Lichtwunder

Paul Scheerbart

Immer mutig!


Lichtwunder

aus:  Immer mutig


Nacht! Nacht!
Lauter dunkle, schwarze Räume.
Ich schwebe so dahin und weiß nicht, wo ich bin – aber ich schwebe in der unendlichen Finsternis ruhig weiter.
Da zuckt was in der Ferne auf – ein kleines Pünktchen Licht!
Und nun weiß ich, wo ich mich befinde – ich fliege durch jene große Nachtkugel, die weit hinter dem leeren Raume mitten im großen Lichtmeere schwimmt, das in jedem Atome so hell ist wie eine echte Sonne ohne dunklen Kern.
Es gibt im Lichtmeere viele hohle Nachtkugeln – aber meine Nachtkugel ist die dunkelste.
Und doch – es ist nicht Alles so dunkel, wie’s aussieht.
Da drüben der Lichtpunkt wird immer größer – und jetzt schießen zwei feine Lichtkegel, die so schwanken, an mir vorüber.
Und – in den Lichtkegeln?
Lichtwunder!
Da fängt es gleich zu leben an – Milliarden zierliche Flügelchen glitzern und flimmern – und leben – einen kurzen – aber seligen – Lichttag.
Und nach dem schwebe ich wieder in der unendlichen Finsternis.
Es dauert aber nicht lange – und von neuem schießt aus einem Spalt der Kugelschale ein linsenförmiger Lichtstreifen – breit wie ein Schwert.
Und wie vorhin lebt gleich in dem Lichtstrahl was auf – eine wilde Weltenjagd – unzählige kleine schillernde Blasen – dies Mal sind’s lauter Welten mit edelstem Weltengewürm.
So ist das Dasein im großen Reiche der Nacht.
Es wird immer wieder hell.
Und die Lichtstrahlen erzeugen mit immer wieder frischer Kraft unzählige Lichtwunder – Engel und Sterne, Fledermäuse und Paradiesvögel – Diamanten und Weltgestalten in immer neuer Lichtwunderform.
Ich weiß: unsre Augen könnten das Lichtmeer draußen nicht ertragen – wir würden draußen erblinden – daher die schützende Kugelschale.
Aber unsre Augen sind nicht schlechte Augen – sie sind nur so fein und empfindlich, daß die dämpfende Nacht die feinen empfindlichen Augen immer wieder stärken muß – zum Genuß der ewigen Lichtwunder in der Nachtkugel.
Augen, die draußen das Lichtmeer ohne Schaden ansehen können, sind schrecklich grob.

Immer mutig:


Das Nilpferdchen hatte beim Lesen auf jeder der beiden dicken Vorderpfoten eine Pincette. Und mit den beiden Pincetten konnte das Tier sehr gewandt meine Blätter halten und umdrehen. Nach der Lektüre fächelte sich das Tier vom Strande des heiligen Nil mit meinen Blättern ein wenig Kühlung zu und sagte leise: »Das war so schmerzlich grade nicht, denn der Wert der Dunkelheit wird ja auch gleich im richtigen Lichte gezeigt. Hast Du nicht eine längere Sache, die wenigstens schmerzlich endet? Mir scheint – doch davon nachher.« Ich suchte wieder in meinen Taschen, und dann ließ ich das kluge Nilpferd dies hier lesen:


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