Der heilige Hain

Paul Scheerbart

Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


Der heilige Hain

Asketensage

aus:  „Ja..was.. möchten wir nicht Alles!


„Sei still!“ Die roten und gelben Rosen duften. Zwei Frauen wändein an dem Schwanenteiche vorüber und betreten den heiligen Hain, der mit seinem dichten hohen Blätterdache die großen Wunder­blumen beschattet Kühl ist der heilige Hain. Tauperlen blitzen auf den großen weißen Lilien. Auch der dunkelgrüne Rasen ist unter den Morgenwolken feucht geworden. Die mächtigen Himmelsblüten wiegen sich sanft Die blaßroten Nelken wachsen neben den Würzelknollen der hohen Riesenbäume, deren dunkelgrüne Lau­bespracht den blauen Himmel mit seiner heißen Sonne nicht mehr ahnen läßt Die roten und gel­ben Rosen duften auch hier überall hinein in den milden Wohlgeruch der großen Wunderblumen. In der Mitte des Haines plätschert in einem weißen Marmorbecken ein kleiner Springbrunnen. Weiße Marmorstufen führen auf allen Seiten zum hüpfenden perlenden Wasserstrahl, zu der klingenden Wanne hinauf. Die beiden Frauen, die vom Schwanenteiche herbeikamen, lassen sich schweigend nieder auf den weißen Stufen. Der Marmor ist kalt. Feine purpurrote Gewänder schmiegen sich in unzähligen Falten um die schlanken Glieder der beiden Frauen. Goldblumen sind in den Saum des Purpurs gewirkt. Wo das glutrote Gewebe mit seiner Goldstickerei den grünen ‚Rasen streift, da knospen duftende Rosen auf. Und die Frauen pflücken viele gelbe Rosenknospen, winden aus ihnen einen Kranz und schmücken mit dem gelben Blütenreif das dunkelbraune weiche Haar. Neben den Riesenbäumen stehen ringsum im Kreise hoch auf schwarzen Sockeln Frauenbüsten mit seltsam denkenden Augen, mit braunen, gelben und schwarzen Haaren, mit ernstem Seelenantlitz, das einfach ruht in fester Stille. Um ‚ die Lippen spielt ein ewiges Sinnen, doch unbe­weglich scheint die beharrende Kraft selbstklarer Beschaulichkeit. In den heiligen Frauenbüsten, die den Hain ringsum in der Runde schützend umgeben und umgrenzen, lebt der Einklang einer ernsten Märchenwelt Die blauen Wunderblumen, die Rosen, Lilien und Nelken um­wuchern, umranken, umgarnen die schwarzen Sockel, sie blühen empor als Friedegedanken der heiligen Frauenseelen. „Sei still!“ Der Hain ist kühl. Bunte schillernde Vögel fliegen auf den Rand des weißen Marmor­beckens, hüpfen auf dem weißen Stein umher, tauchen den Kopf in das kalte Wasser, trinken die Tropfen, die der Springquell plaudernd ver­sprüht… Einfeiner Märchenduft weht aus den Blumen­kelchen, auf denen Schmetterlinge mit wunder­samen Farbenflügeln sich schaukeln und eifrig Honig saugen, zu den beiden Frauen hinüber, die schweigend auf den Marmorstufen sitzen und niederblicken in den wilden Garten zu ihren Füßen. Es sind so viele Falter auf die Knospen der Rosen, Lilien und Nelken geflattert, daß diese prunken – farbensatt und seltsam anzuschauen. Die blauen Wunderblüten thronen auf den hohen schwankenden Stauden wie die Köpfe der Kö­niginnen im fernen Indien. Im leisen Windegesurr glauben die Frauen geheimnisreich und sinn­voll bedeutsam die flüsternden Laute schmeichelnder Blumensprache zu vernehmen. Durch die Lüfte weht ein sanftes Säuseln. Auf dem Teiche draußen ziehen langsam große Schwäne dahin, deren weiße Fittigpracht ‚im Sonnenlichte glänzt. Doch die Sonne glüht nur da draußen in der ewig erregten Welt, der heilige Hain spendet erhabenen Frieden im küh­len Schatten. Es plaudert hüpfend und klingend die silberklare tausprühende springende Wasserquelle. Die sanften Augen der stillen Frauen­büsten schauen alle groß und träumerisch hin­über zu den Wellenringen der weißen Marmor­wanne. „O, wann wird endlich die Zeit nahen, in der ich ruhig werden kann?“ „Wir sind Büßerinnen“, erwiderte die ältere Schwester, sie schaute lange nachdenklich in die weitaufgeschlagenen Augen der einen Frauenbüste. Die Augen waren lichtbraun und milde; gebannt wurde, wer ihren Glanz erblickte; sie schienen Alles festzuhalten und Alles zu besänftigen. Hellblondes Haar wellte sich einfach gescheitelt um die weiße Stirn und um die weißen Wangen. Die Nase war so schmal und fein gebaut, daß das Licht, wenn es von der Seite kam, durchschimmern konnte. Zart drückten sich die leicht geröteten Lippen an einander, und um die Mundwinkel schien zu spielen der Schmerz mit dem Glück, Entsagen mit Genießen; verhaltene Wonne war mit verhaltener Trauer das Antlitz verklä­rend zusammengewebt. Ein dunkelbraunes Ge­wand umhüllte Brust und Schulter bis zum schlanken Halse. Das länglich gebildete Haupt der heiligen Frau ragte steif in bewegend berüh­render Hoheit empor. Die jüngere Schwester ließ ihre Blicke verwirrt umherirren, ihr ward wieder so heiß, sie nahm den gelben Knospenreif vom Kopfe, hielt ihn in der Hand auf dem Knie. Sie stieß leise die Schwester an und sprach rasch: „In der letzten Nacht war es so warm. Ich konnte nicht schlafen, mich verfolgten schreckliche Bilder. Jener Jüng­ling – Du weißt, er blickte mir damals so heiß ins Gesicht. Ich träumte wieder von ihm, seine Glie­der waren braun – seine Hand faßte mich an. Ach, Schwester, ich kann ihn nicht vergessen, und ich weiß nicht mehr, wann ich wieder ruhig werden kann. Ich bin so sinnlich.“ „Sei still!“ Die bunten Schmetterlinge flatterten um das springende Wasser. Weiche Winde wehten durch den Hain, und die Blumen schaukelten. Die Tau-Ferien glitzerten und funkelten. Bienen summten vorüber. „Sieh mit mir in das Antlitz jener heiligen Frau, ich will Dir erzählen von ihrem Leben, ‚viel­leicht wirst Du ruhig, wenn Du mir aufmerksam zuhörst“ Die Ältere streichelte die weichen, dunkel­braunen Haare der unruhigen Schwester und legte behutsam den Arm um ihre Schulter.

Beide schauten dann dicht an einander geschmiegt nach drüben, nach der stillen Büste hinüber. „Sie hatte sich vermählt mit einem Manne, der so edel war wie sie selbst. Niemals war eine Frau eine glücklichere Gattin wie sie. Und ihr Gemahl war ihr bester Freund. Was sie dachten, das dach­ten sie zusammen; sie empfanden stets dasselbe zu gleicher Zeit. Sie fühlten niemals etwas allein. Beide waren sie ein einzig Wesen.“ „Und sie fühlten eines Tages ein ganz neues Gefühl aufkeimen in ihrem Innern. Es war eine neue Sehnsucht, die bald größer ward als ihre Liebe, größer als alle bisher empfundenen Gefühle. Sie empfanden plötzlich den Druck einer Fessel. Die Begehrlichkeit war die Fessel. Und Sehnsucht nach Befreiung von dieser Fessel war der Kern des neuen Gefühls.“ „Nun aber merkten sie bald, daß ihr Zusammenleben die Begehrlichkeit ihrer Wünsche steigerte. Sie jedoch wollten sich von der Allmacht der Wünsche befreien. Da sie nun alle Beide wunschlos zu werden strebten, so be­schlossen sie, sich zu trennen….. sie sagten sich, daß, wenn sie die Kraft ihrer Wünsche brechen wollten, daß sie dann zuerst den größten Wunsch in ihrer Brust vernichten müßten. Dieser größte Wünsch war aber ihre Sehnsucht, zusammen zu sein….. Und so schieden sie von einander. Sie gingen beide dahin, ihren eigenen Weg zu wandeln.“ Die Blumen im heiligen Haine strömten aus berauschenden Duft, doch der war nicht glühend, blicht heiß. Kühl und frisch blieb der stille Hain, in dem unablässig das springende Wasser mur­melnd erklang – plaudernd von neuer wunschlo­ser Seligkeit „Sieh‘ nur zu der stillen Frau hinüber. Sie begann durch die Welt zu wandern, als sie sich von ihrem Gatten getrennt hatte. Sie kam zu fremden Ländern und zu fremden Völkern, und überall predigte sie das hohe Lied von der ewigen Wunschlosigkeit“ „Bald nur ward sie traurig, da die Menschen ihren Worten nicht Glauben schenkten und trotz aller Mahnung nicht anders lebten als zuvor.“ „Und einst sprach zu der hohen Frau in stiller Sternennacht hinter einem großen Tempel mit vielen Kuppeln ein alter Einsiedler; er meinte vor­nehmlich, daß ihr Wunsch, die Ändern zu bekeh­ren, doch auch nur ein Wünsch sei…



Sie sah das bald schmerzlich ein und gab es von jener Nacht an auf, die Menschen zu bekehren.“ Die ältere Schwester erhob sich, brach eine große blaue Wunderblume, eine weiße Lilie, eine rote und eine gelbe Rose und dazu eine rosafarbige Nelke, dann setzte sie sich wieder mit dem Blumenstrauß auf die weißen Marmorstufen und erzählte weiter: „Unsere Heilige schloß Freundschaft mit dem alten Einsiedler. Indeß dieser erklärte bald, daß auch der Wünsch nach Freundschaft nur ein Wünsch sei, der überwunden werden wollte. Das veranlaßte sie, abermals in die weite Ferne zu ziehen.“ „An einer plaudernden Quelle lebte sie darauf in stiller Einsamkeit Und die Einsamkeit tat ihr wohl. Nur regte sich dort der Wünsch nach der Heimat in ihr. Sie unterdrückte wohl das Heim­weh, indem sie auch in diesem Gefühl nur einen Wünsch erblickte, der unterdrückt werden mußte – doch blieb ein leises Sehnen zurück.“ „Eines Tages besuchten vier Freundinnen die Einsiedelei. Die Vier hatten von dem heiligen Leben der großen Büßerin gehört, hatten ihr ‚Vaterland, das auch das der großen Büßerin gewesen, verlassen und waren nun hingepilgert zu der Vielgefeierten, die nichts weiter wollte als wunschlos leben.

Sie war freundlich, aber sehr still, und so kam es, daß die Freundinnen viel erzählten und vieles wissen wollten.“ „Da begann der Wünsch nach ganz abge­schlossener Einsamkeit allmächtig in der Heiligen aufzukeimen; sie kämpfte gegen diesen großen Wünsch heftig an, doch er kam immer wieder und zehrte an ihr. Dieses fühlten die vier Freundinnen, und sie beschlossen alsbald, wieder nach Hause zu pilgern, da die Einsiedlerin beständig ihre Nähe zu meiden suchte. Wie sie jedoch Abschied nehmen wollten und ihren Entschluß kundtaten, da hat jene große Frau sanftmütig den Kopf geschüttelt und ist mit den Freundinnen, ohne sich weiter zu weigern, hierher gezogen.“ „Die fünf Frauen haben hier am großen Teich unsere Einsiedelei erschaffen. Wir nennen sie, wie Du weißt, ,Die Heimat der Büßerinnen‘.“ „Jene haben gebüßt, um von allen ihren Wünschen befreit zu werden, und wir sollen das gleiche tun. Du zitterst, Schwester?“ Die jüngere Schwester seufzte, zitternd erwiderte sie: „Wie groß sind jene Frauen gewesen, und wie klein bin ich! Ich hatte nur Sehnsucht nach der sinnlichen Lust. 0 wie klein und verächt lieh bin ich! Sprich weiter, ich fühle, wie ich bei Deinen Worten immer ruhiger und ruhiger werde.“ Die Freundin streichelte wieder das weiche dunkelbraune Haar der unruhigen Schwester und sprach leise, während sie mit der Rechten den Blumenstrauß emporhob: „Siehe, diese Blumen haben die fünf Frauen, die diesen Hain zuerst sahen, aus jenem fernen Lande mitgebracht und hier angepflanzt. Diese fünf Blumen sollen Wünsche vorstellen, die gelbe Rose bedeutet die Sehnsucht nach Freundschaft, die rote – Liebessehnen. Hier die Lilie weist auf das Verlangen nach Ruhe hin, die blasse rosafar­bige Nelke ist ein Zeichen des Strebens nach großen Täten – diese blaue Wunderblume kündet die Begierde nach ewiger Einsamkeit, es ist die „Lieblingsblume jener Frau dort drüben, von der ich Dir so viel erzählte.“
„Ach, wie klein ist dagegen der Wünsch nach der sinnlichen Lust, den ich hegte, der mich unruhig machte!“ „Wahrlich“, sprach die Andre, „sehr verächtlich ist es, wenn Dich schon der Wünsch nach niedriger Lust nicht ruhen läßt. Gehe hin in Deine Klause! Faste dort! Nimm‘ den Strauß mit, der Dich an die großen Wünsche mahnen wird. Auch Du wirst lernen, was wunschlose Seligkeit bedeutet Jetzt lerne nur zunächst, wie verächtlich das Verlangen nach Wollust und Umarmung ist. Lebe wohl!“ Das junge Mädchen mit dem gelben Kranz und dem großen Strauße steht auf und geht langsam gesenkten Hauptes von dannen, das purpurrote Gewand schleppt zaudernd nach. Das Mädchen wandelt angestrengt denkend am Teich entlang, es sieht die weißen Schwäne nicht lachend an, wie sonst, es schreitet still empfindend seiner Klause zu. Ein ernstes Selbstvertrauen bemächtigt sich der schlanken Gestalt, und sanft erregt spricht sie zu sich selber: „Ich werde Ruhe finden, ich werde jenen Frauen schon einst gleichen, und wenn ich fürchte, schwach zu werden, dann will ich einsam in den heiligen Hain flüchten und die heiligen Frauen wieder anschauen. Dir Blick wird mich stärken.“
Und die Jungfrau lächelt, als sie mit ihrer Bußübung beginnt, mit großen Augen redet sie sich gläubig zu: „ Du, junge Büßerin, verzage nicht. Du bist schon wunschlos. Du bist es schon in dieser Stunde, Du wirst noch wunschloser werden.“ Die ältere Schwester sitzt noch lange Zeit allein auf den weißen Mamorstufen. Sie schüttelt mit dem Kopf und zerpflückt in Gedanken die gelben Rosenknospen aus denen sie vorhin einen Kranz gewunden. Sie erinnert sich, daß nur die Sehnsucht nach Herzensfreundschaft sie veranlaßt hatte, den Kranz zu winden; sie wollte der jungen Schwester Freundin sein. Sie schüttelt den Kopf wiederum und vergißt den Wunsch. Wehmütig gedenkt sie noch ihrer alten Lehrerin, die oft so traurig von den Wünschen gesprochen. Alle Wünsche seien doch nicht zu töten, so hatte die alte Frau stets gelehrt. Vor Allem, sagte sie, müßte man sich vor spitzfindigen Grübeleien hüten. Es wäre natürlich auch nur ein Wunsch, wunschlos sein zu wollen – doch man dürfte nicht glauben, daß scherzhafte Wendungen an der Notwendigkeit der Wunschlosigkeit irgendwie rütteln könnten. Man sollte nur immer jeden Wunsch den man als solchen erkannt zu besiegen versuchen, dann würde schon alles Glückbringende folgen – so ward gelehrt den Büßerinnen. Die ältere Schwester stärkt sich noch einmal im Anblick der milden Frauenköpfe, sagt sich ernst, daß der Wunsch, eine Freundin zu besitzen, keine Kraft mehr für sie habe – und geht dann auch fort Der heilige Hain lag bald einsam da. Voll Hoheit ragten‘ die Büsten der wunschlosen Frauen empor. Die Wunschblumen dufteten, der Springquell ward umflattert von Vögeln und Fal­tern. Die Blätter der Riesenbäume rauschten. Andachtsstimmung lagerte ringsum. Es betrat niemals eine Büßerin diese geweihte Stätte – ohne gestärkt zu werden, ohne sich wunschlos zu fühlen….. Wenn eine Büßerin sinnend auf den weißen Marmorstufen des stillen Haines rastet, dann schweben die Geister der heiligen Frauen herbei, stärken die Ringende, trösten die Verzagte – sie lenken die Herzen derer, die ihnen nahen, so leicht und sicher, als wenn der Wind die Wolken lenkt


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