Moderne Götter

Paul Scheerbart

Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Moderne Götter

Telepathisches Capriccio

aus:  „Ja..was.. möchten wir nicht Alles!

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„Weiter! Weiter! Weiter!“ So ruft der Steuermann durch die laue Nacht, in der es unablässig weiter geht… doch es geht nicht dorthin weiter, wohin der Steuermann weiter will.
Ein Luftschiff schwebt durch den Himmel, es führt aber nicht zu den Sternen hinauf, es kreist immer nur um den Erdball herum und zwar so, daß es niemals von der Sonne beschienen werden kann. Die Wesen, die auf dem Luftschiff fahren, können kein stärkeres Licht vertragen, sie freuen sich nur am milden Mondenglanz… sie leben nur in stiller Verborgenheit
Aber dem Steuermann ist es zu finster in der Nacht, die nur von Mond und Sternen erleuchtet wird… er will loskommen von der Finsternis…er will hineinsegeln in die Strahlen der Sonne. –
Forschend schaute der greise Steuermann zu dem langen Ballon hinauf, der wie eine Schlauchschlange hoch über dem länglichen Schiffe schwebte. Der Schlauch endete vorn in einen Rüssel, der sich fortwährend umherwand. Und der Alte, der das ganze Schiff steuerte, lenkte zugleich den Rüssel des Schlauches. Wie ein Fühlhorn tastete dessen Spitze vorn in den Lüften umher; bald krümmte sich der graue Luftrüssel ganz nach hinten zurück, bald stieß er hastig nach den Seiten oder nach oben, oder er reckte sich steif gradaus… es war, als sollte die Rüsselspitze die Winde prüfen, als wollte das Schiff den Wolken ausweichen.
Götter waren es, die auf dem langgestreckten Luftschiffe dahinfuhren, Götter, die durch die Allmacht ihrer Hirnkraft, durch die überwältigende Wucht ihrer Gedanken die Köpfe der auf der Erde wandelnden Menschen beherrschten,. .. die Handlungen der Menschen nach göttlichem Willen lenkten und ihre Taten und Werke von oben herab erzeugten.
Mit lustigen Sprüngen pfeifend und zwitschernd kommt der Mundschenk der Götter auf das Hinterdeck gerannt. Schon von ferne schreit er: „Alter, Alter! Kannst Du mich nicht steuern? Ich bin ja berauscht, siehst Du das denn garnicht?“… Der Alte brummt
Das Schiff saust dahin, als wenn’s Eile hätte. Die Wolken sinken in die Tiefe. Die dünne Mondsichel leuchtet nur spärlich.
„Lärme nicht so! Setze Dich hier an meine Seite! Es ist nicht gut, wenn der Mundschenk so viel trinkt Du bist noch viel zu klein.“
„Holla, Du Schlemmer, Du willst wohl trinken. Hier, nimm‘ meine Flasche… gib mir die Ruderleinen und trinke! So… so!… Wie Du heute wieder trinken kannst!“
„Sei nicht so unverschämt, Bengel!“
Nachdem der Alte noch einmal getrunken, sagt er zum Knaben: „Es wird Dir wohl auch allmählich zu finster bei uns. Hast Du schon einmal die Sonne gesehen?“ „Nein, wie sieht die denn aus?“
„Denke Dir den Mond ganz voll und denk ihn Dir immer heller und heller, so blendend und glänzend, daß Dir die Augen schmerzen, daß die Sterne verlöschen vor dem strahlenden Licht, daß die Wolken ganz weiß werden… und die Erde leuchtet! Denke Dir alles Licht der Welt zusammen und Alles ganz bunt und frisch – weißt Du nun schon, wie es sein könnte? Rote, gelbe, grüne Farben denke Dir ganz hell, als wären sie von dem Götterlicht erleuchtet!“
Der Alte zieht an einem Draht, und an der Spitze des Schiffes blitzt das Götterlichtauf… wie eine Strahlenkerze… mittendrin ein weißglühender Glanzkern, der das ganze Schiff viel heller als Mondlicht bescheint
Die Götterbarke war ein stattlicher Luftsegler. Neben den Bordflanken des langen Kahnes schaukelten viele kleine Gondeln, in denen die Götter bei ihrer Arbeit saßen.

Das Schiff musste jetzt an einem hohen schneebedeckten Gebirgskegel vorbeigesteuert werden. Der Steuermann griff somit wieder zu seinen Drähten und Tauleinen, riß den grauen Rüsselschlauch zur Seite und spannte die braunen Segel auf, die sich unter dem Schiffe befanden – eine Verlängerung des Barkenkieles waren. Wie mächtige Fischflossen staken die vielen Segel unter dem Luftkahn, sie bewegten sich nun heftig und warfen das Fahrzeug zur Seite. Der Mundschenk wunderte sich wieder über die Kraft der großen Segelflossen; er konnte nie begreifen, wie das Schiff mit diesen Segeln gesteuert werden konnte… jedoch darüber dachte er jetzt nicht weiter nach, denn etwas Andres nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
Beim Scheine des Götterlichtes war das kleine Waschmädchen auf das Verdeck gestiegen und hatte sehr eifrig begonnen, den feingefugten Dielenboden blank zu scheuern. Sie beeilte sich nach Kräften, da sie die Sessel und Tische noch zu putzen hatte; wieder war so viel Meteorstaub auf das hellgelbe Holz gefallen, daß das arme Mädchen recht seufzen mußte über die Arbeit „Wenn ich schon die Sternschnuppen seh‘, so wird mir schon immer das Herz schwer, denn dieser Meteorstaub ist ja ganz entsetzlich.“ Dabei scheuerte das Waschmädchen der Götter noch heftiger die Dielen, denn sie sah wohl ein, daß durch das bloße Seufzen nichts gebessert würde. Der Mundschenk sah zu… Während dessen ärgerte sich der Alte, daß der Knabe vorhin gar keine Antwort gegeben hatte.
„Meinst Du denn, alte Leute reden zum Spaße mit solchem Knirps, wie Du einer bist? Kannst Du Dir nun schon einen Begriff machen, wie das / Sonnenlicht wirkt? Nein?“
„Ach so, bester Steuervater, werde nicht gleich so böse. Sieh nur, ich dachte, Du müßtest noch immer steuern, und daher schwieg ich, um Dich nicht zu stören.“
„Ich kenne Dich schon, Du hast nur nach dem Waschmädel geschaut“
„Meinst Du? Jetzt muß ich Dir aber zuerst antworten… Jawohl, ich kann mir einen sonnenklaren Begriff vom Sonnenlicht machen… so klar ist mir’s, daß mir die Augen schmerzen. Du, weißt Du, fahr‘ doch nach der Sonne hin… so gern möcht ich sie einmal sehen. Bitte, tu‘ mir den Gefallen, Du kannst auch diese volle Rasche ganz allein austrinken.“
Da schmunzelte der Alte, nahm die Flasche und trank, dann aber sprach er bedächtig und traurig:
„Die Götter wollen doch nun einmal nicht zur Sonne fahren. Wie soll ich sie dazu überreden?“
Die letzten Worte hatte das Waschmädchen gehört, sie hielt in ihrer Arbeit inne, blickte rasch auf, strich sich die Locken aus der Stirn und meinte hastig: „Warum könnt Dir denn nicht auch ‚mal die Götter beeinflussen? Wenn die da in ihren Gondeln alle Menschen beeinflussen und ihnen immerwährend die neuen Gedanken eintrichtern, dann könnt Ihr doch auch ‚mal die Götter lenken. Ich dachte schon lange daran, ‚mal die Sonne zu sehen.“ Und das Mädchen putzte weiter die Dielen – eifrig – in Hast, denn bald mußten die Götter ihre Gondeln verlassen und aufs Verdeck steigen, da sollte dann immer Alles rein sein.
„Du, Alter, hast Du gehört, was die Kleine sagte? Hm? Ja? Na, wollen wir den Göttern den Kopf verdrehen? Du, das wird ein Spaß.“ Und der Mundschenk lachte, das Waschmädel kicherte, der alte Luftfahrer strich sich den Bart und sann nach. , /
„Wie wollt Ihr das nur anstellen?“ fragte der Alte nach einer Weile. Das Waschmädel richtete ’sich danach erregt auf und flüsterte, mit den Händen herumfuchtelnd, dem Mundschenk etwas leise vertraulich in’s Ohr, bis der Schlingel zustimmend und verschmitzt lachend mit dem Kopfe nickte. Der Alte lenkte das Schiff.
Währenddem kletterten die Götter aus ihren Gondeln heraus an Bord. Das Waschmädel lief nach unten in die Küche, der Mundschenk schritt mit würdevollen Bewegungen den Göttern entgegen und verneigte sich vor ihnen… das Haupt bis an die blank gescheuerten Dielen niedersenkend.
Hiernach begrüßten sich die Götter gegenseitig, indem sie sich feierlich freundlich die Hände schüttelten und einander lebhaft fragten:
„Wie geht’s?“ „Gut, sehr gut, vortrefflich“, lautete die Antwort. Nach dieser Begrüßung setzten sich die Herren auf die bereit stehenden Sessel an die verschiedenen Tische. Das Götterlicht glänzte vorn so niedrig, daß die Tischplatten sämtlich im Schatten lagen, doch die goldenen Zackenkronen der Götter funkelten sehr prächtig, und die würdevolle Ruhe der großen Gestalten wirkte fast ergreifend vornehm.
Der Büßergott, der Denkergott und der Kriegsgott – diese drei saßen ganz vorn in nächster Nähe des großen Barkenlichtes. Der Erste sagte:
„Wir Drei sind die Götter der Zukunft.“ Der Zweite wiederholte diese Worte, der Dritte gleichfalls. „Unser Einfluß wird immer größer“, meinten sodann die Drei bestimmt und einstimmig.
Der kleine Mundschenk ging von Gott zu Gott, füllte Jedem die hohen Gläser und betrachtete voll Ehrfurcht die roten Gewänder der Götter. Diesem und jenem rückte der Kleine die goldene Zackenkrone zurecht.
Rund um den runden Mitteltisch haben sich die drei Traumgötter mit den drei Göttern der Nüchternheit niedergelassen. Diese Sechs wollen einen Bund schließen, doch sie werden noch immer nicht einig. Obschon sie wissen, daß sie nicht zusammen passen, bleiben sie doch eng befreundet, da ihnen der Unterhaltungsstoff niemals ausgeht. Sie glauben, daß ihnen die Gegenwart gehört.

An den übrigen Tischen sitzen im erregten Kampfeshader die Götter der Dichter und Künstler… sie sind sämtlich mit einander verfeindet, und jede Zusammenkunft endet stürmisch. Einer dieser Götter lacht fortwährend, und Einer sieht sehr gleichgültig aus, er schweigt viel – doch gräßlich grob sind die Schweigenden.
Der hagerste Gott entwickelt gewöhnlich die kühnsten Pläne – tolle Dichtungen, bei denen dem Leser ganz wirr im Kopf wird, die liebt er am meisten.
Die mit den langen Bärten wollen das Reizvolle, die Bartlosen das Sinnvolle in Kunst und Dichtung bevorzugt wissen – jene sind mehr sinnlich, diese mehr Denker und kühl. Auch unter diesen beiden Göttergattungen herrscht niemals Einigkeit.
Die Dichterfreunde pflegen sich zu ärgern, wenn der Mundschenk nicht rasch genug die Kanne schleppt… sie freuen sich nur mit den Künstlerfreunden zusammen, wenn der Wahrheitsgott gefoppt wird. Dieser Gott – der sich nur noch unter den Dichtern halten kann – ist schon seit langer Zeit die Zielscheibe blutiger Witze, doch das hat sein Selbstbewußtsein nicht erschüttert. Er trinkt kräftig, denkt einfach und redet immer dasselbe… stets sieht er gesund aus.
Zutraulich plaudern die Geheimnisvollen mit den Tiefsinnigen… doch das hat nichts zu bedeuten. Die Begehrlichen zanken sich dicht daneben recht eifrig mit den Willensmüden.
Große Achtung haben sich die Geisterfreunde zu erwerben gewußt. Das sind die Götter mit den größten Augen.
Alle diese Köpfe gehören den Göttern der Künstler und Dichter, sie haben sich zu einem Bunde vereint… dieser Bund beherrscht das ganze Schiff, denn derselbe besitzt dreimal mehr Mitglieder als alle übrigen Götter zusammen.


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Jetzt steigt der kleine Schenk mitgemessenem Schritt auf das erhöhte Hinterdeck, wo einsam und selbstbewußt die Baugötter thronen, sie trinken und reden wenig… sie haben viel zu tun – die Kunst der Baumeister beherrscht noch nicht die anderen Künste. Bald wird sie aber herrschen, und dann sind die Baugötter die Herrscher der Welt – also denken diese Stolzen. Wie sich der Mundschenk ihnen so ehrfürchtig naht, da hoffen sie grade wieder auf einen großen Sieg. Vor ihren Blicken steht klar und groß die Kunst der Zukunft, in der Jedem in den herrlichsten Bauwerken die wahre Heimat geschaffen werden soll, die Jedem gestattet, nichts Anderes zu tun als rein und ungestört zu denken, zu empfinden und zu fühlen. Doch die Baugötter gehören nicht zum großen Künstlerbunde.
Es entsteht ein Gedränge, die Stimmen der Götter schallen plötzlich lärmend durch die Nachtluft… Die Götterbotenwerden in Gondeln aus der Tiefe zur Barke emporgezogen.
Jeder Gott stürzt auf seine Boten zu, des Fragens und Scheltens ist kein Ende. Jeder will wissen, ob sein Einfluß auf dem Erdball erstarkt sei, ob die Gedanken der Götter auch ordentlich von den Menschen nachgedacht werden, ob man auch wirklich nach göttlichem Willen lebt und strebt. Große Freude herrscht dort oben, wenn die Menschen fein fromm sind; doch auch Klagen ertönen auf dem göttlichen Luftschiff.
Klagend und händeringend rennen die Staatsgötter umher. Traurig schütteln die Wissenschaftsgötter ihr gekröntes Haupt. Sowohl diese wie die ersteren fühlen zu ihrem Entsetzen, daß ihre Macht geschwächt ist, daß sie nicht mehr das Zepter halten können wie einst, daß sie der Verzweiflung nahe sind; ihre Kraft ist erschöpft, und der Mundschenk muß ihnen immer mehr Wein in die großen Gläser füllen, worüber der Kleine sich freut wie ein Dieb… vergnügt reibt er sich die Hände, wenn ihn die alten Grauköpfe nicht sehen.
Die Staatsgötter sind Greise, die Wissenschaftsgötter klagen auch schon über graue Haare, müde Augen und zitternde Hände.
Nur Einer geht stolz im wehenden roten Mantel umher, nur Einer ist vollständig durch seine Boten zufrieden gestellt – das ist der Gott der Freiheit – er ist groß und breit wie ein Riese.
„Allmählich“, ruft er lachend, „kommen alle Menschen zu der Überzeugung, daß man am besten tut, wenn man Alles so gehen und laufen läßt, wie es eben gehen und laufen will. Die Menschen brauchen keinen Staat und sie brauchen keine Wissenschaft und Kunst, wenn sie nur leben können, wie’s ihnen gefällt. Ich bin der größte Gott! Es lebe die Bedürfnislosigkeit und es lebe die Freiheit!“
Der Büßergott drückt dem Redner ernst die Hand, der Kriegsgott klopft ihm froh auf die Schulter, und dem Denkergott blitzen die Augen auf in teuflischer Lust, und er brummt dabei:
„Das ist ein Sieg der Denker, nicht Dein Sieg, Du alter Freiheitsvater!“
Die Boten empfangen ihre Aufträge, trinken noch schnell einige Weinkannen aus und springen dann wieder in ihre Gondeln, in denen sie rasch zur Erde hinabschaukeln. ^
Die Götter klettern auch wieder in ihre Gondeln, ergreifen dort ihre silbernen Fäden und beginnen von neuem ihre Gedanken und ihren Willen den Menschen einzuflößen… sie bieten wiederum ihre ganze Nervenkraft auf.
Die Arbeit der Götter ist schwerer als Steine klopfen.
Aus den einzelnen Göttergondeln hängen lange Büschel silberner Fäden bis auf die Erde hernieder. Diese feineingesponnenen Fäden schleifen den Erdboden; dadurch teilen sich die Gedanken der Götter, die diese Fäden oben in den Händen haben, der Erde mit, und von der Erde steigen die Gedanken in die Köpfe der Menschen – jeder Gedanke, jede Vorstellung erzeugt eine bestimmte Nervenbewegung, eine bestimmte Bewegung des ganzen Körpers; diese Bewegung teilt sich eben durch die Fäden den Menschen unten mit, und die Menschen empfangen sonach wieder dieselben Vorstellungen, durch welche die Bewegung veranlaßt war… so denken die Götter den Menschen die Gedanken vor – die kräftigsten Gedanken werden natürlich •am leichtesten auf die Erdbewohner übertragen.
Und der Mundschenk hatte zum Freiheitsgotte so im Vorübergehen flüsternd gesagt: „Weißt Du, ich find’s recht langweilig, daß Ihr immerfort die Menschen regieren wollt Fahrt doch mal in die Welt hinaus zur Sonne oder sonst wo hin. Laßt doch die Menschen denken und tun, was sie wollen – das willst Du doch auch so. Möchtest Du nicht einmal zur Sonne fahren? Der Steuermann tut’s sehr gern, wenn wir’s ihm sagen.“ Da hat der Gott herzlich über den Kleinen gelacht und ihm herzlich zugeraunt: „Du machst mir Spaß.“ Darauf gingen aber gleich die Götter über Bord und begannen wieder zu arbeiten wie sonst
Als nun das Verdeck wieder ganz vereinsamt ist, da schleicht das Waschmädchen vorsichtig aus der Luke heraus, pfeift leise den kleinen Schenken heran und flüstert ihm was in’s Ohr. Hierauf klettern beide an den Tauen, mit denen das Schiff an den grauen Rüsselschlauch gebunden ist, nach oben… jeder von einer anderen Seite. Wie sie oben auf dem Schlauche sind, sehen sie sich wieder und nicken sich kichernd zu. Sie kommen sich so nahe, daß sie mit dem Kopfe zusammenstoßen und liegen nun auf dem Bauch da – ganz ruhig. Sie greifen die silbernen Fäden, die sämtlich oben zusammenlaufen, fassen sie fest an, und dann rufen sie: „Jetzt!“
Während sie da so liegen, denken sie mit all er Kraft, und sie denken nichts weiter als „Licht, Licht, Sonnenlicht!“ Bald merken das die Götter, sie werden in ihrer Arbeit gestört, sie werden beeinflußt von ihrem Waschmädchen und „ihrem Mundschenk, die höher denken als die da unten in ihren Gondeln. Schließlich rufen die Götter heftig „Licht! Licht!“ Und da der Steuermann das vordem ausgelöschte Barkenlicht nicht wieder anzündet, so klettern alle Götter an Bord und schreien wütend die Fäuste ballend den armen alten Steuermann an. Der aber sitzt ruhig da und glaubt, die Götter seien wahnsinnig geworden… und er ruft in seiner Angst nach dem Mundschenken, damit der – den Wein bringt… zur Beruhigung. Der Mundschenk kommt natürlich nicht, und das Waschmädchen ist auch nicht zu finden. Nun werden die Beiden von den Göttern gesucht, denn der Steuermann ruft immerzu: „Sucht den Mundschenken! Der wird Euch Licht anzünden! Mundschenk! Mundschenk!“
Natürlich finden dann die Götter endlich die Beiden da oben auf dem Schlauch, die würdigen Herren merken den Spaß und verprügeln die naseweisen Kinder, wie sie es verdienen.
Jetzt erst merkt der arme alte Steuermann, daß die Kinder ihm einen Gefallen tun wollten,und da wird er allsogleich furchtbar betrübt. Das hilft aber nichts. Die Kinder haben ihre Schläge bekommen, und die Götter gehen wieder an die Arbeit
Schmollend steht der Mundschenk vorn vor dem jetzt wieder brennenden Barkenlicht. Der Kleine sieht ärgerlich in die Tiefe und denkt bei sich: „Wenn die Götter so dumm sind und sich nicht einmal einen freien Genuß verschaffen wollen, wenn sie immer und ewig nur den .- Menschen was vordenken wollen und nicht ein einziges Mal für sich selber leben wollen, dann mögen’s die dummen Götter bleiben lassen. Wie froh bin ich nur, daß ich kein Gott bin!“ Er schüttelt die blonden Locken und zupft seinen zerknitterten schwarzen Sammetkittel zurecht, blickt über Bord und überlegt, ob er sich nicht lieber hinausstürzen sollkopfüber – doch er tut es nicht Das Waschmädchen ist in der Küche -scheuert wieder – weint sich aus. Der Steuermann weint auch beinahe – murmelt aber immer noch wehmütig, indem er an die Sonne denkt:
„Weiter! Weiter!“


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