Die neue Maschine

Paul Scheerbart 

Das Lachen ist verboten


Die neue Maschine

Ein Sturmmärchen

aus: das Lachen ist verboten

„Jetzt sind nur noch zweihundert Schrauben festzumachen, und dazu kommt nur noch ein bißchen Rechnen und die Regulierung des Stangenwerks —  das kann ich heut’, morgen und übermorgen schaffen —  es wird gehen.“

Also sprach der Zwerg Napâri, zündete sich eine neue Pfeife an und trank einen Labommel— Schnaps.

Da heulte der Wind im Schornstein.

„Laß ihn heulen!“ dachte der Zwerg, während er sich wieder eifrig mit seinen Schrauben beschäftigte.

Die Schrauben an der Maschine, die der Zwerg baute, waren sehr kompliziert; manche funkelten, als wären sie mit Brillanten besetzt, so daß es in der Stube, in der nur eine Hängelampe brannte, die ihr Licht nur nach unten ausstrahlte, recht hell zu sein schien; Glanzlichter blitzten oben in den Kruken und Gläsern, die auf den Regalen standen, immer wieder lichtschaffend auf —  und auch in den Butzenscheiben der Fenster ging ein Geflimmer immer wieder auf und nieder —  selbst die Messinghenkel an Schränken und Kommoden erhielten Leuchtkraft durch die komplizierten funkelnden Schrauben. Und der Sand auf den gescheuerten Dielen sah aus wie, frierender Schnee im Mondschein.

Und auf der einen Seite der Maschine saß eine weiße leuchtende Katze auf den Hinterbeinen, und auf der anderen Seite der Maschine saß ein schwarzer Pudel auf den Hinterbeinen. Die beiden Tiere blickten unablässig hinüber zu ihrem Herrn, dem Zwerg Napâri, der fleißig arbeitete —  zuweilen mit der Lupe, wobei ihm regelmäßig die kurze Hornpfeife ausging.

Und der Wind knatterte, als bestände die Luft aus lauter langen Fahnen —  und er rüttelte an der Hausrinne, daß der Hund sich scheu umblickte. Und Knubbel, Napâris Gattin, kam in die Stube und sagte traurig: „Alter, es gibt Sturm!“

Und der Regen prasselte gegen die Butzenscheiben, daß der Spektakel ganz furchtbar wurde.

Napâri hielt in der Arbeit inne, sah nach den Butzenscheiben und rief dann heftig: „Knubbel, es regnet ja durch!“

Knubbel holte einen Eimer und Leinwandtücher und trocknete die Fensterköpfe ab und wand die Tücher über dem Eimer aus und sagte leise:

„Alter, bei dem Wetter kannst du doch nicht arbeiten. Verrechne dich man nicht!“

Der Wind wurde zum Sturm und bullerte jetzt wie umfallende Lastwagen und pfiff so gellend wie ein betrunkener Nachtwächter und rumorte so ungestüm, daß einem angst und bange werden konnte.

Napâri steckte sich Watte in die Ohren —  aber das half rein gar nichts —  der arme Zwerg wurde ganz wild, und er lief in der Stube umher, als hätte er Feuer unter den Fußsohlen.

Da kam aber schon Knubbel mit einem Tablett, auf dem zwei Gläser klirrten neben einer Flasche Jamaika— Rum und einer Kanne voll heißen Wassers.

Und die beiden tranken nun Grog, während der Sturm immerzu in denselben fauchenden Tönen das Haus des Zwerges umwütete; das Gestöhn und Geächze der Bäume und das Brausen des Waldsees hörten sich an, als wenn die Geister in den Lüften sinnverwirrende Schlachten schlügen.

Napâri trank sein Glas aus und sah sich seine Maschine an und sagte mit schmerzlichem Lippengezuck:

„Knubbelchen, du hast ganz recht —  bei dem Radau kann ich nicht arbeiten. Das wird ja nett. Hoffentlich hört’s bald auf!“

Doch es hörte nicht auf —  der Orkan schnaubte und fauchte ohn’ Unterlaß wie ein alter Lindwurm, der Hunger hat; die Drachenmusik war nicht von Pappe; durch die Watte wirkten die Wuttöne in den Ohren nur noch schauerlicher —  so dumpf und unheimlich.

Und Napâri wurde nun ebenso wütend wie der alte Sturm; beim dritten Glas Grog schrie er heftig:

„Wenn das so fortgeht, wird die Maschine zu Silvester nicht fertig.“

Und dann rannte der kleine Mann wieder in der Stube herum wie ein Tiger in seinem Käfig, wenn’s nichts zu essen gibt; Knubbel wischte sich mit ihrer blauen Schürze eine dicke Salzträne aus dem linken Auge ’raus —  der Zorn ihres Mannes war ihr immer so schrecklich.

Der Sturm piff jetzt wie tausend Lokomotiven.

Das Waldsee rauschte wie ein Ozean.

Knubbel aber rief durch das Gepfeife und Gerausche:

„Mann, denk doch nicht mehr an die Maschine! Wozu willst du sie fertig machen? Komm und erzähl mir noch einmal ganz genau, was die alte Fee gesagt hat!“

Knubbel brachte ihrem Gatten das vierte Glas Grog, und sie setzten sich zusammen aufs Sofa. Der Zwerg kam durch das heiße Getränk wieder in bessere Stimmung und sprach zu seiner Frau ganz friedlich das folgende:

„Liebes Knubbelchen, die Fee hat mir fest versprochen, daß sie mir, wenn ich ihr in diesem Jahre —  also noch in diesem Dezember —  die Maschine ganz nach ihren Angaben fertig mache, die Kapsel mit dem Uhrwerk herausgeben würde. Und mit dem Uhrwerk würde die Maschine funktionieren —  ohne das Uhrwerk nicht. Meine Arbeit muß aber am Silvesterabend Punkt zwölf Uhr fix und fertig sein. Über die Wirkung und über die Bedeutung der Pillen, die wir mit dieser Maschine herstellen wollen, hab ich dir ja schon alles Nötige mitgeteilt.“

Frau Knubbel— Napâri versetzte lachend:

„Wenn dich die olle Fee nur nicht gründlich anführt! Aber ich will alles glauben; ich glaube dir ja so gern. Verstehen kann ich nur nicht, daß diese Pillen bloß den Menschen was nützen sollen.“

„Die Menschen“, unterbrach sie Napâri, „werden nach dem Genuß der Pillen alle Nervosität verlieren und in den Stand gesetzt, ihr Leben ganz in Ruhe so zu genießen, wie es bislang nur den höher entwickelten Wesen möglich war. Die feinen Beruhigungspillen werden aus der Menschheit eine unglaublich vollkommene Gesellschaft machen.“


„Das hast du“, versetzte Knubbel lebhaft, „mir schon tausend Mal erklärt. Hör bloß den Sturm! Wenn du den doch beruhigen könntest! Verstehen kann ich nur nicht, weshalb du grade die Menschen so glücklich machen willst. Du bist doch kein Mensch. Und die Menschen verdienen gar nicht, so vollkommen zu werden. Sie sind allesamt zu schlechte Geschöpfe. Lies hier von den Greueln, die wieder von deinen Menschen verbrochen wurden.“

Und mit diesen Worten überreichte Knubbel ihrem Gatten ein zerknittertes Zeitungsblatt.

Napâri las, und sein Züge verfinsterten sich; er legte seine Pfeife in die Sofaecke. „Woher hast du das?“ fragte er heiser.

Der Sturm jagte jetzt mit prasselndem Hagel durch den Schornstein, die Tür ging auf, die Hängelampe geriet ins Schaukeln, Hund und Katz’ krochen unters Sofa.

„Von einer alten Hexe hab’ ich das Blatt“, sagte Knubbel, während sie die Tür leise zumachte.

Napâri ging nochmals an seine Maschine und wollte das Stangenwerk —  eine sehr komplizierte Arbeit —  in Ordnung bringen. Indes, dem Zwerg gelang nichts; es war ihm bei dem Sturm unmöglich, die Gedanken zusammenzuhalten.

Und so legten sich denn die beiden Alten bald zu Bett. Und sie träumten wildes Zeug zusammen, in dem das Gedonner und Gekrache und Gepolter gar kein Ende nehmen wollte; die ganze Sturmmusik ward ihnen zum scheußlichsten Hexensabbat, in dem alles drunter und drüber ging.

Am nächsten Morgen mußte Knubbel den Fußboden der Stube mit sehr viel Leinwand abtrocknen und neuen Sand streuen; der Orkan hatte ein paar Eimer Regenwasser durch die Fenster getrieben. Das Unwetter hatte noch immer nicht aufgehört. Trotzdem machte sich der Zwerg nach dem Kaffee abermals an seine Arbeit, während Knubbel ein zweites Zeitungsblatt auf den Tisch legte.

„Wieder nette Geschichten von den braven Menschen, die sich unermüdlich gegenseitig zu Tode quälen.“

Also sprach Knubbel, während sie das Kaffeegeschirr in die Küche trug.

„Das Blatt lag im Hausflur!“ rief Knubbel noch in der Tür. Napâris Züge verfinsterten sich wie am Tage vorher, als er das Blatt las. Der Waldsee rauschte dazu wie ein Ozean; Katz’ und Hund saßen da, als wenn sie sich schämten, in diesem Jahrhundert geboren zu sein.

Und Napâri ging den ganzen Tag immer wieder und wieder an seine Arbeit —  und immer wieder mußte er die Geschichte sein lassen —  es ging nicht mehr.

Als Knubbel in der Dämmerstunde die Hängelampe ansteckte und das Mittagessen auftrug, saß der arme Zwerg ganz gebrochen in der Ofenecke. Papierstreifen, auf denen sehr viele Zahlen standen, lagen in der ganze Stube zerstreut umher. Hund und Katz’ schlichen langsam um die Maschinen herum, die so glänzte wie sonst am Abend.

„Ich werde nicht fertig!“ sagte der Zwerg seufzend. Und er saß da neben dem Ofen wie ein steinalter Meergreis. Der Sturm heulte wie Millionen hungriger Wölfe.

„Und wenn du“, rief Knubbel, „bis morgen abend um zwölf Uhr nicht fertig bist, so ist alle Müh’ umsonst gewesen, und du hast dich gequält für rein gar nichts.“

Beim Essen schwiegen beide; viele Pilze blieben liegen und wurden alt und kalt; Knubbel ärgerte sich.

Nachher beim Grog ward auch kein Wort gewechselt. Napâri hob alle seine Papierstreifen auf und wollte trotz Sturm und Regen wieder an die Arbeit gehen, sprang aber plötzlich hoch in die Luft und schlug mit der Faust auf seine Maschine, daß es einen großen Knacks gab.

„Dieser Orkan!“ schrie der Zwerg und begab sich, ohne weiter an den Knacks zu denken, in sein Schlafgemach, Knubbel folgte.

Als nun aber auch am nächsten Morgen der Sturm ruhig weitertobte, ergriff den Napâri die Wut —  er holte sein blankes Beil aus der Küche und schlug mit dem sein blankes Machwerk —  seine neue Maschine —  kurz und klein.

Der alte Zwerg setzte sich nach dieser seiner Tat in seine Sofaecke, zerknitterte die Zeitungsblätter, die auf dem Tische lagen und rauchte sich eine neue Pfeife an —  und dabei rannen ihm fortwährend die Tränen in den grauen Bart — , und schließlich weinte er wie ein Kind —  Katz’ und Hund leckten ihm die Hände — , die Pfeife ging ihm aus.

Knubbel kam und erschrak.

„Mann“, sagte die Frau, „nu weine man nicht. Die Menschen sind’s nicht wert, daß du ihretwegen Tränen vergießest. Das laß man!“

„Die Menschen gehen mich auch nichts mehr an!“

Nachdem Napâri diese Worte gesprochen hatte, trat die alte Fee in die Stube, und der Sturm hörte draußen plötzlich auf mit seinem Toben —  nur der Waldsee rauschte noch so heftig wie bisher. Und durch das Rauschen des Waldsees klangen die Worte der Fee seltsam hindurch: „Alles zerstört?“ sprach sie sanft, „also auch du, Napâri, bist nicht rechtzeitig fertig geworden? Das bereitet mir einen großen Schmerz. Das tut mir herzlich leid, daß ich nun der Menschheit auch dieses Mal wiederum nicht nützen kann. Aber, liebes Knubbelchen, ich sage dir: Es geht nicht. Wohl mag man mich nicht ganz mit Un—  recht eine etwas verschrobene Dame nennen —  aber was ich mir einmal gelobt habe, das halte ich. Und ich habe mir nun mal vor langer Zeit gelobt, der Menschheit grade am Silvesterabend dieses Jahres ein Geschenk zu machen. Jetzt müssen die Menschen abermals vier Jahre auf meine Beruhigungspillen warten.“

Die alte Fee trocknete sich mit ihrem Spitzentaschentuch die nassen Augen, nahm die Türklinke in die Hand, schlug die Tür von draußen heftig zu und machte, daß sie fortkam.

Knubbel setzte sich zu ihrem Mann aufs Sofa und fing plötzlich laut zu lachen an.

„Hast du gehört“, rief sie, „daß sich die alte Fee selber eine verschrobene Dame nannte? Daher die Maschine!“

Und da lachten die beiden im Chore…

Des Abends tranken die beiden, da es Silvester war, eine granatrote Weinbowle und wurden so lustig bei dem Getränk.

Draußen war’s ganz still geworden —  wie in einer Kirche. Katz’ und Hund spielten mit den glänzenden Schrauben, die in der Stube überall umherlagen.

Als die Glocken aus dem nächsten Dorfe durch die Mitternachtsstunde ins neue Erdenjahr hineinklangen, glänzte der Vollmond durch die Butzenscheiben, und Napâri sagte zu den Mondglanzblitzen:

„Sind das nicht auch Beruhigungspillen?“

Knubbelchen lachte wie ein Kobold.

Und es wurde draußen ganz still.

„Diese Ruhe!“ rief’,der alte Zwerg.


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