auf letztere großer Wert gelegt wird, wenn man mit Aufbietung aller associativer Mittel einen übersinnlichen Eindruck erzeugen möchte. Diese neuen religiösen Bilder sind neu und höchst pikant, indeß Phantastik ist bei der Behandlung der alten sogenannten idealistischen Motive am allerwenigsten zu bemerken. Anders wäre es schon, wenn unheimliche Doppelgänger, Hoffmann’sche Spukgeister und Verwandtes gemalt würden.
Doch die ganze Geisterwelt hat für die Phantastik wenig Werth, ist sie doch nur durch ein paar glückliche Handgriffe in die Erscheinung zu zwingen. Die Phantasiethätigkeit spielt beim Geistmalen eigentlich eine nebensächliche Rolle. Der Geist wird dadurch nicht glaubhafter, daß er neue Formen zeigt, gemeinhin kann er nur als Lichtgestalt sein Dasein andeuten.
Suchen wir nach den wirklichen Gestalten der Phantasie, so haben wir zunächst eine lange Serie phantastischer Wesen zu bemerken, die sämmtlich der griechischen Mythologie ihr Dasein verdanken. Arnold Böcklin hat uns die Centauren und Satyre, die Fischmenschen und Eroten so lebhaft und eindringlich geschildert, daß uns dieselben jetzt ebenso geläufige Vorstellungen sind, wie die einfachen, nichtkomponirten Lebewesen. Zwar hatten die rationalistischen Griechen bereits so viel anthropomorphischen Gehalt ihren Fabelgestalten eingehaucht, daß die Vollendung der Anthropomorphisirung durch Böcklin ein natürlicher Ausbau der antiken Gedanken scheint. Diesen aber zur Ausführung gebracht zu haben, ist die kulturhistorisch entscheidende künstlerische That Böcklins gewesen.

Mit ihr ist der Grund gelegt zu allen weiteren Arbeiten der phantastischen Malerei. Die Phantastik hat in erster Reihe nach voller Ausgestaltung ihrer Ideen zu ringen, und es genügt durchaus nicht, wenn man der Phantasie Spielraum gönnt nach Art altdeutscher Meister, etwa Lukas Cranach’s. Den neuen Gestalten muß ein uns Menschen natürliches und denkbares Leben eingehaucht werden: ein dicker Kopf, der ohne Rumpf nur von zwei kleinen Beinen getragen wird, scheint uns noch durchaus nicht lebensfähig, wenn nicht besondere Züge das Unnatürliche natürlich werden lassen.

Hier beginnt also eigentlich erst die Thätigkeit des Phantasten. Entweder lehnt er sich bei Ausgestaltung seiner Phantasiewesen an die in der Mythologie vorliegenden Motive an oder er schafft ohne Rücksicht auf vorgedachte Gedanken. Gnom und Elfe und die andern Dinge, die aus der germanischen Sagenwelt in unsere Malerei gekommen sind, dürften kaum noch sehr viel brauchbare Momente beisteuern. Aber im Hellenentum sind noch immer genug Probleme zu lösen; die Sirenen könnten im spezielleren reizen; und dann bietet die altorientalische Götterwelt eine solche Fülle von Aufgaben, daß der Phantast eher zu viel als zu wenig zu thun haben dürfte. Die Anthropomorphisirung ibisköpfiger ägyptischer Gottgestalten vorzunehmen, das ist allerdings ein Ziel, das nicht so rasch erreicht werden kann. Ob es aber nicht erstrebenswerth ist, das wäre die andere Frage.

Goethe konnte die vielarmigen und vielköpfigen Götter der Inder nicht leiden. Ob diese ein Künstler der Neuzeit nicht mundgerecht zu machen im Stande wäre? Das scheinbar Gestaltlose zu gestalten, das ist die Aufgabe. Die Dschinnen der arabischen Wüste sind auch noch nicht gemalt, der Demawand, der orientalische Brocken, auf dem sämmtliche Geister der altorientalischen Welt zusammen kamen, müßte einen ganz besonderen Darstellungsstoff abgeben. Hier hätte die Phantastik Aufgaben über Aufgaben zu lösen.

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Die eine Seite der Zukunftsphantastik ist mit dem Angedeuteten genügend charakterisirt.

Wenden wir uns jetzt der Komposition zu, ejner Art von Komposition, die gänzlich frei von vorgedachten Gedanken ist. Der Maler nimmt einfach einen Fisch, eine Schnecke und einen Schmetterling und bildet aus diesen drei Wesen ein neues Fabeltier. Die Renaissancezeit hat nach dieser Richtung schon manches geleistet, allerdings gewöhnlich nur auf ornamentalem Gebiete. Einleuchten muß aber, daß die Welt der Erscheinungen in Kurzem tausend Mal reicher an Wesen und Lebegebilden scheinen muß. Der Künstler greift eben kühn und ohne viel zu wählen in das Tier und Pflanzenreich hinein und komponirt die heterogensten Stücke zu neuen Geschöpfen um, denen er dann ein apartes Leben, besondere Schicksale mit wunderlichen Genrescenen, ablauschen darf. Wenn nach dieser Richtung vorläufig die abstruse Geschmacklosigkeit Mode werden sollte, so dürfte man nicht zu laut lachen, denn die neuen Aufgaben der Phantastik mit Geschmack zu lösen, das ist selbstverständlich ein ungemein schwieriges Ding, wir müssen uns auch die Übergangsstadien gefallen lassen; selbst Böcklin war bekanntlich anfänglich auch nicht immer ein Meister in Geschmackssachen. Daß den Deutschen so häufig Mangel an Geschmack vorgeworfen ist, datirt wohl hauptsächlich von ihrer Neigung zur Phantastik her.

Hiermit wäre die Phantastik nach der Formseite hin in ihrem Wesen charakterisirt. Von formloser Willkür darf dabei selbstverständlich nicht gesprochen werden. Wir wollen nicht befürchten, daß Jemand die vorgezeichneten Wege als Irrgänge oder Mißgeburten bezeichne. Das ist ja eben Aufgabe des einzelnen Künstlers: den Gedanken an eine Mißgeburt sorgfältig zu ersticken. Wir haben nur noch nachzutragen, daß auch die Plastik von der Phantastik beeinflußt werden wird, daß speziell das Phantasietier eines der dankbarsten Stoffe für den Bildhauer sein muß. Der Bildhauer August Sommer hat bereits eine treffliche Sirene in Bronce geliefert, die als Illustration zu dem Gesagten gelten darf. Nicht ein Vogelleib mit Geierkrallen ist bei ihm mit einem Frauenkopfe geziert, sondern ein Löwenleib verbindet sich mit dem halben Oberkörper einer Frau und zwei mächtige Flügel sind den Schultern entwachsen. Fliegend ähnelt das Gebilde einem Schmetterling und liegend sucht es an Geschmack seines Gleichen. Einer ähnlichen Ausgestaltung ist jedoch jedes Wesen aus der Götterwelt, jedes Gebilde der freien Phantasie fähig. Und durch derartige Ausgestaltung empfangen wir eine Bereicherung unserer Kunstsammlungen. Den absoluten Wert, die absolute Neuheit darf man ja füglich in Zweifel ziehen, relativ neue Werke wird aber auch der größte Feind der Phantastik hier schließlich erblicken müssen.

Nach Behandlung der phantastischen Form habe ich nun aber die Malerei noch ganz besonders zu treffen. Ich habe über die phantastische Farbe zu sprechen, und gleich im Voraus stelle ich fest, daß noch dieser Richtung noch herzlich wenig geschehen ist. Den braven Phantasten hat es beständig an Mut gefehlt, sie wollten keine Opfer der Lächerlichkeit sein, ihnen war das Lachen der Unverständigen mehr Leitstern als das entzückte Lächeln des Verständigen. Schon häufiger ist es den Leuten langweilig geworden, die Bäume ständig grün und den Himmel blau zu sehen. Die Kunst ist frei, und es ist kein Verbrechen sondern eher ihre Pflicht und Schuldigkeit, wenn sie von ihrer Freiheit den ausgiebigsten Gebrauch macht. Man male doch einmal ein schimmerndes weißes Silberland, über das sich ein tiefer smaragdgrüner Himmel wölbt. Hier ist der Altmeister der modernen deutschen Malerei, Arnold Böcklin, ebenfalls bahnbrechend aufgetreten. Seine Farbengebung ist freier als die aller anderen Maler; allerdings wird ihm wohl die Loslösung von allen konventionellen Schranken eher absurd als vernünftig dünken. Selbstverständlich verzichtet der Maler durch eine bewußt unnatürliche Farbengebung auf lange Reihen assoziativer Vorstellungen, mit denen sich sonst so mühelos wirken läßt. Dafür ist aber auch der neue Effekt von packender Sonderbarkeit, und der ästhetische Staub scheint die Phantasten wirklich zaghaft gemacht zu haben, sonst hätten sie schon längst mit ernster Miene ein blaues Feld von rötlichen Bäumen umsäumt gemalt, die ihre schwankenden geröteten Gipfel in einem gelben Himmel wiegen. Ein derartiges Gemälde müßte man allerdings als eine mutige That bezeichnen, denn die Neider würden den Erfolg durch schamlose Effekthascherei motivieren und die künstlerische Absicht leugnen. Von dem momentanen Effekt aber hängt der künstlerische Erfolg nicht ab, das phantastische Bild hat genau so viel Fülle aufzuweisen wie das realistische, wenn es als Kunstwerk bestehen soll.
Indessen, wozu noch weiter der kekken Farbenphantastik das Wort reden? Der Maler selbst kann hier nur die Bahn brechen. Böcklin hat zum ersten Male mit rücksichtslosester Wucht die reine Bedeutung der Farbe malerisch gepredigt, in seinen Spuren weiter wandelnd müssen die Zukunftsphantasten auch schließlich zur gänzlichen Befreiung von der konventionellen natürlichen Farbengebung gelangen. Dann allerdings werden wir so manchen Hexensabbat erleben, der mit seiner tollen Spukgewalt, mit seinen Farbenorgien und Lichteffekten, mit seinen Wundergestalten und allen überirdischen Reizen Orient und Occident zu blenden wissen wird. Hier liegen aber bei Leibe nicht müßige Scherze, sondern mit der Skizzirung dieser phantastischen Richtung in der Malerei will eine tiefernste künstlerische Grundstrebung wiedergegeben sein. Irre ich nicht,so bedarf es an manchen Stellen nur des ermutigenden Wortes – und schon eine unserer nächsten Ausstellungen ist durch die Phantastik in der Malerei charakterisiert.
Die Phantastik hat, um das zu wiederholen, in der Kunst eigentlich keine Stellung, die durch ein strenges ästhetisches Gewissen freundlich eingeräumt werden
könnte. Und doch führt vielleicht grade diese Kunst, die das ästhetische Gängelband mit Füßen getreten, zu ganz neuen Pfaden, zu solchen, von denen die Kunstphilosophie niemals etwas geahnt. Und wenn diese Prophezeihung statthaft ist, wer weiß ob wir nicht grade vielleicht in der Phantastik eine spezifisch deutsche Kunst begrüßen dürfen!

 


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