Himmlische Ehe!

Paul Scheerbart 

Das Lachen ist verboten


Himmlische Ehe!

Kosmische Novellette

aus: das Lachen ist verboten

Tief, tief im Weltenraum, dort, wie silberne blitzblanke Leuchtkugeln herumfliegen, da leben auch die beiden Sterne Büras und Türas. Die Beiden drehen sich nicht bloß um ihre Achse – sondern auch umeinander – und bilden so zusammen einen schönen Doppelstern. Und Türas kann wieder nieht sehen. Karminrote Schneeflocken – so groß wie Erdenmonde – sickern langsam auf Türas‘ runzlige Haut. Die karminroten Schneeflocken zählen nach vielen vielen Milliarden. Der Türas ist so maßlos groß. Und Büras ist nicht viel kleiner. Die beiden Sterne lieben sich seit unermeßlich langen Zeiten – darum wandeln sie auch zusammen durch den Weltenraum. Sie drehen sich immer umeinander, ohne sich zu berühren. Würden sie sich jemals berühren – so würden sie aneinander zerschellen und sich in Dampfwolken auflösen. Die Beiden würden nach der Berührung ganz vereint sein – im Tode vereint! Aus ihrer Vereinigung würde ein neuer Stern hervorgehen, der tausend Mal größer sein müßte – wie Büras und Türas zusammen. Aber Büras und Türas könnten von dem neuen Sterne, der aus ihrer Vereinigung entstünde, Nichts wissen – die beiden Alten wären tot, wenn die neue Welt geboren wär’. Weltgeburten sind furchtbar! Das Alte muß ganz und gar vergehen, wenn ein Neues entstehen soll, Das wissen die Beiden, die einen Doppelstern bilden. Und sie denken daher nicht daran, sich jemals zu berühren. Sie umkreisen sich in gemessener Entfernung. Das Sterben der Sterne ist kein Spaß. Aber die Sehnsucht schläft nicht. Oh! diese Sehnsucht! Auch Sterne sehnen sich nach der Vereinigung mit dem Geliebten… Nicht alle Sterne! Nicht einmal viele, indessen Büras und Türas ganz gewiß. Und wenn denen die Sehnsucht über den Kopf wächst, so entsteht über ihrer runzligen Haut ein gewaltiges karminrotes Schneegestöber, so daß sie nichts mehr sehen können. Dem Türas geht’s jetzt so. Er donnert mit seiner ungeheuren Stirnme wilde Liebesworte, tolle Flüche, schmerzlichsten Jammer ins Weltall hinein. Büras, der kleiner und kälter ist, bedauert seinen armen Bruder. Türas‘ Sehnsucht schwillt riesengroß an, Und langsam – langsam nur – verdampft die große Sehnsucht. Und wie die karminroten Schneeflocken nur noch vereinzelt nie- dersickern und der Schnee auf der Sternhaut sich in große, strudelnde Meere auflöst, kann Türas allmählich wieder sehen, zuletzt sieht er ganz klar. Und dann werden Beide wieder vernünftig, lächeln sich freundlich an und unterhalten sich wieder wie sonst – in seligster Eintracht. Zank gibt’s zwischen den Beiden nicht – sie leben in einer himmlischen Ehe. Wem der Blick aber von den versengenden Gluten der Leidenschaft getrübt wird, dem wird alles dunkel, und er sieht nichts mehr… Die ganze Welt erscheint ihm öd’ und leer. Doch solche Zustände gehen glücklicherweise vorüber – auch bei Bürassem und Türassen. Wenn’s vorüber ist, so lächeln die beiden Sterne und sind so gut zueinander. Büras spinnt seine tiefen Gedanken über die Unendlichkeit des Weltraums wieder weiter und erzähIt von seinen Entdeckungen und Einfällen seinem lieben Bruder umständIich so viel, daß der sich sehr anstrengen muß, um folgen zu können. Und Türas erzählt dann von seinen Geschwindigkeitsberechnungen – er arbeitet mit fabelhaft großen Zahlen und weiß den Büras wohl zu fesseln. Es ist eine himmlische Ehe! Der Doppelstern kennt keinen Streit. Wenn die beiden Weltbälle andrer Meinung sind, so wird immer Alles in friedlicher Weise geschlichtet – denn hauen dürfen sich doch die Beiden auch nicht – das würde ihnen ja ebenfalls nur das Leben kosten. Mitten in einer Berechnung fängt Türas plötzlich an, über seine Sehnsucht zu reden, er redet sogar in Versen, sagt: „Sieh! es ist doch wirklich schlimm! Immer wieder kommt das Eine – Dieser alte alte Wunsch – Dich einmal nur zu berühren! Büras, liebster bester Stern, Ich umfinge Dich so gern! Immer kämpf’ ich gegen mich, gegen jenen alten Wunsch – Aber immer muß ich wieder Qualvoll knirschend unterliegen! Ach, das dumme dumme Eine – All mein Rechnen macht es dumm! Dreh Dich weiter, lieber Buras, Tröste Deinen armen Türas!“ Und Büras tröstet, so gut er kann, setzt dem Freunde die Lächerlichkeit der Sehnsucht so recht nachdrücklich auseinander und kommt dann wieder auf seine Raumgedanken zurück. Bald herrscht wieder heitre Freude in den beiden großen Sternen, Das Leben ist doch besser als der Tod, Nein – an Sterben denken die Beiden noch nicht, Oh, sie wissen’s so genau, daß sie ihre Sehnsucht ersticken müssen, wenn sie leben wollen! Und drum lieben sie sich – ohne sich zu berühren. Himmlische Ehe! „………… Büras! Fünf mal hundertsechsundsechzig Tausend Siebenhundertdreizehn Billionen Bilden jetzt den Schlußstein meiner Rechnung! Ist nicht himmlisch dieses Resultat?“ Türas freut sich natürlich wie ein junger Gott. Büras freut sich ebenfalls so. Und die Beiden haben sehr bald wieder vergessen, daß sie sich mal berühren wollten. Nur zuweilen sind die Sterne Höchst poetisch und verliebt! Für gewöhnlich leben die Sterne in einer so ungeheuerlich großen Eintracht, daß ihre Ehe – wo von einer solchen die Rede sein kann – in jeder Beziehung „himmlisch“ genannt werden muß.

Die Liebesverhältnisse der Sterne bieten leider – wenn nur immer „zwei“ Sterne in Betracht kommen – sehr wenig Abwechslung dar. Bei Bürassen und Türassen – ja, bei fast sämtlichen Doppelsternen – entbrennt und erlischt die Sehnsucht schier jedes Mal unter denselben Begleiterscheinungen. Die karminroten Schneeflocken sickern langsam nieder – tauen auf, verwandeln sich in strudelnde Meere, steigen in Dampfform wieder in die obere Luft – werden „wieder“ zu karminroten Schneeflocken, die so groß sind wie Erdenmonde   – und sickern dann abermals runter. Dasselbe Spiel wiederholt sich ohn’ Unterlaß – und ein Ende ist beim besten Willen nicht abzusehen – denn die Freude am Leben ist bei allen Doppelsternen – besonders aber bei Bürassen und Türassen – ganz und gar nicht umzubringen.


ps_161   Index: Gesamt –  Erzählungen – Das Lachen ist Verboten    

alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 02-01-2023

image_pdfimage_print