Das Perpetuum Mobile

Paul Scheerbart

Bücher


Das Perpetuum Mobile

Seite 2:   Der barbarische General
Seite 3:   Der Millionenonkel
Seite 4:   Jetzt kommt aber der große Kladderadatsch
Seite 5:   Die veraltete Arbeit
Seite 6:   Die große Störung
Seite 7:   Das feierliche Schweigen
Seite 8:   Räder und Ringe Die Astrale Richtung
Seite 9:   Die astrale Richtung
Seite 10:  Der »Stern« Erde
Seite 11:  Die Ernährungsarie
Seite 12:  Das Lebenselixier
Seite 13:  Ein Aprilscherz


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Einführung

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Der alte Herr sprang in seinem Laborato­rium auf einen kleinen Tisch, räusperte sich heftig und sagte: »Meine Herren, jetzt werde ich mal eine Rede reden. Ich bin ja kein geübter Redner. Aber ich hoffe doch, daß ich mich Ihnen verständlich machen kann. Ich behaupte, daß die Europäer und besonders die Deutschen ihren berühmten Männern der Wissenschaft allzu viel Hoch­achtung entgegenbringen; allzu viel! Wenn Einer eine halbwegs vernünftige Ansicht geäußert oder etwas Imposantes erfunden hat, wird er gleich eine >Autori-tät<. Die Unberühmten sagen sich: Der Mann hat mal was Vernünftiges vorge­bracht, also wird Alles, was er sonst noch sagt, wahrscheinlich auch sehr vernünftig sein. Das ist bequem, nicht wahr, meine Herren? Nun wollen wir gleich auf den Kern der Sache kommen. Ein herrliches Beispiel wird Ihnen das Gesagte vortreff­lich illustriren. Das große Gesetz von der Erhaltung der Energie hat ja bekanntlich Robert Mayer im Jahr 1849 sehr klar for-mulirt. Und er schloß an diese höchst moderne >Gesetzgebung< die Bemerkung,  daß ein Perpetuum Mobile nicht möglich sei. Und sechzig Jahre beteten das alle Wissenschaftler ganz gemüthlich nach, ohne sich die Mühe zu geben, die Sache noch mal zu untersuchen. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie wollen wir hier gar nicht anzweifeln; daß aber aus diesem Gesetz die Unmöglichkeit eines Lastmo­tors hervorgeht, wollen wir doch ganz energisch bestreiten. Robert Mayer hat sich bekanntlich auch drei lange Jahre hindurch mit dem Perpetuum Mobile beschäftigt. Als er einsah, daß er selbst das Problem nicht lösen könne, sagte er feier­lich: Wenn ichs nicht kann, dann gehts nicht; denn geistreicher als ich selbst kann doch Niemand sein. So (oder so ähnlich) entstand sein sehr vortreffliches Buch über die Erhaltung der Energie. Welche Weis­heit aber verzapfte der große Robert dabei? Doch nur diese: geht eine Last herunter, so muß sie wohl wieder hinaufgehoben wer­den, also kann sie nicht perpetuirlich wir­ken, wenn sie heruntergeht. Es ist aber doch möglich, daß eine Last ein System von Rädern in Bewegung setzt, ohne daß diese Last sich dem Erdboden nähert. Warum soll Das denn nicht möglich sein?

Was man heute nicht gefunden, kann man doch wohl morgen noch finden. Außer­dem: jedes Mühlrad in eisfreiem Fluß, der niemals austrocknet, ist einPerpetuum Mobile. Bei diesem arrangirt allerdings die Verdunstung des Wassers das Wiederhin-aufheben der Last. Aber dieses Wiederhin-aufheben wird von der Sonne perpetuirlich besorgt. Ich glaube, die Herren Physiker können sich noch nicht bei ihren kosmi­schen Betrachtungen mit ihrer Phantasie außerhalb der Erdathmosphäre hinstellen und von dort aus die sehr merkwürdige perpetuirliche Anziehungarbeit der Erde beobachten. Diese Anziehungarbeit in per­petuirliche Bewegung umzusetzen, mag ja nicht so ganz leicht sein: für unmöglich dürfen wirs aber nicht halten. Diese Umsetzung von Anziehungarbeit in Bewe­gung wird von dem Prinzip der Erhaltung der Energie gar nicht berührt. Tote Kraft giebts allerdings auf dieser Erde nicht. Jeder ruhende Gegenstand drückt; und lei­stet damit Arbeit. Die Physik mag eine sehr schwierige Sache sein. Das berechtigt aber keinen, dummes Zeug auf dem Gebiete dieser herrlichen Wissenschaft zu behaup­ten und zu glauben. Außerdem erkläre ich

Ihnen, daß ich noch keinen Techniker kennen gelernt habe, der nicht im Gehei­men ein Perpetuum Mobile zu erfinden versucht hatte.« Der alte Herr stieg vom Tisch runter und trank drei Cognacs, ohne sich hinzusetzen. Da sagte ich: »Sehr geehrter Herr Laboratoriumsdirektor, ich bin durchaus Ihrer Ansicht und ich habe mich auch zwei Jahre und ein halbes hin­durch bemüht, einen transportablen Last­motor, der nur durch Auflage eines Gewichtes perpetuirlich funktionirt, zu erfinden. Ich glaube, daß mirs gelungen ist. Jedenfalls habe ich ein Buch darüber geschrieben, das, unter dem Titel »Das Per­petuum Mobile«,mit sechsundzwanzig Zeichnungen im Buchhandel käuflich zu erwerben ist.«

»Das ist ja ganz famos!« sagte der Direktor; »ich gratulire Ihnen!«

»Ich gratulire mir auch!« sagte ich freundlich.

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Das Perpetuum mobile

Die Geschichte einer Erfindung

»Je größer die Verzweiflung – um so näher ist man den Göttern. Die Götter wollen uns zwingen, dem Grandiosen immer näher zu kommen. Und sie haben kein anderes Mit­tel zum Zwingen – als die Misere. Nur in der Misere wachsen die großen Hoffnun­gen und die großen Zukunftspläne.«

Diese Sätze hielt ich lange Zeit hindurch wie ein Glaubensbekenntnis fest. Aber die­ses Glaubensbekenntnis sollte mal eine starke Erschütterung erleben.

Und das kam so:

Am 27. Dezember 1907 dachte ich über kleine Geschichten nach, in denen etwas Neues – Verblüffendes – Groteskes – vor­kommen sollte. Ich dachte an die Zukunft der Kanonen, die mir als Transportappa­rate sehr nützlich erschienen; ich glaubte, daß abgeschossene Waren mit automa­tisch sich öffnender Fallschirmvorrichtung ganz bequem wieder zur Erde herunter­kommen könnten.

Und ich stellte mir danach die ganze Erdluft von Drahtseilbahnen, durchspannt vor. Besonders sympathisch wirkten auf

mich die Drahtseilbahnen, die von ganz hohen Bergen herunterkamen. Ich dachte an Ballons als Seilbahnträger bei Nordpol­fahrten und dann an Riesenräder, die auf allen Landbahnen nach meiner Meinung viel schneller dahinrollen könnten als die jetzt gebräuchlichen kleinen Räder.

Dabei schien es mir nur natürlich, den Wagen ins Rad zu setzen. Das war jeden­falls etwas Neues.

Ich stellte mir das große Doppelrad a speichenlos vor (Fig. 1) und hing den Wagen R an die Doppelräder b und c, die in der Doppelstange f g befestigt wurden. Die Räder d und e waren zur Sicherheit da, damit b und c nicht von a runterfallen konnte. Wurde nun a geschoben, so bewegten sich die kleinen Räder auch. Alle Räder konnten natürlich auch Zahnräder sein.

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Hing ich nun aber an f ein Gewicht L, das dem Gewicht von R nicht viel nachgab, so ergab sich (Fig. 2) die Bewegung aller Räder in der angegebenen Pfeilrichtung. Und zwar: das ganze System bewegte sich nur durch Gewichtsauflage – das Perpe­tuum mobile war nach meiner Meinung fertig.

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»Durch Gewichte bewegtes Zahnrad« nannte ich die Geschichte. Ich sagte mir: die Anziehungskraft der Erde ist eine per­petuierliche, und diese perpetuierliche Anziehungsarbeit läßt sich durch aufein­ander gestellte Räder in perpetuierliche Bewegung umsetzen.

Daß jeder Physiker widersprechen würde, wußte ich sehr genau. Aber darin bestand ja ein Hauptreiz für mich. Die Phy­siker waren mir immer verhaßt. Was ging mich Robert Mayer – und das Gesetz von der Erhaltung der Energie an?

Wohl schien mir gleich etwas fraglich, ob Rad c auch in der Pfeilrichtung sich bewegen würde. Aber ich dachte nun zunächst nicht weiter über die Sache nach und glaubte, c würde schon mitgerissen werden.


ps_003_ppmWenn ich a auf zwei andere feststehende Räder v und w setzte (Fig. 3), war die durch Gewichte bewegte Baggermaschine fertig. Mit der ließen sich Kanäle bauen – man brauchte nur 100 000 Räder in Bewegung zu setzen – und in drei Tagen wäre ein Kanal Berlin-Paris fertig.

Die Verdoppelung der Marskanäle war somit erklärt: die Marsbewohner hatten eben bereits das Perpetuum mobile entdeckt.

Dieses alles hatte ich in ein paar Stunden zusammengedacht – und da wurde denn meine Phantasie etwas wild. Und es gelang mir vorläufig nicht, die drei Zeichnungen genauer zu prüfen.

Ich dachte: so einfach wird ja die Sache jedenfalls nicht sein – aber gehen wird’s schließlich doch.

Und wenn ich auch des Morgens immer zweifelte, so war ich doch des Abends immer wieder fest davon überzeugt.

Und ich zeichnete in den nächsten Tagen ein paar hundert Räder – eigentlich immer wieder dasselbe.

Die Sache kam mir zuweilen sehr spaßhaft vor.

»Wer hätte das gedacht,« sagte ich öfters, »daß ich noch mal das Perpetuum mobile erfinden würde. Dadurch ist ja die Menschheit von aller Arbeit erlöst. Der Stern Erde arbeitet für uns. Die von mir so viel gepriesene Misere hat ein Ende.«

Ich ließ mir dann beim Klempner ein paar Blechräder herstellen und kaufte mir auch andre Räder. Das Modell war aber so klein, daß sich alle Räder gar nicht ordent­lich bewegen wollten. Und ich kam gar nicht dazu, Gewichte anzubringen. Ich war zu ungeschickt.

Diese ersten mißglückten Versuche hiel­ten mich aber nicht ab, mit die weiteren

Ronsequenzen der großen Entdeckung auszumalen, an die ich, wie ich schon sagte, Morgens immer zweifelte und Abends immer glaubte. Das Rad c kam mir öfters sehr bedenklich vor.

Ein paar Notizen aus jener Zeit werden meinen damaligen Zustand sehr deutlich machen:


7. Januar 1908

Das ganze Potentatenspiel ist gar nichts gegen diese Radgeschichte. Sie macht Alles möglich – besonders eine elektrische Beleuchtung in der Nacht, daß Alles starr sein wird. Diese Lichtgeschichte ist kaum auszudenken. Man kann ja verschwende­risch mit der Elektrizität umgehen und in allen Farben immerzu Alles illuminieren -überall – wo man geht und steht.

8. Januar 1908

Wie sich die Luftschiffer freuen werden über die Lichtmassen. Alle Kirchtürme können ja von oben bis unten mit Licht überschwemmt werden. Ganz große Berge lassen sich ebenso illuminieren. Und dann die leuchtenden Wagen und die Hausdächer und die kolossalen Lichtstraßen – und
die Kanalufer …

Dazu kommt noch die Durchleuchtung des Wassers, das ja so durchleuchtet werden kann, daß die Fische gar nicht aus dem Staunen rauskommen könnten.

Was nur die andern Planetenbewohner dazu sagen werden, wenn sie die Nacht­seite der Erde so fabelhaft erleuchtet sehen!

Das muß doch ein Ereignis in unserm Sonnensystem genannt werden!

Schließlich brauchen wir die Sonne gar nicht mehr …

9. Januar 1908

Ich sehe Tag und Nacht immerfort Räder vor meinen Augen – was ich auch daneben sonst noch denken mag – immer Räder -Räder – es ist beinah unheimlich.

Ich glaube nicht mehr, daß ich das alles mache – das macht ein Andrer in mir. Ich beschäftige mich einfach wider meinen Willen mit dem alten Problem. Vielleicht ist dieser passive Zustand für alle Künstler und Erfinder das beste – dann kann der Andre in uns am leichtesten wirksam werden.

Mich beschäftigen jetzt auch immerzu die großen Bauten, die da kommen werden.

Architektonische Behandlung der Gebirgspartieen wäre jetzt nicht mehr utopisch wenn das Rad geht.

Immer wieder dieses komische Wenn!

Jedenfalls sind die Utopien unter den Tisch gefallen -wenn‘ s geht.

Überhaupt: mit den Utopien hat sich die Menschheit ein bißchen blamiert – ein paar Räder bringen eine größere Revolu­tion hervor als sämtliche Denkerköpfe der Menschheit zusammen.

Ob wohl jemand eine Utopie schreiben möchte, die 100 Jahre nach der endgülti­gen Erfindung des Perpetuum mobile spielt?

Dreist genug sind manche Leute; es gibt so viele übermütige Leute, die noch niemals Furcht vor der Blamage gezeigt haben

12. Januar 1908

Mit meinem Modell ist nichts anzufangen. Das behindert aber den Strom meiner Phantasie nicht im mindesten. Ich bedaure nur, daß mein Glaubensbekenntnis von

der entwicklungsfördernden Misere so heftig ins Schwanken kommt.

13. Januar 1908.

Kanalbauten in der Sahara könnten doch die ganze Wüste fruchtbar machen.

Überhaupt: Wenn man allen Flüssen der Erde beliebige neue Wege anweisen könnte, so wäre doch eine fabelhafte Stei­gerung der irdischen Fruchtbarkeit zu er­zielen.

Also: Wüstenkultur im großen Stil.

Dagegen ist der Panamakanal eine Bagatelle.

Es lohnt kaum, darüber zu sprechen …
Wie ich lachen werde -wenn’s geht …
Aber vielleicht lach ich auch nicht.

Es liegt etwas Dilettantisches darin, wenn man alles gleich in Wirklichkeit ausgeführt sehen will.

Ludwig II., der in Lohengrinrüstung auf seinem künstlichen See herumfahren mußte, um die ganze Lohengrinstimmung auszukosten, kam mir immer fürchterlich vor.

Es liegt etwas Armseliges in denen, die alles wirklich haben wollen.

14. Januar 1908.

Früher – einst – versetzte man Uhren.

Jetzt – kann man Berge versetzen.

So könnte man auch sagen – wenn das Rad geht – was ja noch nicht feststeht.

Vorläufig steht’s.

Aber wenn’s erst geht, ist tatsächlich Alles möglich. Vielleicht haben die Mars­bewohner mit ihrem Perpeh bereits alle ihre Berge abgeschaufelt.

Vielleicht – machen wir das auch.

Schön wär’s ja nicht, wenn alle Gebirge auf der Erde verschwänden – im Gegenteil – ich halte die Idee für entsetzlich.

Aber – vielleicht ist es praktisch.

Man könnte dann Dämme bauen mitten durch den atlantischen Ozean und mitten durch den stillen Ozean.

Und man könnte auch die Ostsee und das mittelländische Meer ausschöpfen.

Das ist alles absolut nicht unmöglich,
wenn das Rad geht

15. Januar 1908

Man dachte mal daran, die Linien des
pythagoräischen Lehrsatzes in den Sand
der Sahara in Kolossaldimensionen einzu­
graben, um den Marsbewohnern ein ver-

ständliches Zeichen zu geben – vielleicht denkt man jetzt daran, die Linien des Per-peh in sieben Meilen starker Breite als Lichtstreifen in die Sahara zu setzen.

Drollig ist es nur, daß diese Linien noch gar nicht feststehen – Rad c kommt mir immer bedenklicher vor.

Lachen würde ich auch, wenn gar nichts aus der Geschichte würde.

Dann wäre doch wieder mal bewiesen, daß das einzige Heil in der Phantasie zu suchen ist.

Und mein Glaubensbekenntnis von der
entwicklungsfördernden Misere käme
wieder zu erhöhter Anerkennung

18. Januar 1908.

Ich habe drei Tage über einen großen Architekturpark nachgedacht. Und er wurde immer größer.

Es ist zweifellos, daß man die Architek­tur erst auf eine höhere Höhe heben muß, bevor sie an die kolossalen Aufgaben der Perpehzukunft rantreten kann.

Schon der einfache Hausbau genügt uns heute nicht mehr. Es müssen doch noch mehr neue Baumaterialien ausgeprobt werden. Und dann – bei der einfachen

rechtwinkligen Baukunst kann es doch nicht immer bleiben. Und selbst diese würde durch umfangreiche Modellbauten erst richtig gefördert werden.

Das alles kann nur eine permanente Ar­chitekturausstellung.

Ich dachte anfänglich, daß ein beliebiges Stück Land hierzu genügen könnte.

Aber das genügt nicht, da ja der zukünf­tige Architekt kolossale Terrainbehand­lung zunächst ins Auge fassen muß. Wie ist die in kleinem Modell anschaulich zu ma­chen?

Ich dachte anfänglich an den Spreewald und dann wollte ich den Schwarzwald zu Ausstellungszwecken ankaufen. Ich glaube jetzt aber, daß sich am besten der ganze Harz eignet. Da kann man beliebig die ganze Gegend umgraben und die gro­ßen Pläne im Kleinen zeigen.

Eigentlich ist die Geschichte ein bißchen sehr großartig. Aber das scheint nur so.

Der einfache Alltagsmensch gewöhnt sich sehr schwer an große Pläne.

Das wird aber alles anders werden -wenn das Rad erst geht – was es heute allerdings noch nicht tut.

23. Januar 1908.

Man vergißt bei der Geschichte immer wieder so viel.

Es ist leider sicher, daß zunächst alle Menschen fahren werden – mit ihren klei­nen und großen Perpehs.

Der wohlhabende Mann wird hinter sich auch seine Gemüsegärten und seine Schweins- und Ochsenställe fahren lassen – denn das Perpeh kostet ja nicht viel – es fährt, so lange die Räder halten. Und dem­nach haben wir in der ersten Zeit eine totale Auflösung der verschiedenen Vater­länder zu erwarten.

Mit den Sprachen wird es auch sehr eigentümlich werden. Aber ich hoffe doch, daß sich die ersten Rultursprachen erhal­ten können.

Die deutsche Sprache muß jedenfalls gerettet werden, sonst werden meine Bücher ganz und gar unverständlich. Und das würde mich doch in eine gelinde Rase­rei versetzen.

Ist man aber erst ein weniger ruhiger geworden, so wird man das Fahren als lästig empfinden und an einen imposante­ren Zeitvertreib denken – wenn nicht die  ganze Menschheit plötzlich verdummt und nur an Regelschieben und Skatspielen denkt – was leider durchaus nicht so unwahrscheinlich ist. Und das ist auch so ein Dorn an diesem Rosenstrauch. Es ist so usuell, daß die Leute, wenn sie nicht mehr an die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu denken brauchen, an Intelli­genz selten zunehmen – vielmehr immer mehr so tun, wie die, denen das Denken auf ihrem Lebenspfade abhanden kam …

25. Januar 1908.

Gestern habe ich mich wieder den ganzen Tag mit diesem Modell abgequält und schließlich die Hälfte aller Lötstangen ent­zweigebrochen. Ich habe vom Klempner­handwerk keine Ahnung, und es kommt mir diese handwerkliche Tätigkeit sehr lächerlich vor.

Jedenfalls müssen riesige Sternwarten gebaut werden – alles Geld, das ich durch das Perpeh erobre, lege ich sofort in Stern­warten an – die bringen ganz bestimmt nichts ein – und man kann mir nicht Gewinnsucht vorwerfen, wenn ich sie baue. Aber die Astronomen und die Opti­ker können sich freuen.

Wenn man mehrere Sternwarten zu gleicher Zeit baut, so wird man die einzel­nen nicht in der Größe des Kölner Doms bauen können, und ich möchte gleich jede dreimal so groß als den Kölner Dom bauen – mit ungeheuerlichen domartigen Sitzungssälen und mächtigen Bibliotheken.

Wenn man sich so gar nicht mehr um des Lebens Notdurft zu kümmern braucht

und das braucht man nicht, wenn die Perpehs alles ohne unser Zutun besorgen so muß man sich doch mit Dingen befassen, die weiterab liegen – das Irdische kann man doch nicht ohne Unterbrechung bewundern.

Und so wird man sich gezwungenermaßen mit astralen Angelegenheiten befassen müssen.

Und das ist mir das Köstlichste an dieser ganzen phantastischen Radgeschichte …

27. Januar 1908.

Eine große Zeitung muß natürlich auch gleich gegründet werden. Diese Gründung geht sogar allen anderen Gründungen voran.

Tageszeitung natürlich!
»Die vereinigten Staaten von Europa«

möchte ich sie nennen – die Politik kommt als Geschäftssache in den Inseratenteil -das Lokale fällt fort. Und alle Seiten wer­den angefüllt mit Literatur, Technik, Kunst und Wissenschaft.

Da kann man zunächst die großen Pläne erörtern – und nebenbei gleich ganz ener­gisch die Literatur fördern.

Ich fürchte nur, daß die Literatur am aller­wenigsten durch Geld gefördert werden kann.

Und das macht mich eigentlich melan­cholisch.

Fast möchte ich wünschen, daß das Rad nicht geht. Die Literatur wird durch das Nichtgehen des Rades mehr gefördert als durch das Gehen des Rades – das weiß ich ganz genau.

Ich glaube einfach nicht daran, daß eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwunges literaturfreundlich wirkt.

Man sehe sich daraufhin die schwung­volle Literaturentwicklung in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an -und dann den Niedergang in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als wirt­schaftlich alles bergauf ging. Ich habe hier   nur die deutsche Literatur im Auge. In andern Ländern werden wir vielfach dasselbe in ähnlichen Zeiten konstatierenkönnen, wenn nicht andre Faktoren mit­wirken – wie in der Renaissancezeit Italiens ..

29. Januar 1908.

Ein großer neuer Verlag mit Riesenkapital dürfte auch nur die Buchausstattung fördern – nicht das, was zum Lesen dasein soll.

30. Januar 1908.

Jetzt kommt mir noch jemand und will Theater gründen. Die entwickeln sich auch nicht im Glanz des Goldes – in dem entwickeln sich die Tingeltangel.

Jetzt bin ich wirklich müde, an all die großen Pläne zu denken – mir kommen plötzlich die Schattenseiten dieser neuen Zeit zum Bewußtsein. Und ich sehe plötz­lich nur noch Schatten – wo so lange so viel Licht war.

Schließlich ist doch noch nicht das Ende der Satirenzeit da.

Wenn’s aber nach der Erfindung des Perpehs noch stumpfsinniger wird als bis-

her – so muß man sich doch eigentlich hüten, das Perpeh zu Ende zu erfinden.

Ich freue mich darum eigentlich, daß das Ding heute tatsächlich noch nicht geht.

Und morgen wird es auch noch nicht gehen – darauf möchte ich wetten.

Das beruhigt mich ein wenig.

Man ersieht aus diesen Notizen, wie heftig mich die Idee gepackt hatte; sie ließ mich nicht mehr los. Wohl nahm ich sehr oft alles komisch; aber es gelang mir doch nicht immer, die komischen Seiten zu ent­decken.

Das Experimentieren mit dem primiti­ven Modell brachte keinen Abschluß; ich hatte von allen handwerklichen Betätigun­gen keine blasse Ahnung. Und glücklicher­weise fehlte mir das Geld, das, was ich zusammendachte, von Andern praktisch ausführen zu lassen. Hätte ich das Letztere tun können, wäre ich vielleicht sehr schnell von der ganzen Idee abgekommen, denn das Rad c hinderte tatsächlich die ganze Geschichte, da dieses Rad nicht in der Pfeilrichtung sich bewegen konnte und mithin das ganze System in jedem Falle zum Stillstande zwang.

Das aber ahnte ich nur, sah es keines­wegs ein, und so arbeitete meine Phantasie »gegen meinen Willen« unablässig weiter. Wohl wollte ich immer das ganze Rad c beseitigen, aber dazu fehlte mir vorläufig jeder Einfall.

Das Technische an der Sache interes­sierte mich auch noch gar nicht, da ich mich niemals in meinem Leben viel mit technischen Fragen abgequält hatte, und die Mechanik interessierte mich nie.

Obwohl ich mir täglich mindestens fünf­zigmal das Rädersystem in allen mögli­chen Variationen aufzeichnete und immer wieder über die Sache nachdachte, schweifte meine Phantasie doch immer über die Sache hinaus und nahm für fertig, was keineswegs fertig war.

Ein besonderes Vergnügen machte mir die schiefe Stellung der Rutsche im Rade, und ich bevölkerte alle Landstraßen mit fabelhaften Vehikeln, die mir viel lustiger erschienen als die Automobile und Rut­schen mit ihren primitiven kleinen Rädern unter dem Wagen.

Und dann beschäftigte mich der Ausstel­lungspark fast den ganzen Februar hin­durch.

Hier ein paar Notizen darüber:

7. Februar 1908.

Wenn man freistehende Drahtwände im Garten anbringt und diese mit rankenden Gewächsen überzieht, so lassen sich Alleen herstellen, die denen ähnlich sind, die man in der Rokokozeit durch recht­winklig beschnittene Bäume herstellte.

Mit solchen Rankenwänden lassen sich Lauben und Terrassen im Villenstil zusammenbauen. Es ist merkwürdig, daß man an derartig leicht herzustellende Gar­teneffekte noch gar nicht gedacht hat.

Eine große Terrassenarchitektur kann somit durch rankende Pflanzen auf Draht­wänden – vorgespiegelt werden – der Effekt kann auf hügeligem Terrain großar­tig werden.

11. Februar 1908.

Ein Garten, dessen Teile verstellbar sind.

Transportable Hecken.
Transportable Terrassen.
Und besonders: transportable Beete.

Beleuchtung Abends durch Glasplatten, die von unten aus erleuchtet werden.

An Retten hängende Blumenkorbguir-landen.

Riesige Mastbäume mit blühenden Blu­men in Erdkörben, die beweglich sind -rauf und runter zu ziehen – und sich auch um den Mastbaum langsam drehen kön­nen. Die Blumen müssen aus den Körben lang heraushängen.

Verstellbare Blumendrahtwände.
Wände zum Schutz gegen den Wind.

Das Bewegliche muß im Garten die Oberhand gewinnen: Pflanzen auf großen Gestellen, die gefahren werden können -mit Perpeh.

»Bewegliche« Beleuchtung.
Schwimmende Beete in den Teichen.

Automatisch bewegte große Fächer mit glänzenden Glasstücken.

Usw. usw. usw.

13. Februar 1908.

Wenn man Maschinen hat, die nur durch Gewichtsauflage perpetuierlich funktio­nieren, so kann man Terrainveränderun­gen im allergrößten Stile vornehmen -dann ist man wirklich so weit, die aller­größten Gebirge nach rhythmischen Ver­hältnissen zu gliedern – zu vertiefen und zu erhöhen – so wie man will.

Eine kolossale Raumkunst kann dann geschaffen werden.

Und der Harz eignet sich sehr gut zu Modellzwecken im Kleinen.

Natürlich werden diese Modellarbeiten größer sein als alles, was wir bisher in der Baukunst erlebten; die Pyramiden im Pha­raonenlande werden gegen diese Harzmo­delle wie Spielzeug wirken.

15. Februar 1908.

Die großen Kanal- und die großen Dammarbeiten dürfen natürlich nicht ohne Vorbedacht unternommen werden. Und deshalb sind im Harz entsprechende Modellbauten für die »großen« Zukunftsarbeiten auszustellen. Das Raffinierteste architektonischer Raumkunst ist hierbei vorzuführen.
Große Straßen – riesige Terrassen –
Und Schluchtenarchitektur

17. Februar 1908.

Das Bodetal kann man ja so lassen – des Kontrastes wegen – den Brocken vielleicht auch.

Im übrigen kann man zeigen, wie vier­hundert Meter hohe senkrechte Wände

wirken. Und die kann man plastisch orna­mentieren. Und in den plastischen Orna­menten können Villen hinein gebaut wer­den, zu denen man nur mit Fahrstühlen hinaufkann.

Ganze Terrains sind nur für wirkungs­volle Turmarchitektur freizulassen.

Und natürlich muß man Hausbauma­schinen erfinden, von denen die größten Türme gemacht werden, ohne daß sich Menschenhände bewegen.

Nur die Räder arbeiten – ohn Unterlaß.

Es ist etwas ermüdend und angreifend, sich eine derartige Bautätigkeit vorzustel­len; darüber allein können ruhig ein paar tausend utopische Romane geschrieben werden.

19. Februar 1908.

Alles, was im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert fürstliche Gartenarchitektur schaffen wollte, kann jetzt in ganz anderen Dimensionen hervor­kommen – und auch die geschweiften Kurven werden zu ihrem Recht gelangen -nicht nur die rechteckigen Formen – und die Kristallformen …

Unsäglich viele Haus- und Villenmodelle sind zu schaffen – und natürlich auch Stadtmodelle – die Städte, die nicht nach Modellen entstanden, werden zu Stapel­plätzen für Waren und Rohmaterial.

Es ist sehr irrtümlich, wenn jemand glauben möchte, daß mir mein Architek­turpark im Harz komisch vorkommt -komisch kommen mir nur die sogenann­ten »modernen« Städte vor – ihr Untergang wird ein Labsal für meine Seele sein.

Man sieht, daß ich in meinen Phantasiege­bilden mit Europa und Amerika recht sum­marisch vorging; den Panamakanal herzu­stellen, erschien mir als wirkliche Baga­telle – ein paar Monate genügten dafür -nach meiner Meinung.

Der Februar des Jahres 1908 war für mich ein ziemlich ernster Monat; in mir keimte schon eine Art Fanatismus auf, und ich konnte es gar nicht ertragen, daß mir Jemand widersprach.

Trotzdem blieb die Lustigkeit nicht ganz und gar aus, dafür spricht die folgende kleine Skizze:

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