Der Klare Kopf

Paul Scheerbart

Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Der Klare Kopf

Rosette

aus:  „Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Leicht legt sich sein weißes Greisenhaupt an das dicke breite dunkelviolette Sammetpolster zurück. Die alte Hand des greisen Denkers streicht leise behutsam von der Stirn auf nach hinten über die weißen langen Haare. Die gelbe Haut des alten Gesichtes wird durch feine Falten langsam bewegt – allmählich lächelt das Antlitz.

„Immer wieder dasselbe denken“, murmelt der alte Mann, und er lächelt dazu. Seine breite Brust hebt sich unter kräftigen Atemzügen. Seine beiden dicken gedrungenen Schenkel ruhen voll auf dem violetten Sammetpolster. Der Greis sitzt da ganz fest. Seine kräftigen Beine stehen mit den schweren Waden senkrecht auf dem Teppich wie zwei Säulen. Der schwarze lange Rock hängt faltig neben den schwarzen Beinkleidern herab. Und die weiße Halsbinde leuchtet oben. Die alte Hand streichelt jetzt das rasierte Kinn, das immerfort lächelt, indem es feine Falten zeigt Der ganze Kopf lächelt
Die grauen Augen glänzen, und es murmelt wieder der zahnlose Mund:
„Immer wieder dasselbe denken!“
Die hohe gelbe Stirn glättet sich dabei; sie liegt da eingebettet in den weißen Haaren auf dem violetten Sammetpolster…
„Welche seltsame Stimmung!“
Ruhig liegt Sonnenlicht drüben auf dem milden Christuskopfe. Das Gemach ist so freund­lich hell. Der Tisch mit der schwarzen Seiden­decke steht da ruhig und leer vor dem sitzenden Greise. Die violetten Sammetsessel am Fenster stehen, als wenn sie warteten auf hohen Besuch.
Und der Greis denkt wieder an seine Kindheit, in der die Welt so anders aussah.
„Es war damals Alles viel frischer. Ich glaube, damals dacht‘ ich wirklich täglich dasselbe. Ob ich das nicht wieder lernen kann? Es ist so klug, immer wieder dasselbe zu denken.“

Still sitzt der Greis und denkt an ein fernes Land mit hohen Palmen, an einen Mann, der kniend zum Vater betet – der Greis denkt an ein Bild, das er in seiner Jugend zu Haus alle Tage sah, wenn er das Tischgebet sprechen sollte.
Das Bild steht jetzt wieder deutlich vor den glänzenden Augen des alten Denkers, der von jetzt ab nicht mehr Neues denken will. Jesus in Gethsemane steht da vor dem Alten. Der Erlöser trägt ein blaues langes Gewand, und links neben ihm ragen hohe schwankende Palmen in den Abendhimmel. Hinter diesen Palmen ist die Luft so paradiesisch bunt, wie auf den Glutgefilden von Tizians Gemälden.
Das Paradies liegt dort hinter den Palmen.
Und der Alte denkt immer wieder dasselbe. Er denkt an jenes Land, das ihm als Kind auf jenem heiligen Bild erschienen war
„Immer dasselbe denken!“ mahnt sich der Alte, wie er merkt, daß seine Gedanken abschweifen wollen.
Und er denkt immer dasselbe.
Still sitzt der Greis auf dem violetten Sammetpolster. Noch immer ist das gelbe Greisenantlitz leicht zurückgelegt, eingebettet von den weißen Haaren. Der violette Sammet daneben ist sehr dunkel. Die breite Brust hebt sich unter der schwarzen Weste. Die Haltung des Alten bleibt immer dieselbe…..
Und der Greis denkt Neues nicht mehr aus. Sein altes Bild mit den Palmen und dem Paradies dahinter – das steht fest vor den alten Augen.


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