Der Triumphator

Paul Scheerbart

Der Triumphator

aus:  Immer mutig

ngg_shortcode_0_placeholder  Abdullah rief seinen Leibsklaven herbei und fragte ihn scharf:
»Warum erstattest Du mir nicht Bericht über meinen Vetter, den leichtsinnigen Ibrahim?«
»Herr!« erwiderte der Leibsklave, »ihm ist Alles genommen, was er besaß. Ich war von seinem Anblicke dermaßen erschüttert, daß ich mich erst sammeln mußte.«
Abdullah schlug mit der Faust auf ein Teebrett, das vor ihm auf dem Divantischchen mit Tassen und Schüsseln bepackt war, so daß Tassen und Schüsseln auf den Teppich flogen.
»Mit diesem leichtsinnigen Hund,« rief der starke Abdullah, » hast Du noch Mitleid? Ich sage Dir: mein Vetter Ibrahim verdient kein Mitleid; ihm geschieht ganz recht, wenn er als Bettler zu Grunde geht.«
Der Leibsklave fiel zu Boden und küßte vor seinem Herrn den Teppich.
Der Vetter Ibrahim stand zur selben Zeit auf dem Marktplatz neben den Bettlern und achtete nicht auf das, was um ihn herum vorging.
Und nach einer Stunde kam sein Vetter Abdullah hoch zu Roß über den Marktplatz geritten und schrie dem Ibrahim zornig zu:
»Was tust Du hier auf dem Marktplatz, Du leichtsinniger Verschwender? Ich habe mein Geld nicht in leichtsinnigen Spekulationen vergeudet. Ich habe gespart, und Du bist ein Bettler geworden. Nimm hier diesen Beutel, da sind hundert Silberlinge drinn. Geh und suche durch redliche Arbeit Dein Leben zu fristen, Du Bettler!«
Und Abdullah warf dem Ibrahim den Beutel mit den Silberlingen vor die Füße und ritt stolz dahin über den Markt und dann durch die Palaststraße zu seinem Freunde, dem reichsten Kaufmann von Bassora.
Abdullah lächelte stolz; er fühlte sich reich und edel zugleich. Ibrahim lächelte auch, er hob den Beutel mit den hundert Silberlingen auf und ging in die krumme Gasse zu dem alten Weinhändler, den er schon so lange kannte.
Und Ibrahim hielt sich auch für reich und edel zugleich; er nahm es seinem Vetter gar nicht mehr krumm, daß er seinen geschäftlichen Ruin so schlau zu stande gebracht hatte.
»Wahrhaft reiche Menschen sollen nicht stolz sein auf ihren Reichtum!« flüsterte Ibrahim beim dritten Glase. Und beim siebenten Glase flüsterte der lustige Ibrahim:
»Wahrhaft edle Menschen sollen auch nicht stolz sein auf ihren Edelmut.«
Und beim elften Glase lag Ibrahim unterm Tisch und murmelte:
»Ich hab’s gar nicht nötig – zu triumphieren.«
Doch Abdullah triumphierte.


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