Die dummen Kinder

Paul Scheerbart

Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Die dummen Kinder

Mythische Burleske

aus:  „Ja..was.. möchten wir nicht Alles!

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Graue Wolken, dunkle graue Wolken dringen hastig sich ballend über dem Kiefernwalde rauchend qualmend empor, höher, hinauf, zum blauen Himmel, den die strahlende Sonne hell durchglänzt. Und aus dem grauen Gewölk recken sich plötzlich unzählige braune Kinderköpfe heraus – sie lachen. Jetzt flattern sie schreiend den Wolken voran. Ihre silberweißen Flügel schimmern hell gleißend im Himmelsblau, und die nußbraunen nackten Glieder wackeln, die braunen Beine stampfen durch die Luft, und die braunen Arme schlagen gelenkig ins Blaue hinein.
Krächzende Krähen umschwärmen die jubelnde Kinderschar. Das dickste Kind kreischt laut, weil es nicht so schnell fliegen kann wie die Andren. Die aber ballen die Fäuste zusammen und lachen aus Leibeskräften, stoßen einander in die Seiten und zeigen mit dem Zeigefinger auf das dickste Kind, das wieder nicht ordentlich fliegen kann. Schwalben schießen pfeilschnell durch die Schar; doch abermals wird ein brausendes Gelächter angestimmt, als ein paar schwerfällige Enten aus dem Himmel herniederfallen und sich dreist auf die Köpfe der größten Kinder setzen, die an der Spitze des Zuges fliegen. Da bleiben die Enten auch sitzen, und über die braunen Backen der lustigen Schlingel kugeln Tränen um Tränen -so sehr müssen Alle lachen über die schwerfälligen Enten. Währenddem schlägt das dickste Kind wütend heftiger mit seinen silberweißen Flügeln aus, und da die Andren durch ihr lautes Lachen im Fluge behindert werden, so gelingt es dem Dicken ganz unvermutet, in die vorderste Reihe zu gelangen, wo er nun kichernd weiterflattert und mit den Flügeln herumschlägt wie ein Spatz.
Da steigt der Windgott aus den Wolken heraus. Schneeweiß sind seine langen schlanken Glieder, und seine Flügel sind schwarzer Sammet Schwarze Nachtaugen glänzen im weißen Marmorantlitz des Gottes, sie schauen trunken in die blaue Weite. Doch in den schneeweißen Armen hält der Gott unzählige lange hellgrüne Windkellen, die wie hohe spitze große Halmblätter in das Blaue hineinragen.
Schreiend flattern die Kinder wie aufgescheuchte Bienen durch einander. Sie frohlocken und jauchzen, klatschen in die Hände, jubeln und singen – – denn ihr Gott ist da.
Der Gott fliegt hoch über den Seinen dahin, dann läßt er die langen hellgrünen Windkellen auf die Kinderschar niederfallen.
Es beginnt eine wilde Balgerei. Jeder will die längsten und dicksten Windkellen erhaschen. Die Blattformen sind nicht alle von gleicher Art, einige sind gezackt, andere rund, eckig, oder spitz – die schönsten Kinder wählen die reizvollsten Blattformen. Indessen – das Geschrei will garnicht enden, und die Kleinen balgen sich in der Luft, so daß die ausgerissenen silberweißen Flügelfedern nur so herumfliegen.
Und der Gott schaut lächelnd hernieder auf seine Kinder, die sich raufen nach Herzenslust. Sie necken sich, sie zergen sich, sie reißen sich um die besten Windkellen und machen einen Lärm, daß der ganze Himmel widerhallt. Doch als das kindische Spiel dem Gott der Winde nicht mehr gefällt, klatscht er laut in seine Hände – und das hören Alle, sie wissen, was das bedeutet, sie rufen sich eifrig zu: „Ruhig Kinder! Ruhig! Jetzt müssen wir endlich Wind machen.“ Die Kinder zerstreuen sich, damit sie Platz haben in der Luft, denn die Windkellen sind groß.
„Jetzt soll es aber rauschen“, denkt das dickste Kind und es schreit: „Macht Wind! Macht Wind!“ – und alle Kinder werden ruhig, lärmen nicht mehr. Ihr Gott pfeift auch schon gellend durch die freien Lüfte, sein Antlitz leuchtet über den Seinen, die wohl wissen, was das bedeutet.
Und die Kinder mit den Windkellen in der Hand spitzen den Mund und pfeifen auch, so laut wie der Gott selbst, so daß es gellt. Dann fächeln sie die Luft mit den langen Blattfächern, und sanfter Wind weht durch den Himmel.
Die Pfeifenden packen den Blattstiel fest mit beiden Fäusten, werfen die Windkellen weit über den Rücken zurück und schlagen nun so heftig zu, daß der Stiel sie mitreißt und sie kopfüber stürzen. Und während die Beine hoch aufwärts zappeln, holen die Kleinen gleich wieder zum neuen Schlagen aus, und schneller sausen die langen hellgrünen Blätter durch die Lüfte, wieder purzeln die braunen Schlingel kopfüber, und abermals zappeln die Beine hoch über ihnen, und die Windkellen sausen wiederum in großem Bogen nach oben – und dazu wird fortwährend gepfiffen – und ein großer Wind weht über die Lande
Fliegende Windmühlen scheinen durch den Himmel dahinzujagen. Die Wolken können kaum folgen. Die Kinderschar wälzt sich durch die aufgeregte Luft. Die hellgrünen Windkellen bewegen sich weiter wie lange gehetzte Windmühlenflügel. Die braunen Kleinen purzeln emsig immer wieder kopfüber. Der Wind wird stärker und stärker; die Kinder pfeifen nicht mehr – der Wind pfeift selbst.
Als endlich der Wind ganz stark geworden, klatschet der Gott mit den weißen Gliedern und den schwarzen Flügeln zum zweiten Mal in seine Hände. Die Kinder hören’s. Pustend und jappend versuchen sie die jetzt von selber sich bewegenden Blattstiele zurückzureißen, noch ein paar Male schießen sie mitgeschleudert kopfüber, dann halten sie die Windkellen fest wie Spieße vor sich – vom Winde getragen segeln sie dahin.
Der Gott schwebt voran einem großen Waldsee zu. „Am See wollen wir rasten“, ruft er zu den Seinen hinab. Und die Schar sinkt nieder und rastet am See.
Alle horchen, wie es rauscht.
Sie liegen auf dem Ufersande hingestreckt neben ihren Windkellen. Der Gott sitzt oben auf der gelben Düne, schaut träumend hinaus auf die schäumenden Wogen. Die hellgrünen Gräser zittern und säuseln, das Schilf flüstert, die Wellen bespülen plätschernd den gelben Sand, und die Kiefern rauschen. Es rauscht die ganze Welt.
Die kleinsten Schlingel pflücken Brombeeren, sie essen eifrig. Die duftblauen Beeren färben mit dem roten Safte Lippen und Kinn der Kleinen. Die Älteren biegen mit den dicken Händen ihre Ohrmuscheln nach vorn und lauschen mit verhaltenem Atem, wie der Wind pfeift und surrt, raschelt und toset – sie lauschen so aufmerksam, als wär’s befohlen von ihrem Gott.
Die Gräser lispeln, und hinten in den Kiefern braust es, in der Luft summt es, über die Wasser weht der Wind.
Die rastende Schar horcht und lauscht immerfort. Alle Töne der Welt brummen und klingen und hallen ohn‘ Unterlaß um die kleinen braunen
Ohren.
Und die Windkinder sind stolz, denn sie machten den Wind, der das Rauschen in die Welt gebracht.
Das dickste Kind ruht neben dem großen Windgott auf der Düne – es hat sich jetzt erst verpustet. Der weiße Gott spielt mit den blonden Locken seines Lieblings und lächelt, der Dicke hat so eifrig Wind gemacht.
Der Dicke sieht nun sinnend drein und denkt etwas aus, indem er mit dem Zeigefinger herumfuchtelt; sodann streichelt er seinem Gott das Knie und beginnt also: „Vater, weißt Du, was das ist ´Zweck´? – einige Zwerge sagten neulich, unsere Arbeit habe garkeinen Zweck. Was ist Zweck? Sie fragten, zu welchem Zweck wir Wind machten, und wir erwiderten: ,um zu hören, wie es rauscht, dazu machen wir Wind.´ Da haben die Zwerge wiederum gesagt, ,das hat ja garkeinen Zweck´. Was ist das nur dieses .Zweck? Guter Vater, weißt Du nicht, was Zweck ist?“
Die Kleinen, die nicht weitab lagern, kriechen behutsam näher, sie horchen noch aufmerksamer auf, denn sie wollen nun hören, was der Vater sagen wird. Der aber sagt garnichts, er lacht und schüttelt mit dem Kopf. Etwas später ruft er Alle zusammen und spricht: „Hört mal, Kinder, der Dicke hat mich gefragt, was .Zweck‘ ist. Ich möcht‘ Euch das sehr gern erklären, aber ich weiß schon, mit Worten geht es nicht. Paßt mal auf, was ich jetzt tun werde, vielleicht begreift ihr dann, was Zweck ist. Bleibt nur hier liegen.“
Hiernach ließ sich der Gott alle Windkellen wiedergeben und flog empor. Oben angekommen machte jetzt der Vater Wind. Da ward der Wind zum Sturm, und die Wasser des Sees schäumten über die Ufer, die Kiefern brachen, Staubwolken wirbelten empor. Regen und Hagel prasselte zur Erde, die ersten Schneeflocken fielen herab, gelbe und rote Blätter wurden von den Bäumen gerissen. Der Sturm toste und tobte, so daß sich die Kleinen an den schlanken Birkenstämmen festhalten mußten. Der Sturm toste und tobte drei Tage und drei Nächte.
Am Morgen des vierten Tages stieg der Windgott zur Erde nieder und rief schnell seine Kinder zusammen. Die Erde war ringsum verwüstet. Der Vater fragte gleich, ob nun Jemand schon wüßte, was „Zweck“ ist Und das dickste Bund kam traurig näher, wies ringsum auf die verwüsteten Wälder und auf den überschwemmten Strand und sagte gedankenvoll mit dem Kopfe nickend: „O Vater, Alles auf der Welt entzweimachen, das ist der Zweck des Windmachens.“ Und die übrigen Kinder nickten auch verständnisvoll und ernst mit dem Kopf, sie sagten Alle dasselbe.
Da fühlte der Gott, daß seine Kinder weder ihren Vater noch sich selber ganz verstehen würden, und er freute sich dessen – und lachte darüber so grimmig, wie er es noch nie getan, und er rief laut, daß es Jeder hörte: „Wenn wieder die Zwerge sagen, euer Windmachen habe keinen Zweck, dann lacht nur die alten Grauköpfe tüchtig aus. Sagt nur lustig, ihr wißt schon, was Zweck ist. Haut den Alten auf die Nase, schreit ihnen dabei zu -, Das ist Zweck! Das ist Zweck!‘ Dann aber fliegt rasch von dannen.“
Da lachten alle Kinder, und ihr Gott lachte mit, daß es schallte.
Und der Windgott dachte daran, wie wohl ihm geworden, als er so heftigen Sturm erregt, und wie sich die Luft so prächtig atmen ließ. Und er schaute mit beiden Augen zum Himmel und sagte leise zu sich: „Nein, diese Zwerge! Nun wollen die meine Kinder zu Grüblern machen.“ Der Gott mußte lachen von ganzem Herzen.
Wenn aber die Kinder wieder Wind machten, so gaben sie sich die größte Mühe, Sturm zu machen. Das gelang ihnen niemals, denn ihr Gott hielt sie fleißig dazu an, immer gleich nachher zu hören, wie es rauscht


Und es rauscht der Wald, Und es
rauscht der See, Und es rauscht die
ganze Welt Wie das widerhallt!
Wie das klingt so froh! Wie das Allen wohlgefällt!
Und die Kinder fragen warum –
0 ihr Kinder seid nicht so dumm!


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