Die neue Tänzerin

Paul Scheerbart

Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Die neue Tänzerin

Tragische Pantomime

aus:  „Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Durch weiße Wolken schaut der Mond. Der Waldsee glänzt, und der Tauduft hängt im Gezweige der alten mächtigen Fichten, die groß und steif auf den Hügeln stehen und sich nicht rühren. Die grünen Kronen der Bäume zittern nicht, knarren nicht – schweigen. Es stört kein Laut den Frieden der Nacht
Neben den geheimnisvoll stillen Wassern, mitten unter den Waldeshügeln, liegt ein freier Platz hart am Abhange, der gelbschimmernd steil zum Ufer hinabführt. Holzkloben sind auf dem Ratze regelmäßig aufgestapelt, zu einem Klafter vereint, vor dem Holzspäne, Fichtennadeln, trockne Reiser und Äste den Erdboden bedecken. Der Mond erhellt die braunen Stämme der Fichten, das Waldesdunkel ringsum, die breite Seite des Klafters, an dem die runden Querschnitte der durchsägten Kloben weiß aufleuchten. Da kommen Arm in Arm hervor aus dem Waldesdunkel zwei Zwerge; sie haben kleine Besen in der Hand und treten zusammen auf den freien Platz vor dem Holzklafter. Der eine Zwerg schaut nach drüben zum jenseitigen hohen Seeufer, blickt zum hochstehenden Mond empor und beginnt dann mit dem Besen den Platz von den Reisern und Nadeln zu säubern, der andre Zwerg tut schweigend das gleiche. Die Beiden sind mit braunen Kitteln aus dickem Tuche bekleidet, eine breite braune Zipfelmütze bedeckt ihr weißes Haupt, die langen weißen „Barte reichen fast bis zum Knie. Kaum haben die Zwerge zu fegen begonnen, so treten aus dem Dickicht ihre Brüder hervor, auch mit Besen in der Hand, schweigend helfen sie den Hatz reinigen, sie heben die Äste, Reiser und Zweige vom Boden und werfen sie den steilen Abhang hinunter. Kein Zwerg hat Zeit zum Sprechen, sie arbeiten emsig, es sind ihrer zwölf. Als der große Platz sauber und rein wie eine Tenne gefegt ist, schweben Elfen von der jenseitigen Waldeshöhe langsam über den glänzenden Waldsee zu den Zwergen hinüber. Die Elfen haben bunte Schmetterlingsflügel und helle feinfarbige lange Gewänder, sie grüßen freundlich die ehrwürdigen Alten und lassen sich auf dem Holzklafter nieder. Die einen lassen die langen Gewänder bis zur Erde hinabhängen, die anderen kauern sich zusammen, zwei setzen sich seitwärts auf einen Baumstumpf. Die Zwerge lagern sich rund um den Hatz im Kreise. Ganz still wird es. Niemand bewegt sich mehr. Der Mond scheint hell und klar;
Ein himbeerrotes Gewand schimmert im \\äldesgrün, aus dem bläulichen Tauduft taucht es hervor, und zwei schneeweiße Arme heben sich aus dem Gewände heraus. Eine schlanke Gestalt schreitet rasch dem Holzklafter zu. Jetzt bleibt sie stehen, nimmt den roten Schleier vom Gesicht und schaut mit blassem Antlitz und schwarzen Augen in den großen Mond. Sie ordnet die feinen durchsichtigen Schleier, die ihren weißen Körper umwehen, atmet noch einmal tief auf und geht an den Zwergen vorüber mitten auf den freien Platz. Die himbeerroten Gewänder wehen ihr nach, sie breitet die Arme weit aus, in jeder Hand hält sie einen langen spitzen Blattfächer von moosgrüner Farbe; die Enden des Fächers biegen sich sanft auf, als die weißen Arme wieder niedersinken. Die neue Tänzerin ist in den Kreis getreten, sie will ihre Kunst zeigen, sie ist größer als die Elfen und Zwerge, sie verbeugt sich zitternd nach allen Seiten, und man nickt ihr freundlich zu. Der Mond scheint auf das goldgelbe Haar, das in wirren Strähnen in die feinen Falten der Gewänder vernestelt scheint. Ein Diamantreif hält die Locken über der Stirn zusammen. Der Mond blitzt in den Steinen. Die Zwerge streichen sich den langen Bart, die Elfen setzen sich bequem auf den Holzkloben zurecht
Die Tänzerin steht lässig auf dem harten Boden, sie hebt allmählich ihre Arme, die durch die moosgrünen Fächer verlängert scheinen, steif empor wie zwei Flügel, bis sich die Spitzen der Blattfächer hoch oben über dem Haupte berühren. Sodann sinken die Arme genau so nieder, wie sie emporgehoben wurden. Diese Bewegung wiederholt sich.

Langsam wehen auf und nieder
Ihre langen grünen Fächer.
Langsam heben sich und sinken
Ihre langen weißen Arme,
Die die langen grünen Fächer
Fest mit weißen Fingern halten.
Und das Spiel des geisterhaften
Stillen bleichen Feenkindes
Wiederholt sich immer wieder.

Plötzlich hält die Tänzerin mitten in der einförmigen Bewegung inne. Unmutig und aufgeregt steckt sie die Fächer in die Gewänderfalten über der Brust, so daß ihr Kopf zwischen den beiden moosgrünen Blättern einen Augenblick sinnend hervorschaut, alsdann beugt sie sich nieder.

Hastig mit bebender
Zitternder Hand
Schürzt sie das lockere
Feengewand.

Die schneeweißen Beine, von den Enden der durchsichtigen roten Gewebe umwallt, glänzen im Mondlicht Jetzt heben sich schwerfällig die Füße vom Boden, mit Anstrengung werden sie aufgehoben, um dann bald wieder bleischwer auf die Erde zu fallen. So wandelt die neue Tänzerin langsam wie von Träumen umfangen in kleinen Kreisen umher. Alsbald jedoch scheinen die Füße Kräfte zu empfangen, sie schnellen den Körper empor, immer schneller und schneller, so rasch und wild, daß die roten Schleierhüllen nicht mehr sinken können, sie hängen in der Luft in tausend Knitterfalten, die weißen Hände reißen sie höher, werfen und schleudern sie fort. Verlangend recken sich die Arme zum Himmel, und die kleinen Finger greifen hinauf, immer höher, als wollten sie die weißen Wolken haschen und sich an ihnen emporzerren zum großen Mondlicht.
Nun steckt sie sich lächelnd die Fächer hinten an den Schultern fest, daß sie wie Flügel aussehen.

Ein Ruck durchzuckt
Den ganzen Leib
Sie springt und steht
Mit frohem Blick.
Hoch auf den Zehen stürmet sie eilig
Mit zitternden Beinen im Kreise herum.
Schlaffan den Lenden hängen die Arme,
Sie scheint zu schweben, sie scheint zu fliehn.

Doch der eine Zwerg, der am Abhange liegt, springt blitzschnell auf und erhebt seinen kleinen Besen. Die Tänzerin dreht sich errötend um, dreht sich noch einmal und dann immerfort, rascher, rasender, so unaufhaltsam wie ein Kreisel, daß nur ein rotes Kleid, grüne Flügel, goldgelbe Haare zu sehen sind. Die weißen Arme und Beine greifen und schleudern sich, der Wirbeltanz läßt keinen weiteren Gedanken zu, die Zuschauer staunen und bewundern.

Rasend wie Sturm
Waghalsig keck
Sauset er wild
Rasch wie der Blitz
Wirr und voll Gier
Toll ohne Rast
Hin durch die Welt
Dieser verzückt
Wirbelnde Tanz.
Atemlos jagt
Sehnig und stolz
Dieser hellbunt
Glitzernde Reif
Rund um den Hatz,
Scheuchet in Wut
Alles empor,
Dreht sich ohn‘ End,
Bis ihn der Rausch
Schwindelnd betäubt



Die Gewänder, Fächer, Arme, Haare waren zusammen ein Farbenkranz geworden. Als der sich endlich allmählich zu lösen begann, schien die Kraft der Tänzerin zu erlahmen, ihr Gesicht glühte wie Feuer, sie schwankte, griff um sich, und die Elfen und Zwerge, die Alle von ihren Sitzen aufgesprungen waren, glaubten, jetzt würde das wilde Kind zu Boden sinken, indessen das geschah nicht. Die zarten Knie knicken zusammen, aber der Wirbeltanz wird taumelnd fortgesetzt. Die schlanke Gestalt krümmt sich, die schwarzen Augen glimmen und funkeln; wie eine Katze, die nach Raub ausschaut, späht die Tänzende nach allen Seiten, dreht sich dabei langsamer, berührt mit Knien und Händen fast den Boden, und in einer Schneckenlinie naht sie der Mitte des Tanzplatzes. Wieder heben sich die Glieder, und die Wirbelbewegungen werden rascher, heißer, feuriger. Doch kaum hat sie sich wieder in natürlicher Größe aufgerichtet, als sie auch schon abermals in die Knie stürzt, aber dabei schnellt sie sich gleich mit aller Kraft empor und schießt wie eine Schraube hoch in die Luft, reißt dort oben die Fächer von den Schultern, schlägt und peitscht die Lüfte hastig, grimmig, um sich oben in der Schwebe zu halten. Es gelingt ihr nicht, sie sinkt in die Tiefe zurück, die roten Schleier kommen zuletzt hinab, sie prallt steif mit den Füßen auf den Erdboden und bleibt wie ein Stock stehen. Kraftlos fallen die Arme nieder, die Spitzen der Fächer berühren die Erde, die roten Gewänder umhängen schlaff die müden Glieder. Der Mond wird von den weißen Wolken verhüllt

Der Sprung mißlang,
Zur Erde sank
Das Feenkind
Zurück in die alte traurige Welt.
Zum Himmel sprang,
Zum Lichte rang
Der schwere Leib,
Doch Keiner dort oben Sinkende hält

Die Tänzerin bewegte nach kurzer Zeit wieder die Füße. Sie tanzte müde, doch so wie die anderen Mädchen tanzen. Neckisch hüpften die Zehen vor und zurück, der Oberkörper wiegte sich in den Hüften, die langen goldgelben Haarsträhnen schaukelten mit. Die Arme hielt sie über dem Kopfe, bildete Winkel mit den Ellenbogen, Schwunglinien mit allen Gliedern, warf erst das rechte Bein, dann das linke leicht in die Höhe, stand darauf mit vorgestreckten Armen auf einem Fuße. Schließlich blieb das linke Bein ständig in der Luft, und das rechte trug den Körper allein.

Wie der Fuß sich da drückt,
Wie gewandt, wie beglückt
Er sich bieget und streckt,
Die Zehe, Gelenke schmiegsam verreckt.

Die Zwerge schmunzelten, und die Elfen wollten schon Beifall klatschen, indeß das unberechenbare Mädchen brach urplötzlich ohne Grund den Tanz ab, schüttelte sich heftig, zuckte mit den Schultern, steckte die beiden Fächer zusammen unter den Arm, ballte die Faust und stampfte mit dem Fuß gegen die Erde.

Nahen die wilden
Unsichtbaren
Bösen ergrimmten
Waldesgeister?
Scheuchen sie schreiend
Höhnisch grunzend
Tanzende Feen
Fort aus dem milden
Glänzenden Mondlicht?

Verfolgt von unsichtbaren Gestalten wird die Tänzende. Sie stürmt daher, wehrt sich mit Händen und Füßen, krümmt sich verschüchtert, sinkt auf die Knie, hebt um Erbarmen flehend die Hände, rennt wieder voll Angst wie toll im Kreise. Die Zwerge schütteln den Kopf. Da scheint die Verfolgte wieder Atem zu schöpfen, mutig schreitet sie gerade aus. Nun packt sie giftiger Zorn, die beiden Fächer faßt sie mit der Rechten, so daß eine Spitze unten, die andere oben ist, wie eine Lanze hebt sie die grünen Blätter, und jetzt wird sie selbst die Verfolgerin. Eine tolle Jagd beginnt.
Ein blutgieriges Raubtier scheint die schlanke Gestalt geworden, ihre Zähne knirschen, die Augen brennen, blaue Adern blicken durch die weiße Haut, die Sehnen werden straff und die Muskeln hart. Bald durchstrahlt helle Siegesfreude das gerötete Antlitz. Die heftige Wut läßt nach. Spöttisch stoßen die Arme und Beine durch die Luft, in der besiegte Geister stöhnen.
Die Elfen atmen auf, doch nicht lange, denn ein neuer Feind muß wieder unsichtbar die Tanzende beirren und angreifen. Ihr Kopf ist in „das Genick zurückgeworfen, oben über ihr ist der böse Feind. Die Füße wollen den Erdboden verlassen, empordringen, anknüpfen, hinauf, höher, weiter, vor, fort. Der Tanz wird ein wilder Kampf, die Arme greifen gierig in die Lüfte, die Fächer fliegen zu Boden, und der ganze Körper strebt auf, von der Erde Fesseln will er sich losringen. Eckig, hastig, formlos, unbeholfen werden die Bewegungen. Wüste, wahnsinnige Begierde durchzuckt den weißen Leib, die roten Schleier hängen aufgerissen in wirren Falten. Der Wirbeltanz beginnt von neuem, ein gewaltiger Sprung folgt dem ändern, immer höher. Die weißen Glieder glänzen im Mondenschein, fliegen um her, die Beine stampfen den Boden und die Arme recken sich auf. Sie schlägt mit den Fäusten nach oben, ihr Kopt hängt tief im Genick. Allmählich versagt die Kraft.

Noch ein einziger herrlicher
Feuriger Sprung!
Zum Himmel noch einmal
Jauchzt sie empor,
Den hemmenden Geistern
Bietet sie Trotz,
Sie schlägt in die blöde
Dunstige Luft.
Doch schwer wie ein Kloben
Sinkt sie hinab,
Da bricht sie zusammen –
Springt nicht mehr.

Im Walde bewegte sich nichts, kein Laut war zu hören- nur die Zwerge flüsterten leise mit den Elfen, die mitleidig auf die ohnmächtige Tänzerin niederblickten, alsbald nach allen Seiten freundlich grüßend von dannen flogen. Sie schwebten über den glänzenden Waldsee nach den jenseits liegenden Forsten. Die jüngste der Elfen sagte, während sie ärgerlich den Kopf schüttelte:
„Warum das Kind nur fliegen will!“ Die ihr zunächst fliegende Schwester meinte zustimmend: „Ich weiß nicht, warum sie nicht tanzen lernen will wie die anderen Mädchen.“ Schweigend schwebten sie weiter durch den mild erleuchteten bläulichen Tauduft, bis sie im Schatten der Fichtenkronen verschwanden.
Die zwölf Zwerge umstanden mit ihren Besen auf der Schulter die ohnmächtige Fee. Wie sie sich erholt hatte, halfen sie der Müden aufstehen, reichten ihr die moosgrünen Fächer und ordneten ihre himbeerroten Gewänder. Sie sah fragend umher und sprach endlich zum Ältesten: „Warum sagst Du nichts?“ „War der Tanz schlecht?“ Der alte Zwerg antwortete: „Wenn der Vollmond wieder scheinen wird, mußt Du noch einmal tanzen, vielleicht kann ich dann ein Urteil über Deine Kunst fällen. Du mußt zuerst warten lernen, habe nur Geduld!“ Und die anderen Zwerge wiederholten das letzte Wort: „habe nur Geduld! habe nur Geduld!“ Die neue Tänzerin ließ den Kopf sinken und schritt nachdenklich mit den Kleinen in das Dunkel der Wälder. Zwei Zwerge, die hinter dem Zuge zurückblieben, strichen ihren Bart, zuckten die Achseln, gingen Arm in Arm weiter und der erste murmelte: „Sie kann ja doch nicht fliegen Der zweite nickte mit dem weißen Haupte, daß der braune Zipfel der Mütze vornüber fiel, murmelte gleichfalls: „Sie kann ja doch nicht fliegen.“
Auf dem Platze vor dem Klafter ist die laue Luft so still, daß das Bohren eines Holzwurmes einen Augenblick hörbar wird. Ein brauner Eichkater läuft herbei, setzt sich dicht am Abhange vorsichtig auf die Hinterbeine, spitzt die Ohren und schaut zum Himmel mit altklugen Augen auf.
Durch weiße Wolken schaut der Mond. Der Waldsee glänzt, und der Tauduft hängt im Gezweige der alten mächtigen Fichten, die groß und steif auf den Hügeln stehen und sich nicht rühren. Die grünen Kronen der Bäume zittern nicht, knarren nicht – schweigen. Es stört kein Laut den Frieden der Nacht


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