Die Entwicklung des Luftmilitarismus

Paul Scheerbart

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Die Entwicklung des Luftmilitarismus

und die Auflösung der europäischen

Land-Heere, Festungen und Seeflotten


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Vor einer Tragödie stehen wir.  Der grossartige Militarismus des neunzehn­ten Jahrhunderts wird demnächst »aufgelöst« werden.

Wer das liest oder hört, lacht natürlich und glaubt nicht daran – nicht im Traum. Es ist auch kaum zu glauben. Diese gran­diosen europäischen Volksheere, die kolossalen Festungen und die wundervollen Seeeflotten sind mit dem modernen Kulturleben so innig verwachsen, dass man eine Auflösung dieser Kultur-Herrlichkeit ohne Weiteres für eine Un­möglichkeit hält. Eher würde man an den Unter­gang der Erde glauben. Und doch – wenn wir nicht alle Logik um­bringen wollen, so m ü s s e n wir an die Auflö­sung des bisherigen Militarismus glauben; der Luftmilitarismus ist eben stärker als die Land­heere, Festungen und Seeflotten. Die Militärschriftsteller sind in bemitleidens­werter Verlegenheit. Sie können garnicht konse­quent in ihren Betrachtungen sein. »Wo wird«, schreibt Oberst S. A. Cody, »die Schlagfertigkeit der mächtigen Heere und des undurchdringlichen Walls der Seeflotte bleiben, wenn die Luftflotten die Herrschaft führen? Dass Heer und Marine noch nötig sein werden, ist unbe­streitbar. . .« Warum das unbestreitbar ist, erfahren wir nicht. Wo wird, kann man nur immer wieder fragen, die Logik bleiben, wenn die Militär­schriftsteller immer wieder so unlogisch denken und schreiben. Ich habe in den letzten Wochen mindestens ein Dutzend logische Ungeheuer­lichkeiten bei den Militärschriftstellern entdeckt. Man könnte wirklich ungeduldig werden, wenn man nicht einsehen müsste, dass die Militaristen fast gezwungen sind, unlogisch zu sein, da sie Rücksicht auf die bestehenden Zustände schlechterdings nehmen müssen. Für mich, der ich keinem Militärverbande angehöre, ist eine derartige Rücksicht nicht vor­handen, und somit kann ich meine Meinung kurz und deutlich folgendermassen formuliren: Ein lenkbarer Luftkreuzer kann 200 Cent­ner tragen – d. h. 100 Dynamit-Torpedos, wenn jedes V-/z Centner schwer ist. Damit kann man eine Stadt so beschädigen, dass nicht viel Gan­zes übrig bleibt. Nun kann aber ein Staat in Jahresfrist ein paar hundert derartiger Luftkreu­zer herstellen. Wer will nun im Ernste behaup­ten, dass solche Luftflotten den Landheeren, Festungen und Seeflotten nicht überlegen sind? Alle Luftschiffe greifen selbstverständlich einzeln das feindliche Land an – nicht in Reih und Glied – wie sich das ein Kriegsutopist schon ausgemalt hat. Ausserdem greifen die Luftschiffe nachts an. Und da können sie doch in ein paar Stunden so viel zerstören, dass von den Land­heeren, Festungen und Seeflotten nicht viel üb­rig bleiben dürfte. Es ist doch nicht möglich, das zu bezwei­feln. Das Dynamit braucht ja nur runtergeworfen zu werden. Man könnte nun einwenden, dass dabei viele Torpedos nicht ihr Ziel treffen dürften. Indessen – die Torpedos lassen sich auch auf unbemannte Gleitflieger legen, und diese lassen sich durch drahtlose Telegraphie »len­ken«. Diese Lufttorpedos werden also ihr Ziel nicht verfehlen. Die Torpedos lassen sich ja im Wasser durch drahtlose Telegraphie lenken -also gehts auch in der Luft. So sieht der Luftmilitarismus aus. Und da­gegen soll der bisherige Land- und Seemilitaris­mus seine Stellung behaupten. Dass das nicht geht, möchte ich in den folgenden kleinen Arti­keln umständlichst auseinandersetzen: 1. Die Unmöglichkeit einer Land­schlacht unter Mitwirkung von Luft­flotten.

Wenn wir voraussetzen, dass zwei grössere euro­päische Staaten im Besitze von Luftflotten sind und Krieg miteinander führen wollen, so werden beide Staaten zunächst ein Interesse daran ha­ben, möglichst viele Lenkbare mit Gleitfliegem über die Grenzen zu senden – einzeln. Und jeder Lenkbare wird sein Dynamit auf die grösseren Städte werfen und dort beispiellose Verheerun­gen anrichten. Man wird die Kasernen, Parla­mentsgebäude und Paläste in erster Linie angreifen. Lassen sich Truppen irgendwo sehen, so werden sie gleich von einem Torpedohagel begrüsst werden. Und da möchte ich wissen, wie es zu einer Landschlacht kommen soll. Die Landtruppen sind eben gänzlich überflüssig. Natürlich – derartige Bombardements von oben werden einen Massenwahnsinn hervor­bringen. Ich möchte wissen, wer dabei ruhig bleiben könnte. Die Totengräber werden sich weigern, verstümmelte menschliche Gliedmas­sen zu sammeln. Und die Chirurgen werden auch von dem allgemeinen Wahnsinn gepackt werden und davonlaufen – so rasch sie können. Es ist überflüssig, das Entsetzliche solcher Stadtbombardements auszumalen – das kann Jeder selber besorgen. Das Scheussliche eines derartigen Krieges ist so einleuchtend, dass man gut täte, vorläufig nicht weiter darüber nachzu­denken. Schon das Nachdenken über derartige Kriegskünste kann eine heftige Nervenerkran­kung zur Folge haben. Eine Landschlacht aber ist ganz unmöglich – das Dynamit von oben arbeitet so schnell, dass das Landheer garnicht zur Entwicklung gelangt. Die Ballonabwehrkanonen werden den Ballons nicht vielen Schaden bereiten. Ausser­dem können sie nicht überall sein. Und es kommt auch nicht darauf an, wenn einige Luft­schiffe bei dieser Kampfesart zu Grunde gehen. Wie schwer es ist, einen Ballon zu treffen, hat man ja jetzt überall eingesehen. Dazu kommt, dass die Ballons in der Nacht schlechterdings oben unsichtbar bleiben. Die Grenzen durch Drahtwände zu schützen, geht ebenfalls nicht. Und so viele Scheinwerfer, um in der Nacht den ganzen Himmel zu erhellen, kann man auch nicht funktionieren lassen. Nun wird man natürlich auf die Beschlüsse der Haager Konferenz hinweisen. Die Konferenz will den Völkern verbieten, Sprengstoffe vom Luftballon aus in Kriegszeiten herunterzuwerfen. Die Völker werden sich um diese Beschlüs­se nicht viel kümmern – dazu verwenden die Staaten nicht unzählige Millionen für die Luft­schiffahrt, um schliesslich die neuen Kriegsin­strumente bescheiden in die Ecke zu stellen. Das Lächerliche dieser Handlungsweise wäre denn doch zu auffällig. Allerdings – um die Landheere, Festungen und Seeflotten zu retten, kommen die Militari­sten auf ganz abenteuerliche Ideen. So sagte der schon oben erwähnte englische Oberst S. A. Cody, der sonst ganz Vortreffliches über den Luftmilitarismus vorbringt, auch das Folgende: »Es besteht die Möglichkeit eines Vertrages zwischen den grösseren Mächten, durch den sie sich verpflichten, von Maschinen zur Fortbewe­gung im Luftmeer in Kriegszeiten keinen Ge­brauch zu machen. Es ist wohl denkbar, dass man zu diesem Schluss kommt, denn man kann sich nichts Fürchterlicheres vorstellen, als das Bild einer Kriegführung, bei der die Kampfes­werkzeuge der Luft ihre tätliche Rolle spielen. Wenn keine Stellung mehr verschleiert, keine Angriffslinie ein Geheimnis, keine Festung mehr vor den spähenden Augen des Feindes sicher ist, müssen die Folgen für beide Parteien unbe­schreiblich sein.« Da haben wirs: erst sollen die Luftschiffe für den Luftmilitarismus hergestellt werden, und nachher soll man sich ihrer nur im Frie­den bedienen – bei Paraden und Manövern. Die Völker, die den Luftmilitarismus auch bezahlen sollen, werden ein schönes Gesicht schneiden, wenn ihnen von diesem Pa­rade- und Manöver-Militarismus berichtet wird. Ausserdem macht man die Rechnung ohne die rabiateren, aussereuropäischen Staaten – bei den Japanern z. B. wird man den Dynamitkrieg keineswegs für undurchführbar halten. Dem Ja­paner ist das Dynamit ans Herz gewachsen … Ich glaube, dass jeder Freund der Logik nach dem Gesagten mit mir der Meinung sein wird, dass eine Landschlacht, wenn erst Luftflot­ten da sind, einfach ein Unding ist.

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