Johann der Weise

Paul Scheerbart 

Das Lachen ist verboten


Johann der Weise

Mondschein— Novelle

aus:  das Lachen ist verboten

Der Vollmond stand dicht über dem Horizont —  ganz groß und rot. Durch die Kornfelder rannten die Hasen, und die Fledermäuse flatterten über dem Bahndamm um die Telegraphendrähte rum. Und drei Einbrecher krochen in das dichte Gebüsch des Waldparks.

Ein Schnellzug fuhr vorüber, und auf der Veranda des Herrn Piepenhagen schaukelten zwanzig karminrote Papierlampions. Währendem ging die Auguste, die bei Schultze— Bernau als Köchin diente, mit dem Hausdiener Johann langsam dem Waldpark zu.

Und der Johann sagte schmunzelnd:

„Glaube mir, liebe Auguste, je schlechter es den Menschen geht, um so besser ist der gute Geschäftsmann dran. Der macht grade dann die besten Geschäfte, wenn die Menschen nicht wissen, wo sie vor lauter Sorgen bleiben sollen. Das kannst du dir ja leicht vorstellen; haben die Leute Geld genug, so brauchen sie keinen Helfer. Und —  wo bleibt da das Geschäft? Hieraus erkennst du auch gleich, daß heutzutage für den Geschäftsmann der Weizen blüht, da es sehr vielen Leuten sehr schlecht geht. Jetzt werden wir also bald weiter kommen. Und nächste Ostern können wir heiraten. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Das wäre ja fein!“ sagte die Auguste.

Doch sie wollte nun gleich etwas Näheres von den Geschäften ihres Johanns wissen, und der ließ sich nicht lange bitten —  er war so recht in seinem Fahrwasser.

„Du weißt ja, liebe Auguste“, fuhr er lebhaft fart, „daß ich jetzt in Mutterns Grünkramkeller tätig bin. Zu Weihnachten soll ich Teilnehmer am Geschäft werden; Mutter hat eben eingesehen, daß ich ein guter Geschäftsmann bin. Und das kam so: Mutter ärgerte sich, daß ich immer nur mit ganz dummen Kerls verkehrte, besonders über August ärgerte sie sich, den du ja kennst, Wenn Mutter darüber redete, lachte ich immer ganz verschmitzt und sagte nur; Na warte nur! Du wirst mir noch mal dankbar sein für meine dum—  men Kerls, Und die gute Gelegenheit kam auch bald. Du mußt nämlich zuerst mal wissen, liebe Auguste, wodurch man zum guten Ge—  schäftsmann wird. Sieh mal, der muß stets darauf bedacht sein, andern Leuten was wegzunehmen, ohne dabei eingekastelt zu werden. Wer aber läßt sich was wegnehmen? Wer ist so gutmütig, daß er das, was man haben will, gutmütig hergibt? Wer ist so dumm? Doeh nur der DummeI Und darum muß der gute Geschäftsmann nur mit den Dummen verkehren.“

„Ih du, Johann!“ rief da die Auguste lachend, „darum verkehrst du wohl auch mir mir, nicht wahr?“

„Liebe Auguste“, sagte da der Johann, „ein guter Geschäfts—  mann wird sich doch keine dumme Frau nehmen. Die könnte ihm doch nur alles verfahren. Eine dumme Frau ist viel gefährlicher, als du denkst. Doch jetzt hör mal erst die Geschichte vom dummen August. Der erzählte mir eines Tages, daß er für 3000 Mark Brennholz liefern sollte. Und ich sagte ihm: verlange nur 300 Mark mehr. Und das tat er auch. Ich aber erzähle die Geschichte Muttern und sage ihr, sie solle zu der bewußten Firma hingehen und ihr Brennholz anbieten. Da nun die Firma soeben den Brief von August bekommen hatte, war sie sehr ärgerlich, und Mutter bekam den Auftrag, für 3000 Mark Brennholz zu liefern. Das war ein hübsches Geschäft. Mutter teilte mit mir. Und August merkte nichts; der ist so dumm, daß man lachen muß.“

Auguste lachte auch, aber sie sagte dabei;

„Es ist nur gut, daß ich kein Mann bin, sonst müßte ich mich vor dir sehr in Acht nehmen.“

Johann aber fuhr fort, nachdem sie sich auf eine Parkbank gesetzt hatten mitten in den Mondenschein.

„Du ahnst es nicht“, sagte er, „woran man die Dummheit der Menschen erkennt. Ich will’s dir erzählen: an seiner Unzufriedenheit erkennt man den Dummerjan. Wer so recht unzufrieden mit seinem Schicksal ist —  der ist immer ein kleines Schaf. Darauf kannst du dich verlassen, Der kluge Mann fängt alles so an, daß er stets zufrieden ist. Wodurch werden denn die Leute unzufrieden mit ihrem Leben? Doch nur dadurch, daß sie Dummheiten machen. Mach keine Dummheiten, so bist du ein zufriedener Mensch und wirst immer Geld in der Tasche haben. Wenn ich nun die Dummen suche, so geh ich also zu den Unzufriedenen. Das sind diejenigen, die immer gerne Revolution machen.“ Da knisterte es hinten im Gebüsch. Johann drehte sich um, sah aber nichts; der Mond beschien nicht das Gebüsch; zwei Fledermäuse flatterten vorüber.

Auguste rief:

„Sieh nur die Fledermäuse! “

Johann sah ihnen nach, vergaß, daß es vorhin im Gebüsche knisterte, und fuhr in seiner Belehrung fort:

„Mit den Revolutionären“, rief er ganz laut, „ist immer das beste Geschäft zu machen. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Das solltest du“, sagte die Auguste rasch und leise, „nicht so laut sagen, sonst hält man dich auch für einen Roten —  und dann wist du eingekastelt.“

„Hier“, rief Johann abermals ganz laut, „wird uns kein Mensch belauschen. Was ich gesagt habe, ist eine tiefe Geschäftsweisheit. So was hörst du nicht alle Tage, Du glaubst ja gar nicht, wie dumm die Kerls sind. Die Roten fallen auf alles rein. Sie wären ja gar nicht rot, wenn sie immer klug gehandelt und ihr Schäfchen bei Zeiten ins Trockne gebracht hätten. Wahrlich, ich sage dir: an ihrer Unzufriedenheit sollst du die Dummen erkennen. Die machen auch noch mal eine Revolution —  die Kerls sind so dumm. Ich rede ihnen gut zu und mach mein Geschäftchen dabei —  mit jedem einzeln —  immer anders. Ostern können wir heiraten, liebe Auguste!“

„Sei nur immer“, sagte die Auguste, „schön vorsichtig, damit sie nichts merken, Sonst verhauen sie dich noch mal. Mit den Roten ist nicht zu spaßen.“

„Ich bin doch kein Dummerjan“, rief nun ganz erregt der Johann, „ich versteh’s, mit Revolutionären umzugehen. Ich geh auf alles ein und rede dann ein paar kluge Worte, spreche über Revolutionen im allgemeinen —  über russische und spanische Revolutionäre, daß den Roten ganz rot vor den Augen wird. Dann sehen sie nicht mehr ordentlich, und man kann das Geschäft einleiten. Die Zukunftsrevolutionen…“

Bei dem letzten Worte Johanns brachen die drei Einbrecher aus dem Gebüsch hervor, hielten drei Revolver dem Johann vor die Nase, und der Älteste von den dreien sagte leise:

„Sie sind wegen Aufreizung zur Gewalt und wegen offenkundiger Geheimbündelei verhaftet; setzen Sie sich nicht zur Wehr, sonst schießen wir Sie nieder, Wir sind Geheimpolizisten und haben gehört, was Sie sagten. Hier ist meine Erkennungsmarke.“

Danach zeigte der alte Einbrecher dem verblüfften Johann ein altes Stück Blech in der linken Hand. Auguste fiel in Ohnmacht,

„Meine Herren“, sagte Johann leise, „ich sehe, Sie wollen mit mir ein Geschäft machen. Da sind Sie grade an den Richtigen gekommen, denn ich bin ein guter Geschäftsmann. Was bekommen Sie denn dafür, wenn Sie mich verhaften? Viel doch nicht. Jeder be—  kommt doch höchstens 20 Mark dafür. Gut! Ich biete jedem von Ihnen einen Hundertmarkschein, wenn Sie mich freilassen.“

Die Geheimpolizisten sahen einander an, und dann sagte der Älteste: „Die Verhaftung fand vor einem Zeugen statt.“

„Oh!“ sagte Johann leise, „meine Auguste hört und sieht augenblicklich nichts. Sie wird nachher schon wieder zu sich konmen, und dann sind Sie nicht mehr hier.“

Johann holte nach diesen Worten ein kleines Buch aus der Tasche und entnahm ihm drei Scheine, die er freundlichst den drei Herren überreichte. Diese steckten die Revolver ein und die Scheine ebenfalls und verschwanden wieder im Gebüsch.

Der Hausdiener horchte mit der Hand am Ohr in den Waldpark hinein, und als er die Schritte der Verschwundenen nicht mehr hörte, riß er einen Grashalm aus und kitzelte damit der Auguste unter der Nase. Auguste erwachte, sah ganz verwirrt umher, und rief dann laut:

„Wo sind die drei?“

„Die“, versetzte Johann, „hängen da drüben an der großen Eiche. Siehst du sie nicht? Ich hab sie umgebracht und dann da drüben aufgehängt. Jeder Mensch wird glauben, daß da drei arme Selbstmörder hängen.“ An der Eiche hing auch etwas, und der Schatten des Mondscheins vergrößerte dieses Etwas. Auguste sah hin und schrie furchtbar auf und lief dann wie eine Rasende davon. Johann lachte ihr nach, daß es schauerlich durch den Waldpark schallte.

Wieder flogen zwei Fledermäuse vorüber und streiften beinahe Johanns Mütze —  das erschreckte ihn aber nicht; er ging lächelnd nach Hause zu Muttern.

Und Muttern erzählte er lachend die ganze Geschichte. Mutter schlug die Hände überm Kopf zusammen, als sie hörte, daß ihr Johann 300 Mark diesen Revolverhelden übergeben hatte.

Aber Johann lachte immerzu, und die Mutter sagte schließlich heftig: „Bist du denn närrisch geworden?“

„Nee“, versetzte der biedere Hausdiener und sehr gute Geschäftsmann, „aber die Scheine waren ja falsch. Ich bekam sie neulich von einem Roten, der auch ein guter Geschäftsmann ist. Im Laden wollten wir die Scheine alle beide nicht ausgeben —  aber, was nicht im Laden geht —  das geht doch im Mondenschein. Der Mondenschein war herrlich, liebe Mutter.“

Am nächsten Tage aber kam ein Brief von der Auguste, die bei Schultze— Bernau im Dienste stand. In dem Briefe war mit großen zitternden Buchstaben geschrieben:

„Komm nicht wieder zu mir! Sonst zeig ich dich an. Ich hab Angst vor dir, will deine Frau nicht werden. So dumm bin ich nicht, wie du denkst. Ich laß mich nicht an einem Eichbaum aufhängen, Ich geh zum August. Auguste. “


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